Stellt euch vor, wir schaffen überall Schuldenbremsen und keiner hält sich dran…
Sie gehört zu den wenigen Dingen, auf den die verblichene Große Koalition bis zuletzt stolz war: Die Schuldenbremse im Grundgesetz. Maximal 0,35% des BIP darf der Bund ab 2016 noch an neuen Krediten aufnehmen, um seine regulären Ausgaben zu decken. Die Länder (ab 2020) überhaupt nichts mehr.
Die Schuldenbremse in der Verfassung ist keine allein deutsche Erfindung: Die Schweizer haben schon länger eine, die Polen auch. Aber die Deutschen sind es, die derzeit die Idee so gut finden, dass sie sie auf ganz Europa ausgedehnt sehen wollen.
Anders als bei einer Kontrolle der nationalen Haushalte durch EU-Organe könnte niemand mehr sagen, dass damit die nationale Souveränität und die Budgethoheit des Parlaments und damit die Selbstbestimmung der europäischen Völker ausgehöhlt wird. Jedes europäische Volk packt sich ja die Schuldenbremse selber in die Verfassung.
Die Völker Europas legen sich rechtliche Fesseln an, damit ihre Regierungen nicht mehr unbeschränkt durch schuldenfinanziertes Geldausgeben ihre Wiederwahl absichern können. Was ist Selbstbestimmung, wenn nicht das?
Was, wenn sich keiner daran hält?
Aber das ganze kann auch schrecklich schiefgehen. Tony Barber erinnert als abschreckendes Beispiel an das 18. Amendment der US-Verfassung – das Verbot von Alkohol, die so genannte Prohibition. Das stand auch in der Verfassung. Hat sich aber kein Mensch daran gehalten. Das Einzige, was das Verbot bewirkte, war die Blüte der organisierten Kriminalität. Das Recht hat die Wirklichkeit nicht unter Kontrolle bekommen und daran schweren Schaden genommen.
Wird das (Verfassungs-)Recht im Fall der Schuldenbremse tatsächlich stärker sein als die Politik?
Immerhin hatte das Grundgesetz mit Art. 115 seit jeher schon Regeln zum Schuldenmachen enthalten, um die sich in der Praxis nie irgendjemand groß geschoren hat. Das Bundesverfassungsgericht erwies sich als machtlos dagegen. Es kann auch nur allenfalls ein Haushaltsgesetz für verfassungswidrig erklären, das ein längst schon verstrichenes Haushaltsjahr betrifft – verschüttete Milch. Die Haushalte 2002 bis 2006 waren verfassungswidrig, eingestandenermaßen sogar, und von ein paar Krokodilstränen abgesehen hat sich kein Mensch darüber auch nur aufgeregt.
Dazu kommt, dass die Nationalstaaten ja nicht die einzigen sind, die Schulden machen. In Deutschland bindet die Schuldenbremse auch die Länder, wird aber gerade deshalb von gewichtiger Seite für verfassungswidrig, da gegen das von der Ewigkeitsklausel Art. 79 III GG auch gegen Verfassungsänderungen abgesicherte Bundesstaatsprinzip verstoßend gehalten.
Mit anderen Worten: Kann sein, dass mitnichten die Verfassungen die Politik in die Schranken weisen werden. Sondern umgekehrt.
Und dann stehen wir da mit unseren zerrissenen Hosen.
Update: Sarkozy goes for it…
Die verfassungsrechtliche Schuldenbremse mit der Prohibition und ihrer Befolgung zu vergleichen ist ja wohl ein wenig wackelig: die Prohibition galt für jeden Bürger. Die Schuldenbremse für die Regierung, also die Vertreter der Bürger und Bürgerinnen.
Sollten also die Vertreter weiterhin Schulden machen, hat der Bürger darauf keinen direkten Einfluss, wohl aber auf die Einhaltung einer Prohibition.