20 August 2010

Verfassungswidriges Verfassungsrecht in den USA?

Die Diskussion um illegale Einwanderer in den USA und die bizarren Gesetze des Staates Arizona dagegen dreht sich um die US-Verfassung, genauer um das 14. Amendment. Dessen erster Satz besagt:

All persons born or naturalized in the United States, and subject to the jurisdiction thereof, are citizens of the United States and of the State wherein they reside.

Das heißt, jedes Baby, das auf US-Territorium auf die Welt kommt, ist automatisch US-Staatsbürger. Und seine Eltern sind dann Eltern eines US-Staatsbürgers. Die Rechten in den USA finden, das geht nicht, weil das zu viel illegale Einwanderer anlockt. Deshalb wird diskutiert, das 14. Amendment zu ändern und die Kinder von illegalen Einwanderern von diesem Recht auszunehmen.

Mark Kende hat jetzt auf dem Comparative Constitutions Blog ein bemerkenswertes Argument gegen dieses Vorhaben vorgebracht: Was, wenn diese Verfassungsänderung verfassungswidrig wäre?

In Ewigkeit, amen

In Deutschland verdanken wir die Figur des verfassungswidrigen Verfassungsrechts dem Artikel 79 III GG, der so genannten Ewigkeitsklausel:

Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Das heißt, dass das Bundesverfassungsgericht in extremen Fällen sogar den verfassungsändernden Gesetzgeber zurückpfeifen darf – keine kleine Sache in einer Demokratie. Gebrauch gemacht hat das BVerfG meines Wissens davon noch nie – sehr wohl aber damit gedroht, etwa jüngst im Lissabon-Urteil.

Wie überzeugend Kendes Versuch ist, das 14.-Amendment-Amendment als verfassungswidriges Verfassungsrecht zu brandmarken, will ich hier gar nicht diskutieren. Spannend finde ich, dass überhaupt diese doch ziemlich abgefahrene Rechtsfigur Eingang in die amerikanische Diskussion findet (wenngleich erst mal nur bei Verfassungsvergleichern, da liegt das schon näher, zugegeben). Außerdem finde ich spannend, dass Kende justament auf die Menschenwürde rekurriert.

Kendes Artikel zufolge kennt auch das indische und das südafrikanische Verfassungsrecht die Möglichkeit, dass das Verfassungsgericht selbst Verfassungsänderungen stoppen kann. Beide haben sehr starke Verfassungsgerichte.

Die Ewigkeitsklausel gilt bei uns als Paradebeispiel für die Prägung des Grundgesetzes durch die Erfahrung der NS-Diktatur und des Scheiterns der Weimarer Demokratie. Und als Beispiel, wie sehr die Verfassungsgründer der Ansicht waren, dass dem Volk und seinen Vertretern misstraut.

Das kann man nun von den USA und seiner Verfassung nicht behaupten.


One Comment

  1. Jens Fri 20 Aug 2010 at 17:48 - Reply

    Bei dem Homoehe-Fall in Kalifornien (vor der Staatsgerichtsbarkeit, nicht das Verfahren jetzt vor dem Bundesgericht) ging es ja darum, ob die vom kalifornischen Volk angenommene Verfassungsänderung nicht ein constitutional amendment, sondern eine constitutional revision sei. Evtl. ist das hier etwas Ähnliches?

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