12 April 2012

Senegals verfassungspolitisches Lehrstück

von LAMINE BADJI und FILIP BUBENHEIMER

Kaum hatte der senegalesische Verfassungsrat am 27. Januar in einer umstrittenen Entscheidung dem damaligen Präsidenten Abdoulaye Wade erlaubt, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, flogen in Dakar und anderen Städten des Landes die ersten Steine. Einige Tage lang tobten wütende Proteste, bei denen mindestens neun Menschen starben. Die Sorge im In- und Ausland war groß: Hatten die Richter des Verfassungsrats mit ihrer Entscheidung den Anfang vom Ende der viel gepriesenen politischen Stabilität im Senegal eingeläutet?

Zwei Monate später hat die senegalesische Bevölkerung das Gegenteil bewiesen. Vergangene Woche leistete der neue Präsident Macky Sall in Dakar seinen Amtseid. Mit 65% der Stimmen hatte er im zweiten Wahlgang haushoch über den 85-jährigen Amtsinhaber Wade gesiegt, der die Niederlage gegen seinen früheren Premierminister ohne Zögern eingestand. Nach dem unruhigen Wahlkampf verliefen die Wahlen selbst friedlich und ohne größere Zwischenfälle.

Es war nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet der Präsident des senegalesischen Verfassungsrates bei der Amtseinführung von Macky Sall die Festansprache hielt – prompt nutzte er die Gelegenheit, Frust abzulassen über die herbe Kritik, die der Verfassungsrat seit seiner Entscheidung Ende Januar einstecken musste: Man habe “verantwortungsvoll, unbeirrt und unabhängig” die verfassungsmäßige Funktion wahrgenommen, “trotz aller Unwahrheiten, Aggressionen, Bedrohungen und Beschimpfungen.” An dieser Stelle wurde es im Publikum etwas unruhig.

Fest steht: Statt als stabilisierender Baustein des politischen Systems zu wirken, hat der Verfassungsrat mit seiner Entscheidung politische Unruhe erzeugt, wie sie der Senegal noch nie vor Wahlen erlebt hat. Das Vertrauen der senegalesischen Bevölkerung in den Verfassungrat und die Justiz ist auf dem Tiefpunkt, das persönliche Ansehen der Verfassungsrichter  ruiniert.

So ist der Verfassungsrat der erste Verlierer dieser Wahl, der zweite ist Ex-Präsident Abdoulaye Wade. Sein verfassungspolitisches Pokerspiel hat ihm nichts genützt. Der Versuch, die Verfassung vom Instrument der Machtbegrenzung in ein Instrument des Machterhalts umzuwandeln, stieß auf mehr Unmut als Zustimmung. Die Verfassungspolitik wurde zu einem Wahlkampfthema, aus dem seine Gegner Kapital schlagen konnten.

Es ist zwar eine Phrase, aber es stimmt: Der größte Sieger dieser Wahlen ist die senegalesische Demokratie. Die Bevölkerung hat demokratische Reife und konstitutionelles Bewusstsein bewiesen – und gleichzeitig das übliche Verhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und Mehrheitsherrschaft auf den Kopf gestellt. Nicht die Verfassungsrichter waren es, die die Exzesse der Demokratie korrigierten, sondern die Demokratie, die das Versagen der Verfassungshüter ausbügelte.

Für die demokratische Kultur im Senegal könnten die Ereignisse dieses Frühjahrs zu einem wichtigen Referenzpunkt werden. Die Verfassungsgeschichte des Landes bleibt ein ungebrochener Narrativ der Stabilität und Reife und wurde nun sogar um eine Episode erweitert, in der ein wachsames Volk die Verfassung vor den Übergriffen der Parteipolitik schützt. Es ist fraglich, ob sich im Senegal noch einmal jemand verfassungspolitische Manöver à la Wade trauen wird.

Es wäre schlechter Stil, würde der Wahlsieger nun prompt mit der Demontage des diskreditierten Verfassungsrates beginnen. Doch mittelfristig muss diese Institution reformiert werden. Was heute eine Marionette der Exekutive ist, muss zu einem veritablen Verfassungsgericht werden. Die Richter werden bisher vom Präsidenten ernannt. Stattdessen müssen sie  in einem breiten, konsensbasierten Verfahren gewählt werden, das ihre Qualifikation und Unabhängigkeit garantiert und dadurch auch das Vertrauen der Bevölkerung wiederherstellt. So ist die Reform der Verfassungsgerichtsbarkeit die nächste Herausforderung für den Senegal, in der er sich einmal mehr als demokratische Referenz in Afrika beweisen kann.

Lamine Badji studiert Jura an der Universität Ziguinchor im Senegal, Filip Bubenheimer studiert Jura und Politikwissenschaft in Berlin.

von LAMINE BADJI und FILIP BUBENHEIMER

Kaum hatte der senegalesische Verfassungsrat am 27. Januar in einer umstrittenen Entscheidung dem damaligen Präsidenten Abdoulaye Wade erlaubt, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, flogen in Dakar und anderen Städten des Landes die ersten Steine. Einige Tage lang tobten wütende Proteste, bei denen mindestens neun Menschen starben. Die Sorge im In- und Ausland war groß: Hatten die Richter des Verfassungsrats mit ihrer Entscheidung den Anfang vom Ende der viel gepriesenen politischen Stabilität im Senegal eingeläutet?

Zwei Monate später hat die senegalesische Bevölkerung das Gegenteil bewiesen. Vergangene Woche leistete der neue Präsident Macky Sall in Dakar seinen Amtseid. Mit 65% der Stimmen hatte er im zweiten Wahlgang haushoch über den 85-jährigen Amtsinhaber Wade gesiegt, der die Niederlage gegen seinen früheren Premierminister ohne Zögern eingestand. Nach dem unruhigen Wahlkampf verliefen die Wahlen selbst friedlich und ohne größere Zwischenfälle.

Es war nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet der Präsident des senegalesischen Verfassungsrates bei der Amtseinführung von Macky Sall die Festansprache hielt – prompt nutzte er die Gelegenheit, Frust abzulassen über die herbe Kritik, die der Verfassungsrat seit seiner Entscheidung Ende Januar einstecken musste: Man habe “verantwortungsvoll, unbeirrt und unabhängig” die verfassungsmäßige Funktion wahrgenommen, “trotz aller Unwahrheiten, Aggressionen, Bedrohungen und Beschimpfungen.” An dieser Stelle wurde es im Publikum etwas unruhig.

Fest steht: Statt als stabilisierender Baustein des politischen Systems zu wirken, hat der Verfassungsrat mit seiner Entscheidung politische Unruhe erzeugt, wie sie der Senegal noch nie vor Wahlen erlebt hat. Das Vertrauen der senegalesischen Bevölkerung in den Verfassungrat und die Justiz ist auf dem Tiefpunkt, das persönliche Ansehen der Verfassungsrichter  ruiniert.

So ist der Verfassungsrat der erste Verlierer dieser Wahl, der zweite ist Ex-Präsident Abdoulaye Wade. Sein verfassungspolitisches Pokerspiel hat ihm nichts genützt. Der Versuch, die Verfassung vom Instrument der Machtbegrenzung in ein Instrument des Machterhalts umzuwandeln, stieß auf mehr Unmut als Zustimmung. Die Verfassungspolitik wurde zu einem Wahlkampfthema, aus dem seine Gegner Kapital schlagen konnten.

Es ist zwar eine Phrase, aber es stimmt: Der größte Sieger dieser Wahlen ist die senegalesische Demokratie. Die Bevölkerung hat demokratische Reife und konstitutionelles Bewusstsein bewiesen – und gleichzeitig das übliche Verhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und Mehrheitsherrschaft auf den Kopf gestellt. Nicht die Verfassungsrichter waren es, die die Exzesse der Demokratie korrigierten, sondern die Demokratie, die das Versagen der Verfassungshüter ausbügelte.

Für die demokratische Kultur im Senegal könnten die Ereignisse dieses Frühjahrs zu einem wichtigen Referenzpunkt werden. Die Verfassungsgeschichte des Landes bleibt ein ungebrochener Narrativ der Stabilität und Reife und wurde nun sogar um eine Episode erweitert, in der ein wachsames Volk die Verfassung vor den Übergriffen der Parteipolitik schützt. Es ist fraglich, ob sich im Senegal noch einmal jemand verfassungspolitische Manöver à la Wade trauen wird.

Es wäre schlechter Stil, würde der Wahlsieger nun prompt mit der Demontage des diskreditierten Verfassungsrates beginnen. Doch mittelfristig muss diese Institution reformiert werden. Was heute eine Marionette der Exekutive ist, muss zu einem veritablen Verfassungsgericht werden. Die Richter werden bisher vom Präsidenten ernannt. Stattdessen müssen sie  in einem breiten, konsensbasierten Verfahren gewählt werden, das ihre Qualifikation und Unabhängigkeit garantiert und dadurch auch das Vertrauen der Bevölkerung wiederherstellt. So ist die Reform der Verfassungsgerichtsbarkeit die nächste Herausforderung für den Senegal, in der er sich einmal mehr als demokratische Referenz in Afrika beweisen kann.

Lamine Badji studiert Jura an der Universität Ziguinchor im Senegal, Filip Bubenheimer studiert Jura und Politikwissenschaft in Berlin.


One Comment

  1. Badji Lamine Fri 13 Apr 2012 at 10:56 - Reply

    La défaite de Abdoulaye Wade marque la rupture et va largement contribuer au changement du Sénégal.
    L’issue de cette défaite sera le moyen de faire face aux détracteurs de la démocratie.Soyons unis pour la défense de nos constitutions.

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