09 February 2021

Verbessern statt verlängern

Die Befristung der gesetzlichen Instrumente zur Bekämpfung der Corona-Pandemie

Die gesetzlichen Grundlagen zur Bewältigung der Corona-Pandemie fallen zum 1. April 2021 weg. Vorbei ist es dann mit der ausdrücklichen Befugnis des Bundestages, eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festzustellen, vorbei mit den weitreichenden Anordnungs- und Verordnungsbefugnissen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), vorbei mit der Legitimation für die festgelegte Impfreihenfolge – aber mit Sicherheit noch nicht vorbei mit der COVID-19-Pandemie. Will der Gesetzgeber an seiner bisherigen Strategie der Pandemiebekämpfung festhalten, muss er also tätig werden. Doch statt die bisherigen Regelungen einfach zu verlängern, sollte er die notwendige Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) nutzen, um eine verfassungskonforme Pandemie-Bewältigungsgesetzgebung zu schaffen.

Status quo: Befristung der Corona-Gesetzgebung bis zum 31. März 2021

Schon seit der ersten coronabedingten Änderung des IfSG im März 2020 ist vorgesehen, dass die auf die Covid-19-Pandemie bezogenen Änderungen des IfSG längstens bis zum 31. März 2021 gelten sollen. § 5 IfSG ist eine der Schlüsselnormen im Kampf gegen Corona. Sie enthält in ihrem Abs. 1 die Befugnis des Bundestags, eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festzustellen, wodurch die in Abs. 2 geregelten zahlreichen An- und Verordnungsbefugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) entsperrt werden. Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurde sie innerhalb eines Jahres gleich dreimal durch kurz aufeinanderfolgende Gesetze zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BevSchG) geändert: Das erste Mal zum 28. März 2020, das zweite Mal zum 23. Mai 2020 und das dritte Mal zum 19. November 2020. Eine vierte Änderung steht unmittelbar bevor; noch ist allerdings unklar, wie diese aussehen wird.

Zum 1. April sollen die meisten der besonderen Befugnisse aus § 5 IfSG und die darauf beruhenden Anordnungen und Rechtsverordnungen wegfallen. So sehen es Art. 3 Nr. 2, Art. 7 Abs. 4 des Ersten BevSchG i.V.m. Art. 2 Nr. 1, Art. 8 Abs. 3 des Dritten BevSchG vor. Verbleiben soll dann eine vollkommen „unaufgeregte“ Regelung: Ab dem 1. April 2021 soll § 5 IfSG nur noch aus den bisherigen Absätzen 6 bis 8 bestehen. § 5a IfSG, der anlässlich der Corona-Pandemie eingefügt worden ist, soll sogar ersatzlos wegfallen (Art. 3 Nr. 3, Art. 7 Abs. 4 Erstes BevSchG). Er dehnt nicht nur die sonst streng reglementierte Befugnis zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeit auf bestimmte Gesundheitsfachberufe aus, sondern ermächtigt das BMG zu einer noch weitergehenden Ausdehnung.

Als das Erste BevSchG verabschiedet wurde – und wohl auch noch zum Zeitpunkt des Erlasses des Zweiten BevSchG – waren diese Außerkrafttretensregelungen zweifelsohne nachvollziehbar. Denn im März 2020, zu Beginn der pandemischen Ausnahmesituation in der Bundesrepublik, ist man noch fest davon ausgegangen, dass Corona nach Ablauf eines Jahres Geschichte sein würde. Im Mai 2020, als das Zweite BevSchG erarbeitet und verabschiedet worden ist, hat man zumindest noch ernsthaft darauf gehofft. Doch spätestens im November des letzten Jahres, als die „zweite Welle“ und mit ihr der zweite Lockdown sowie das Dritte BevSchG kamen, war klar, dass Corona auch noch im Jahr 2021 unser Leben bestimmen wird. Deshalb war mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass der Staat auch nach dem 31. März 2021 seine weitgehenden Befugnisse zur Eindämmung der Pandemie benötigen würde – was sich nun bestätigt. Der Gesetzgeber muss also dringend tätig werden.

Post 31. März 2021 – Was wäre wenn und wie geht es weiter?

Was würde passieren, wenn der Gesetzgeber dies nicht täte? Nun, dann fiele nicht nur die ausdrückliche Regelung der Befugnis des Bundestages zur Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite aus § 5 Abs. 1 IfSG ab dem 1. April 2021 weg, sondern auch alle An- und Verordnungsbefugnisse des BMG aus § 5 Abs. 2 und § 5a Abs. 2 IfSG. Dasselbe Schicksal würde die meisten Anordnungen und Rechtsverordnungen ereilen, die sich auf diese Ermächtigungsgrundlagen stützen, und zwar entweder aufgrund der Regelung in § 5 Abs. 4 IfSG, der die meisten An- und Verordnungen des BMG, die auf der Grundlage von § 5 Abs. 2 und § 5a Abs. 2 IfSG erlassen worden sind, auf die Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, spätestens aber auf den 31. März 2021 befristet, oder aufgrund einer entsprechenden Außerkrafttretensregelung in den Rechtsverordnungen selbst. Dies würde insbesondere auch für die Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) vom 18. Dezember 2020 gelten, die nicht weniger enthält als die sogenannte Impfpriorisierung, d.h. die Festlegung der Impfreihenfolge der Bevölkerung. § 14 CoronaImpfV befristet die Verordnung ausdrücklich bis zum 31. März 2021. Ihre Unwirksamkeit durch Zeitablauf (wenn man sie denn bisher für rechtmäßig halten möchte, was stark zu bezweifeln ist) ergibt sich unabhängig davon schon aus § 5 Abs. 4 S. 1 IfSG. Angesichts der Knappheit des Impfstoffes und des holprigen Anlaufs der Impfungen steht fest, dass bis zum 31. März 2021 mitnichten die priorisierten Gruppen auch nur ansatzweise „durchgeimpft“ sein werden.

Will der Gesetzgeber an seiner bisherigen Strategie der Pandemiebekämpfung festhalten, muss er also für ein entsprechendes rechtliches Fundament sorgen. Bisher hat er dies für die Zeit ab dem 1. April nicht getan. Dass dies so bleiben wird, ist unwahrscheinlich. Eine vierte Änderung des IfSG noch vor April ist daher mehr als erwartbar. Doch dabei sollte der Gesetzgeber sich nicht damit begnügen, schlicht für einen Fortbestand der geltenden Regelungen zu sorgen, sondern die Gelegenheit nutzen, um ein zumindest verfassungskonformeres Konstrukt zu erarbeiten – Hinweise und Vorschläge aus Rechtsprechung und Literatur hat er genug. Unter anderem (es kann hier nicht auf alle Handlungsfelder eingegangen werden) betrifft das § 5 Abs. 2 IfSG mit seinen Ermächtigungstatbeständen, die in vielen Fällen zu weit gehen und damit gegen Art. 80 Abs. 1 GG verstoßen. Die am meisten kritisierte Verordnungsermächtigung aus § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 IfSG hat der Gesetzgeber im November 2020 glücklicherweise bereits gestrichen. Doch auch die weiter bestehenden Ermächtigungen legen nur unzureichend Inhalt, Zweck und Ausmaß fest. Schon rein zahlenmäßig sind viel zu viele Normen von den Abänderungs- und Einflussnahmebefugnissen des BMG erfasst. Dadurch erfolgt eine – auch angesichts der mitunter hohen Grundrechtsrelevanz – unzulässige Gewaltenverschiebung von der Legislative auf die Exekutive. Hier muss der Gesetzgeber nacharbeiten, indem er den Umfang der Verordnungsermächtigungen deutlich schärft und dadurch zeigt, dass er die Verordnungsgebung zumindest mittelbar lenkt. § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 9 IfSG enthält zwar keine An- oder Verordnungsermächtigung, sondern die Ermächtigung zur Leistung von Bundesfinanzhilfen; diese Ermächtigung verstößt jedoch gegen die Regeln der finanziellen Lastentragung (grundsätzlich gilt das Konnexitätsprinzip!) gemäß Art. 104a, 104b GG und kann deshalb ebenfalls nicht bestehen bleiben.

Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld betrifft die bislang verfassungswidrige CoronaImpfV. Sie verstößt vor allem gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz, da sie überaus grundrechtsrelevante Bereiche ohne hinreichende parlamentsgesetzliche Vorgaben und Vorprägungen durch den Verordnungsgeber regelt. Auch hier muss der Gesetzgeber Hand anlegen: Er muss die Verteilungsziele und die Verteilungskriterien parlamentsgesetzlich selbst festlegen. Die nähere Ausgestaltung und Konkretisierung der Impfstoffverteilung kann und sollte dann sinnvollerweise durch Rechtsverordnung des BMG erfolgen.

Ein verfassungskonformes Fundament

Die Impfungen gegen das Corona-Virus sind mittlerweile angelaufen, doch reibungslos läuft das alles nicht. Schon jetzt gibt es Lieferschwierigkeiten und starke zeitliche Verzögerungen. Das größte Problem: Es ist nicht genug Impfstoff da, um das ehrgeizige Impfprogramm des BMG umzusetzen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stellt sich und uns auf „harte Wochen der Knappheit“ im ersten Quartal 2021 bis in den April hinein ein. Klar ist allen (Corona-Leugner außen vor gelassen) jedenfalls zweierlei: Erstens wird uns das Sars-CoV-2-Virus noch länger begleiten als nur bis zum 31. März 2021 und zweitens werden die Impfungen innerhalb des ersten Halbjahres 2021 nicht abgeschlossen sein. Umso befremdlicher ist es dann aber, dass die gesetzlichen Regelungen zur Bewältigung dieser Lage und zur Verteilung des Impfstoffes bislang allesamt ab dem 1. April wegfallen sollen. Trotz bereits mehrfacher Änderung der Gesetze ist diese Befristung bisher unberührt geblieben.

Was wird nun passieren? Das unwahrscheinlichste Szenario ist, dass der Gesetzgeber untätig bleibt. Kaum besser wäre es, wenn er lediglich die Frist für alle Regelungen verlängern würde. Dann bliebe alles, was jetzt verfassungswidrig ist (und das ist nicht wenig), so verfassungswidrig, wie es ist. Wünschenswert und vor allem auch verfassungsrechtlich notwendig ist insbesondere eine Konkretisierung der Ermächtigungen des BMG am Maßstab des Art. 80 Abs. 1 GG und des Wesentlichkeitsgrundsatzes sowie eine parlamentsgesetzliche Regelung der Ziele und der Kriterien für die Impfstoffverteilung. Langfristig und unabhängig von der aktuellen Corona-Pandemie sollte der Gesetzgeber sich jedenfalls ganz grundsätzlich damit beschäftigen, ein (auch grund-)gesetzliches Fundament für einen bundesweiten Gesundheitsnotstand zu schaffen.


One Comment

  1. Liske Wed 10 Feb 2021 at 11:18 - Reply

    Leider ist der Autorin wohl die Formulierungshilfe des BMG nicht bekannt, die genau die Frage “Was ist nach dem 31. März 2021?” durch einen Entwurf “Epidemische Lage FortgeltungsGesetz” aufgreift: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Verordnungen/EpiLage-Fortgeltungsgesetz_FH.pdf (mittlerweile laut Presse auch nochmal in gewissen Teilen überarbeitet).

    Dort wird sowohl die Entfristung des §5 Abs. 1-5 IfSG als auch der daran anknüpfenden Verordnungen angegangen als auch die Verordnungsermächtigungsgrundlage der Impfverordnung. Beides ist dennoch zu kritisieren. Erstgenanntes wegen der genannten verfassungsrechtlich unerträglichen Achsenverschiebung zwischen den staatlichen Gewalten und Letzteres wegen sich manifestierender Unfähigkeit des BMGs eine durchsichtige genügende Rechtsgrundlage mit Impfzielen einerseits und Priorisierungskriterien anderseits zu formulieren. Schön wäre es von daher gewesen, die Autorin hätte sich mit den aktuellen Bestrebungen auseinandergesetzt und diese konkret kritisiert.

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