09 April 2021

Verfassungsrecht im Mediendiskurs

Verfassungsrechtliche Expertise ist ein relevanter Bezugspunkt für politische Entscheidungen. Politische Akteur*innen beziehen sich oft auf rechtliche Rahmenbedingungen, um ihre Argumente zu stützen. Verfassungsrechtliche Argumente und Verfassungsexpert*innen sind deshalb Teil eines öffentlich geführten und auf strategische politische Ziele ausgerichteten Diskurses. Hinzu kommt, dass Justiz und Verfassungsthemen auch über den politischen Diskurs hinaus medial präsentiert und diskutiert werden: Es wird öffentlichkeitswirksam über Verfahren berichtet, verfassungsrechtliche Entscheidungen werden in Medien kommentiert, und auch aus (fiktionalen) Unterhaltungsformaten sind Themen und Akteur*innen aus dem Bereich Justiz und Verfassungsrecht nicht mehr wegzudenken. Im Kontext der COVID-19-Pandemie spielt die Verfassung ebenfalls eine wichtige Rolle. Entscheidungen und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie werden daraufhin geprüft, ob sie verfassungskonform sind; es werden Expert*innen zu Rate gezogen, die ihre Sicht auf die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Verfassung diskutieren; Expert*innen aus unterschiedlichen Feldern – z. B. Verfassungsrecht und Virologie – werden medien- und aufmerksamkeitsgerecht gegeneinander in Stellung gebracht, und Kritiker*innen der Maßnahmen argumentieren mit Blick auf die Verfassung.

Derartige Entwicklungen werfen Fragen auf, die eine zunehmend enger werdende Verbindung von Justiz, Politik und Medien betreffen. Aus Sicht des Verfassungsrechts zum Beispiel die Frage danach, wie verfassungsrechtliche Expertise den medialen und politischen Diskurs verantwortungsvoll mitgestalten kann.

Grundsätzlich treffen hierbei unterschiedliche Systemlogiken aufeinander: Politischen Akteur*innen geht es verkürzt dargestellt vor allem um Macht, die über Wettbewerb in Form von Wahlen legitimiert wird mit dem Ziel, gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen zu generieren. Medienangebote zielen darauf ab, Aufmerksamkeit zu erzeugen, und wollen aktuelle und überraschende Informationen vermitteln. In der Justiz hingegen ist der Hauptreferenzpunkt für Entscheidungen die geltende Rechtslage. Diese wird im Hinblick auf aktuelle Problemlagen abgewogen. Aus Sicht der Justiz birgt die Nähe zu Politik und Medien Gefahren, die mit den Stichworten Politisierung bzw. Medialisierung der Justiz adressiert werden können. Wir widmen uns im Folgenden letzterem.

Zunächst skizzieren wir grundsätzliche Tendenzen medialer Logik(en), die in heutigen digitalisierten Öffentlichkeiten wirksam werden. Diese Mechanismen rahmen den öffentlichen Diskurs über Verfassungsrecht. Sie bestimmen mit, welche Expert*innen wann und zu welchen Themen angefragt werden. Justizakteur*innen sollten sich diese Mechanismen bewusst machen, wenn sie den öffentlichen Diskurs über Justizthemen aktiv mitgestalten wollen. Darauf aufbauend differenzieren wir offensive und defensive Strategien, die Verfassungsexpert*innen einsetzen können, um mit den Anforderungen medialer Öffentlichkeiten umzugehen. Schließlich thematisieren wir funktionale und dysfunktionale Medialisierungsfolgen. So nähern wir uns einer Antwort auf die Frage an, welche Verantwortung Medien- und Justizakteure bei der Kommunikation von Verfassungsexpertise tragen und welche Kriterien bei der Vermittlung von verfassungsrechtlicher Expertise eine Rolle spielen sollten.

Mechanismen medialer Diskurse

Wenn Medien über Vorgänge in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie der Politik, der Wirtschaft, der Wissenschaft, dem Sport oder der Justiz berichten, dann tun sie das anhand eigener Regeln. Sie bilden diese Vorgänge nicht 1:1 ab, sondern gehen systemspezifisch mit ihnen um und konstruieren somit eine ganz eigene mediale Realität. Diese Regeln manifestieren sich im journalistischen Arbeitsprozess mit der Recherche von Informationen, deren Selektion sowie ihrer Präsentation und Distribution in unterschiedlichen Medienformaten. Dabei wird journalistische Praxis durch zahlreiche endogene und exogene Faktoren beeinflusst. Journalistische Routinen und Angebote unterscheiden sich aufgrund der Organisationsform von Medienunternehmen, aufgrund der zur Verfügung stehenden Ressourcen, der technologischen Rahmenbedingungen, der Orientierung an unterschiedlichen Publika, und durch das Selbstverständnis bzw. den Habitus von Medienakteur*innen. Darüber hinaus verfolgen einzelne Medienangebote unterschiedlich stark zugleich kommerzielle als auch normativ-gemeinnützige Interessen.

So naheliegend der Rückschluss auf eine medienübergreifende und eindeutig identifizierbare Logik des medialen Diskurses auch sein mag, die Heterogenität gesellschaftlicher kommunikativer Ökosysteme spricht gegen eine solche Vereinfachung und auch gegen „one size fits all“-Lösungen für den bestmöglichen Umgang mit Medienakteur*innen.

Was aber auf jeden Fall gilt: Verfassungsrechtliche Fragen werden in medialen Diskursen anders aufbereitet als in politischen, juristischen oder wissenschaftlichen Diskursen. Trivial aber gleichzeitig besonders anschaulich ist hierbei der Hinweis auf Vereinfachung und Verkürzung: Ganz offensichtlich ist ein eineinhalbminütiger Radiobeitrag kürzer als ein verfassungsrechtliches Gutachten, ein wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel oder gar eine Monografie. Entsprechend müssen Medienangebote notwendigerweise Komplexität reduzieren. Erfahrungsgemäß ruft dieser Sachverhalt aber immer noch Erstaunen und Unverständnis bei politischen, wissenschaftlichen und verfassungsrechtlichen Akteur*innen hervor. Zur Notwendigkeit der Komplexitätsreduktion kommen oben beschriebene Routinen, enge Deadlines und nicht zuletzt die Notwendigkeit, Aufmerksamkeit, Reichweite, Klicks und Reaktionen zu erzeugen. Deshalb werden Argumente in vielen Medienangeboten zugespitzt, deshalb werden Unsicherheiten oft herausgekürzt, deshalb werden mitunter Konflikte betont und steile Thesen eher zitiert als differenzierte Abwägungen.

Auswahl mediengerechter Expert*innen

Die eben beschriebenen Prinzipien journalistischer Praxis prägen nicht nur den medialen Umgang mit Themen, sondern sie erklären auch, wer in den Medien warum und wie als Expert*in zu Wort kommt. Auch der Einsatz von (Verfassungs-)Expertise erfolgt im Journalismus systemspezifisch und unterscheidet sich vom Rückgriff auf verfassungsrechtliche Expert*innen in der Politik. Expert*innen erfüllen für den Journalismus neben der Funktion, Fachwissen zu liefern, auch strategische Zwecke. Zum Beispiel kann einem Beitrag durch externe Expertise Autorität verliehen und die eigene Argumentation gestützt werden. Außerdem sollen Expert*innen Sachverhalte auch jenseits ihrer konkreten Expertise kommentieren und Ratschläge für Bevölkerung und Politik formulieren. Folglich ist fachliche Kompetenz nur eines unter vielen Auswahlkriterien. Bedeutend für Journalist*innen sind zudem auch die Verfügbarkeit von Expert*innen, ihre Bereitschaft zur Polarisierung oder ihre Fähigkeit, komplexe Sachverhalte einfach zu schildern. Zudem greift der Matthäus-Effekt: Journalist*innen tendieren dazu, auf solche Expert*innen zurückzugreifen, mit denen sie selbst schon positive Erfahrungen gemacht haben oder die bereits über Medienprominenz verfügen. Es etabliert sich so eine Klasse der „üblichen Verdächtigen“, die auch zu Themen befragt werden können, die nicht unbedingt allzu eng mit ihrem eigentlichen Fachgebiet verbunden sein müssen. Zudem zeigen verschiedene Studien – auch im Kontext der COVID-19-Berichterstattung – dass Expertentum in den Medien maskulin dominiert ist und Expertinnen deutlich unterrepräsentiert sind.

Auch wenn sich spezifische Muster beim Umgang mit Expert*innen zeigen, variiert dieser Umgang im Vergleich verschiedener Medienangebote (z. B. Print versus TV, Boulevard- versus Qualitätsangebote, „traditionelle“ versus „alternative“ Informationsangebote). Gerade im Medienvergleich zeigt sich das Potenzial, Expertise zu instrumentalisieren und zu politisieren. Expert*innen dienen eben nicht allein dazu, Spezialwissen beizusteuern, sondern werden in der Regel bewusst ausgewählt, um spezifische Argumente in einem spezifischen Kontext zu präsentieren.

Offensive und defensive Medialisierungsstrategien

Es bestehen also Diskrepanzen zwischen einerseits der Erwartung, dass über den eigenen fachlichen Gegenstand möglichst angemessen berichtet wird, und andererseits den mitunter ernüchternden Erfahrungen damit, dass Journalismus schichtweg keine wissenschaftlichen, sondern journalistische Inhalte produziert. Dies führt auch dazu, dass die Kompetenz von Journalist*innen oder gleich die Leistungsfähigkeit unseres Mediensystems angezweifelt wird. Zu Unrecht, wie wir finden. Umgekehrt veranschaulichen diese Diskrepanzen nämlich auch, dass das Mediensystem unabhängig von Außeneinflüssen anhand von eigenen Entscheidungskriterien operiert, was eine Grundvoraussetzung für seine Leistungsfähigkeit in demokratischen Gegenwartsgesellschaften darstellt. Konstruktiver ist es, die spezifischen Anforderungen von journalistischen und inzwischen auch nicht-journalistischen Medien der öffentlichen Kommunikation zu reflektieren und diesen Anforderungen gegebenenfalls etwas entgegenzukommen. So versuchen Akteur*innen aus den unterschiedlichsten sozialen Bereichen, ein Stück weit Kontrolle über den medialen Diskurs (zurück) zu erlangen, auch was die Auswahl von Expertise betrifft: Verbände und Organisationen entwickeln hierzu beispielsweise Expert*innen-Broker, um den aus ihrer Sicht richtigen Expert*innen Zugang zum medialen Diskurs zu ermöglichen. Auch die wachsende Bedeutung und Anerkennung von Wissenschaftskommunikation soll Dysfunktionalitäten ausgleichen, die sich im Schnittfeld zwischen (Rechts-)Wissenschaft, Politik und Medien abzeichnen.

In der Kommunikationswissenschaft werden aktive Anpassungen an mediale Logiken unter dem Stichwort „Medialisierung“ bzw. „mediatization“ diskutiert. Gemeint ist, dass Individuen und Organisationen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen die oben angesprochenen medialen Logiken antizipieren, sich entsprechend verhalten und Strukturen entwickeln, um den eigenen Zugriff auf mediale Öffentlichkeit möglichst produktiv zu gestalten. Wir gehen hierbei davon aus, dass solche Anpassungen offensiv und defensiv ausgerichtet sein können. Offensive Medialisierungsstrategien zielen darauf ab, Aufmerksamkeit und damit den eigenen Zugriff auf mediale Öffentlichkeit zu erhöhen. Defensive Medialisierungsstrategien dienen dazu, Aufmerksamkeit zu minimieren oder zu kontrollieren. Im empirischen Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zeichnen sich individuelle wie auch kollektive Akteur*innen aus der Justiz traditionell durch die Implementierung eines eher defensiven Strategienmix aus. Ein zentrales Motiv für die Medialisierung der deutschen Justiz besteht darin, die eigene Unabhängigkeit von medialen Anforderungen sicherzustellen. So wird die Medienarbeit in der Justiz beispielsweise durch Kolleg*innen aus dem eigenen System geleistet, nicht wie in anderen Bereichen durch Expert*innen aus dem Praxisfeld „Medien“. Weitere Maßnahmen betreffen die Stärkung der eigenen Unabhängigkeit. Dies geschieht vor allem durch die Erweiterung von Medienrichtlinien. Konkret zum Beispiel durch die Einführung von Genehmigungspflichten für Interviews, die Definition von Grenzen der Informationspflicht oder auch durch offizielle Empfehlungen zur Zurückhaltung im Umgang mit Medien.

Derartige Anpassungen generalisieren „die Medien“ aber vorwiegend auf relativ undifferenzierte und simple Weise, ohne die oben angedeuteten Unterschiede zwischen Medienangeboten, technischen Kanälen, spezifischen Zielgruppen etc. in den Blick zu nehmen. Grundlegend für diese wahrgenommene Medienlogik ist, dass auch Befragte aus dem Bereich Justiz einen gesteigerten Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit erkennen. Gleichzeitig bemerken sie, dass sich die relevanten Mechanismen der Aufmerksamkeitserzeugung verändern. Insbesondere wird dabei ein Zusammenhang hergestellt zwischen Digitalisierungstrends und der Zuspitzung sogenannter Nachrichtenwerte. Verkürzt zusammengefasst zeigen Befragungen, dass Justizakteur*innen eine Entwicklung feststellen, die auch traditionelle journalistische Medienangebote dazu treibt, zunehmend auf die Logik sozialer Netzwerke und Microblogging-Dienste abzuzielen: Im maximierten Wettbewerb um Aufmerksamkeit scheint jedes Mittel recht, das Reichweite, Klicks, Likes und Shares generiert. Am besten scheint das zu funktionieren, indem Sachverhalte vereinfacht und Konflikte und Skandale in den Vordergrund gerückt werden. Am Ende, so die Ergebnisse einer qualitativen Befragung, sei nicht unbedingt der Informationsgehalt, sondern das narrative Potenzial einer Nachricht ausschlaggebend für ihre mediale Verbreitung.

Funktionale und dysfunktionale Medialisierungsfolgen

Auffällig ist, dass die Ausrichtung an einer solcherart vereinfachten wahrgenommenen Medienlogik vor allem problematische Aspekte öffentlicher Kommunikation in den Vordergrund rückt. Es erscheint fraglich, ob die Ausrichtungen an solchen generalisierenden Wahrnehmungen den eigentlichen Zweck erfüllen kann, nämlich den eigenen Zugriff auf medienvermittelte Aufmerksamkeit für Akteur*innen und Themen zu optimieren und die daran geknüpften Erwartungen zu realisieren. Stattdessen besteht die Gefahr, anstatt Vertrauen in und Verständnis für die eigene Arbeit, Legitimität, Reputation, und Einfluss in gesellschaftlichen Debatten zu fördern, dysfunktionale Folgen zu erzielen. Expert*innen, die sich zu weit aus ihrem eigenen Fachgebiet entfernen, die ihre Botschaften zu sehr zuspitzen, vereinfachen und pointieren, verspielen Glaubwürdigkeit und Vertrauen und können den Ruf und die Legitimität einer ganzen Disziplin beschädigen. Im Umgang mit medialer Öffentlichkeit bedarf es also der reflektierten und informierten Abwägung.

Fazit & Empfehlungen

Wir wurden angefragt, für den Verfassungsblog mit unserer kommunikationswissenschaftlichen Brille die Frage zu diskutieren, welche Verantwortung Medien bei der Kommunikation von Verfassungsexpertise tragen und welche Kriterien bei der Akquise von verfassungsrechtlicher Expertise eine Rolle spielen bzw. spielen sollten. Geliefert haben wir einen Text, der erstens für das Format Blog viel zu lang ist. Wir erfüllen hier also bereits ein zentrales Kriterium der Aufmerksamkeitserzeugung nicht, das wir oben selbst ansprechen. Zweitens liefern wir keine einfache und klare Antwort auf die uns gestellten Fragen. Und drittens fallen unsere Empfehlungen wahrscheinlich weit weniger pointiert aus, als es die Leser*innen dieses Beitrags erhoffen. Expert*innen dürfen und sollten mit solchen Erwartungen aber auch brechen. Aus unserer Sicht kann man „den Medien“ nämlich keine gesellschaftliche Verantwortung zuschreiben, die über ihre Funktion hinausgeht, Informationen zu vermitteln und Akteur*innen und Themen mit Aufmerksamkeit zu versorgen – obwohl bestimmte Medienangebote und bestimmte Medienschaffende natürlich sehr wohl eine solche gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen mögen.

Konkret und bezogen auf verfassungsrechtliche Berichterstattung bedeutet das, dass Medienschaffende nicht dazu verpflichtet sind – und unserer Ansicht nach auch nicht dazu verpflichtet sein sollten – dem Anspruch komplexer rechtswissenschaftlicher Debatten zu genügen. Für Akteur*innen aus dem Bereich Verfassungsrecht birgt dies allerdings paradoxe Konsequenzen. Einerseits erscheint eine Anpassung an mediale Mechanismen der Aufmerksamkeitserzeugung als einzige Möglichkeit, den medialen Diskurs selbst zu beeinflussen. Andererseits besteht die Befürchtung, den eigenen Ruf und die eigene Glaubwürdigkeit durch Vereinfachung, Zuspitzung und Polemisierung zu verspielen. Dieser Paradoxie setzen wir zwei Argumente entgegen: Erstens sind die kommunikativen Ökosysteme moderner Gesellschaften viel komplexer als die individuellen Wahrnehmungen davon, wie mediale Öffentlichkeit funktioniert. Und zweitens verläuft der Rückgriff journalistischer Akteur*innen auf Expertise – auch aus dem Bereich Verfassungsrecht – nach systeminternen Kriterien. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Journalist*innen in der Regel überhaupt nicht erwarten, dass verfassungsrechtliche Argumente einfach sind. Im Gegenteil, externe Expertise wird mitunter auch deshalb miteinbezogen, weil sie sich gegen Simplifizierung sperrt, eine neue Perspektive oder Widerspruch liefert. Als Expert*in sollte man sich aber dessen bewusst sein, dass Medienschaffende Geschichten erzählen und dass Expertisen innerhalb dieser Geschichten bestimmte Funktionen erfüllen.

Aus unserer Sicht darf das Ziel von Verfassungsrecht und Justiz nicht darin bestehen, Aufmerksamkeit um jeden Preis zu erzielen, um die öffentliche Debatte zu prägen. Viel entscheidender erscheint uns die Frage danach, auf welche Weise verfassungsrechtliche Expertise Einfluss auf den öffentlichen Diskurs nehmen kann und welche Aufgaben den Expert*innen hierbei zukommen. Gerade unter dem Eindruck laufender Debatten rund um die Maßnahmen zur Eindämmung einer weltweiten Pandemie lässt sich dieser Punkt veranschaulichen: Wir beobachten derzeit eine Annäherung von Verfassungsrecht und medialer Öffentlichkeit. Es herrschen große Unsicherheiten und Ängste, die verstärkt auch in Richtung Verfassungsrecht adressiert werden. Gleichzeitig werden rechtliche Debatten medial zugespitzt, polarisiert und politisiert. Debatten, Auslegungen und für rechtliche Entscheidungsprozesse typische Abwägung werden medial als Widersprüche inszeniert. Unterschiedliche Rechtsexpert*innen werden in einem Quasi-Konflikt einander gegenübergestellt, mitunter wird sogar Verfassungsrecht gegen Virologie in Szene gesetzt.

In einer solchen Situation besteht die Aufgabe verfassungsrechtlicher Expertise aus unserer Sicht vor allem darin, dieser Art der Narration entgegenzuwirken und Komplexität und Differenzierung in die mediale Debatte einzuspeisen. Vor dem Hintergrund des medialen Wandels und damit verbunden einem verschärften Wettbewerb um Aufmerksamkeit erscheint uns diese Aufgabe von Expertentum von besonderer Bedeutung für den gesellschaftlichen Diskurs. Das geht in Kooperation mit bestimmen Partner*innen aus dem Mediensystem einfacher als mit anderen. Eine wirksame Strategie aus der Praxis besteht beispielsweise darin, Hintergrundgespräche anzubieten – also Expertise anzubieten, ohne dabei notwendigerweise medial sichtbar zu werden. Vorteilhaft ist es auch, regelmäßige Kontakte zu einschlägigen Medienschaffenden zu pflegen, um wechselseitiges Vertrauen aufzubauen. In jedem Fall aber sollten Annäherungen an eine vermeintliche journalistische oder mediale Logik empirisch informiert und bewusst vollzogen werden. Dabei sollte ein angemessener Mix aus offensiven und defensiven Medialisierungsstrategien eingesetzt werden, um funktionale Ziele zu erreichen und dysfunktionale Folgen zu vermeiden.


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