Schuld und Sühne und „Volksempfinden“: Die österreichische Strafrechtsreform
Umfangreiche Justizreformen hat die im Dezember angelobte neue ÖVP/FPÖ-Bundesregierung in Österreich ausgerufen. Anfangen will sie mit dem prestigeträchtigsten, weil polarisierendsten Rechtsgebiet: dem Strafrecht. Die Reform kommt mit plakativen Versprechungen von Strafverschärfungen daher – was vielerorts auf Verwunderung und Kritik angesichts der Tatsache stößt, dass es erst jüngst, nämlich 2016, eine groß angelegte Strafrechtsreform mit maßgeblichen Strafverschärfungen gegeben hat. Nicht nur der Inhalt, sondern vor allem die Entstehungsweise der jetzigen Reformpläne geben Anlass, diese einer kritischen Betrachtung zu unterziehen.
Erstaunlich ist, wer sich um die Reformen kümmern soll; man würde zunächst das Justizministerium vermuten, das sich üblicherweise um eine solche Strafrechtsreform kümmern würde. Man hat sich hier allerdings anders entschieden, und zwar auf Grundlage einigermaßen fadenscheiniger Argumente. Die Reform soll von einer „Task Force“ erarbeitet werden, die von Karoline Edtstadler (ÖVP) geleitet wird – der Staatssekretärin des Innenministeriums. Dies bedeutet, dass Aufgaben des Justizministers nun von einer dem FPÖ-Innenminister Herbert Kickl gegenüber weisungsgebundenen Person wahrgenommen werden sollen. Die Begründung, die die Regierung anführt: Justizminister Josef Moser (ÖVP) sei mit anderen, nämlich staats- und verfassungsrechtlichen Reformen zu beschäftigt, und sowieso sei Frau Edtstadler im Gegensatz zu ihm die Expertin fürs Strafrecht. Ginge es tatsächlich um die besondere Expertise der Staatssekretärin, so könnte sie dem Justizminister beratend zur Seite stehen, oder er könnte sich anderweitig mit einer Expertenkommission zusammentun, ohne die Reformen komplett aus der Hand zu geben. Wäre es andererseits tatsächlich so, dass der Justizminister gerade zu beschäftigt ist, so müssten die Reformen eben nach Priorität geordnet werden und gegebenenfalls hintenanstehen; der suggerierte Zeitdruck entbehrt einer evidenten Grundlage. Beide Erklärungen wirken auf den ersten Blick pragmatisch, vermögen aber weder zu überzeugen noch den fragwürdigen Beigeschmack zu beseitigen, der dieser im BMI angesiedelten Task Force anhaftet. Naheliegender scheint es, dass man sehr konkrete Vorstellungen davon hat, wie das Ergebnis der Strafrechtsreform auszusehen hat, und nicht riskieren wollte, die Umsetzung dem Justizminister Moser zu überlassen und so unter Umständen abweichende, weniger plakativ brauchbare Ergebnisse zu erhalten.
Denn dass die Regierung um möglichst plakative Ergebnisse bemüht ist, ist nicht zu verhehlen: so wird das „natürliche Rechtsempfinden“ der Bürger bemüht, das durch zu milde Urteile nicht verletzt werden dürfe – als Orientierung diene u.a. die Stimmung auf Facebook (eine bestenfalls ungeschickte, schlimmstenfalls aber von einem bedenklichen Rechtsverständnis zeugende Äußerung der Staatssekretärin). Ein unverkennbar emotionaler Appell steckt auch in Aussagen der Staatssekretärin, sie wolle null Toleranz gegenüber Gewalt gegen Frauen und Kindern zeigen – als ob die Bemessung der Strafe nach den Umständen des Einzelfalls automatisch Toleranz für die Tat bedeute. So sehr es zu den Aufgaben der Regierung gehört, für Rechtsfrieden zu sorgen, so wenig besteht dieser allein aus der Akzeptanz der Urteile in der Bevölkerung – auch wirksame Prävention und Interventionen, sprich Resozialisierungsmaßnahmen, tragen zur Entstehung von Rechtsfrieden bei, auch wenn die Leute gelegentlich ob milder Urteile „den Kopf schütteln“ (so die Argumentation des Bundeskanzlers Kurz). Hard cases make bad law: Dieses Sprichwort sollte Edtstadler als Juristin auch kennen – umso mehr verwundert es, dass zur Untermauerung der angeblichen Notwendigkeit einer neuen Reform einzelne als zu niedrig empfundene Urteile herangezogen werden.
Vor diesem Hintergrund sollten Expertengutachten und wissenschaftliche Erkenntnisse über die Effektivität von Strafrahmenerhöhungen und anderen Maßnahmen (insbesondere der Prävention und der Resozialisierung) dringend als Grundlage für Reformen herangezogen werden – was im Rahmen der letzten, gründlichen Strafrechtsreform von 2016 versucht wurde. Im Rahmen dieser waren unter anderem die Strafmaße im Bereich des Sexualstrafrechts angehoben worden – also eben das, was jetzt wieder gefordert wird. Ob die Auswirkungen dieser letzten Strafrechtsreform jetzt schon wirklich bewertet werden können (geplant war die Evaluierung erst im Jahr 2021), kann man bezweifeln; jedenfalls aber ist eine weitere Reform ohne eine gründliche Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der letzten ineffizient und verfehlt.
Dass ihre Forderungen von Richtern wie Rechtsanwälten mit wenig Begeisterung aufgenommen werden scheint Staatssekretärin Edtstadler nicht weiter zu stören. Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages, sieht „in der Praxis die Notwendigkeit nicht“ und bezweifelt, dass die angedachten Verschärfungen in irgendeiner Weise zum Rückgang der Taten beitragen oder die Opfer in irgendeiner Weise davon profitieren werden, und auch Sabine Matejka, die Präsidentin der Richtervereinigung, sieht in den Reformplänen eher „plakative Maßnahmen“ als irgendetwas Sinnvolles. Selbst Opferschutzorganisationen sprechen sich gegen die Reformpläne aus – der Präsident des „Weißen Rings“ etwa hält dem Argument der Staatssekretärin Edtstadler, mit den schärferen Strafen solle neben der Verhütung weiterer Taten den Opfern gezeigt werden, dass man sie ernstnehme, entgegen, dass die Strafhöhe den Opfern meist egal sei; entscheidend sei vielmehr, dass überhaupt reagiert und gestraft werde. Das Problem, fügt Opferschutzexpertin Rüdisser hinzu, liege ohnehin nicht im Strafmaß, sondern meist bei der Beweisbarkeit.
Mit ersten Ergebnissen der Reformbemühungen sei, so die Ankündigung, Anfang kommenden Jahres zu rechnen. Bis dahin kann sich noch viel tun. Es ist zu hoffen, dass man Abstand von allzu plakativen Forderungen, wie sie zurzeit gemacht werden, nehmen und sich auf die Erkenntnis der Kriminalwissenschaften besinnen wird, dass Strafmaßerhöhungen alleine wenig Produktives bewirken.
Auch wenn das “natürliche Rechtsempfinden” immerhin nicht strafbegründendes Tatbestandsmerkmal (so noch bspw in § 330c StGB idF v. 1.9.1935), sondern “nur” als Strafzumessungserwägung gelten soll, so erscheint mir dieses Vorhaben dennoch als schlicht unvereinbar mit elementaren Rechtstaatsverbürgungen. Wenn also, wie insb. bei Sexualstraftaten bereits des Öfteren geschehen, 70.000 Facebook-Nutzer die Forderung “Keine Gnade für Kinderschänder” “liken”, soll das für die Strafjustiz in irgendeiner Weise verbindlich sein? (so geschehen im Örtchen Leck, s. NStZ 2012, 529). Der öffentliche Mob soll praktisch geadelt werden obwohl Facebook-Aufrufe zur Lynchjustiz durchaus ihrerseits den Straftatbestand der Volksverhetzung des Aufforderns zu rechtswidrigen Taten erfüllen können? Die österr. Regierung ermutigt den organisierten Online-Mob damit zusätzlich – oder missbraucht sie eher “vox populi” für eigene Zwecke?
Na wenn das „natürliche Rechtsempfinden“ der Bürger so wichtig ist, dann würde ich empfehlen dass Verurteilungen (zumindest von Straftaten auf denen Haft stehen kann) nur noch von Geschworenen (Jurys) vorgenommen werden dürfen.
Rahsin (1906) als Schuld und Sühne ISBN 3-492-04002-0 Adam Kotulski (ca. 1907) als Raskolnikow oder: Schuld und Sühne Michael Feofanoff (ca. 1908) als Rodion Raskolnikoff Hermann Röhl (1912) als Schuld und Sühne ISBN 3-15-002481-1 Alexander Eliasberg (1921) als Verbrechen und Strafe Gregor Jarcho (1924) als Verbrechen und Strafe Bernhard Dedek (1925), Übersetzung und Bearbeitung, als Raskolnikow. Schuld und Sühne Werner Bergengruen (1925) als Schuld und Sühne ISBN 3-7175-2118-7 Valeria Lesowsky (ca. 1930) als Raskolnikow (Schuld und Sühne) Alexander Eliasberg (1948) als Schuld und Sühne Fega Frisch (1952 oder früher) als Schuld und Sühne Richard Hoffmann (vor 1960) als Schuld und Sühne ISBN 3-538-06910-7 Benita Girgensohn (1963) als Schuld und Sühne Swetlana Geier (1964) als Raskolnikov – Schuld und Sühne Brigitte Klaas (1980) als Schuld und Sühne ISBN 3-442-07531-9 Margit und Rolf Bräuer (1994) als Schuld und Sühne ISBN 978-3-7466-6102-5 Swetlana Geier (1994) als Verbrechen und Strafe ISBN 3-250-10174-5 und ISBN 3-596-12997-4 ↑ in Brief # 273 vom 18.