09 July 2021

Verfassungswidrige Staatsnähe

Zur Wahl des Direktors der saarländischen Landesmedienanstalt durch den Landtag

Am 22.06.2021 haben die Bundestagsabgeordneten der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, der FDP und der Linken beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle im Hinblick auf eine Regelung des saarländischen Mediengesetzes (SaarlMedienG) eingereicht. Diese sieht die Wahl und die vorzeitige Abberufung des Direktors der Saarländischen Medienanstalt (LMS) durch den Landtag vor (§ 58 Abs. 1, 4). Das ist mit dem Grundsatz der Staatsferne der Medien nicht vereinbar.

Die Vorgeschichte

Der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts war ein Verfahren zur Wahl der (vormaligen) Landtagsabgeordneten Ruth Meyer zur Direktorin der LMS vorausgegangen, das in mancherlei Hinsicht Fragen aufwarf. Es führte auch zum Ersuchen des unterlegenen Mitbewerbers um Konkurrentenrechtsschutz wegen eines Verstoßes gegen das Leistungsprinzip gemäß Art. 33 Abs. 2 GG. Die Bewerberin von der CDU-Fraktion war schon vor der Ausschreibung der Stelle mit dem Placet des Ministerpräsidenten und des Vorsitzenden der SPD-Fraktion nominiert worden. Die Ausschreibung selbst blieb im Hinblick auf die Anforderungen an den Stelleninhaber bemerkenswert wolkig (näher zu den Vorgängen Hain, Medienkorrespondenz 08/2020, S. 16 [16 f]). Das saarländische Verwaltungsgericht gewährte dennoch keinen Eilrechtsschutz. Und im Hinblick auf die Frage, ob unter dem Gesichtspunkt der Staatsferne der Direktor der LMS überhaupt vom Landtag gewählt werden darf, drängte sich dem Gericht, obwohl gewichtige rechtliche Bedenken geltend gemacht worden seien, „mit Blick auf die zwischen den Beteiligten zu dieser Problematik im vorliegenden Verfahren ausgetauschten Argumente eine Verfassungswidrigkeit […] nicht auf“ (VG des Saarlands, Beschl. vom 02.04.2020 – 2 L 115/20, Urteilsumdruck, S. 11). So einfach, wie es sich das VG des Saarlands gemacht hat, ist es allerdings nicht.

Die zentrale Bedeutung der Staatsferne

Die beherrschende verfassungsrechtliche Maxime des deutschen Medienrechts ist diejenige der inhaltlichen Vielfalt. Erst die Erfüllung der Vorgabe, „dass das Gesamtangebot der inländischen Programme der bestehenden Meinungsvielfalt im wesentlichen entspricht“ (BVerfGE 73, 118 [153]), ermöglicht die für die freiheitliche Demokratie essentielle freie Meinungsbildung. Eine zentrale ermöglichende Bedingung (Hain, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., 2019, Allgemeines, C., Rdnr. 65) der Repräsentation inhaltlicher Vielfalt bildet wiederum die Staats- und die Gruppenferne des Rundfunks (vgl. nur BVerfGE 90, 60 [87 f]). Das Bundesverfassungsgericht (E 136, 9 [28, Rdnr. 33]) bezeichnet die Wahrung einer hinreichenden Staatsferne als Ausfluss des Gebots der Vielfaltssicherung. Das Gebot der Staatsferne bezweckt die Verhinderung einer politischen Instrumentalisierung des öffentlich-rechtlichen (BVerfGE 136, 9 [36, Rdnr. 47) wie auch des privaten Rundfunks (BVerfGE 121, 30 [53]) und – so wird man hinzufügen müssen – weiterer meinungsrelevanter neuer Dienste im Mediensektor.

Programm-/Angebotsrelevanz der Aufgaben der LMS und ihres Direktors

Eine politische Instrumentalisierung kann nicht nur erfolgen, wenn der Staat selbst als Rundfunkbetreiber auftritt. Sie wird auch ermöglicht, wenn der Staat nicht unerheblichen Einfluss in den Aufsichtsgremien von Veranstaltern und/oder auf die Besetzung von (Leitungs)-Positionen ausübt. Nun sind die Landesmedienanstalten als Aufsichtsbehörden – bis auf die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) wegen Art. 111a Abs. 2 Satz 1 BayVerf – nicht selbst Veranstalter von Rundfunk oder anderen Diensten. Haben sie und ihre Vertreter jedoch programm-/angebotsrelevante Aufgaben und Befugnisse, ist es nicht ausgeschlossen, dass politische Einflussnahme auf diese Anstalten und die Auswahl ihrer Vertreter zu einer politischen Instrumentalisierung von Rundfunk und anderen zu beaufsichtigenden Diensten genutzt wird.

Dabei existieren zahlreiche hochgradig programm-/angebotsrelevante Aufgaben und Befugnisse der Landesmedienanstalten. Das gilt auch im Hinblick auf die LMS. So weist § 55 Abs. 1 SaarlMedienG der LMS die Aufgaben nach diesem Gesetz, dem Rundfunkstaatsvertrag (mittlerweile: MedienStV), dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und dem Glücksspielstaatsvertrag zu, welche die Zulassung und Aufsicht über private Rundfunkveranstalterinnen oder Rundfunkveranstalter, die Aufsicht über private Anbieterinnen oder Anbieter von Telemedien oder Plattformen, den Schutz der Menschenwürde, den Jugendschutz und den Verbraucherschutz in privaten audiovisuellen Medien etc. betreffen.

Der Direktor der LMS hat seinerseits programm-/angebotsrelevante Funktionen. Zwar weist § 57 SaarlMedienG wesentliche Aufgaben dem Medienrat zu. Allerdings bereitet der Direktor die Entscheidungen des Medienrats vor und nimmt an dessen Sitzungen mit beratender Stimme teil. Dies gibt ihm einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen des Medienrats. Weiterhin sind alle Aufgaben, die nicht dem Medienrat zugewiesen sind, solche des Direktors. Nach außen vertritt er die LMS gerichtlich und außergerichtlich. Innerhalb des Hauses verfügt er über Personal- und Organisationshoheit (zum Vorstehenden § 58 Abs. 6, 7 SaarlMedienG). Von großer Bedeutung ist auch die Tätigkeit des Direktors in den interföderalen Kommissionen für bundesweite Angebote, die als Organe der jeweils örtlich zuständigen Landesmedienanstalt fungieren (§ 104 Abs. 2 Satz 2 MedienStV) und deren Entscheidungen für die übrigen Organe der Landesmedienanstalten bindend sind (§ 104 Abs. 9 Satz 5 MedienStV). Die gesetzlichen Vertreter der Landesmedienanstalten sind gemäß § 104 Abs. 3 MedienStV Mitglieder der Kommission für Zulassung und Aufsicht, zudem sind sie Mitglieder entweder in der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich oder der Kommission für Jugendmedienschutz (§§ 104 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2, Abs. 6 MedienStV; 14 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JMStV). Viele Aufgaben dieser Kommissionen sind in hohem Maße programm-/angebotsrelevant. Insgesamt betrachtet verfügt der Direktor der LMS damit über ein erhebliches direktes wie indirektes Einflusspotential im Hinblick auf programm-/angebotsrelevante Entscheidungen. Umso wichtiger ist es, dass die Auswahlentscheidung hinsichtlich der Position des Direktors unter Beachtung der Staatsferne und damit unter Vermeidung dysfunktionalen Staatseinflusses getroffen wird.

Verfassungswidrigkeit der saarländischen Regelung

Zur Frage, ob und ggf. unter welchen flankierenden Voraussetzungen Mitglieder der Organe einer Landesmedienanstalt, die programm-/angebotsrelevante Aufgaben wahrnehmen, von einem Landtag gewählt werden dürfen, haben bislang der Sächsische Verfassungsgerichtshof (SächsVerfGH, NVwZ-RR 1998, 345 ff) sowie der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg (StGH BW, Urt. vom 24.01.2005 – GR 2/04 –; zit. nach www.juris.de) Stellung genommen. Die beiden Gerichte sind nicht der Ansicht, dass das Gebot der Staatsferne eine solche Wahl durch den Landtag, die im Übrigen den gewählten Amtsträgern demokratische Legitimation vermittle, kategorisch ausschließt. Sie gehen vielmehr davon aus, dass es – neben weiteren flankierenden Voraussetzungen – unter dem Gesichtspunkt der Staatsferne wesentlich nur darauf ankommt, die einseitige Durchsetzung des Willens der die Regierung tragenden Landtagsmehrheit zu verhindern (SächsVerfGH, NVwZ-RR 1998, 345 [346]); StGH BW, Urt. vom 24.01.2005, Rdnr. 35 ff).

Das ist allerdings verfassungsrechtlich nicht ausreichend. Zunächst einmal kann das Argument der personellen demokratischen Legitimation nicht herangezogen werden, um einen staatlichen Einfluss zu rechtfertigen, der die Möglichkeit der vom Grundsatz der Staatsferne verbotenen politischen Instrumentalisierung des Rundfunks und anderer meinungsrelevanter Dienste eröffnet. Außerdem vermag auch eine Kombination aus institutioneller und sachlicher Legitimation ein hinreichendes Maß an demokratischer Legitimation zu erreichen. Soweit es den Gerichten weiterhin wesentlich lediglich um die Verhinderung einseitigen politischen Einflusses der Regierungsmehrheit geht, gehen sie davon aus, dass eine Brechung dieses einseitigen Einflusses durch die Notwendigkeit des Kompromisses mit der Opposition etwa wegen der Notwendigkeit einer 2/3-Mehrheit für die Wahl (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 SaarlMedienG) – in Verbindung mit weiteren flankierenden Maßnahmen – den Staatseinfluss auf ein hinzunehmendes Maß reduziere. Das ist jedoch nicht zutreffend. An sich mögliche Brechungen können durch die Bildung mehrheitsfähiger oder sperrminoritätsfähiger parteipolitischer Lager überspielt werden. Sofern dazu Kompromisse zu schließen sind, können diese zwar einseitige Dominanz verhindern, aber auch mehrseitig konsentierte Lösungen von Staatsvertretern, die die Abgeordneten der Landtage nun einmal sind, sind staatsdominiert und keineswegs staatsfern (Hain, in: von Coelln/ders. [Hrsg.], Der ZDF-Staatsvertrag vor dem Bundesverfassungsgericht, 2015, S. 15 [46]). Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht (E 136, 9 [38]) entschieden:

„Mit dem Gebot der Staatsferne nicht vereinbar sind […] Regelungen, die die staatlichen und staatsnahen Mitglieder in die Lage versetzen, als Gesamtheit Entscheidungen allein durchzusetzen oder zu blockieren. Ungeachtet aller Brechungen der verschiedenen Interessen muss insoweit schon die Möglichkeit eines solchen Zusammenwirkens ausgeschlossen werden.“

In Baden-Württemberg, wo bislang die Mitglieder des Vorstands der Landesmedienanstalt vom Landtag gewählt werden, soll diese Rechtslage mit Rücksicht auf die geforderte Staatsferne der Wahlentscheidung nun durch den Landtag selbst korrigiert werden (vgl. Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2021 – 2026, S. 56). Für das Saarland wird es wohl das Bundesverfassungsgericht tun müssen.


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