25 May 2021

Thieves in the temple?

Die Pläne der FDP für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

In ihrem Programmentwurf zur Bundestagswahl mahnt die FDP eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an (S. 41 f). Die erwartbaren Immun(-isierungs-)reak­tionen, die sie damit hervorgerufen hat, verengen dabei den notwendigen Diskurs über Auftrag und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Reformen sind nicht verfassungswidrig, solange sie die verfassungsrechtlichen Rahmen für den Funktionsauftrag und die Programmautonomie der Anstalten beachten. Die Transformation ins Digitale darf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht in eine digitale Nische führen.

Die Forderungen der FDP

Politisch hat die CDU Sachsen-Anhalts mit ihrer – wie ich meine: verfassungswidrigen – Verweigerung der Erhöhung des Rundfunkbeitrags bereits Erfolg. Sie wollte mit ihrem Vorgehen eine Debatte über Auftrag und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erzwingen. In der Tat nimmt diese Debatte wieder an Fahrt auf.

Auch die FDP hat jüngst in ihrem auf dem digitalen Bundesparteitag am 14.-16. Mai 2021 beschlossenen Wahlprogramm einen Beitrag zu dieser Debatte geliefert. Danach soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk moderner und schlanker werden und sich primär auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen konzentrieren. Dies wirke sich dämpfend auf den Rundfunkbeitrag aus. Die Zahl der beauftragten Fernseh- und Hörfunkkanäle sei kritisch zu überprüfen. Nicht erforderliche Parallelangebote seien zu vermeiden. Im Internet ist eine Begrenzung auf Bereiche angestrebt, die mit klassischem Rundfunk vergleichbar seien oder in direktem Zusammenhang mit ihm ständen. Ein funktio­nierendes duales Mediensystem brauche Ausgewogenheit. Die Verhältnismäßigkeit zwischen Rundfunkbeitrag und Wettbewerb müsse gewahrt sein. Konkurrenz zu jedem Internet-Angebot privater Presse- und Medienhäuser sei nicht Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Ein Revolutionsprogramm hört sich anders an. Im Vergleich zu früher geäußerten Vor­stellungen ist dieser Passus deutlich abgemildert, was der Anerkennung der Bedeu­tung der öffentlich-rechtlichen Anstalten zur Stabilisierung der demokratischen Ord­nung und nicht zuletzt der von großen Teilen der Bevölkerung empfundenen Glaub­würdigkeit der Berichterstattung in der Pandemie geschuldet sein mag.

Die verfassungsrechtlichen Eckdaten

Gleichwohl muss sich diese Programmatik an der überaus dichten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk messen lassen. Dabei ist von vornherein zu bedenken, dass im Rahmen der dualen Rundfunkordnung die vollständige Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags die conditio sine qua non für die Verfassungsmäßigkeit des Gesamtsystems einschließlich seiner privaten Säule bildet (BVerfGE 74, 297 [325]; 83, 238 [297]). Mindestvoraussetzung einer „Ausge­wogenheit“ zwischen den Säulen des dualen Mediensystems bildet also die voll­ständige Erfüllung des öffentlichen Auftrags durch die Anstalten. Diese Voraussetzung ist ihrerseits nicht gegen den „Wettbewerb“ im Bereich der privaten Säule des Systems abwägbar, sie bildet vielmehr das unverzichtbare, einer nicht-ökonomischen Rationali­tät folgende Gegengewicht zu den publizistischen Dysfunktionalitäten privat zu refinan­zierender Medienangebote (BVerfG, Urteil vom 18.07.2018 – 1 BvR 1675/16 u.a. –, Rdnrn. 77 ff).

In der verfassungsrechtlichen Vorkonturierung des öffentlich-rechtlichen Auftrags weist das Bundesverfassungsgericht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zunächst den – nicht im Sinne einer Mindestversorgung zu verstehenden – Grundversorgungs­auftrag im Hinblick auf Information, Bildung, Unterhaltung und Kultur zu; die Angebote müssen für alle empfangbar und gleichgewichtig vielfältig sein (vgl. BVerfGE 73, 118 [158 f]; 74, 297 [325]; 83, 238 [297, 316]; 90,60 [90]; 119, 181 [218]). Der gesamte Funktionsauftrag reicht aber darüber hinaus: Er umfasst zusätzlich Angebote, die Viel­falt und publizistische Konkurrenz erweitern (BVerfGE 74, 297 [332]; vgl. zum Ganzen Hain, in: Spindler/Schuster [Hrsg.], Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., 2019, Allgemeines, C., Rdnr. 86 ff). An den Funktionsauftrag ist eine verfassungsrechtliche Bestands-, Entwicklungs- und Finanzierungsgarantie geknüpft (vgl. nur BVerfGE 119, 181 [218]). Kraft ihrer Programmautonomie ist es prinzipiell Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, über Inhalt und Form, aber auch über Umfang und Anzahl ihrer Angebote zur Erfüllung ihres Funktionsauftrags zu entscheiden (BVerfGE 87, 181 [201]; 90, 60 [91 f]).

Auf den ersten Blick liest sich das wie eine Carte blanche zugunsten der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Eine solche hat das Bundesverfassungsgericht den Anstalten aber durch­aus nicht erteilt. Diese Aussagen sind nämlich weithin (nur) prinzipieller Natur, und es besteht ein Gesetzesvorbehalt zugunsten der Länder hinsichtlich der sogenannten Ausgestal­tung des Funktionsauftrags. Diese hat freilich unter Beachtung der verfassungs­rechtlichen Vorkonturierung des Auftrags und unter Wahrung der prinzipiellen Programmautonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erfolgen. Derartige weit­hin offene normative Positionen lassen aber dem Gesetzgeber einigen Gestaltungs­spielraum (BVerfGE 119, 181 [214]). Dabei sind auch gesetzliche Programmbegren­zungen nicht von vornherein unzulässig (BVerfGE 119, 181 [219]).

Auftragsreduktion und -schärfung?

Dementsprechend ist es durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Länderlegislativen die Anzahl der Rundfunkprogramme der öffentlich-recht­lichen Anstalten beschränken. Dass im Zuge der Transformation der öffentlich-rechtlichen Ange­bote ins Digitale die bestehenden (analogen) Angebote auf den Prüfstand gehören, fordert selbst eine Verfechterin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie Tabea Rößner, Medienpolitikerin und Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen.

Auch ist es nicht per se verfassungswidrig, den Abbau von Redundanzen und mehr Kooperation der Öffentlich-Rechtlichen anzumahnen. Entsprechendes gilt für den Ruf nach einer Konzentration auf „Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumenta­tionen“. Ich halte es durchaus für verfassungsrechtlich möglich, in abstrakter Weise gesetzgeberische Vorgaben für die Anteile von Information, Bildung, Beratung, Kultur und Unterhaltung am Gesamtangebot einer Anstalt zu machen. Jedenfalls bedeutet die „Konzentrationsmaxime“ der FDP nicht von vornherein eine übermäßige und verfassungswidrige Marginalisierung von Unterhaltungsangeboten, die im Übrigen, soweit sie vorgehalten werden, einem spezifisch öffentlich-rechtlichen Profil zu entsprechen haben (§ 26 Abs. 1 Satz 5 MedienStV). Die Maßstäbe für eine Verschlankung und Fokussierung des Auftrags bilden jedoch stets das Kriterium der publizistischen Erforderlichkeit zur Erfüllung des Funktionsauftrags und die Programmautonomie der öffentlich-rechtlichen Anstalten, derzufolge der Gesetzgeber den Anstalten einen verhältnismäßigen Gestaltungsspielraum zur Auftragserfüllung einräumen muss.

Keine Transformation der Öffentlich-Rechtlichen in eine digitale Nische

Auf dieser Basis ist die Abschiebung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in eine Nische nicht machbar. Auch die Transformation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darf diesen nicht in eine Nischenexistenz führen. Ganz im Gegenteil: Der Prozess der Meinungsbildung verlagert sich zunehmend ins Netz, daher ist es publizistisch erforderlich, dass die Anstalten im digitalen Raum präsent sind. Eine Vielzahl privater digitaler Dienste sorgt dort ebenso wenig wie im analogen Raum für hinreichende Vielfalt. Es besteht also bereits verfassungsrechtlich ein Telemedienfunktionsauftrag der Anstalten (dazu Hain, in: Spindler/Schuster [Hrsg.], Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., 2019, Allgemeines, C., Rdnrn. 94 ff m.w.N.; Dörr/Holznagel/Picot, Legitimation und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Zeiten der Cloud, 2016, S. 30; auf der Ebene des einfachen Rechts vgl. §§ 27 Abs. 1 Satz 1, 30 ff MedienStV).

Wenn also die FDP meint, die Konkurrenz zu jedem Internet-Angebot privater Presse- und Medienhäuser sei nicht Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ist dem jedenfalls entgegenzuhalten, dass die publizistische Konkurrenz zu den Online-Diensten der Presse- und Medienhäuser Bestandteil des Funktionsauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. Und auch für diesen Auftragsbestandteil müssen sie publizistisch konkurrenzfähig sein. Daher wäre eine Begrenzung auf Online-Angebote, die „mit klassischem Rundfunk vergleichbar“ sind oder „in direktem Zusammenhang mit ihm“ stehen, nicht hinzunehmen. Es ist nicht der Auftrag der Anstalten, im Netz klassischen Rundfunk zu veranstalten oder anzuteasern, sondern Angebote vorzuhalten, die sich der netztypischen Gestaltungsmittel und damit auch der netztypischen Kombination von Text, Ton und (Bewegt-)Bild bedienen. Dies gehört zur Programm- bzw. Angebotsautonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Bezug auf Inhalt und Form der Angebote, also zum Kernbereich dieser grundrecht­lichen Freiheit. Bereits die derzeit geregelten Begrenzungen des Telemedienauftrags, die eine Beschränkung der publizistischen Konkurrenz zu Online-Angeboten insbe­sondere der Pressehäuser über eine inhaltsrelevante Einschränkung gestalterischer Mittel bezwecken (§ 30 Abs. 7 MedienStV), sind vor diesem Hintergrund verfassungs­rechtlich hoch bedenklich.

Finanzierung folgt Auftrag!

Wenn schließlich angenommen wird, die von der FDP angemahnte Struktur- und Auftragsreform werde sich „dämpfend“ auf den Rundfunkbeitrag auswirken, so mag es durchaus sein, dass eine Reform diese Auswirkungen haben wird. Sie darf allerdings nicht zu diesem Zweck unternommen werden. Allgemeine Medienpolitik und Finanzierungsentscheidung sind strikt zu trennen (BVerfGE 90, 60 [94]). Das bedeutet zum einen, dass Finanzierungsentscheidungen im Rahmen der allgemeinen Medienpolitik den Funktionsauftrag der Anstalten nicht konterkarieren dürfen. Zum anderen darf die gesetzliche Konkretisierung des Funktionsauftrages nicht finanziellen Kalkülen folgen. Die Finanzierung hat vielmehr dem Auftrag zu folgen, und die Konkretisierung des Auftrags erfolgt aus­schließlich nach dem Kriterium der publizistischen Erforderlichkeit (Hain, in: Spindler/Schuster [Hrsg.], Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., 2019, Allgemeines, C., Rdnr. 118).

Vorschläge prinzipiell diskutabel – Diskurs zum Teil entgleist

Die programmatischen Vorstellungen der FDP zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind, was die Forderungen nach Überprüfung des Bestandes an Fernseh- und Hörfunkprogrammen und nach einer Konzentration des Angebots auf die Bereiche Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen betrifft, durchaus diskutabel. Im Falle einer Umsetzung hätten sie aber die verfassungsrechtliche Vorkonturie­rung des Funktionsauftrags der Anstalten und ihre Programmautonomie zu beachten.

Deutlich kritischer bewerte ich die im Hinblick auf die öffentlich-rechtlichen Online-Angebote formulierten, rigiden Petita. Diese werden dem aus publizistischen Gründen gegebenen Entwicklungsbedarf der öffentlich-rechtlichen Anstalten und ihrer Programmautonomie nicht gerecht. Die Transformation ins Digitale darf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht in eine digitale Nische führen – nicht zuletzt, weil seine Funktion zur Stabilisierung, Rationalisierung und Zivilisierung des demokratischen Diskurses auch und gerade im Netz unverzichtbar ist. Dass er diese Funktion in Unparteilichkeit und Ausgewogenheit erfüllt, muss er allerdings auch täglich durch seine journalistischen Leistungen unter Beweis stellen.

Die Diskussion über den Auftrag und die Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist notwendig – nicht nur, weil die CDU Sachsen-Anhalts ihre Wiederaufnahme erzwungen hat. Dabei ist die Verengung des Diskurses durch die voreilige Stigmati­sierung prinzipiell diskutabler Vorschläge wie desjenigen der FDP als „populistisch“ oder die Diskreditierung dieser Partei als „AFDP“ unangebracht bis völlig entgleist. Die Betroffenen und die Öffentlichkeit müssen kritische Ansätze aushalten und rational diskutieren können. Aus einem rational basierten Streit der Meinungen erfolgt die Klärung der Argumente. Der argumentative Kampf wiederum ist der Motor der Demokratie – reflexhafte Engführungen bringen ihn ins Stottern.

Der Autor dankt seinem Wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Frederik Ferreau für gleichermaßen kritische wie konstruktive Anmerkungen.


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