Versammeln unter Aufsicht
Zum Entwurf eines Versammlungsgesetzes für NRW
Anfang 2021 hat die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen den Entwurf für ein eigenes Versammlungsgesetz vorgelegt. Der Entwurf war am 6. Mai 2021 neben einem Entwurf der SPD-Fraktion Gegenstand einer Anhörung in den Ausschüssen für Inneres und Recht mit vielen Stellungnahmen im Landtag NRW. Ziel eines Versammlungsgesetzes unter Beteiligung einer sich selbst als liberal einordnenden Partei könnte eine Abkehr von der gefahrenabwehrrechtlichen Ausrichtung des Versammlungsgesetzes (VersG) von 1953 hin zu einem freiheitsgewährleistenden Gesetz sein. Diesem Anspruch wird der Gesetzentwurf allenfalls in Teilen gerecht. Vielmehr wird die Neuregelung nicht in einen Freiheits- oder Grundrechtsdiskurs gestellt, sondern als Fortentwicklung des „Eingriffs- und Sicherheitsrechts“ verstanden.((LT-Drs 17/12423, S. 43.)) Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich dabei auf Versammlungen unter freiem Himmel, als Hauptanwendungsfall des Versammlungsrechts.
Diese staatsorientierte Grundausrichtung des Gesetzentwurfs findet sich bereits in der Begründung zu § 1, wenn es dort heißt, die „Durchsetzung des Friedlichkeitsgebotes ist vornehmste Aufgabe der Versammlungsbehörde und der Polizei“. Vertieft wird dieser Argumentationsstrang, wenn weiter ausgeführt wird, es sei „zentrale Aufgabe der Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit, darauf zu achten, dass die entschlossene Bekämpfung nicht friedlicher Versammlungen ein gesamtgesellschaftliches Anliegen“ sei ohne dass auch nur im Ansatz belegt würde, dass dies ein ernsthaftes Problem im Versammlungsgeschehen in NRW ist. Erschreckend ist aber vor allem die „Übergriffigkeit“ mit Blick auf Richtungsvorgaben an die Judikative.
Bereits zuvor hat sich Innenminister Reul – später als „nicht so gemeint“ relativiert – in einer schriftlichen Stellungnahme zum Freiheitsrecht aus Art. 8 GG nicht nur in Zeiten von Corona positioniert:
„(…) Es gibt auch keinen Grund zu einer entsprechenden verfassungsrechtlichen oder rechtspolitischen Privilegierung der Grundrechtsausübung nach Artikel 8 des Grundgesetzes, zumal ich mich mit vielen anderen in der Meinung einig weiß, dass deren teils doch recht einseitig anmutende staatspraktische Bevorzugung in der Folge des sog. Brokdorf-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vielleicht auch in anderen Zusammenhängen einmal auf den Prüfstand gestellt werden sollte.“
Dieser Ansatz wird im Gesetzentwurf in vielen Bereichen konsequent umgesetzt, wohingegen andere Regelungen durchaus Defizite des bisherigen Recht aufgreifen und das Versammlungsrecht modernisieren. Auf die besonders problematischen Neuregelungen soll nachfolgend ein Schlaglicht geworfen werden.
Zusammenarbeit von Veranstalter*innen und Polizei
§ 3 greift den Gedanken einer Kooperation von Veranstalter*innen und Behörden auf, gleitet aber sogleich in Absatz 3 in eine Schräglage zu Lasten der Anmelder*innen und Organisator*innen ab, anstatt die Versammlungsbehörden und Polizei zu verpflichten. Danach sind Veranstalter*innen „aufgerufen“ mit den zuständigen Behörden zu kooperieren, hierzu jedoch rechtlich nicht verpflichtet. Die zuständige Behörde „soll“ jedoch die „Mitwirkung“ der Veranstalter*innen oder der Versammlungsleitung bei Maßnahmen gegen die Versammlung nach § 13 „berücksichtigen“.
Entgegen der Gesetzesbegründung (S. 50 unten: „Veranstalter die Pflicht trifft, mit den Versammlungsbehörden zusammenzuarbeiten“) kann aus Art. 8 GG im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG((Vgl. nur BVerfG NVwZ 2007, 574/575: „Der Grundsatz vertrauensvoller Kooperation ist nicht als Rechtspflicht zur Kooperation ausgestaltet (vgl. BVerfGE 69, 315 <354 ff.>).“)) eine Kooperationspflicht des Veranstalters einer Versammlung zur Zusammenarbeit mit der Versammlungsbehörde indes nicht begründet werden. Allenfalls muss dieser im Weigerungsfalle im Einzelfall eine „Verschiebung“ der Eingriffsschwelle für versammlungsbehördliche oder polizeiliche Maßnahmen und ggf. des Prozessrisikos hinnehmen. Beschränkende Maßnahmen allein aus dem Mangel an Kooperation abzuleiten, wie hier, wird hingegen auch in der Literatur unter Hinweis auf die „Staatsfreiheit“ der Versammlung abgelehnt.((So pointiert Koll, Liberales Versammlungsrecht, 2015, 309.))
Die vermeintliche Kooperationspflicht wird unter anderem damit begründet, dass diese notwendig sei, „auch mit Blick auf die Akzeptanz von Versammlungen bei denjenigen Bürgern und Einwohnern, die Versammlungen generell oder solchen mit bestimmten Aussagen oder Forderungen bzw. der Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit Dritter eher kritisch oder ablehnend gegenüberstehen“. Reicht also Unmut Dritter aus, um Versammlungen zu beschränken? Damit wird argumentativ die oben skizzierte Reul’sche Position aufgegriffen und das durch Art. 8 GG geschützte Grundrecht auf Staatsfreiheit, Dissens und abweichende Meinung und die mit Versammlungen zwangsläufig einhergehenden Beschränkungen der Grundrechte Dritter „auf den Prüfstand gestellt“.
Veranstalterlose Versammlungen
„Ein Problem der versammlungsbehördlichen Praxis stellen die sog. veranstalterlosen Versammlungen dar (…)“, heißt es weiter in der Gesetzesbegründung (S. 52). Non-hierarchische Veranstaltungen sind aus dieser Sicht ein Rechtsproblem und ein „verwaltungspraktisch unerwünschter Ausnahmefall“ (ebd. S. 53). Auch hier wird allein gefahrenabwehrrechtlich argumentiert, obgleich Art. 8 GG und folgerichtig auch § 1 I ein Freiheitsrecht garantieren, nicht aber eine bestimmte Art von Versammlungsorganisation voraussetzen. Dennoch wird in der Gesetzesbegründung eine „Kapitulation“ vor dem „subjektiven Belieben von Demonstranten“ abgelehnt, weil an die Person des Veranstalters zahlreiche zentrale Rechtspflichten anknüpften (ebd. S. 53).
Art. 8 GG sieht eine Pflicht zur Bestimmung oder zum Vorhandensein einer Versammlungsleitung im Sinne eines hierarchischen Konzepts nicht vor,((Kniesel in: Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Aufl., Teil I Rn. 86.)) steht aber einer Sanktionierung der faktischen Versammlungsleitung (soweit tatsächlich vorhanden) nach Ansicht des BVerfG nicht entgegen.((https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2019/07/rk20190709_1bvr125719.html, [Rn. 17 f.])) Die Pflicht zur Versammlungsleitung in § 5 III impliziert, dass die Versammlungsbehörden im Ergebnis eine Person zum (faktischen) Leiter auch gegen deren/dessen Willen machen können, was für diese strafrechtliche Konsequenzen nach § 27 haben kann. Dies mündet letztendlich in einer abschreckenden Wirkung mit Blick auf Spontanversammlungen und andere nicht hierarchische Versammlungstypen.
Versammlungsleitung
Anknüpfend an die engen Vorgaben zur Versammlungsleitung werden in § 5 deren Pflichten ausgestaltet. Die Versammlungsleitung wird hier faktisch in eine Rolle als polizeiliche Verantwortliche oder gleichsam Beliehene gebracht, was das BVerfG mit Blick auf das BayVersG zu Recht beanstandete. Diese Verkehrung einer Grundrechtsposition in eine Pflichtenstellung widerspricht der Freiheitsgarantie des Art. 8 GG.
Erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet darüber hinaus, dass es den Versammlungsbehörden nun erlaubt sein soll, die Versammlungsleitung abzulehnen (§ 12 I). Die Regelung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Versammlung aus Art. 8 GG dar, das auch die Selbstbestimmung über die Leitung umfasst.
Auch die Pflicht zur namentlichen Benennung von Ordner*innen in § 12 II geht deutlich zu weit, weil dieser Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung allein an „tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine mögliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit geknüpft ist. Dies führt faktisch zum Recht der zuständigen Behörde, jederzeit eine Zuverlässigkeitskontrolle gegenüber allen Ordner*innen durchzuführen,((Kniesel in: Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Aufl, § 9 Rn. 5.)) was es erheblich erschweren kann, Order*innen zu gewinnen. Hinzu kommt, dass das Versammlungsgesetz – anders als z.B. § 30 VersFG Berlin – keinerlei Regelungen zur Datenverarbeitung enthält, obgleich die Behörden hier an mehreren Punkten zur (weiteren) Datenerhebung ermächtigt werden.
Störungsverbot
Das Verbot, Versammlungen zu stören (§ 7) geht deutlich über § 2 II VersG Bund oder § 7 VersFG SH hinaus. Nicht nur die Verhinderung einer Versammlung soll erfasst sein, sondern bereits deren „Behinderung“ im Rahmen eines kommunikativen Prozesses((Koll, Liberales Versammlungsrecht, 2015, 357.)) und gegenläufiger Proteste. Hierdurch wird auch der friedliche Gegenprotest unter das Damoklesschwert gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen und der Strafverfolgung oder Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit nach §§ 27 IV und 28 I Nr. 3 gestellt. Gerade mit Blick auf Gegendemonstrationen dürfte dabei zu beachten sein, dass das finale Ziel, andere Demonstration zu vereiteln, nicht vom Grundrecht aus Art. 8 GG gedeckt ist, wohl aber, unterschiedliche Sichtweisen in Sicht- und Hörweite zu artikulieren. Dabei stellt auch die zeitweise Blockade einen demonstrativen Akt der Meinungskundgabe dar.((Koll, Liberales Versammlungsrecht, 2015, 355 ff.; s.a. BVerfG, 07.03.2011, EuGRZ 2011, 405.)) Die Versammlungsfreiheit begründet daher die Privilegierung der störenden Wirkung von Versammlungen mit Blick auf deren kommunikativen Gehalt.
Bemerkenswert ist auch, dass entgegen der Rechtsauffassung des OVG NRW sogar „Probeblockaden“ jenseits des Versammlungsortes und zu anderer Zeit verboten werden sollen. Hier soll offenbar seitens der Legislative eine unliebsame Entscheidung der im Land zuständigen Judikative „korrigiert“ werden.
Beschränkungen, Verbot, Auflösung
Zu dem in § 13 I angelegten Verbot von Versammlungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung wird mit Blick auf Meinungsinhalte aus verfassungsrechtlichen Gründen seitens des BVerfG angemerkt:
„Der Maßstab zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen, die darauf zielen, den Inhalt von Meinungsäußerungen zu beschränken, ergibt sich aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, nicht aus dem der Versammlungsfreiheit (…). § 15 VersG ist hinsichtlich des Schutzes der öffentlichen Ordnung gegenüber kommunikativen Äußerungen insoweit einengend auszulegen, als zur Abwehr entsprechender Rechtsgüterverletzungen besondere Strafrechtsnormen geschaffen worden sind. Die darin vorgesehenen Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen sind jedenfalls im Hinblick auf seit langem bekannte Gefahrensituationen abschließend und verwehren deshalb einen Rückgriff auf die in § 15 Abs. 1 VersG enthaltene Ermächtigung zum Schutz der öffentlichen Ordnung, soweit kein Straftatbestand erfüllt ist“.
Zur Anknüpfung versammlungsrechtlicher Beschränkungen an politische Auffassungen stellte das BVerfG fest:
„Eine Anknüpfung daran, ob Versammlungen links- oder rechtsradikales Gedankengut verbreiten, ist sowohl für die Schaffung als auch für die Auslegung von die Versammlungsfreiheit einschränkenden Vorschriften verfassungsrechtlich ausgeschlossen.“
Während § 13 I „nur“ Beschränkungen im Vorfeld einer Versammlung durch Auflagen erlaubt, geht § 13 II weiter und gestattet deren Verbot im Voraus und die Auflösung. Die Gesetzesbegründung (S. 68 f.) unterstreicht, dass hier nach dem Willen der Landesregierung offenbar in Zukunft von der Rechtsprechung des BVerfG((St. Rspr. BVerfGE 69; 315/362.)) wie auch des EGMR((EGMR 29.6.2006 – Nr. 76900/01 Öllinger ./. Österreich: „(…) the unconditional prohibition of a counter-demonstration is a very far-reaching measure which would require particular justification” (Rn. 44).)) abgewichen werden soll, wonach das Verbot im Vorfeld die absolute Ausnahme darstellt. Im Bereich des Protests gegen Corona-Maßnahmen ist dies – wenn auch unter anderen faktischen und rechtlichen Rahmenbedingungen – in den letzten Wochen zum Regelfall quer durch die Republik geworden.
Gefährder*innenansprache und Auschluss von Personen
§ 14 regelt versammlungsbezogene „Standardmaßnahmen“, die bisher zumeist ohne hinreichend bestimmte und normenklare Rechtsgrundlage verfügt wurden. Insoweit ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber die hierfür geltenden Tatbestandsvoraussetzungen und auch die Rechtsfolgen abschließend regelt, soweit die Maßnahme mit Blick auf Art. 8 GG zulässig und verhältnismäßig sind.
§ 14 I setzt für die Zulässigkeit einer Gefährder*innenansprache tatbestandlich deutlich vor der konkreten Gefahr an. Es handelt sich um eine Maßnahme im Gefahrenvorfeld. Dies kann man aus Verhältnismäßigkeitsgründen als zu weitgehend ansehen, was mit Blick auf die Gewichtigkeit der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG naheliegt.
§ 14 II gestattet es, die Teilnahme oder Anwesenheit in einer Versammlung zu untersagen sowie potentiellen Teilnehmer*innen Meldeauflagen aufzuerlegen, um diese an einer Versammlungsteilnahme zu hindern. Aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten ist indes der Teilnehmerausschluss, wenn von der Person tatsächlich eine unmittelbare Gefahr im Sinne der Norm ausgeht. Enger noch § 15 III NdsVersG, der beispielsweise eine solche Maßnahme nur zulässt, wenn anders die Friedlichkeit der Versammlung nicht gewährleistet werden kann; damit ist die Tatbestandsschwelle dort im Einklang mit Art. 8 GG.
Kontrollstellen
§ 15 regelt die Einrichtung von Kontrollstellen, die bisher als Eingriff in Art. 8 GG „systemfremd“ in § 12 I Nr. 4 PolG NRW geregelt sind. Kontrollstellen haben dabei eine abschreckende Wirkung auf die Versammlungsteilnahme. An die Einrichtung solcher Kontrollstellen knüpft regelmäßig ein Maßnahmebündel an, insbesondere die Identitätsfeststellung, ein Datenabgleich und ggf. die Durchsuchung von Personen und Sachen. Dabei wird die Intensität des Grundrechtseingriffs im Gesetzentwurf offenbar verkannt, weil der Norm eine den Anforderungen an die Normenbestimmtheit entsprechende Tatbestandsschwelle fehlt. Es genügt für die Zulässigkeit, dass die Polizei Straftaten verhüten will; unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen dies zulässig sein soll, wird nicht geregelt. Dies ist, nicht zuletzt mit Blick auf die Abschreckungswirkung einer Kontrolle, mit den Anforderungen aus Art. 8 GG nicht vereinbar. Die Norm ist verfassungswidrig.
Bild- und Tonaufzeichnungen
Bild- und Tonaufzeichnungen sind dem Versammlungsrecht in §§ 12a, 19a VersG Bund seit langem bekannt und umstritten. Problematisch ist deren einschüchternde und abschreckende Wirkung und damit der erhebliche Eingriff in die innere Versammlungsfreiheit. Hinzu kommt die Frage, ob eine solche Maßnahme nicht vorrangig der Verfolgungsvorsorge((Vertiefend Arzt in: Versammlungsrecht des Bundes und der Länder, Ridder/Breitbach/Deiseroth, 2. Aufl., § 19a.)) dient.
Nicht nachvollziehbar ist zudem, wie die Videoüberwachung einer Person gemäß § 16 I tatsächlich geeignet sein könnte, eine konkrete Gefahr abzuwehren. Die Zulässigkeit von Übersichtsaufnahmen ist nach § 16 II allein an die Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung geknüpft. Dies entfaltet keine hinreichende Begrenzungsfunktion, wie die Versammlungspraxis und die Rechtsprechung nachdrücklich belegen. Mag man Aufnahmen (Datenerhebung) noch als Instrument der Einsatzlenkung ansehen, ist die fast voraussetzungslose Zulässigkeit einer Aufzeichnung (Datenspeicherung) ein erheblicher Grundrechtseingriff in Art. 8 GG qua Einschüchterung und Abschreckung „unterhalb“ der Voraussetzungen des § 15 I 1. Hinzu kommt ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
Nach § 16 III ist die Maßnahme offen durchzuführen. Dies ist mit Blick auf den Schutz aus Art. 8 GG unabdingbar, wird aber sogleich durch § 16 III 3 wieder eingeschränkt, was in anderen Landesgesetzen nicht vorgesehen ist. Jede verdeckte Datenerhebung – noch dazu im Schutzbereich des Art. 8 GG – vertieft den Grundrechtseingriff. Zudem genügt allein die Information der Versammlungsleitung über die Maßnahme nicht den Anforderungen aus Art. 8 GG, weil diese nicht Bevollmächtigte aller Teilnehmer*innen und auch nicht Transformationsriemen für die Mitteilung polizeilicher Maßnahmen gleichsam in hilfspolizeilicher Funktion ist.
Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot
Die Regelung zum Verbot von Vermummung und Schutzausrüstung in § 17 entspricht im Wesentlichen der bestehenden Rechtslage nach § 17a VersG Bund, die in der Literatur auf Kritik stößt und auf Korrekturen der polizeilichen Praxis durch die Rechtsprechung trifft.((Ausführlich Lembke in: Versammlungsrecht des Bundes und der Länder, Ridder/Breitbach/Deiseroth, 2. Aufl., § 17a Rn. 25.)) Die Gesetzesbegründung (S. 76) hebt indes zutreffend hervor, dass ein Verbot der Gesichtsbedeckung nur in beschränktem Umfange verfassungsrechtlich zulässig sein kann und es legitime Gründe gibt, das Gesicht im Kontext von Versammlungen zu vermummen. Diese Klarstellung ist – bei aller Kritik an der Maßnahme – zu begrüßen. Dennoch kann bereits das Mitführen von zur Vermummung geeigneten Gegenständen, wie etwa ein Tuch oder eine Mütze, Ordnungswidrigkeit nach § 28 I Nr. 7 darstellen, ohne dass es überhaupt zu einer Vermummung zur Verhinderung einer nach Polizeirecht oder StPO zulässigen Identitätsfeststellung gekommen ist.
§ 17 I Nr. 2 verbietet Schutzausrüstungen allerdings nur, wenn deren Verwendung den Umständen nach (subjektives Tatbestandsmerkmal) darauf gerichtet ist, rechtmäßige (!) Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers der Hoheitsgewalt abzuwehren. Eine Verwendung zum Schutz gegen Dritte ist hiervon nicht erfasst und damit zulässig.
Schluss
Frappierend am Gesetzentwurf ist in einigen Punkten weniger dessen Wortlaut und Inhalt, als die Begründung, die merkwürdige Bezüge auf politische Verhältnisse in der Weimarer Republik aufweist und– wie schon die letzte Polizeigesetznovelle – offenkundig tief von einem polizeilichen Trauma im Kontext der Proteste gegen den Braunkohleabbau und die Energiepolitik geprägt ist. Die Auswahl der zitierten Literatur ist in weiten Teilen sehr einseitig, einschlägige Gerichtsentscheidungen werden ignoriert oder ablehnend kommentiert. Der Ansatz von Innenminister Reul, die seit der Brokdorf-Entscheidung des BVerfG etablierten Grundsätze eines mit Art. 8 GG kompatiblen Versammlungsrechts „auch in anderen Zusammenhängen einmal auf den Prüfstand“ zu stellen, trug offenbar in der Regierungskoalition Früchte.
1) Die Weimar-Bezüge in der Gesetzesbegründung sind in der Tat auffällig und bedenklich. Dass etwa die Republik „auch an ihrer fehlenden Wehrhaftigkeit zugrunde gegangen“ und die Demokratie nicht „gegen die gewaltbereiten, gewalttätigen, permanent in Sälen und auf der Straße agitierenden und demonstrierenden Extremisten auf dem linken und rechten Rand des politischen Spektrums“ geschützt worden sei (S. 45 f. der Gesetzesbegründung), ist trotz des Wörtchens „auch“ eine historisch problematische Erklärung, die insbesondere die damaligen konservativen Eliten exkulpiert. Mental scheint da der Kalte Krieg noch immer nicht überwunden zu sein.
2) Das Vermummungsverbot wird laut der Begründung (S. 76) immerhin beschränkt durch die „subjektive Komponente“, wonach die Vermummung darauf gerichtet sein muss, die Identitätsfeststellung „zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten“ zu verhindern. Das berücksichtigen bislang ja leider nicht alle Staatsanwaltschaften und Strafgerichte.
Es fehlt aber jede Auseinandersetzung mit den Erfahrungen, die es seit der Pandemie gibt bezüglich vermummter Versammlungen. Wenn Demonstrierende, die durch Gesichtsmaskierung schlechter identifizierbar sind, regelmäßig Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit verursachen würden, wäre das ja inzwischen aufgefallen… Die immer schon eigenartige Annahme ist von der Realität widerlegt worden.