Theater und Wettkampf
Es tut ja immer mal ganz gut, als Jurist den Gegenstand des eigenen Nachdenkens aus dem Blickwinkel einer ganz anderen Disziplin vorgeführt zu bekommen. Dazu hatte ich heute beim Wissenschaftskolleg Gelegenheit, wo Alexandra Kemmerer und Markus Krajewski das posthum erschienene Buch der viel zu früh verstorbenen Weimarer Medienwissenschaftlerin Cornelia Vismann vorstellten: “Medien der Rechtsprechung”.
Im Mittelpunkt des Buches steht eine Unterscheidung zwischen zwei Mustern oder “Dispositiven”, wie Vismann das nennt, die beide seit der Zeit des antiken Griechenland den Gerichtsprozess auf ganz unterschiedliche Weise prägen: Das Theater und der Wettkampf.
Im theatralen Dispositiv geht es darum, ein Verbrechen, einen Anspruch oder was auch immer “zur Sprache zu bringen” – es im Gerichtssaal nach dem Skript des Prozessrechts mit verteilten Rollen so aufzuführen, dass es einen Platz in der Welt bekommt und alle Beteiligten damit zurecht kommen können.
Im agonalen Dispositiv (Agon = gr. Wettstreit) dagegen dreht sich alles um die Entscheidung: Wer trägt den Sieg davon? Und nicht die abgeschlossene “Kammer” des Theaters ist Schauplatz dieses Wettstreits, sondern das offene Rund des Amphitheaters, in dem über Sieg und Niederlage das Publikum entscheidet.
Hier kommen die Medien ins Spiel: Beginnend mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen halten allerhand Medientechniken im Gerichtssaal Einzug – Filmkameras, Simultandolmetscher etc. – , die dazu führen, dass dort neben der Urteilsfindung noch ein ganz anderes Drama aufgeführt wird: Am vorläufigen Ende dieser Entwicklung steht das völlig fernsehgerecht eingerichtete Tribunal in Den Haag, wo Slobodan Milosevic gar nicht so sehr das Urteil der Richter, sondern das der Geschichte wortreich zu seinen Gusten zu wenden versucht.
Das Buch ist gerade erst erschienen, insofern war das durchaus gewagt von Alexandra Kemmerer und Markus Krajewski, es im Wissenschaftskolleg zur Diskussion zu stellen. Die beiden hatten die Entstehung des Buches, das Cornelia Vismann größtenteils noch selbst hatte fertig stellen können, eng begleitet und fungieren jetzt als Herausgeber.
Es gab auch skeptische Stimmen: Dass die Zulassung von Kameras im Gerichtssaal die Justiz so fundamental transformieren, wollte nicht jedem sofort einleuchten. Mir ging die ganze Zeit der Reichtagsbrandprozess 1933 durch den Kopf als ein Beispiel, wo der Angeklagte Dimitroff das Tribunal der in- und ausländischen Medienöffentlichkeit anrief und dies dann auch auf die Urteilsfindung der Richter maßgeblich zurückwirkte – ohne eine einzige Fernsehkamera dazu nötig zu haben.
Dieter Grimm sprach aus, was alle dachten: Was heißt diese von Vismann konstatierte Transformation für den deutschen Dauerstreit um das Verbot, Gerichtsverhandlungen live im Fernsehen zu übertragen? Immerhin hatte BVerfG-Präsident Andreas Voßkuhle jüngst angedeutet, dass er sich da eine medienfreundlichere Position vorstellen könnte als seine Vorgänger. Nach Ansicht Krajewskis hätte Cornelia Vismann diese Entwicklung nicht überrascht: Sie habe Live-Berichterstattung aus deutschen Gerichtssälen “für eine Frage der Zeit” gehalten.
[…] Cornelia Vismann hat in ihrem letztes Jahr posthum erschienenen Opus Magnum “Medien der Rechtsprechung“, einem der tollsten Bücher, die ich seit langem gelesen habe, eine Unterscheidung […]