08 December 2014

Was tun gegen den Feind in den eigenen Reihen?

Die Angst vor dem Terror hat eine neue Qualität, seit bekannt geworden ist, dass auch deutsche Staatsbürger als Dschihadisten für den IS kämpfen. Führende CDU Politiker schlagen vor, das Problem der deutschen Dschihadisten zu lösen, indem man das Wörtchen „deutsch“ streicht: Durch den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach, erhofft sich davon „eine enorme präventive Wirkung“. „Solchen Leuten“ müsse klar sein, dass es „für sie kein Zurück geben kann!“

„Solchen Leuten“ die Staatsbürgerschaft zu entziehen würde gegen das Grundgesetz und mehrere internationale Übereinkommen (darunter die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit) verstoßen. Ein Schlupfloch bietet Art. 16 I 2 GG in Verbindung mit § 28 des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Hiernach verliert seine Staatsbürgerschaft, wer sich als Deutscher freiwillig einer Streitkraft eines Landes anschließt, dessen Staatsbürgerschaft er ebenfalls innehat. Noch ist der IS kein Staat, die Diskussion erübrigt sich für den Moment also.

Wichtiger als diese Frage, die aufgrund fester verfassungs- und völkerrechtlicher Grenzen wenig Empörungspotential bietet, ist die geistige Haltung, die sie enthüllt. Eine geistige Haltung, die in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht vorgesehen ist, faktisch aber vielleicht immer existiert hat und durch die beispiellose Bedrohung des Terrorismus an die Oberfläche geschwemmt worden ist: die Einteilung von Menschen, von Staatsbürgern, in Freund und Feind. In Bürger und Nicht-Bürger.

Wer die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Terroristen fordert, drückt aus: „Der hat das Recht, Bürger zu sein, verwirkt.“ Nach dem allgemeinen Rechtsprinzip: „Wer Mist baut, darf nicht mehr mitmachen“ – Exmatrikulation, Exkommunikation, Expatriierung.

Die Staatsangehörigkeit ist aber nicht als Clubmitgliedschaft konzipiert. Ein Rauswurf ist nicht vorgesehen. Stellt sich der Gesetzgeber nun schützend zwischen solche, die er seines Schutzes als würdig erachtet und den vermeintlichen Feind, so gerät der Rechtsstaat in die Bredouille. Garantiert er doch die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Verspricht er doch – beispielsweise im Rahmen des Strafrechts – jeden als Unschuldigen zu behandeln bis seine Schuld in einem rechtsförmigen Verfahren von seinem gesetzlichen Richter festgestellt worden ist. Verbürgt er sich doch für eine tat- und schuldangemessene Strafe.

Das Strafrecht eignet sich gut, um die Erklärungsnot, in die der Rechtsstaat hier gerät, zu verdeutlichen: Wie ist es zu verteidigen, dass der (Normal-)Bürger wegen einer rechtswidrigen Tat anders behandelt wird als der vermeintliche Terrorist?

Verwirkt der Letztere die genannten Rechte aufgrund seiner feindlichen Gesinnung? Die extrem weite Ausdehnung der Strafbarkeit ins Vorfeld durch § 129a StGB der die Bildung von und Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen unter Strafe stellt, zeugt davon. Die im September verabschiedete Resolution 2178 des UN-Sicherheitsrates fordert eine noch weitergehende Verlagerung der Strafbarkeit ins Vorfeld. Diese Resolution soll im nächsten Jahr ins deutsche Recht umgesetzt werden. Künftig wird bereits der Versuch ins Ausland zu reisen, um sich dort zum Terroristen ausbilden zu lassen, strafbar sein.

Die Strafe ist hier eher Gefahrenabwehr als der Ausdruck eines sozialethischen Unwerturteils. Das verdeutlicht auch die Möglichkeit, einen des § 129a StGB Verdächtigen ohne weiteren Haftgrund in Untersuchungshaft zu nehmen oder eine Kontaktsperre zwischen ihm und seinem Verteidiger zu errichten.

129a StGB liefert viele weitere Anknüpfungspunkte in der Strafprozessordnung. Da könnte man beinahe auf die Idee kommen, der Straftatbestand ziele vor allem darauf ab, den Ermittlungsbehörden strafprozessuale Hürden aus dem Weg zu räumen. Ebenso muss man sich angesichts der verdächtigen Beliebtheit von Kriegsvokabular im Bereich der Strafgesetze die Frage stellen, ob es da wirklich noch um Strafen oder doch vielmehr um „Krieg“ (gegen den Terror) und (Terrorismus-) “Bekämpfung“ geht; Strafgesetze als Mittel im „Krieg“ und im „Kampf“ gegen den Feind in den eigenen Reihen?

Günther Jakobs spricht seit 30 Jahren von einer „Verschmutzung des Strafrechts“ und fordert eine klare Differenzierung zwischen „Bürgerstrafrecht“ und „Feindstrafrecht“. Schon der Begriff macht schaudern. Jakobs’ erstes Ziel scheint mir aber nicht die Etablierung eines solchen „Feindstrafrechts“ zu sein, sondern vielmehr zu zeigen, wie weit eben ein solches de lege lata schon existiert. Seine Behauptungen provozieren und fordern Wissenschaft und Politik heraus, sich die Frage zu stellen, inwieweit das Strafrecht für präventive Zwecke in Anspruch genommen werden darf.

Intuitiv will man auf diese Frage antworten: „Ja, soll man denn warten bis was Schlimmes passiert?“ Für den Terroristen, den „Feind“, stellen unsere klassischen Strafgesetze offensichtlich keine verbindlichen Handlungsmaximen dar. Der Staat kann den Schutz, den er der Bevölkerung schuldet, also nur im Vorfeld der voraussichtlichen Missachtung des Tötungsverbots verwirklichen.

Das klingt einleuchtend, weicht aber das Gebot, repressive Strafverfolgung und präventive Gefahrenabwehr strikt zu trennen, auf. Dieses Trennungsgebot, so sehr es nach juristisch-technischem Elfenbeinturm klingen mag, ist aus mehreren Gründen ein nicht wegzudenkender Bestandteil unseres Rechtsstaats.

Über Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung weit im Vorfeld tatsächlicher Rechtsgutsverletzungen aufzuklären, ist in Deutschland Aufgabe der Nachrichtendienste. Ihre Befugnisse beginnen weit unterhalb der Eingriffsschwellen für die Polizei, die erst dann tätig wird, wenn die Gefahr für polizeiliche Schutzgüter konkret besteht oder ein strafprozessualer Anfangsverdacht gegeben ist. Der Rechtswissenschaftler Mark Zöller fasst den Sinn der Trennung dieser Aufgabenbereiche in einer griffigen Formel zusammen: „Diejenigen, die (wie die Nachrichtendienste) mangels Bindung an feste Eingriffsschwellen viel wissen, sollen nicht alles dürfen, und diejenigen, die (wie die Polizeibehörden) vieles dürfen, also Eingriffsbefugnisse besitzen, sollen nicht alles wissen.“ (JZ 2007, S. 763-771, 767)

Wird diese Trennung aufgehoben, gibt es eine Behörde, die viel weiß und viel darf. Ein schauriges Beispiel für eine derartige Machtkonzentration ist die Geheime Staatspolizei (Gestapo), die im Dritten Reich vermeintliche und tatsächliche Gegner des Regimes verfolgte. Im Bewusstsein unserer Geschichte ist dieses Argument nicht wegzudiskutieren.

Vielleicht noch wichtiger und einleuchtender ist, dass die Trennung zwischen Präventions- und Strafmaßnahmen auf den Schuldgrundsatz, welcher Verfassungsrang hat und unser gesamtes Strafrechtssystem stützt, zurückzuführen ist. Das Grundgesetz geht in Art. 1 I GG vom Menschen als geistig-sittlichem Wesen aus, das sein Handeln selbstbestimmt an Recht oder an Unrecht orientieren kann. Mit der Strafe wird dem Täter individuelles Fehlverhalten vorgeworfen. Sie ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme auf bereits begangenes Unrecht gerichtet. Prävention als Strafgrund dagegen macht den Menschen immer ein Stück weit zum Objekt, das dem Staat zur Verhinderung weiterer Rechtsgutsverletzungen – die dem Täter eben nicht mehr persönlich vorzuwerfen sind – dient.

Hier gilt es auf dem schmalen Grat zwischen Objektivierung des Terrorverdächtigen und effektivem Rechtsgüterschutz zu balancieren und sich bei jedem vorsichtigen Schritt der Abgründe, zwischen denen man wandelt, auch tatsächlich bewusst zu sein. An genau diesem Bewusstsein scheint es dem Gesetzgeber zu mangeln, wenn er den „Feind“ vor Augen hat und sich für den „Krieg“ rüstet.

Das Beispiel des Strafrechts zeigt, wie systemfremd die genannte Freund-Feind Dichotomie ist. Der „Feind“, sofern er aus den eigenen Reihen kommt, ist – und bleibt – Staatsbürger. Ihm stehen die gleichen Rechte zu wie allen anderen.

Ein funktionierender Rechtsstaat muss in der Lage sein, seiner Schutzpflicht gerecht zu werden, ohne seine eigenen Bürger zu bekriegen.

Dieser Text ist im Rahmen des Verfassungsblog-Seminars 2014/15 entstanden.


2 Comments

  1. Pontifex Maximmus Tue 9 Dec 2014 at 09:12 - Reply

    Sie widersprechen sich selbst, wenn sie zunächst auf Art. 16 I 2 GG verweisen, anschließend aber meinen, die Staatsbürgerschaft sei keine Clubmitgliedschaft, man könne nicht rausgeworfen werden. Natürlich ist die Staasbürgerschaft keine Clubmitgliedschaft. Rausgeworfen werden kann man aber eben doch. Und zwar genau deshalb, weil das Grundgesetzt insbesondere in Art. 16 I 2 GG (aber auch etwa in Art. 87a GG) – wenn auch nicht ausdrücklich – zwischen Freund und Feind unterscheidet.

  2. Thorsten Gebers Tue 9 Dec 2014 at 16:57 - Reply

    Ich habe nie verstanden bzw. keiner konnte es mir bis jetzt erklären, warum einer eingebürgerten Person durch straftaten der verlust der Stattsbürgerschaft doht oder diskutiert wird. Aber eine Gebürtige deutsche Person das nicht befürchten muss. Entweder mann ist eingebürgert und deutsch oder nicht. Wenn man nach der Einbürgerung nicht die gleichen Rechte wie alle hat und ein rausfliegen immer drohen kann, dann ist da was faul. Natürlich muss jede Straftat geahndet werden aber bitte mit dem gleichen maß!

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