Sorgfaltspflichten auch für Laien im Netz!
Kurz nach dem bescheidenen Abschneiden der CDU bei der Europawahl und den Kommentaren von Annegret Kramp-Karrenbauer zum Video des YouTubers Rezo hat sich eine hitzige Diskussion um die Frage der Regulierung von Bloggern, YouTubern und Co. entwickelt.
Der zugrunde liegende Sachverhalt ist geradezu prototypisch für die geänderten Realbedingungen der Medienlandschaft. Laien treten im Netz etwas los – die „klassischen“ Medien reagieren. Es wird gegenseitig verlinkt, es entstehen virale Effekte. Traditioneller Journalismus und „Laienpublizismus“ stehen in einem komplementären Verhältnis zueinander und beeinflussen sich wechselseitig. Mehr Meinungen. Mehr Vielfalt. Mehr Diskussion. Genau das, was unsere demokratische Grundordnung will: Der YouTuber Rezo kritisiert CDU, SPD und AfD scharf für Ihre Klimapolitik, und das kurz vor der Europawahl. Das Video wird zigfach geklickt. Es folgt ein weiteres Video von Rezo und zahlreichen weiteren YouTubern, die sich allesamt dagegen aussprechen, die genannten Parteien zu wählen. Auch dieses Video findet großen Anklang und die klassischen Medien wie die Parteien selbst diskutieren mit. Nach der Wahl fragt Annegret Kramp-Karrenbauer: „[W]as wäre eigentlich in diesem Land los, wenn eine Reihe von […] 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten […] wählt bitte nicht CDU und SPD“. Das Wort „Meinungsmache“ fällt im Zusammenhang mit zwei weiteren Fragen: „Was sind eigentlich die Regeln aus dem analogen Bereich, und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich […].“
Die erste Frage von Annegret Kamp-Karrenbauer ist aus rechtlicher Sicht schnell beantwortet:
Zeitungen dürfen Wahlempfehlungen geben – auch wenn AKKs Entrüstung Gegenteiliges suggeriert (siehe bereits hier, hier und hier). Kein Gesetz verbietet es der Presse, sich politisch zu positionieren und sich für oder gegen eine oder mehrere Parteien auszusprechen. Fast alle Zeitungen lassen sich sogar einem bestimmten politischem Spektrum zuordnen. Und deshalb dürften sich auch 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl zusammenschließen und erklären „Bitte wählt nicht die Partei X“. #Tendenzschutz – und dieser gilt auch in Wahlzeiten. Das ist Teil der grundrechtlich abgesicherten Pressefreiheit. Und das ist auch gut so. Das Bundesverfassungsgericht hat früh klargestellt, dass die Pressefreiheit auch die Freiheit umfasst, die inhaltliche Tendenz einer Zeitung festzulegen, beizubehalten, zu ändern und diese Tendenz zu verwirklichen (BVerfGE 52, 283 [296 f.]). Die Medien sollen gerade kritisch berichten und zur Meinungsbildung beitragen, also „Meinung machen“. Dies gilt gleichermaßen für den privaten Rundfunk. Auch für YouTuber und Co. darf nichts anderes gelten. Nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk unterliegt gem. § 11 Abs. 2 RStV strengeren Regeln und ist danach den Grundsätzen der Objektivität und Unparteilichkeit bei der Berichterstattung sowie der Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit im Rahmen seines Angebots verpflichtet.
Und was sind die Regeln aus dem analogen Bereich, nach denen AKK als zweites fragt? Regeln gegen „Meinungsmache“ gibt es wie gesehen nicht – neben allgemeinen Grundsätzen (z.B. Jugendschutz) kommen dann nur noch die journalistischen Sorgfaltspflichten in Betracht (umfassend hierzu Schierbaum, Sorgfaltspflichten von professionellen Journalisten und Laienjournalisten im Internet, 2016). Diese sind für die Presse in den jeweiligen Landespressegesetzen (z.B. § 6 LPG NRW) und für den klassischen Rundfunk (§ 10 Abs. 1 RStV) sowie für Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten (§ 54 Abs. 2 S. 1 RStV) im Rundfunkstaatsvertrag geregelt.
Gegenstand journalistischer Sorgfaltspflichten sind lediglich Tatsachenbehauptungen, nicht aber Meinungsäußerungen. Sie umfassen u.a. die Pflicht zur sorgfältigen Recherche, die Pflicht zur Zitattreue, die Pflicht, einen Mindestbestand an Beweistatsachen zusammenzutragen und – wenn bei der Übernahme fremder Informationen kein Privileg greift (etwa das Behörden- oder Agenturprivileg) – die eigenen Quellen zu überprüfen und ggfs. weitere Recherchen vorzunehmen. In Fällen der Verdachtsberichterstattung kann auch die Pflicht zur Anhörung von Betroffenen hinzukommen. Eine Berichterstattung ist allerdings nicht per se rechtmäßig, nur weil sorgfältig recherchiert wurde. Wenn eine grundrechtliche Kollisionslage vorliegt, wie etwa im Fall der identifizierenden Berichterstattung, bei der sich Betroffenenrechte und Medienfreiheit gegenüberstehen, kommt die normative Pflicht zur Güterabwägung hinzu. Journalisten müssen dann verschiedene Faktoren gegenüberstellen, Vor- und Nachteile einer Veröffentlichung sowohl für die Allgemeinheit als auch für den einzelnen Betroffenen beachten und gegeneinander abwägen.
Keinesfalls gelten diese Sorgfaltspflichten aber uneingeschränkt. Sie finden ihre Grenzen in dem für die Medien noch Möglichen und Zumutbaren. Der medienspezifische objektive Sorgfaltsmaßstab ist flexibel, er ist ein gleitender und bestimmt sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Der Umfang der gebotenen Sorgfalt wird von verschiedenen sorgfaltsverstärkenden oder -vermindernden Faktoren beeinflusst, die in ihrer Wechselwirkung das konkret erforderliche Maß an Sorgfalt des professionellen Journalisten bestimmen. Maßgeblich bei dieser Ermittlung der im Einzelfall anzuwendenden Sorgfalt ist die Eingriffsintensität: je schwerer in die der Medienfreiheiten gegenüberstehenden Rechte eingegriffen wird, desto höhere Maßstäbe sind an Journalisten zu stellen. Je dringlicher das Informationsinteresse ist, desto geringere Anforderungen gelten für den Sorgfaltsmaß.
Die Sorgfaltspflichten professioneller Journalisten dienen einerseits dem Schutz der von einer Berichterstattung Betroffenen etwa vor unwahren Tatsachenbehauptungen und andererseits dem Schutz der Allgemeinheit vor Desinformation und Fake News. Insoweit kommt den Sorgfaltspflichten der Medien auch ein präventiver Charakter zu. Verfassungsrechtlich finden sie ihre Grundlagen damit im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie in den Freiheiten der jeweiligen Medien. Diese Pflichten der journalistischen Profis sind, auch wenn die Rundfunkfreiheit das einschlägige Grundrecht ist, nicht als Ausgestaltung dieser Freiheit, sondern als gerechtfertigter Eingriff in diese Freiheit zu kategorisieren. Dabei ist die besondere Verantwortung der Medien nicht aus dem verfassungsrechtlich missverständlichen Begriff der „öffentlichen Aufgabe“ herzuleiten. Die Medien trifft vielmehr eine besondere Verantwortung, weil sie sich faktisch öffentlich äußern.
Bei der dritten Frage von Annegret Kramp-Karrenbauer handelt es sich um die Gretchenfrage: Gelten journalistische Sorgfaltspflichten auch im digitalen Bereich und dort insbesondere auch für Laien? Klar ist, dass auch die traditionellen Medien, wenn sie online publizieren, den jeweiligen Regelungen unterliegen. Allerdings ist die Frage, ob auch für Laien und Influencer im Netz journalistische Sorgfaltspflichten gelten, nach wie vor umstritten. Und diese Frage ist durchaus berechtigt und bislang nicht geklärt. Für viele stellt sie das jahrhundertlang akzeptierte und klassische Gefüge von Kommunikatoren auf der einen Seite (Presse, Rundfunk) und Rezipienten (wären das jetzt nicht eigentlich Rezo und Co?) auf den Kopf. Gleichzeitig wehren sich die meisten Influencer vehement dagegen, als „Profis“ eingeordnet zu werden und entsprechende Pflichten auferlegt zu bekommen – obwohl sie sich öffentlich mit einer Reichweite an ein Publikum äußern, welche sich manche traditionellen Medienhäuser wünschen würden. Und obwohl hinter vielen YouTube-Stars und Sternchen (früher oder später) große Agenturen stecken – wie auch im Fall Rezo.
Einzig möglicher rechtlicher Anknüpfungspunkt für eine Übertragung der journalistischen Sorgfaltspflichten auf die sich im Netz tummelnden Laien ist derzeit § 54 Abs. 2 S. 1 RStV (hierzu Schierbaum, s.o.). Diese Norm lässt aber völlig offen, ob und welche Akteure im Netz Sorgfaltsverpflichtete sind und wie genau eine Abgrenzung zwischen ihnen vorzunehmen ist.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht begegnet die Übertragung journalistischer Sorgfaltspflichten auf gewisse Laien, die sich im Netz äußern, jedenfalls keinen Bedenken. Denn auch unabhängig davon, ob die neuen Publikationsformate im Netz grundrechtlich als Presse oder als Rundfunk zu qualifizieren sind, ermöglicht es der flexible, von Fall zu Fall variierende Sorgfaltsmaßstab, dass auch journalistische Laien und Influencer wie Rezo nicht übermäßig belastet werden.
Die Übertragung der Sorgfaltspflichten stellt – auch wenn die Rundfunkfreiheit einschlägiges Grundrecht ist – einen rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriff dar, der den bekannten verfassungsrechtlichen Anforderungen standhalten müsste. „Laienjournalistische Sorgfaltspflichten“ würden dann unter die Schranke der allgemeinen Gesetze nach Art. 5 Abs. 2 Var. 1 GG fallen. Und sie würden dieser Schranke unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur kombinierten Sonderrechts- und Abwägungslehre auch genügen. Laienjournalistische Sorgfaltspflichten zielen nämlich nicht auf die Abwehr oder Unterdrückung einer bestimmten Meinung oder eines bestimmten Informationsinhalts, sondern sie bezwecken den kommunikationsneutralen Drittschutz. Sie würden als der Veröffentlichung vorgelagerte Pflicht der durch laienjournalistische Internetveröffentlichungen bestehenden Gefahrenlage für individuelle und kollektive Rechtsgüter entgegentreten.
„Laienjournalistische Sorgfaltspflichten“ müssten weiterhin verhältnismäßig sein und ihrerseits wiederum im Lichte der Medienfreiheiten ausgelegt werden. Die Flexibilität der Sorgfaltspflichten als Ausdruck der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der Freiheit der Massenkommunikation und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie öffentlichem Informationsinteresse ermöglicht es gerade, einerseits Laienjournalisten publizistische Pflichten aufzuerlegen und damit den Schutz des Einzelnen und der Allgemeinheit im Internet zu verbessern und andererseits den einzelnen Laienjournalisten vor einer übermäßigen Pflichtenbindung zu schützen und damit den Besonderheiten des Internets gerecht zu werden. Die Besonderheiten der neuen Publikationskultur im Netz würden also nicht außer Acht gelassen werden.
Das bedeutet, dass auch Influencer, YouTuber, Blogger und Wikipedia-Autoren sorgfältig recherchieren, ihre Quellen überprüfen und ggf. Betroffene anhören müssen (zu Wikipedia als Störerin wegen unsorgfältiger Recherche der Autoren jüngst KG Berlin, Urt. v. 28.08.2018 – Az. 27 O 12/17). Diese Pflichten gelten natürlich nur im Rahmen des für sie Möglichen und Zumutbaren. Und ja, auch bekannte Influencer wären von solch einer Pflicht betroffen, da Prominent-Sein nichts an der Tatsache der massenhaften Kommunikation ändert und Influencer anders als „übliche“ Prominente sich regelmäßig öffentlich äußern und eine bestimmte Reichweite erzielen (wollen).
Dabei kann Influencern und Co. das sog. Laienprivileg, welches das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1991 nur mit Blick auf Offline-Sachverhalte aufstellte (BVerfGE 85, 1 [22]), nicht mehr zugutekommen. Es ist aufgrund der geänderten Realbedingungen längst hinfällig und lässt die Besonderheiten des Internets, das 1991 noch in seinen Kinderschuhen steckte, außer Acht. Auf Grundlage des Laienprivilegs dürften die auf die Berichterstattung der klassischen Medien angewiesenen privaten Influencer etc. diese ungeprüft übernehmen, vorausgesetzt sie waren guten Glaubens und die Berichterstattung war nicht erkennbar widerrufen oder überholt. Hierzu führte das Bundesverfassungsgericht aus:
„Der Presse obliegt […] eine besondere Sorgfaltspflicht bei der Verbreitung nachteiliger Tatsachen. Vom Einzelnen darf eine vergleichbare Sorgfalt aber nur verlangt werden, soweit er Tatsachenbehauptungen aus seinem eigenen Erfahrungs- und Kontrollbereich aufstellt. Dagegen ist es ihm bei Vorgängen von öffentlichem Interesse […] regelmäßig nicht möglich, Beweise oder auch nur Belegtatsachen aufgrund eigener Nachforschungen beizubringen. Er ist insoweit vielmehr auf die Berichterstattung durch die Medien angewiesen.“
Die These, dass der Sorgfaltsmaßstab der Medien stets und per se ein strengerer ist als der von Privatpersonen, die sich ebenfalls öffentlich äußern (etwa BVerfG NJW-RR 2010, 471; BGH NJW 1966, 2011), ist im Zeitalter des Internets nur schwer aufrechtzuerhalten. Denjenigen, der sich öffentlich äußert, trifft richtigerweise eine weitergehende Verantwortung als denjenigen, der sich privat äußert. Gleichzeitig hat auch der Journalismus einen Wandel erfahren. Nicht mehr nur den etablierten Medienmachern wird Vertrauen und Glaubwürdigkeit entgegengenbracht, sondern auch den verschiedenen Akteuren der neuen Publikationsformate im Netz. Außerdem ist mit dem Internet ein Recherche-Tool entstanden, das jedermann zugänglich ist und von jedem genutzt werden kann. Mit Hilfe einer Internetsuchmaschine lässt sich etwa einfach überprüfen, ob die ursprünglich von der Presse oder dem Rundfunk stammenden Tatsachen abgeändert oder widerrufen wurden, eine Gegendarstellung erfolgt ist oder der Beitrag sogar aus dem Netz genommen wurde.
Das Rezo-Video stellt für diese Möglichkeiten ein Paradebeispiel dar, denn Rezo hat sich im Rahmen seiner Recherche dieser Möglichkeiten intensiv bedient und dies durch Verlinkung seiner Quellen sorgsam dokumentiert (sodass eine Verletzung von Sorgfaltspflichten im konkreten Fall fernliegt).
Die Online-Welt braucht dabei auch keine Sorge vor Zensur zu haben. Es geht bei der Übertragung von journalistischen Sorgfaltspflichten auf Laienpublizisten im Netz nicht darum, Meinungsäußerungen zu regulieren. Der Grund für eine Pflichtenbindung journalistischer Laien liegt in dem Umstand, dass sie Inhalte an einen unbestimmten Empfängerkreis faktisch öffentlich publizieren und damit besondere Gefahren für individuelle und kollektive Rechtsgüter bestehen. Das bedeutet freilich nicht, dass auf einfach-gesetzlicher Ebene jede Person, die einen Urlaubsblog betreibt oder ein Katzen-Video auf YouTube hochlädt, Adressat von besonderen Sorgfaltspflichten ist. An dieser Stelle sind aber die Bundesländer als zuständige Gesetzgeber gefragt, die sich zur genauen Abgrenzung zwischen den Verpflichteten von dem längst überholten Begriff des Telemediums mit „journalistisch-redaktionell gestaltetem Angebot“ (§ 54 Abs. 2 S. 1 RStV) lösen sollten.
Der Vergleich mit 70 Tageszeitungen und nicht nur die hohen Klickzahlen machen deutlich, dass die Stimmen von Influencern und Co. Relevanz haben! Sie haben schon längst das klassische Meinungsbildungsmonopol von Presse und Rundfunk durchbrochen. Zusammen mit der Masse da draußen übernehmen sie genauso wie die „klassischen“ Medien meinungsbildende Funktionen wie das Agenda Setting und Gatekeeping und erfüllen damit eine öffentliche Aufgabe. Ohne sie gäbe es weniger Meinungsvielfalt.
Massenhaft kommunizieren zu können, bestimmte Funktionen zu übernehmen und deshalb auch bestimmten Anforderungen zu unterliegen, sollte aber nicht nur als Last, sondern auch als Privileg empfunden werden. Als Folge der neuen Äußerungsbedingungen müssen Laien wie YouTuber, Blogger und Influencer denselben grundrechtlichen Schutz erfahren, gleichermaßen aber auch denselben Äußerungsanforderungen unterliegen wie professionelle Journalisten. Dafür müssten aber auch einheitliche Kontrollen, aufsichtsrechtliche Befugnisse und Strukturen sowie Anreize kooperierende Selbstkontrolleinrichtungen geschaffen werden. Hier sind die Bundesländer gefragt, denn es gibt für Telemedien weder eine dem Presserat vergleichbare Stelle noch wären nach derzeitiger Regelung die Landesmedienanstalten zur Überwachung der laienjournalistischen Sorgfaltspflicht zuständig.
Der Beitrag ist wahrscheinlich nicht falsch, geht doch aber am eigentlichen Thema völlig vorbei, soweit er sich ganz überwiegend um die Kollision von Meinungsfreiheit etc. und APR (bzw. sonstiger privatrechtlich geschützter Interessen) dreht. Dabei ging es doch aber im anlassgebenden Fall überhaupt nicht.
Hier halte ich den Beitrag auch für mindestens missverständlich, als er den Eindruck erweckt auch sonstige falsche Tatsachenbehauptungen seien in irgendeiner Art justiziabel oder würden gar staatlich kontrolliert.
Insofern bleiben dann auch die Äußerungen von AKK in Bezug auf das Rezo-Video genauso abseitig, wie es auf den ersten Blick scheint – ganz gleich ob online oder offline.
Dass die Äußerungen von AKK nicht zutreffen, stellt der Beitrag mE klar (Sorgfaltspflichtverstoss fernliegend mit Verweis auf die Recherchearbeit von Rezo).
Aber das ist doch gerade der Punkt: Seit wann messen wir derartige Äußerungen an irgendeiner Sorgfaltspflicht? Ist dann der nächste Kommentar in Ihrer Regionalzeitung, der mal wieder EuGH und EGMR nicht auseinanderhalten kann, um ein unverfängliches Beispiel zu nehmen, ein Verstoß gegen presserechtliche Sorgfaltspflichten?
Also doch nicht § 54 Abs. 2 RStV für alle Laien, die sich im Netz bewegen?!!
Wer andere beleidigt oder in seiner Persönlichkeit verletzt, unterliegt den allgemeinen Gesetzen. (§§ 185 ff. StGB) Er muss halt schauen, dass er sich nicht strafbar macht. (siehe § 54 Abs. 1 RStV)
Dagegen könnte er sich im Rahmen der Sorgfalt schützen. Er hat somit nicht die Pflicht, sondern das Recht sorgfältig seine Meinung kundzutun, um sich nicht selbst in Schwierigkeiten mit dem Gesetz zu bringen.So etwa?
Bliebe am Ende noch die überraschende Forderung nach einer landesweiten Kontrollinstanz! Da scheint mir die Hinführung zu fehlen oder misslungen. Da “müssten aber auch einheitliche Kontrollen, aufsichtsrechtliche Befugnisse und Strukturen sowie Anreize kooperierende Selbstkontrolleinrichtungen geschaffen werden.”
Gibt es zu diesem Punkt mit Prof. Uwe Hasebrink hierzu nicht eine Dogmatik, die mit dem Begriff der “vorherrschenden Meinungsmacht” arbeitet?!!
“Es wird zukünftig darum gehen, unabhängig von der konkreten technischen Plattform die Wirkungspotenziale einzelner Medienanbieter zu erfassen und politisch zu entscheiden, bei welchem medienübergreifenden Wirkungspotenzial die Vermutung einer vorherrschenden Meinungsmacht angebracht ist.” bpb, Prof. Uwe Hasebrink, a.E.
http://www.bpb.de/gesellschaft/medien-und-sport/medienpolitik/172240/meinungsbildung-und-kontrolle-der-medien?p=all#footnode5-5
Warum sollte gegen falsche Tatsachenbehauptungen nicht vorgegangen werden können? Presserechtliche Ansprüche auf Korrektur oder Berichtigung bestehen grds. auch gegen kleine Regionalzeitungen, wenn schlampig gearbeitet, also gegen Sorgfaltspflichten verstoßen wurde.
Wäre dies (die Skizze einer) wissenschaftliche(n) Hausarbeit, würde ich als Betreuerin oder Korrektorin anmerken müssen: Aufgabenstellung verfehlt. Die Verf. lässt die Funktion und Funktionsweise des politischen Diskurses und der politischen Meinungs- und Willensbildung und -äußerung der Bürgerinnen und Bürger und die Rolle der Parteien darin völlig aus dem Blick. Welches individuelle oder kollektive (?) Rechtsgut soll betroffen sein im Fall der öffentlichen Kritik und Herausforderung einer Partei, die sich im offenen politischen Wettbewerb bewegt und sich um die Gunst der Wählerinnen und Wähler bewirbt? Übrigens hatten Presse und Rundfunk auch nie ein “Meinungsbildungsmonopol”. Meinungsbildung ist immer auch ein Prozess zwischen nicht-organisierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich dafür aller zur Verfügung stehenden Medien bedienen können. Die Verf. ruft nach “einheitlichen Kontrollen, aufsichtsrechtlichen Befugnissen und Strukturen sowie Anreizen für kooperierende Selbstkontrolleinrichtungen”. Das spricht für mich nach einem aufklärungsbedürftigen Grundrechtsverständnis – es klingt es doch arg danach, dass die freie Meinungsbildung und -äußerung, die nach Art. 5 GG nicht nur “am Rande”, sondern auch und gerade zwischen den Bürgerinnen und Bürgern stattfindet, zum Gegenstand einer staatlichen und korporativen Regulierung gemacht werden soll, die dem Grundrecht offen zuwider läuft. Parteien müssen sich schon auch nerven lassen von Kritik mit digitalem oder analogem Megaphon.
Liebe Jelena, Deine inhaltliche Kritik beiseite, die ich durchaus nachvollziehen kann, muss ich sagen, dass mich der Ton Deines Kommentars irritiert. Ich finde, inhaltliche Kritik sollte ohne „ich als Betreuerin“-Einleitung auskommen.
Die Kritik ist jetzt vielleicht doch etwas sehr scharf geraten.
Auch Parteien sind als juristische Personen des Privatrechts Trägerinnen des (zivilrechtlichen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das durch die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen verletzt werden kann. Eine solche Verletzung käme etwa in Betracht, wenn jemand eine öffentliche Wahlempfehlung auf eine in tatsächlicher Hinsicht unrichtige Wiedergabe bestimmter politischer Positionen einer Partei stützte. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung eines solchen Sachverhalts könnte und müsste man dann ggfs. schon abarbeiten, welchen Sorgfaltspflichten der potenzielle Verletzer unterliegt. Auch über eine Ausdehnung der bereits existierenden Kontrollmechanismen für professionelle Journalisten auf andere Akteure mit großer Publikationsmacht kann man allgemein sicher nachdenken.
Wenn ich das richtig sehe, hat allerdings bei dem Rezo-Video niemand in Abrede gestellt, dass die tatsächlichen Grundlagen der Wahlempfehlung zutrafen. Dann aber bleibt es dabei, dass bekundete Gegnerschaft zu einer Partei als Meinungsäußerung zwanglos zulässig ist.
Von daher würde ich sagen: Das aus der Überschrift hervorgehende Thema wurde schon getroffen, aber der Aufhänger Rezo-Video ist ausgesprochen schlecht gewählt.
Die Position, die Sie als vermeintlich vermittelnde einnehmen, würde ich gerade als argumentum ad absurdum ansehen.
Sie können doch nicht wirklich der Meinung sein, dass derartige politische Auseinandersetzungen vor einem Zivilgericht ausgetragen werden sollten? Dann mache ich mich demnächst also Schadensersatzpflichtig, weil ich die von einer Partei mitverantwortete Regierungspolitik “unsorgfältig” kritisiere und dies eine Persönlichkeitsrechtsverletzung dieser Partei darstellt?
Dann sollte sich z.B. die FAZ in Hinblick auf das Geschehen, das im aktuellen Buch des Blogbetreibers thematisiert wird, besser schon einmal nach einem guten Anwalt im Presserecht umschauen.
Nochmals: Wir reden hier nicht von dem Rezo-Videofall, da bin ich mit Ihnen völlig einer Meinung. Also bilden wir stattdessen einen fiktiven Fall, um meine Auffassung (die ich gar nicht für sonderlich vermittelnd halte) zu illustrieren.
Die rechtsextreme Journalistin J veröffentlicht in einer auflagenstarken Zeitschrift eine Reportage, in der sie behauptet, die CDU habe neben dem offiziellen Parteiprogramm noch ein geheimes Parteiprogramm, das schriftlich niedergelegt, aber nur dem Führungszirkel der Partei zugänglich sei. Sie, J, habe dieses geheime Parteiprogramm eingesehen. Darin heiße es unter anderem, politisches Hauptziel der CDU sei die Umwandlung der Bundesrepublik in einen islamischen Staat unter Geltung der Scharia. Zu diesem Zweck sollten möglichst viele radikale Islamisten zur Zuwendung in die Bundesrepublik bewegt werden.
Neonazi N, der mit seinem Kanal eine fünfstellige Personenzahl erreicht, veröffentlicht auf YouTube ein Video, in dem er den – von ihm ohne weitere Nachprüfung für zutreffend gehaltenen – Bericht der J zusammenfasst und daraus folgert, nun habe sich endgültig gezeigt, das kein echter Deutscher CDU wählen dürfe.
Der Bericht von J ist frei erfunden.
Sind J und N nun vor von der CDU angestrengten Zivilprozessen jeglicher Art von vornherein geschützt, weil politische Auseinandersetzungen ja nicht vor die Zivilgerichte gehören? Und falls Sie einen solchen Schutz in diesem Fall für richtig halten: Glauben Sie, dass Ihre Position im Mainstream der deutschen Presserechtsszene anschlussfähig ist? Falls Sie nicht glauben, dass J und N von vornherein draußen sind: Welche Sorgfaltspflichten trafen N und hat er diesen genügt?
Das mit der FAZ habe ich nicht verstanden, obwohl ich das Buch kenne. Wer soll die jetzt weshalb verklagen?
Wenn dies tatsächlich das Beispiel ist, dass Ihnen bei Ihrem vorherigen Posting vorschwebte, dann liegen wir im Ergebnis ja gar nicht weit auseinander. Wie ein solcher Extrem- und Grenzfall presserechtlich zu lösen ist, darüber sollen sich gerne Presserechtler den Kopf zerbrechen. An meiner Grundaussage, dass Schutz privater Rechte und “Sorgfaltsanforderungen” an den politischen Diskurs zwei ganz unterschiedliche Themen sind, ändert sich dann so oder so nichts. So ist ja auch dieses Beispiel natürlich meilenweit von dem entfernt, was aus aktuellem Anlass in der Öffentlichkeit diskutiert wird.
Das Beispiel der FAZ bezog sich auf die Vorwürfe des Rechtsbruchs gegenüber der damaligen Parteivorsitzenden der CDU, die ja insbesondere auch in der FAZ breiten Raum eingeräumt bekamen, wenn mich meine Erinnerung jetzt nicht vollständig täuscht. Hätte man hier sorfältiger vorab juristische Expertise bemüht, etwa indem man mit MigrationsrechtlerInnen statt mit Urheberrechtlern über das Thema gesprochen hätte, hätte man einen solch unzutreffenden Vorwurf sicher vermeiden können.
OK, ich glaube dann aber, hier besteht bei Ihnen ein Missverständnis, was mit den Sorgfaltspflichten gemeint ist, von denen der Blogbeitrag handelt. Das ist ein eingeführter presserechtlicher Topos. Es geht nicht allgemein darum, ob man sich um eine besonders sorgfältige Würdigung der Belange und Intentionen des Objekts eines Kommunikationsbeitrags bemühen muss oder ähnliches. Sondern um die Frage, inwieweit jemand, der ehrrührige Tatsachenbehauptungen aufstellt, sich vorher bemüht haben muss, diese Behauptungen zu verifizieren. Das hat mit dem rein wertenden Vorwurf des Rechtsbruchs, über dessen Tatsachengrundlage im Wesentlichen kein Dissens besteht, nichts zu tun. Wenn die FAZ dagegen zB ein Wortlautprotokoll einer angeblichen Sitzung des CDU-Vorstands auf dem Höhepunkt der “Flüchtlingskrise” abgedruckt hätte und sich das Protokoll nachher als Fälschung herausgestellt hätte, dann wäre es auf solche Sorgfaltspflichten angekommen. Daran kann ich auch dann, wenn es um das Persönlichkeitsrecht einer politischen Partei geht, nichts übermäßig Problematisches finden. Es ist sicher richtig, dass sich Parteien im Meinungskampf mehr und Härteres gefallen lassen müssen als andere private Akteure (Beispiel: BVerfGE 61, 1). Das heißt aber nicht, dass sie sich nicht gegen unzutreffende Tatsachenbehauptungen wehren dürften.
Darum nochmals: Mein Problem mit dem Blogbeitrag ist, dass er für eine generelle und durchaus diskutable presserechtliche These einen ungeeigneten und offenkundig in diesem Kontext auch sehr missverständlichen aktuellen Beispielsfall heranzieht. Die Kritik daran (vor allem die von Jelena v. Achenbach) hat bei mir aber wiederum den Eindruck erweckt, als müssten Parteien äußerungsrechtlich völlig schutzlos gestellt werden, weil sie in der politischen Auseinandersetzung agieren. Das entspricht weder der gängigen Praxis noch würde ich es für eine gute Idee halten.
Lieber Herr Rusteberg,
ganz genau das ist der Fall, auch wenn es Sie zu verwundern scheint. Derartige Streitigkeiten können vor einem Zivilgericht ausgetragen werden – so zB auch explizit RA Höch im FAZ Einspruch Podcast Ende Mai (Minute 30:55 – https://blogs.faz.net/einspruch/2019/05/28/rezo-kramp-karrenbauer-und-das-presserecht-1886/). Dass diese Ansprüche zumeist nicht durchgesetzt werden, ist eine andere Sache.
Im Übrigen vertritt nicht nur RA Höch, sondern ein Großteil der Presserechtler die Auffassung, dass im Netz publizierende Laien Sorgfaltspflichten beachten müssen. Siehe etwa Professor Schwartmann in der FAZ (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gibt-es-eine-journalistische-sorgfaltspflicht-fuer-youtuber-16211147.html).
Die Aufregung in den Kommentaren kann ich daher nicht wirklich nachvollziehen.
@Gerd Gosmann
Nein, ich denke, hier besteht überhaupt kein Missverständnis, sondern dies ist ja genau der Punkt, auf den ich hinaus möchte: Es geht bei den Sorgfaltspflichten eben um das Persönlichkeitsrecht und um nichts anderes. In der Sache sind wir hier also völlig beieinander.
@Peter Fuchs
Auf die von Ihnen verlinkten Texte habe ich leider keinen Zugriff. Die Annahme, derartige Äußerungen seien eigentlich justiziabel und nur ganz zufällig habe in der über 70-jährigen Geschichte der Bundesrepublik noch niemand versucht, so etwas gerichtlich durchzusetzen, halte ich aber so oder so für wenig überzeugend. Auch, wenn in der FAZ etwas anderes steht. Vielleicht sollte diese ja doch besser unter Aufsicht gestellt werden…
Lieber Herr Rusteberg, der verlinkte Podcast ist frei verfügbar – und mir scheint, dass Sie diesen dringend hören (und sich ggfs. auch ein wenig in der presserechtlichen Literatur umschauen) sollten. Sie scheinen mit dem Konzept der Sorgfaltspflichten weder vertraut zu sein noch willens, dessen Schutzzweck (vgl. nur BVerfGE 12, 113) oder Wirkungsweise einzusehen.
Aber Fake News der FAZ sind natürlich die naheliegende Schlussfolgerung…
Lieber Herr Fuchs,
mich deucht vielmehr, Sie haben immer noch nicht verstanden, worum es mir eigentlich geht. Dies ist ja auch gar nicht schlimmm, ich will es aber doch noch einmal versuchen:
Niemand bestreitet hier die Existenz pressrechtlicher Sorgfaltspflichten. Es geht mir lediglich darum, dass diese – aus guten Gründen – bislang einzig und allein im Spannungsverhältnis Meinungsfreiheit vs. private Rechte aktiviert wurden. Auch die von Ihnen zitierte Verfassungsgerichtsentscheidung bestätigt meine Auffassung ja lediglich, noch dazu als es nichtmal um zivilgerichtliche Ansprüche ging, sondern um Schutz gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung.
Dementsprechend halte ich es für absurd, die Existenz derartiger Pflichten im Zusammenhang mit dem anlassgebenden Thema zu diskutieren, weil niemand ernsthaft auf die Idee kommen würde, dass die Art politischer Diskussion, um die es hier geht, auf diesem Wege verhandelt werden könnte oder sollte. Anderes zu insinuieren, wie dies der vorliegende Beitrag oder auch die Ausführungen des Anwalts in dem nämlichen Podcast tun, ist aus meiner Sicht mindestens missverständlich, wenn nicht bewusst irreführend. (Vielen Dank für den Hinweis, dass der Podcast frei hörbar ist.)
Die zitierte BVerfG-Entscheidung zum Schutzzweck: “Die Erfüllung dieser [presserechtlichen] Wahrheitspflicht […] ist zugleich in der Bedeutung der öffentlichen Meinungsbildung im Gesamtorganismus einer freiheitlichen Demokratie begründet. Nur dann, wenn der Leser – im Rahmen des Möglichen – zutreffend unterrichtet wird, kann sich die öffentliche Meinung richtig bilden. Die Presse ist daher um ihrer Aufgabe bei der öffentlichen Meinungsbildung willen gehalten, Nachrichten und Behauptungen, die sie weitergibt, auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.”
Soviel zu Ihrer Aussage, dass es bei den Sorgfaltspflichten „um das Persönlichkeitsrecht [geht] und um nichts anderes“…
Und überhaupt: Was ist absurd an der Diskussion (zu der sich haufenweise Presserechtler aktuell entsprechend geäußert haben)? AKK fragt (neben falschen Behauptungen zu Regeln gegen Meinungsmache) nach Pflichten u.a. von Influencern. Rezo traf (wohl) eine Sorgfaltspflicht. Dieser ist er (wohl) nachgekommen. Wäre er das nicht, hätte die CDU (theoretisch) presserechtliche Ansprüche gegen ihn. Das darzustellen ist weder missverständlich noch bewusst irreführend, sondern (wohl) geltendes Recht.
Aber das scheint Ihnen einfach zu missfallen.
Lieber Herr Fuchs, unser Disput wird ja sicher alsbald entschieden werden, wenn sich in diesem oder einem ähnlichen Streit, eine Partei dazu entschließen wird, gegen derartig eindeutige Rechtsverstöße vorzugehen, und sich die daraus resultierende Entscheidung in die Lange Kette von Präjudizien einreihen wird, die im Anschluss an die von Ihnen zitierten Passage eines fast 60 Jahre alten Verfassungsgerichtsurteil ergangen sind. Beste Grüße und Ihnen noch ein schönes Pfingstwochenende