Selbstermächtigung und Selbstentmachtung in einem – die Europäische Union und der Investorenschutz nach CETA
Die Europäische Union ist ein Zweckverband mit bestimmten Zuständigkeiten und Aufgaben („Politiken“), die ihm mit seiner Verfassung (EUV und AEUV) zugeteilt worden sind. Der internationale Investorenschutz, den die EU-Kommission mit den Freihandelsverträgen CETA (und dann TTIP) verbinden will, soll der Union und den Mitgliedstaaten bestimmte Gebote und Verbote zum Schutz der kanadischen (und amerikanischen) Investoren auferlegen und sie für Verstöße dagegen einer Haftung gegenüber den Investoren und im Streitfall einer eigenen Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen. Was Deutschland angeht, habe ich in diesem Verfassungsblog unter dem „Schwerpunkt: Investitionsschutz im TTIP in der Kritik“ begründet, dass dieses Sonderrecht zwischen ausländischen Investoren und Staat mit dem Grundgesetz unvereinbar wäre und von Bundesregierung und dem deutschen Gesetzgeber abgelehnt werden muss (kritisch dort auch die Beiträge von Krajewski, Feichtner, von Bernstorff, Stoll, allerdings ohne die verfassungsrechtlichen Folgerungen). Man muss die Verfassungsrechtsfrage aber, eigentlich sogar vorrangig, auch der Europäischen Union nach ihrem Verfassungsrecht stellen. Ist sie als Zweckverband mit begrenzten Einzelermächtigungen überhaupt befugt, sich selbst und ihre Mitgliedstaaten dem gewollten Investorenschutz auszusetzen?
Der mit Kanada verhandelte Text eines „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA), das die Kommission dem Rat der EU zum Abschluss empfehlen will, liegt seit Ende September vor. In zwei ausführlichen Rechtsgutachten ist er inzwischen für unvereinbar mit dem EU-Recht erklärt worden. Professor Franz C. Mayer (Universität Bielefeld) kommt zu dem Ergebnis, dass der Text in mehrfacher Hinsicht über die Zuständigkeiten der Union hinausgreift und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unzulässig eingreift. Im Gutachten von Professor Andreas Fischer-Lescano und Johan Horst (Universität Bremen) wird außerdem dargestellt, dass der Text auch die inhaltlichen Maßstäbe verfehlt (Menschenrechte, Umweltschutz, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit), die der Union von EUV und AEUV gesetzt sind. Kompetenzrechtlich ist auf Grund der Gutachten festzustellen: Die Kommission betreibt mit CETA eine Selbstermächtigung und eine Selbstentmachtung der EU in einem. Das Kunststück kann aber nach Gesetz und Recht der Union nicht gelingen. Dies wird im folgenden ergänzend zu den Gutachten begründet.
Die Selbstermächtigung
Die anmaßende Einstellung der europäischen Verhandler gegenüber den Mitgliedstaaten zeigt sich bereits in der Grundanlage von CETA. Das Abkommen folgt der Methode der „Negativliste“. Es unterwirft zunächst alle rechtlichen und faktischen Maßnahmen der EU und ihrer Mitgliedstaaten seinen Regeln und nennt dann in Negativkatalogen diejenigen Bereiche und Maßnahmen, die von seinen Regelungen nicht berührt werden, also freigestellt bleiben sollen. Für die EU ist diese Regelungstechnik verfassungsrechtlich fragwürdig. Wie kann ein Zweckverband, der nach dem „Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung“ (Art. 5 EUV) konstruiert ist, zunächst so tun, als habe er für ausländische Investoren eine Allzuständigkeit, um dann erst über ausdrückliche Freistellungen die Regelungen des Abkommens seinen begrenzten Zuständigkeiten anzupassen? Man kann diese Regelungsweise seinem Verhandlungsorgan nur nachsehen, weil es auf der anderen Seite mit Kanada einen voll souveränen Staat vor sich hatte, für den diese Regelungsweise die natürliche sein konnte. Dann musste man sich aber auf der Unionsseite sehr sicher sein können, dass man mit den Freistellungsregeln alle Bereiche erfassen würde, für welche die Union nicht die Regelungsmacht hat. Das ist nicht gelungen. Außer den in den Gutachten genannten sind es zum Beispiel vier besonders wichtige Bereiche, auf denen und für welche die Union gegenüber den Mitgliedstaaten eindeutig keine Macht zur Auferlegung von Verhaltenspflichten und ihrer gerichtlichen Durchsetzung hat: a) das Steuerrecht, b) der Kulturbereich, c) die Eigentumsordnung, d) die Staatshaftung.
(a) Im Steuerrecht hat die Union nur eine Kompetenz zur Harmonisierung der Umsatzsteuern und anderer indirekter Steuern (Art. 113 AEUV); eigene Steuern einführen oder den Mitgliedstaaten Steuern verbieten, die mit EUV und AEUV an sich vereinbar sind, darf sie nicht. Das Steuerrecht wird zwar von CETA in Kap. 32 Art. X.6 freigestellt, aber das gilt nur für bestehende Steuern, betrifft nicht die Einführung neuer Steuern. Eine neue deutsche Vermögenssteuer, eine Maut für die Bundesstraßen, ein neuer Rundfunkbeitrag, wenn sie auch kanadische Investoren treffen, könnten also nach CETA als „ungerecht“ oder enteignend angegriffen werden. Schon die sehr verwickelte Fassung der Freistellungsvorschrift könnte in der Steuerpraxis als aufgenötigte CETA-Anwendung empfunden werden, selbst wenn die Freistellung dann im konkreten Fall bejaht werden kann.
(b) Im Kulturbereich hat die EU nur die Kompetenz zur Wahrung und Förderung der Kulturvielfalt und des Kulturaustausches, nicht zur Harmonisierung (Art. 167 AEUV). Eine Freistellung für diesen Bereich von CETA-Verpflichtungen erhalten sie und ihre Mitgliedstaaten aber nur für audio-visuelle Dienste, also für Rundfunk, Film, Musikindustrie; auf allen anderen Teilbereichen (gedruckte Literatur, Theater, Museen und vor allem im Schul- und Hochschulbereich) kann staatliches Handeln von kanadischen Investoren als ihnen gegenüber ungerecht und enteignend angegriffen werden.
(c) CETA definiert, was eine Enteignung ist und wann ihretwegen zu entschädigen ist. Die Enteignungsmacht des Staates gehört zu den Grundelementen einer Eigentumsordnung, die sich ja immer aus privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen Elementen zusammensetzt. Nach Art. 345 AEUV bleibt die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten von EUV und AEUV aber „unberührt“, die Union muss sie respektieren, solange die mitgliedstaatliche Ordnung nicht von sich aus Verletzungen des Unionsrechts begründen soll.
(d) CETA soll eine finanzielle Haftung der europäischen Mitgliedstaaten für ihr hoheitliches Handeln gegenüber kanadischen Investoren begründen, eine Staatshaftung. Diese für die Mitgliedstaaten zu regeln und ihnen so potentielle Verbindlichkeiten aufzuerlegen, hat die EU keine Kompetenz. CETA, sobald wirksam abgeschlossen, wird zwar Bestandteil des Unionsrechts (Art. 216 Abs. 2 AEUV), und der EuGH leitet aus EUV und AEUV her, dass ein Mitgliedstaat unter Umständen auch finanziell für Verluste einstehen muss, die er durch Verstöße gegen Unionsrecht einzelnen Personen zugefügt hat. Der Gerichtshof hat aber wohlweislich die nähere Ausgestaltung dieser Haftung und den für Streitfälle vorzusehenden Rechtsweg den Mitgliedstaaten überlassen – der Mitgliedstaat muss nur überhaupt eine Haftung für sein europarechtswidriges Staatshandeln und einen effektiven Rechtsschutz dafür vorsehen. In Deutschland ist dies durch Art. 14 Abs. 3 und Art. 34 GG gewährleistet. Die dort vorgesehene Haftung auf Entschädigung oder Schadensersatz sowie den dort gewiesenen ordentlichen Rechtsweg zu den deutschen Gerichten darf die EU nicht abschneiden – mit der Staatshaftung nach CETA übernimmt sie sich gegenüber den Mitgliedstaaten eklatant.
Das Übergreifen von CETA in Regelungsbereiche, die den Mitgliedstaaten vorbehalten sind, führt dazu, dass das Abkommen nur gemeinsam mit allen Mitgliedstaaten, also als „gemischtes“ Abkommen abgeschlossen werden kann. Dies ist zur Zeit der Standpunkt der deutschen Bundesregierung. Wenn sie dafür aber keine ausreichende Gefolgschaft im Rat der EU findet und das Abkommen deshalb nur von der EU abgeschlossen wird, kann es beim EuGH oder letztlich beim BVerfG angegriffen wird. Ein EU-Abkommen, das in die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten eingreift und sie in ihrem Kulturbereich reglementiert, ihnen sogar potentielle Staatshaftung auferlegt, hat gute Aussicht, in Karlsruhe als „ausbrechender Rechtsakt“ qualifiziert zu werden. Die gerade neu besetzte EU-Kommission unter Präsident Juncker hätte also Grund, den kompetenzanmaßenden Kurs der „alten“ Kommission, besonders des Handelskommissars de Gucht, noch rechtzeitig zu korrigieren.
Die Selbstentmachtung
Wenn die EU das Abkommen (gemeinsam mit den Mitgliedstaaten) wirksam abgeschlossen hat, ist CETA verfassungsrechtlich noch nicht gerettet. Die für Außenhandelspolitik zuständige Union muss auch ihr übriges Rechtssystem beachten, namentlich hat sie nicht nur das Recht (die „Kompetenz“), sondern auch die Verpflichtung, eine „Gemeinsame Handelspolitik“ (Art. 206, 207 AEUV) zu betreiben, nachdem EUV und AEUV ihr dafür die ausschließliche Zuständigkeit gegeben haben, die Mitgliedstaaten eine eigene Außenhandelspolitik also nicht mehr betreiben dürfen. Dieser Verpflichtung würde sie sich entziehen, wenn sie sich im Verhältnis zu Kanada einer Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen würde, welche die Union und die Mitgliedstaaten für ihr hoheitliches Handeln zu Schadensersatz und Entschädigung an kanadische Investoren verurteilen dürfen – eine Selbstentmachtung der Union gegenüber Privaten und zugunsten einer außerunionalen Instanz.
In dem Gutachten von Fischer-Lescano/Horst wird in der Überlassung der gerichtlichen Rechtsanwendung an Institutionen außerhalb der Union ein Verstoß gegen die „Autonomie des Unionsrechts“ gesehen, die vom EuGH traditionell hochgehalten wird. Das liegt in der Logik des Europarechts. Mit dem wirksamen Abschluss von CETA wird dessen Inhalt zum Bestandteil des Unionsrechts (Art. 216 Abs. 2 AEUV) und damit der EuGH zum obersten Interpreten auch dieses Teils des Unionsrechts. Die Schiedsgerichtsbarkeit zieht die Anwendung dieses Rechts und seine Interpretation aber an sich. CETA verstößt deshalb mit der Abtretung dieser Anwendungs- und Interpretationsmacht auch gegen den institutionellen Aufbau der Union. Selbst die beharrlichen Fürsprecher der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit in Rechtswissenschaft und Europäischer Kommission sehen darin für ihre Klientin ein ernstes Problem – dem sie mit subtilen Erwägungen auszuweichen versuchen. Die Auslegungskompetenz des EuGH wäre allerdings gewahrt, wenn den Schiedsgerichten die Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV geboten werden könnte – was aber politisch in den Verhandlungen über den Investorenschutz schwerlich zu erreichen ist und eine Änderung der Europäischen Verträge voraussetzen würde.
Die hier diagnostizierte Selbstentmachtung der EU ist aber ohnehin ernsterer Natur; sie betrifft nicht nur den EuGH, sondern die gesamte Union. Diese hat als Ganzes die Zuständigkeit für und die Verpflichtung zur Gemeinsamen Handelspolitik erhalten. Wenn diese Politik zum Abschluss von internationalen Verträgen geführt hat, gehört auch die dauerhafte Durchsetzung und die Kontrolle der Einhaltung dieser Verträge zu dieser Handelspolitik. Die Union kann sich nicht zugleich mit dem Abschluss des Vertrages aus seiner künftigen Pflege verabschieden, indem sie die Verwaltung und Durchsetzung des Vertrages in fremde Hände legt. Sie muss sich vielmehr mit allen ihren Organen auch um die Einhaltung des Vertrages selbst kümmern. Gegenüber den Mitgliedstaaten geschieht dies durch das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 251 AEUV. Gegenüber Kanada mag sie mit diesem ein Schiedsgericht vereinbaren, in dem sie selbst, vertreten durch die Kommission, und Kanada als Partei auftreten, die Kompetenz zur Bildung eines solchen Schiedsgerichts der Vertragsparteien selbst hat sie unbestritten als einen Bestandteil ihrer Vertragsschlusskompetenz nach Art. 216 AEUV; in der Welthandelsorganisation (WTO), der die Union angehört, sind solche Schiedsgerichte gang und gäbe und haben sich bewährt. Und gegen Verstöße ihrer eigenen Organe gegen CETA gibt es die Nichtigkeitsklage beim EuGH nach Art. 263 AEUV.
Mit diesen Verfahren bleibt die Verwaltung des abgeschlossenen Vertrages in der Hand der Europäischen Union. Für eine Weitergabe des administrativen und judikativen Anteils der Außenhandelskompetenz der Union an private Kläger und externe Gerichte gibt es in EUV und AEUV keine Ermächtigung; die Union muss ihre Aufgaben vielmehr selbst erfüllen und dafür gegenüber den Unionsbürgern und den Mitgliedstaaten die Verantwortung tragen.
Die Abtretung ihrer Rechtsprechungskompetenz an private Kläger und Schiedsgerichte würde die Union auch in erhebliche Verstöße gegen andere ihrer Prinzipien drängen. Die Union ist nach Art. 21 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV und Art. 7 AEUV zur Kohärenz zwischen ihren Politiken verpflichtet. Wie soll sie Kohärenz gewährleisten, wenn sie beim internationalen Investitionsschutz das Feld einer unbestimmbaren Vielzahl von privaten einzelnen Klägern, den einzelnen Mitgliedstaaten als Beklagten und jeweils anderen von diesen Parteien zusammengestellten und der EU nicht verantwortlichen Schiedsgerichten überlässt? Sie soll auch nach dem Grundsatz der Offenheit handeln. Wie soll das gehen, wenn über die Einhaltung von CETA Schiedsgerichte urteilen, für die Offenheit nach außen traditionell widernatürlich ist? Der Haushalt der EU muss in Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen sein und die Union darf „keine Rechtsakte (erlassen), die erhebliche Auswirkungen auf den Haushaltsplan haben können, ohne die Gewähr zu bieten, dass die mit diesen Rechtsakten verbundenen Ausgaben … finanziert werden können“ (Art. 310 Abs. 4 AEUV). Parlament, Rat und Kommission müssen deshalb „(sicherstellen), dass der Union die Finanzmittel zur Verfügung stehen, die es ihr ermöglichen, ihren rechtlichen Verpflichtungen gegenüber Dritten nachzukommen“ (Art. 323 AEUV). Was bedeutet das noch, wenn Rat und Parlament durch eine Zustimmung zu CETA sich erlauben würden, die EU auf eine Haftung gegenüber einer unbestimmbaren Zahl von Klägern für eine unbestimmte Art und Zahl von Fällen zu verpflichten? Sie würden bewusst Tretminen legen, die im Haushaltsjahr jederzeit hochgehen können. Und schließlich die Regelung der Unionshaftung selbst: Die Unionsverfassung regelt ausdrücklich die Haftung für rechtswidrige Schadenszufügung durch ihre Organe (Art. 340 Abs. 2 AEUV) und setzt für den Rechtsstreit darüber den EuGH als zuständiges Gericht ein (Art. 269 AEUV). Wie kommt die Union dazu, diese ihr durch ihre Verfassung gegebene Haftungs- und Zuständigkeitsordnung durch eine andere (nach CETA) zu ersetzen?
Es zeigt sich, dass der Investorenschutz nach der Art von CETA vollkommen querliegt zu den Grundsätzen, nach denen die Europäische Union aufgebaut ist. Gegen diese Feststellung hilft auch nicht das Argument, dass der Investorenschutz dieser Art seit mehr als 30 Jahren die Praxis der internationalen Staatsverträge ist. Das Argument der ständigen Staatenpraxis hört sich vielleicht im Völkerrecht gut an. Hier aber geht es um das innere, mühsam austarierte Verfassungsrecht der Union (und auch um das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten). Die internationale Staatenpraxis hat hier gegen die Verfassungsurkunde keine Kraft. Und für die EU gibt es auch noch keine solche “ständige Praxis“. CETA ist das erste Abkommen dieser Art, das die Union nach dem Willen ihrer Kommission abschließen soll.
Seit vielen Jahren erklärt die EU in öffentlichen Dokumenten, dass sie Außenhandelspolitik weltweit einheitlich nach ihren in EUV und AEUV proklamierten Grundsätzen betreiben möchte. Die Befürworter von CETA und TTIP räumen inzwischen ein, dass der besondere Schutz der ausländischen Investoren im Verhältnis von Europa und Nordamerika nicht benötigt wird. Sie werben für ihr Projekt damit, dass im Bündnis mit Kanada und den USA die gemeinsamen („transatlantischen“) Maßstäbe als Vorbild für das sich entwickelnde globale Wirtschaftsrecht (gegen China und andere aufkommende nicht-westliche Mächte!) etabliert werden könnten – Global Governance durch weltweiten Investorenschutz nach westlicher Art, das zu entwickelnde „internationale Investitionsschutzrecht als Grundpfeiler rechtsstaatlicher internationaler Wirtschaftsbeziehungen“ (so ein deutscher Vertreter des Wirtschaftsvölkerrechts). Juristisch ist aus der Sicht des geltenden Unionsrechts aber Nüchternheit geboten. Mögen die Organe der Union aus ihren weltpolitischen und weltrechtlichen Träumen und Versuchungen zurückfinden zu den wohlerwogenen Bauprinzipien der Unionsverfassung!
Es gäbe noch mehr zu diesem Beitrag anzumerken, fürs Erste aber so viel:
1) Wer die EU heute als “Zweckverband” bezeichnet, hat seit Ipsen aufgehört, sich mit Theorien der europäischen Integration zu beschäftigen.
2) Wenn ein “Sonderrecht für Investoren” verfassungswidrig ist, dann trifft dieses Verdikt sämtliche (über 130) von Deutschland geschlossenen Investitionsabkommen.
3) Das Gutachten von Mayer erklärt CETA mitnichten “für unvereinbar mit dem EU-Recht”. Es besagt, dass CETA als gemischtes Abkommen geschlossen werden muss und kann, wie viele andere Abkommen zuvor auch. Die europarechtlichen Aussagen des – ansonsten von mir hochgeschätzten – Herrn Fischer-Lescano sind bestenfalls zweifelhaft.
4) Mit scheint, der Autor verwechselt handelspolitische Bestimmungen in CETA mit Vorschriften über den Investorenschutz.
5) Die “Selbstermächtigung” der Kommission hat ihre Grundlage darin, dass die EU gemäß Art. 3 Abs. 3 lit. e) und 207 Abs. 1 AEUV die ausschließliche Zuständigkeit für die Gemeinsame Handelspolitik und insbesondere auch “ausländische Dirketinvestitionen” hat. Die Mitgliedstaaten werden dadurch übrigens an ihrer Befugnis, die Eigentumsordnung an sich zu gestalten (Art. 345 AEUV), nicht gehindert.
6) Wenn die Unterwerfung unter eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit eine nach dem EU-Recht per se verbotene “Selbstentmachtung” wäre, dann wären der EU auch die Mitgliedschaft in der WTO und der EMRK-Beitritt versagt. Hierzu existiert eine detaillierte EuGH Rechtsprechung. Schade, dass sie nicht angesprochen wird.
7) Ebenso schade ist es, dass auch nach dem Beitrag von Griebel hier immer noch das Gerücht verbreitet wird, die von CETA anvisierten Schiedsgerichte seien weniger “offen” als etwa die deutsche Justiz.
Fortsetzung:
8) Die unionsrechtliche Staatshaftung ist – entgegen der Annahme des Autors – naturgemäß im deutschen Recht nicht geregelt, also auch nicht in Art. 14 Abs. 3 und 34 GG. Deshalb landen zB unionsrechtliche Staatshaftungsansprüche von Beamten gemäß § 126 BBG vor den Verwaltungsgerichten
9) Die Haftung der EU nach Art. 340 Abs. 2 AEUV und die Zuständigkeit des EuGH hierfür beziehen sich auf Verstöße der EU-Organe gegen EU-Recht. Beides wird nicht dadurch berührt, dass ein Schiedsgericht über Verstöße der EU gegen Völkerrecht urteilt. aus der Möglichkeit der Haftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV ergibt sich aber umgekehrt, dass eine potentielle Haftung der EU nicht per se haushaltsrechtlich verboten sein kann.
10) Im Übrigen existiert mit der Verordnung Nr. 912/2014 eine Regelung über die Haftungsverteilung. Auch diese kommt hier nicht zur Sprache.
11) Insgesamt: Ich habe auch eine “Meinung” über CETA und TTIP. Wenn ich diese aber als Rechtsstandpunkt ausgebe, dann versuche ich wenigstens, die absoluten Basics des relevanten rechtsgebiets zu verstehen.
Zu Jessica Lourdes Pearson:
– “Zweckverband”: Der Ausdruck ist für die Vereinigung mit Hoheitsbefugnissen, die nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung lebt, aussagekräftiger als der Verlegenheitssausdruck “Staatenverbund”. Dass er schon vom alten Ipsen gebraucht wurde, diskreditiert ihn für heutige Verhältnisse nicht.
– Die 130 bestehenden Verträge: Es geht bei TTIP und CETA um neue Verträge, die von der EU geschlossen werden sollen, nicht um die von Deutschland geschlossenen; für jeden von denen wäre im Ernstfall die Verfassungsmäßigkeit gesondert zu prüfen, und gewiss auch nach den Bedingungen seiner Entstehungszeit und nach dem nachfolgenden Zeitablauf.
– Gemischte Verträge: Nach dem veröffentlichten Text von CETA hat nur die EU-Kommission verhandelt und ist auch nur die EU als Vertragspartner Kanadas vorgesehen. In dieser Fassung und mit diesem Verhandlungsunterbau ist er kein gemischter Vertrag und deshalb wegen Kompetenzüberschreitung unvereinbar mit EU-Recht.
– Selbstermächtigung: Sie liegt darin, dass die EU gegenüber den Mitgliedstaaten Dinge regeln soll, die ihr auch mit unbestrittener Außenkompetenz nicht zustehen.
– WTO und EMRK: Die Gerichtsbarkeit in der WTO ist eine für dieVertragsstaaten untereinander. Genau das ist der Unterschied zu ISDS (in meinem Beitrag sehr wohl behandelt), den dessen Fürsprecher allerdings notorisch zu übergehen versuchen. EMRK: Der Gerichtshof unterscheidet sich ganz wesentlich von ISDS. Seine Richter werden vom Europarat bestellt nach Qualifikation für hohes richterliches Amt, haben eine feste Amtszeit und dürfen keine anderen vergleichbaren Ämter ausüben, haben ein festes Gehalt, das vom Europarat, nicht von den Parteien ad hoc gezahlt wird, sind deshalb von den Parteien unabhängig, und sind zuständig nur, wenn der mitgliedstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft ist, und sie schützen Menschenrechte, nicht Geschäftsinteressen.
– der Beitrag von Griebel: Er geht leider nicht darauf ein, wie die Bestimmungen über Öffentlichkeit nach CETA u.a. tatsächlich lauten. Die öffentliche Verhandlung, die CETA verspricht, ist jedenfalls sofort ausgeschlossen, wenn nur eine der Parteien ihre Unterlagen für vertraulich erklärt, das soll man so erst mal in einem staatlichen Prozessrecht finden.
– die Staatshaftung: Sie ist sehr wohl im deutschen Recht auch für EU-rechtswidriges Handeln deutscher Staatsgewalt geregelt, denn das EU-Recht begründet wegen seiner unmittelbaren Wirkung Amtspflichten auch in den Mitgliedstaaten (s. Francovich und ff), und sie ist im EU-Recht für rechtswidriges Handeln (auch staatsvertragswidriges) der EU-Organe geregelt. Was sonst?
– die neue Verordnung, die die Haftung verteilen soll: Sie ist ein Wechsel auf die Zukunft, die jedenfalls so wie nach TTIP und CETA im EU-Recht nicht eintreten kann.
Duplik:
– “Zweckverband”: Seit Ipsens Zeiten hat die EU nunmal derart umfassende Ziele (Art. 3 EUV) und Kompetenzen (Art. 3 ff. AEUV) sowie eine demokratische Legitimationsbasis (Art. 9-12 EUV) erlangt, dass diese Bezeichnung nicht (mehr) passt. Welchen “Zweck” verfolgt dieser Verband Ihrer Meinung denn?
– “130 Verträge”: Sie gestehen doch aber zu, dass es ein Plausibilitätsproblem für eine Argumentation darstellt, wenn sie implizit eine seit Jahrzehnten unbeanstandete Staatspraxis für eklatant verfassungswidrig erklärt?
– “Gemischte Verträge”: Nein. Auch gemischte Verträge werden üblicherweise allein von der Kommission (dann teils im Namen der EU und teils im Namen der Mitgliedstaaten) ausgehandelt. Während der Verhandlungen zu CETA und auch im jetzt vorliegenden Text wurde wegen der umstrittenen Zuständigkeitsfrage bewusst offen gelassen, wer “auf europäischer Seite” Vertragspartei sein wird. Dies steht übrigens auch in dem von Ihnen zitierten Gutachten von Mayer (S. 9).
– “Selbstermächtigung”: Ich verstehe Ihren Einwand nicht. Wenn die EU die Kompetenz hat, ein Abkommen über einen bestimmten Gegenstand zu schließen, dann kann sie nach Art. 216 Abs. 2 AEUV insoweit natürlich auch die “Dinge” gegenüber den Mitgliedstaaten regeln.
– “WTO und EMRK”: Ihre jetzt vorgebrachten Bedenken gegen Schiedsrichter kann man teilen oder nicht (im übrigen sieht auch CETA die nationale Rechtswegerschöpfung vor, und schützt auch der EGMR über die Berufs- und Eigentumsfreiheit “Geschäftsinteressen” (das BVerfG i.Ü.auch)). Ihr ursprüngliches Argument bezog sich aber auf eine angebliche “Selbstentmachtung” und eine Verletzung der Autonomie des Unionsrechts.
– “Staatshaftung”: BGHZ 134, 30 Rn. 8: “Das nationale deutsche Recht bietet für die Klageforderung keine Anspruchsgrundlage.”
Rn. 13: “Der Senat hatte jedoch zu prüfen, ob sich ein Anspruch der Klägerin unmittelbar aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht herleiten läßt.”
– “Zukunft, die nicht eintreten kann”: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-849_de.htm
Ergänzung zum “Zweckverband”: Strenggenommen lebt die Ebene des Bundes in Deutschland gemäß Art. 70 Abs. 1 GG auch nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung.
@Professor Dr. Axel Flessner
Sehr geehrter Prof. Dr. Axel Flessner, Ihre differenzierten Auseinandersetzung mit Zusammenhängen von als Rechte verstandene und verwendete Bestimmungen zum Abschluss von Freihandelverträgen CETA, TTIP ist beeindruckend. Meine nachstehende Beantwortung der damit von Ihnen aufgezeigten „Verfassungsrechtsfragen“ konnte ich – als Nicht-Jurist – aus Ihrer Auseinandersetzung schlussfolgern. Dabei nehme ich insbesondere Bezug auf das BVerfG-Urteil zum Lissabon-Vertrag (BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Absatz-Nr. (1 – 421),
-„Zweckverband“: „Der Begriff des Verbundes erfasst eine enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten, die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und in der die Völker – das heißt die staatsangehörigen Bürger – der Mit-gliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben.“ (ebenda).
Das BVerfG erläutert in seinem Urteil die historische Entwicklung und den Wandel der Gründe für diese Entwicklung zu einer „als Staatenverbund konzipierten Europäi-schen Union“.
„Staatenverbund“ mag hierfür ein juristischer Begriff sein. Mit „Zweckverband“ kommt aber das von diesem als charakteristisch zu Begreifende zum Ausdruck.
Es sind vertragliche Vereinbarungen, welche die Vertragsschließenden insgesamt als ihren Staatenverbund verstehen und bezeichnen. Sie, die als dessen Mitglied(-Staaten) Bezeichneten, schlossen diese Vereinbarungen (Verträge) zur Wahrung und Realisie-rung ihrer Interessen. Das ist ihr Zweck, der sie verband.
Ein Verband oder Verbund hat weder selbst ein Interesse noch ein Interesse an sich. Er kann also auch keine selbst verfolgen.
-Der Abschluss von Freihandelverträgen muss generell die zutreffenden Bestimmungen einer Verfassung berücksichtigen. „Man muss die Verfassungsrechtsfrage aber, eigentlich sogar vorrangig“, auch im Zusammenhang mit dem Verständnis von der Europäischen Union, von deren Zuständigkeiten beantworten.
„Die Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union oder andere zwischenstaatliche Einrichtungen erlaubt eine Verlagerung von politischer Herrschaft auf internationale Organisationen. Die Ermächtigung, supranationale Zu-ständigkeiten auszuüben, stammt allerdings von den Mitgliedstaaten einer solchen Ein-richtung. Sie bleiben deshalb dauerhaft die Herren der Verträge. Die Quelle der Gemeinschaftsgewalt und der sie konstituierenden europäischen Verfassung im funktionellen Sinne sind die in ihren Staaten demokratisch verfassten Völker Europas. Die „Verfassung Europas“, das Völkervertrags- oder Primärrecht, bleibt eine abgeleitete Grundordnung. Sie begründet eine im politischen Alltag durchaus weitreichende, aber immer sachlich begrenzte überstaatliche Autonomie. Autonomie kann hier nur – wie im Recht der Selbstverwaltung gebräuchlich – als eine zwar selbständige, aber abgeleitete, das heißt von anderen Rechtssubjekten eingeräumte Herrschaftsgewalt verstanden werden.“ (ebenda Absatz 231 cc)
Andererseits, so das BVerfG: “Mit der dargestellten ausschließlichen Kompetenz wächst der Union die alleinige Dispositionsbefugnis über internationale Handelsab-kommen zu, von denen wesentliche Umgestaltungen der inneren Ordnung der Mitgliedstaaten ausgehen können. Die dargestellte Kompetenzverschiebung durch den Vertrag von Lissabon betrifft die Mitgliedstaaten über den Verlust der eigenen Kom-petenz zum Abschluss internationaler Handelsabkommen – und die damit verbundene Ausschaltung der gesetzgeberischen Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat nach Art. 59 Abs. 2 GG – hinaus auch insofern, als die Mitgliedschaft der Mitgliedstaaten in der Welthandelsorganisation dadurch auf einen nur noch formellen Status reduziert werden könnte.“ (ebenda Absatz 374)
Und, aber: “Jedenfalls kann der Vertrag von Lissabon die Mitgliedstaaten nicht zur Aufgabe ihres Mitgliedsstatus zwingen. Das gilt insbesondere für die Verhandlungen über multilaterale Handelsbeziehungen im Sinne des Art. III Abs. 2 WTO-Übereinkommen, deren möglicher zukünftiger Inhalt durch das Recht der Europäischen Union nicht bestimmt wird und für die sich daher in Zukunft – je nach dem Ver-lauf zukünftiger Handelsrunden – eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ergeben kann. Zu einer unzulässigen Einschränkung der vom Grundgesetz vorausgesetzten und geschützten Staatlichkeit und des Prinzips der Volkssouveränität durch einen Verlust der Handlungsfähigkeit in nicht unwesentlichen Teilbereichen des internationalen Staatenverkehrs kann es daher nicht kommen.“ (ebenda Absatz 375)
Mag sein, dass diese Feststellungen des BVerfG juristisches Kopfzerbrechen bereitet bei der Beantwortung der sich daraus ergebenden Frage, wie dieser erscheinende Widerspruch zu lösen ist: ausschließliche Kompetenz einerseits und andererseits zu einem Verlust der Handlungsfähigkeit könne es nicht kommen. Weder kann sie durch Auslegung noch mit „Theorien der europäischen Integration“ beantwortet werden. Mit der VERORDNUNG (EU) Nr. 912/2014 kommt nur Hilflosigkeit zum Ausdruck, damit eine Antwort geben zu können.
-„Als supranationale Organisation muss die Europäische Union in ihrer Kompetenzausstattung und Kompetenzausübung unverändert dem Prinzip der begrenzten und kontrolliert ausgeübten Einzelermächtigung genügen.“ (ebenda Absatz 298 b) Hier weist das BVerfG darauf hin, dass „ausschließliche Kompetenz“ differenziert zu verstehen ist. Kompetenz in Deutsch ist sowohl Bezeichnung für Zuständigkeit als auch für Fähigkeit.
Der Europäischen Kommission ist die Zuständigkeit zugeordnet worden (auch) für den Abschluss von Freihandelsverträgen. Eine Fähigkeit, deren Inhalte zu bestimmen, ist ihr aber deshalb nicht auch zugeordnet worden. Das ergibt sich einmal daraus, dass die Europäische Union keine Wirtschaft hat, betreibt. Die unterschiedlichen Interessen der Mitglieder der Europäischen Union sind begründet (auch) mit ihren unterschiedlichen Wirtschaften und deren Interessen, welche die Europäische Kommission nicht gleichermaßen kennt und berücksichtigen kann. Letzteres wird mit den immer wieder erhobenen (unrealistischen) Forderungen nach Harmonisierungen bestätigt.
-Die öffentliche Auseinandersetzung mit der Verfassungsrechtsfrage zu Freihandelsabkommen (also nicht nur CETA, TTIP) ist eine mit Parlamenten und Regierungen und zwar auch mit der Feststellung des BVerfG: „Mit der dem Vertrag von Lissabon be-gefügten Erklärung Nr. 17 zum Vorrang erkennt die Bundesrepublik Deutschland keinen verfassungsrechtlich bedenklichen unbedingten Geltungsvorrang des Unionsrechts an, sondern bestätigt allein die geltende Rechtslage in der bisherigen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht (ebenda Absatz 331 (4))“
-Dem als abschließende Schlussfolgerung formulierten Wunsch von Professor Dr. Alex Flessner: „Mögen die Organe der Union aus ihren weltpolitischen und weltrechtlichen Träumen und Versuchungen zurückfinden zu den wohlerwogenen Bauprinzipien der Unionsverfassung!“ ist die dafür helfende von Professor Dr. Daniel Thym hier geäußerte Erkenntnis hinzuzufügen, „dass der instrumentelle Einsatz des Rechts zur Gestaltung der Wirklichkeit seine Grenzen hat.“
Sehr geehrter Herr Blickensdörfer,
zu Ihren Schlussfolgerungen hinsichtlich der “differenzierten Auseinandersetzung mit Zusammenhängen von als Rechte verstandene und verwendete Bestimmungen zum Abschluss von Freihandelverträgen” möchte ich noch folgendes anmerken:
– Zweckverband: Ist auch ein juristischer Begriff, den das BVerfG wohl bewusst nicht verwendet, weil man darunter üblicherweise das versteht: http://www.zwo-wasser.de/
– “Der Abschluss von Freihandelverträgen muss generell die zutreffenden Bestimmungen einer Verfassung berücksichtigen”.
–> Nicht nur das, sondern auch die nicht zutreffenden.
– Wenn juristische Fragen “weder durch Auslegung noch mit Theorien” zu beantworten sind, welche Lösung schlagen Sie dann vor?
– “Der Europäischen Kommission ist die Zuständigkeit zugeordnet worden (auch) für den Abschluss von Freihandelsverträgen. Eine Fähigkeit, deren Inhalte zu bestimmen, ist ihr aber deshalb nicht auch zugeordnet worden.”
–> Abgesehen von der metaphysischen Frage, wie man ein Abkommen schließen kann, ohne dessen Inhalt zu bestimmen, verhält es sich gemäß Art. 218 AEUV ziemlich genau umgekehrt.
Möge die Macht mit Ihnen sein.
An sich hätte der fachlich völlig indiskutable und in weiten Teilen völlig abwegige Beitrag (es gilt erneut das Diktum von “Aufmerksamer Leser” zu Ihrem früheren Beitrag: Si tacuisses) gar keine Diskussion verdient (deswegen indiskutabel!). Nahezu jede juristische Behauptung, jedes Argument, das vorgetragen ist, ist schlichtweg falsch oder unvertretbar. In einer Schwerpunktbereichsklausur würde jeder Kandidat damit durchfallen! So gesehen ist es völlig angemessen, dass ein fiktiver Charakter einer US-amerikanischen Anwaltsserie hier Klarheit schaffen muss (danke für die investierte Zeit!). Die eigentlich spannende Frage bei der ganzen TTIP-Diskussion ist eine ganz andere: wie kann es eigentlich passieren, dass – nach der Euro-Krise zum zweiten Mal – reihenweise fachlich bislang in der Materie unbewanderte “Kollegen” meinen, ihren Senf in Form durchaus “sportlicher” Thesen abgeben zu müssen…. wahrscheinlich erscheinen bald Leserbriefe in der FAZ, die behaupten, 70% der VDStRL seien der Auffassung, TTIP sei verfassungs- und europarechtswidrig… wozu dann eigentlich noch ernstgemeinte Wissenschaft, die sich differenziert mit Fragen auseinandersetzt?
Sehr geehrter Herr Herrmann,
auch wenn ich mich gegen die Herabwürdigung als “fiktiver Charakter” aufs Schärfste verwahre, sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Nur liegt das Problem mE nicht in den Wortmeldungen der “Kollegen” – in jedem Berufsstand gibt es “besondere” Charaktere; auch in dem meinen; man denke nur an Louis Litt – sondern darin, dass sie solches Gehör finden. Hierzu stelle ich einmal drei Thesen in den Raum:
1) Wir alle sollten mit der verbreiteten Meinung aufräumen, dass für jede Lebensfrage eine Antwort im Grundgesetz und in den Offenbarungen aus Karlsruhe zu finden ist.
2) Wo aber eine solche Antwort besteht, sollten wir uns bemühen, sie – bei aller wissenschaftlichen Differenziertheit – verständlich und medientauglich zu formulieren. Es ist kein Zufall, dass die einfachen juristischen Antworten der besagten Kollegen in derselben Zeit Anklang finden wie die einfachen politischen Antworten bestimmter Parteien.
3) Wenn manche – auch vermeintlich “seriöse” – Kollegen ihre Rechtsmeinung in Form von Gutachten meistbietend an Interessierte verkaufen (und damit meine ich nicht die Gutachten zu CETA), dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die gesamte Rechtswissenschaft als ohnehin interessengeleitet wahrgenommen wird.
Zu Prof. Christoph Herrmann:
Es ist leider so, dass die den Investorenschutz betreibende Rechtswissenschaft sich mit den Verfassungsfragen überhaupt nicht, geschweige denn “differenziert” auseinandersetzt, sondern ausschließlich völkerrechtlich und wohlstandspolitisch. In dem Beitrag von Herrmann sehe ich kein einziges rechtliches, geschweige denn verfassungsrechtliches Argument, sondern nur Ärger über die Einmischung und den “Eindringling”.
@Jessica Lourdes Pearson – wollte Ihnen mit dem “fiktiven Charakter” keineswegs zu nahe treten. Aber ein “Klarname” ist JLP wohl auch nicht, oder? Ich teile Ihre rechtliche Einschätzung im Übrigen natürlich.
@Axel Flessner – mir fehlt leider die Zeit für eine ausführliche Replik (die im Übrigen die Kollegin ja schon vorgenommen hat). Im Übrigen betreibt die Rechtswissenschaft nicht den “Investorenschutz”, sondern vielmehr “Investitionsschutzrecht”. Die differenzierten Diskussionen der letzten Jahre, auf die die EU-Investitionsschutzpolitik in vielfacher Hinsicht eine Antwort ist (und deutlich ausgewogener als jedes deutsche BIT) legen hiervon Zeugnis ab. Nur muss man sie dann auch einmal zur Kenntnis nehmen oder wenigstens kennen…
Es geht hier in erster Linie um eine politische Frage, nicht um eine juristische. Ich erwarte aber auch gar nichts Gutes von Investitionsschutzabkommen und internationaler Schiedsgerichtsbarkeit. Hier wird unternehmerisches Risiko sozialisiert, ob in Deutschland, der EU oder in Afrika oder Asien ist dabei einerlei.
@ Jessica Lourdes Pearson – danke für Ihren Standpunkt zu meinem Kommentar.
Dabei wollte ich es bewenden lassen. Einen weiteren Kommentar von mir zu Verfassungsrecht und CETA, TTIP hielt nicht für diskutabel, meinte: er wäre sicher als indiskutable beurteilbar.
Dass Rechtswissenschaft unterscheidet zwischen etwas, was „an sich (völlig) indiskutabel“ sei (@Prof. Dr. Christoph Herrmann) und dem, was als indiskutabel beurteilt wird, das war mir bislang nicht bekannt. „An sich“ soll wo ein, jedes mögliche Wissen überschreitendes, metaphysisches Verständnis zum Ausdruck bringen, weshalb nicht begründet werden müsse, warum „indiskutabel“.
Eine „metaphysische Frage“ ist aber nicht, wie zuständiges Handeln ohne Fähigkeit dafür möglich ist. Das ist im Alltag nicht selten anzutreffen. Auch Art. 218 AEUV mit (und) Art. 207 AUEV ermöglichen geradezu zuständiges Handeln ohne Fähigkeit dafür.
Freilich ist das nicht auf den ersten Blick zu erkennen:
Beispiel Art. 207 (1) mit (2): Die gemeinsame Handelspolitik wird nach einheitlichen Grundsätzen gestaltet . . Die gemeinsame Handelspolitik wird im Rahmen der Grundsätze und Ziele des auswärtigen Handelns der Union gestaltet. Das Europäische Parlament und der Rat erlassen durch Verordnungen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Maßnahmen, mit denen der Rahmen für die Umsetzung der gemeinsamen Handelspolitik bestimmt wird.
Also: gemeinsame Handelspolitik wird gestaltet (von wem?) nach einheitlichen Grundsätzen und (?) gemeinsame Handelspolitik wird im Rahmen der Grundsätze und Ziele des auswärtigen Handelns der Union (gemeint ist wohl die „Europäische Union“) gestaltet. Aber: der Rahmen für die Umsetzung der gemeinsamen Handelspolitik wird durch Verordnungen bestimmt.
Jeder kann (darf) das beliebig verstehen. Ist es deshalb rechtswissenschaftlich „an sich indiskutabel“?
Das BVerfG hat sich in seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag ausführlich auseinandergesetzt mit der „ausschließlichen Zuständigkeit der Union“ und deren „alleinige(n) Dispositionsbefugnis über internationale Handelsabkommen“. Sie wollte wohl, im Sinne der Integrationsverantwortung, wegen dieser Bestimmungen nicht gegen den Lissabon-Vertrag urteilen.
Es hat aber gerade wegen dieser Bestimmungen ausführlich die Grenzen formuliert, die bei jeder deren beliebig verstandenen Anwendung von Parlament (Bundestag, Bundesrat) und Regierung zu beachten sind. Wird durch deren Anwendung die Verfassungsidentität nicht mehr gewahrt, kann sie nicht mehr gewahrt werden, dann ist zwingend (gemäß Grundgesetz) der Austritt aus dem europäischen Integrationsverband, oder die verfassungsgebende Gewalt gibt den durch das Grundgesetz verfassten Staat frei.
Diese Bestimmungen sind also weder „an sich“ verfassungswidrig noch können sie als „an sich“ verfassungsgemäß beurteilt werden.
Der Artikel (@Professor Dr. Axel Flessner) weist differenziert auf die logischen Folgen eines Kompetenz-Verständnisses (nicht nur) der EU-Kommission hin, sie sei allein zuständig, obwohl sie die dafür Notwendigkeit Fähigkeit nicht hat, nicht haben kann, die letztlich darin münden, dass die Verfassungsidentität gebrochen werden, gebrochen wird.
@Prof. Flessner: Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie die Stichhaltigkeit meiner Einwände nicht bestreiten (§ 138 Abs. 3 ZPO analog; vielleicht bleibt Ihnen aber noch die Möglichkeit des § 138 Abs. 4 ZPO analog).
@Ullzen: Es geht sicherlich auch um politische Fragen. Ich respektiere (und teile in bestimmten Aspekten) Ihre und Herrn Flessners Vorbehalte gegen CETA und TTIP diesbezüglich. Der Beitrag, um den es in diesem Forum geht, befasste sich aber vorgeblich mit rechtlichen Fragen. Dann muss er sich auch an diesem Maßstab messen lassen.
@Peter Blickensdörfer: Der Sinn eines rechtswissenschaftlichen Studiums besteht gerade darin, man bestimmte Methoden zum Verständnis von Rechtsvorschriften, etwa des von Ihnen angeführten Art. 207 AEUV, erlernt. Diese Rechtsvorschriften werden im Übrigen bereits unter Berücksichtigung dieser Methoden formuliert. Es stimmt also nicht, dass jeder sie “beliebig verstehen kann (darf)”. Manchmal jedoch ignorieren manche “Rechtswissenschaftler” (aus Unkenntnis oder Unwillen) diese Methoden. Um Ihre Alltagserfahrung aufzugreifen: Dann fallen Zuständigkeit und Fähigkeit auseinander. Das ist es, was Prof. Herrmann mit “indiskutabel” meint.
…
Die nach der Offenbarung des Lissabon-Urteils und der modernen Begriffsjurisprudenz zentrale und ungelöste Auslegungsfrage scheint mir aber die Folgende zu sein:
Sind CETA und TTIP internationale Abkommen? D.h. wird durch sie international nach Zeiten des moderaten wirtschaftlichen Aufs ein wirtschaftliches Ab kommen?
Oder sind CETA und TTIP vielmehr internationale Übereinkünfte? D.h. werden durch sie international Über-Einkünfte erzielt werden?
Insoweit stellt sich natürlich vorrangig die Verfassungsrechtsfrage: Die verfassungsgebende Gewalt gibt den durch die Vernunft verfassten Geist frei.
Zu “Jessica Lourdes Pearson”: Sie versteht sich hier offenbar als Partei in einem Prozess, nach den Regeln der ZPO. Der “Schwerpunkt” hier ist aber eingerichtet als ein Diskussionsforum, aus dem die Leser sich selbst Ihre Meinung bilden können. Ein Endurteil wird es hier nicht geben.
Wenn etwas “indiskutabel” ist, dann diskutiert man es auch nicht. Wenn man also zu “indiskutablem” Stellung nimmt, dann wird es zu “an sich indiskutabel”. Warum tut man das? Weil man manchmal das Bedürfnis hat, Dinge, die krumm und schief dargestellt werden, gerade zu rücken, weil solche Blogs auch von Menschen gelesen werden, die keinen Kommentar zu EUV/AEUV im Regal stehen haben (und deshalb nicht selber nachschlagen können, was z.B. zu Art. 345 AEUV st. Rspr. des EuGH ist oder was zu Art. 207 AEUV so zu lesen ist (übrigens weiterlesen bei Abs. 3 und 4; Abs. 2 gilt nicht für die Int. Abkommen, sondern nur für die Umsetzung im Inneren der EU, hat einen speziellen Hintergrund, Inhalt und Bedeutung). Ich finde ja die “offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten” auch eine ganz schöne Idee, nur führt sie hier gerade ins Abseits (nicht nur an sich)…. weswegen ich zu diesem Beitrag jetzt auch keine weiteren Kommentare mehr abgeben werde. Jeder, den das Thema wirklich interessiert, findet genügend wissenschaftlich fundierte Literatur vor….
[…] Selbstermächtigung und Selbstentmachtung in einem – die Europäische Union und der Investorenschutz nach CETA Die Europäische Union ist ein Zweckverband mit bestimmten Zuständigkeiten und Aufgaben („Politiken“), die ihm mit seiner Verfassung (EUV und AEUV) zugeteilt worden sind. Der internationale Investorenschutz, den die EU-Kommission mit den Freihandelsverträgen CETA (und dann TTIP) verbinden will, soll der Union und den Mitgliedstaaten bestimmte Gebote und Verbote zum Schutz der kanadischen (und amerikanischen) Investoren auferlegen und sie für Verstöße dagegen einer Haftung gegenüber den Investoren und im Streitfall einer eigenen Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen. Was Deutschland angeht, habe ich in diesem Verfassungsblog unter dem „Schwerpunkt: Investitionsschutz im TTIP in der Kritik“ begründet, dass dieses Sonderrecht zwischen ausländischen Investoren und Staat mit dem Grundgesetz unvereinbar wäre und von Bundesregierung und dem deutschen Gesetzgeber abgelehnt werden muss (kritisch dort auch die Beiträge von Krajewski, Feichtner, von Bernstorff, Stoll, allerdings ohne die verfassungsrechtlichen Folgerungen). Man muss die Verfassungsrechtsfrage aber, eigentlich sogar vorrangig, auch der Europäischen Union nach ihrem Verfassungsrecht stellen. Ist sie als Zweckverband mit begrenzten Einzelermächtigungen überhaupt befugt, sich selbst und ihre Mitgliedstaaten dem gewollten Investorenschutz auszusetzen? Quelle: Verfassungsblog […]
Das Problem mit der Gesamtänderung und der Verpflichtung des VfGH, Verfassungsgesetze anhand der Baugesetze zu überprüfen, fände ich mit Bezug auf das österreichsiche Verfassungsrecht sehr interessant und nötig.
Soweit ich das (für Österreich) nachvollziehen kann, wird CETA als gemischtes Abkommen behandelt werden d.h. es wird die Zustimmung des Nationalrates erforderlich sein (und, hier eine Offenlegung: hoffentlich nicht gegeben werden).
Eine Ablehnung von CETA sollte auch eine Umsetzung von TTIP jedenfalls erschweren. Für mich sind zwei Punkte besonders problematisch, wenn man von den rein verfassungsrechtlichen Bedenken absieht:
Investorenschutzklauseln und Negativlistenansatz
Private Schiedsgerichte weisen von ihrer “faktischen” Organisation m.E. eine Reihe von Hürden auf, die neben der Zusammensetzung (Konzentration auf wenige Anwaltsgesellschaften, aus denen nicht nur die Schiedsgerichte besetzt werden, sondern auch die meisten Klagen kommen werden) auch strukturell problematisch erscheinen, da der einfache Bürger – auch als “Ich AG” – keine Chance hat, jemals so ein Verfahren durchzustehen. Zusätzliche Probleme, wie Sprachregelungen und Gerichtsstände, sind hier neben der Stellung der Personen (erinnert sich irgendjemand noch an richterliche Unabhängigkeit) und demokratiepolitischer Bedenken noch gar nicht erwähnt.
Hier stellt sich schon die politische Frage, wieso Klein- und Mittelbetriebe, die dem Standort EU weitaus mehr mittel- und langfristigen Nutzen bringen, als Großkonzerne, in eine schwierige Situation gebracht werden.
Das Problem dieser umfassenden Abkommen ist auch durch Negativlisten bedingt, die wie trojanische Pferde einen weitaus größere und in ihrer Tragweite nicht abzuschätzende Auswirkung auf die Gesamtgesellschaft haben werden. Dies zeigt ein Bick auf Länder, in denen solche Abkommen bereits Anwendung finden (besonders grotesk die Klage wegen Anhebung des Mindestlohnes in Ägypten).
Für mich stellt sich auch die Frage, ob man nicht nationale Höchstgerichte direkt als betroffene Einzelperson anrufen könnte, da es den Bürgern nicht zumutbar sein kann, auf die Negativfolgen zu warten.
Eine Frage noch an die fachlich brillianten Juristen: Warum tut niemand etwas dagegen? Warum wird das Feld denn Laien überlassen?
Das tut schon weh, gerade wenn man sieht, dass es hier alleine schon drei streitbare JuristInnen gibt.
Was werden Sie ihren Kindern sagen? Ich hatte die Fachkompetenz, aber den Mut nicht, mehr zu tun als weniger versierte JuristInnen und Laien zu belehren?
Verzeihen Sie den Frust, aber nehmen Sie die Frage bitte ernst!
@ Jessica Lourdes Pearson
1) Wer die EU als etwas anderes als einen “Zweckverband” bezeichnet, hat die Verträge von Maastricht und Lissabon nicht gelesen. Von Anfang an werden in der EU wirtschaftliche Belange über alle anderen gestellt und eine umfassende und demokratische Politik im Interesse der Bürger damit verhindert.
Aus er Diskussion des Verfassungsblogs zu ISDS insgesamt kann man einen vorherrschenden Standpunkt herauslesen: Die Verankerung von ISDS in CETA und TTIP ist unnötig. (Siehe z. B. Feichtner, Krajewsy, von Bernstorff, Thym, Flessner) Allerdings scheint sie von den Verhandlungspartnern gewollt zu sein. Warum? Hier hilft vielleicht der schöne Schlusssatz des Beitrages von Matthias Kumm: “An Empire of capital along the lines encouraged by ISDS rules in CETA and TTIP will only be the cause of justified backlash, undermining the credibility of liberal constitutional democracy and its aspirations of global and regional legal integration in the long term.” Leider wurde dieser Beitrag bisher nicht kommentiert, obwohl er das wesentliche Argument der Verhandlungspartner für ein Installieren von ISDS in CETA und TTIP beschreibt.