Ungarn-Slowaken: Ein Hoch auf die Brückenbauer
Slowaken, die eine andere Staatsbürgerschaft annehmen oder auch nur beantragen, verlieren automatisch ihre slowakische Staatsbürgerschaft. So ist es seit letztem Jahr Gesetz in der Slowakei, und dass das so ist, hat mit dem hier schon einige Male gestreiften Thema Ungarn zu tun.
Die magyarischen Nachbarn sind bekanntlich seit fast 100 Jahren von heftigen redemptionistischen Fieberschüben geschüttelt: 1919 im Vertrag von Trianon war Groß-Ungarn zerschlagen worden; weite Teile des Territoriums und Hunderttausende ethnische Ungarn wurden Nachbarländern zugeschlagen, darunter auch die Slovakei.
Das ist für viele Ungarn, je nationaler, desto doller, immer noch ein Riesenproblem. National ist bekanntlich auch die gegenwärtige Fidesz-Regierung, die im letzten Jahr ihrerseits das Staatsbürgerschaftsrecht reformiert hat. Seither kann jeder ethnische Auslands-Ungar die ungarische Staatsangehörigkeit erwerben. Er muss dort nicht leben, muss dort keine Steuern zahlen, muss keine Verantwortung übernehmen für das, was in Ungarn passiert. Aber das spielt im völkisch grundierten Weltbild der Fidesz keine Rolle. Geplant ist, dass die Auslands-Ungarn künftig sogar wählen können.
Verfassungsklage der “Brücke”-Partei
Dass die slowakische Regierung das nicht komisch findet, ist kein allzu fernliegender Gedanke. Die Reaktion, den Ungarn-Slowaken die Ausbürgerung anzudrohen, wenn sie einen ungarischen Pass beantragen, muss man allerdings deshalb noch lange nicht gut finden. Zumal die slowakische Verfassung in Art. 5 II ziemlich klar und einschränkungslos festlegt, dass niemandem gegen seinen Willen die slowakische Staatsbürgerschaft entzogen werden darf.
Jetzt hat die slowakische Partei Most-Híd, die sich als Vertretung der auf Aussöhnung bedachten Ungarn-Slowaken versteht, angekündigt, das Gesetz vors Verfassungsgericht zu bringen.
Most-Híd ist erst 2009 gegründet worden, als Abspaltung der bisherigen ungarn-slowakischen Partei SMK. Most heißt auf slowakisch, Híd auf ungarisch “Brücke”. Der Erfolg der jungen Partei – sie zog im Juni 2010 mit 8,12% ins Parlament ein und stellt in der Regierung zwei Minister, während die nationalistische SMK an der 5%-Hürde scheiterte – zeigt, dass die Fidesz-Rechnung nicht aufgeht: Die Ungarn-Slowaken haben überhaupt keine Lust, ihre ethnische gegen ihre politische Zugehörigkeit ausspielen zu lassen.
Das ist doch mal ein schönes Zeichen in diesen düsteren Zeiten.
Was hat der Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund einer dem (ehemaligen) Staatsangehörigen zurechenbaren Handlung mit einem Entzug derselben zu tun? In Deutschland jedenfalls lautet die Verfassungsbestimmung fast identisch, und hierzulande ist der Verlust aufgrund der Annahme einer fremden StA offenbar kein Problem.
Fast, aber nicht ganz: Art. 16 I 2 GG impliziert die Möglichkeit eines Verlustes der Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen, Art. 5 der slowakischen Verfassung nicht.
Aber ich sehe den Punkt. Ich ziehe “ziemlich klar und einschränkungslos” zurück.
Ich sehe trotzdem nicht, wo das Ganze gegen den Willen geschieht. Natürlich fände ich es auch toll, alle mir zuträglichen Staatsangehörigkeiten anzunehmen, aber es ist ja wohl ein Ausdruck von Willen und Konsequenz, wenn ich die ungarische Staatsangehörigkeit annehme, wissend dabei die slowakische zu verlieren.
“weite Teile des Territoriums und Hunderttausende ethnische Ungarn wurden Nachbarländern zugeschlagen”
Nur um faktisch zu bleiben, es waren nicht bloß Hunderttausende, sondern eine Größenordnung mehr. In der Slowakei _alleine_ sind’s um die 500.000, in Rumänien deutlich mehr als eine Million (man liest zahlen von 1.2-1.5), und das wären dann nur zwei der Nachbarn.
Freilich kann man sagen, 3 Millionen menschen sind auch “Hunderttausende” (etwa 30 Hunderttausend), aber es wäre wohl auch unangebracht zu sagen, “Dutzende” Menschen seien bei 9/11 zugrunde gegangen…