Vom Ehegattensplitting und der Freiheit zur 50er-Jahre-Ehe
Die Zahl derer, die von der heutigen Entscheidung des Zweite BVerfG-Senats zum Thema Ehegattensplitting und Homo-Ehe überrascht worden sind, dürfte im niedrigen einstelligen Bereich liegen. Der heutige Beschluss ist nur der letzte eines halben Dutzend von Entscheidungen, die alle auf das Gleiche hinauslaufen: Wer Homo-Ehegatten etwas vorenthalten will, was er Hetero-Ehegatten gibt, muss gute Gründe dafür haben. Und die gibt es einfach nicht – jedenfalls nicht mehr, seit die Homo-Ehe 2005 als vollgültige Lebensgemeinschaft der wechselseitigen Verantwortungsübernahme ausgestaltet wurde und damit den Grund, weshalb das Grundgesetz die Ehe unter den besonderen Schutz des Staates stellt, ebenfalls erfüllt. (Ob das auch schon für die 2001 eingeführte, weniger weitreichende Sorte Homo-Ehe galt, ist im Senat umstritten; die Mehrheit sagt ja, die Richter Landau und Kessal-Wulff sagen nein.)
Seine Brisanz bezieht die heutige Entscheidung denn auch eher aus der Tatsache, dass das Ehegattensplitting selber so umstritten ist. Alle Oppositionsparteien wollen es mehr oder weniger radikal abschaffen, und sogar in der Union gibt es Stimmen in diese Richtung.
Dem steht aber nach bisherigem Stand der Erkenntnis das Grundgesetz in eherner Unverrückbarkeit entgegen: Art. 6 I GG gebietet, ob es einem gefällt oder nicht, den besonderen Schutz der Ehe. Das impliziert, dass es dem Staat verboten ist, Eheleute zu einer bestimmten Gestaltung ihres ehelichen Zusammenlebens zu drängen. Sie sollen selbst und frei entscheiden können, wer in welchem Umfang verdient bzw. sich um Haushalt und Kinder kümmert. Auf dieser Basis hat das BVerfG in einem Beschluss aus dem Jahr 1982 entschieden, dass das Ehegattensplitting
keine beliebig veränderbare Steuer-“Vergünstigung” (ist), sondern – unbeschadet der näheren Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers – eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung.
Der heutige Beschluss lässt erst einmal mit keinem Wort irgendeine Absicht erkennen, davon abweichen zu wollen. Im Gegenteil:
Der besondere verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie erstreckt sich auf die „Alleinverdienerehe“ daher ebenso wie auf die „Doppelverdienerehe“ (…) und schließt es aus, dass Ehegatten zu einer bestimmten Gestaltung ihrer Ehe gedrängt werden.
Wer hier wovor geschützt werden soll, so scheint es, ist klar: Die 50er-Jahre-Ehe, in der die Ehefrau züchtig niedergeschlagenen Blickes ihrem heroisch karrieremachenden Ehegatten ein trauliches Heim bereitet, bedarf einer Art verfassungsrechtlichen Schutzgeheges gegen die Zumutungen gesellschaftlicher Modernisierung und Emanzipation, soweit diese sich in gesetzlicher Form niederschlagen.
Das stimmt aber historisch gar nicht. Begründet wurde diese Rechtsprechung in einer Entscheidung 1957, die genau die diametral entgegengesetzte Stoßrichtung hatte.
Das damalige Einkommensteuerrecht sah kein Ehegattensplitting vor – im Gegenteil. Wenn die Frau selbständiges Einkommen bezog, wurde das auf das Einkommen des Mannes draufgeschlagen und die Summe besteuert – was wegen der Progression Ehegatten drastisch schlechter stellte als Unverheiratete, und zwar in voller Absicht. Ziel dieser Regelung war ganz explizit, Frauen “ins Haus zurückzuführen”. Das nannte man ganz vornehm “Edukationseffekt”.
Vor dieser Art Edukation wollte das BVerfG die Ehe schützen. Deshalb erklärte es diese Rechtslage für verfassungswidrig und sparte in punkto Edukationseffekt nicht mit deutlichen Worten: Art. 6 I und Art. 3 II GG verbieten es dem Staat, sich zum Ziel zu setzen, Frauen von “marktwirtschaftlicher Tätigkeit zurückzuhalten”.
Nun kann man der Meinung sein, dass das Ehegattensplittung genau diese Wirkung entfaltet: Es entmutigt Frauen (oder Männer), deren Ehegatten viel Geld verdienen, sich einer “marktwirtschaftlichen Tätigkeit” zuzuwenden, weil die Mehreinkünfte, die sie damit erzielen, gleich wieder von der Steuer aufgefressen würden. Insofern könnte man das Argument womöglich umdrehen: Wenn Art. 6 I GG dem Staat verbietet, Ehegatten “zu einer bestimmten Gestaltung ihrer Ehe zu drängen”, ist das ein Argument gegen das Ehegattensplitting und nicht dafür.
Ob das aber ausreicht für Karlsruhe, seine ganze Rechtsprechung zu dem Thema über den Haufen zu werfen? Ich würde nicht darauf wetten wollen.
Ich denke, am Ende käme es weniger darauf an, ob nun das Splitting oder das Nicht-Splitting der größere Eingriff in die eheliche Selbstbestimmung ist, als auf die dahinterliegende Grundrechtstheorie. Aus klassisch liberaler Perspektive geht es hier ausschließlich darum, den Staat daran zu hindern, dem Einzelnen vorzuschreiben, wie er oder sie leben soll. Das reicht aber nicht mehr. Ich jedenfalls erwarte von Grundrechten darüber hinaus, dass sie für eine freie und gerechte Gesellschaft sorgen, in der jeder von uns ein gutes Leben nach seinen eigenen Vorstellungen führen kann. Das ist nicht unbedingt dasselbe.
Diejenigen unter uns, die die Realität der Hausfrauenehe aus ihrem eigenen Elternhaus kennen, haben oft nicht das Gefühl, dass ihre Mütter mit besonders viel Freiheit gesegnet waren, ein gutes Leben nach ihren Vorstellungen zu führen. Sie haben ihren Karriere machenden Ehemännern, wie man so sagt, “den Rücken frei gehalten”, waren immer sehr lieb zu allen und sind vielfach auch noch stolz darauf, sich nie beklagt zu haben, aber trotzdem wird man bei vielen von ihnen das Gefühl nicht los, dass sie selbst ihr Leben nicht so richtig geglückt finden. Dass es nicht unbedingt speziell der Staat war, der ihre Freiheit beschränkte, ändert nichts an diesem Befund. Sie waren vielleicht frei von staatlicherseits aufgedrängten Vorstellungen guter Ehegestaltung. Aber waren sie frei?
Was heißt das verfassungsrechtlich? Nimmt man die bisherige Rechtsprechung des BVerfG, den heutigen Beschluss eingeschlossen, beim Wort, nicht viel. Der Schutzauftrag des Art. 6 I GG, begründet in emanzipatorischer Absicht in den zu solchen Maßnahmen mehr als genug Anlass gebenden 50er Jahren, verlangt vom Staat, die Ehe in Ruhe zu lassen. Auch mit Versuchen, sie freier zu machen.
Aber das heißt nicht, dass das so bleiben muss. Das BVerfG kann nur dann zu einer differenzierteren Rechtsprechung gelangen, wenn es auch die Fälle dafür zu entscheiden bekommt. Wenn der Gesetzgeber ein überzeugendes Modell findet, das Ehegattensplitting durch eine ausbalanciertere Art der steuerlichen Behandlung lebensgemeinschaftlicher Realitäten zu ersetzen, dann wird sich das Gericht dazu erst einmal verhalten müssen, bisherige Rechtsprechung hin oder her. Dass man in Karlsruhe zu ganz erstaunlichen Schritten der grundrechtsdogmatischen Fortentwicklung fähig ist, hat das Gericht schließlich oft genug bewiesen.
Also ich bin einer der wenigen Überraschten. Denn dass und inwiefern der heutige Beschluss nicht am geltenden Recht orientiert ist, erläutert das vorzügliche Sondervotum in aller Klarheit. Man sollte es jedem Jurastudenten zur verständigen Lektüre empfehlen. Dass sich die Senatsmehrheit den juristischen Argumenten verschlossen hat, ist zwar ideologisch verständlich, aus meiner Sicht aber überraschend.
Die Richter(innen) stehen für den gesellschaftlichen Fortschritt ein, den die Politik nicht auf den Weg zu bringen vermochte . Ich finde es eine mutige Entscheidung, die Vorurteile der Mehrheit gegenüber Minderheiten abbauen hilft. Zu viel Diskussion ist auch nicht immer gut, wie man ja an den Ausschreitungen in Frankreich sieht.
@Johanna: Genau, deswegen heißt es ja auch “Herrschaft der Richter” und nicht etwa “Herrschaft der Gesetze”.
Soweit die (rechtliche und/oder politische) Ablehnung der aktuellen Entscheidung des BVerfG (Ehegattensplittig/“Homo-Ehe“) auf die abweichende Auffassung zweiter Verfassungsrechter gestützt wird, so möge nicht verkannt werden, dass (auch) dieses abweichende Votum einem gesellschaftlichen bzw. politischen Leitbild entspringt (auch wenn darin entsprechende – dogmatisch in der Tat gut nachvollziehbare – rechtliche Würdigungen getroffen wurden).
Insoweit in aller Kürze:
In dem abweichenden Votum halten die zwei Verfassungsrichter fest:
„Die Verfassung stellt Ehe und Familie durch die verbindliche Wertentscheidung in Art. 6 Abs. 1 GG unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dieser besondere Schutz wird der Ehe zuteil,
weil sie Vorstufe zur Familie sein kann,
die wiederum Voraussetzung der Generationenfolge und damit der Zukunftsgerichtetheit von Gesellschaft und Staat ist“.
Zugleich wiederholen die abweichenden Richter an diversen Stellen in ihrem Votum, dass
„die Ehe von Verfassungswegen als Gemeinschaft
des Erwerbs und Verbrauchs konzipiert“ sei,
„in der ein Ehegatte an den Einkünften und Lasten des anderen jeweils zur Hälfte“ teilhabe.
Würde also allein auf die definierende Eigenschaft (der Ehe) als “Gemeinschaft des Erwerbes und des Verbrauchs“ abgestellt, würde nicht einleuchten, weshalb nicht eine gleichgeschlechtliche Gemeinschaft nicht auch ein „Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs“ sein soll (wie die Ehe auch).
Würde jedoch darauf abgestellt, dass die Ehe „als Vorstufe zur Familie“ ihre besondere verfassungsrechtliche Privilegierung verdient, da (nur) diese Art der Gemeinschaft die „Voraussetzung der Generationenfolge und damit der Zukunftsgerichtetheit von Gesellschaft und Staat“ bietet, würde sich der (definitorische) Schwerpunkt der Ehe unweigerlich dem (definitorischen) Schwerpunkt der “Familie“ angleichen (und nicht mehr der definitorischen Hauptkonzeption der „Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs“ unterstellt sein).
Mithin wäre (auch und gerade in rechtlicher Hinsicht) nicht erkennbar, weshalb die Ehe an sich eine (steuerrechtliche) Privilegierung genießen soll, wenn sich der Gedanke (bzw. die der Verfassung unterstellten Hoffnung) der „Voraussetzung der Generationenfolge“ nicht realisiert (mithin also wenn aus einer Ehe keine Kinder hervorgehen, die dann eine [steuerliche] Begünstigung begründen).
Schlussfolgernd darf also festgehalten werden, dass gerade das abweichende Votum der zwei Verfassungsrichter (unbeschadet der rechtlich dargebotenen Argumenten) in der Konsequenz die beste Begründung liefert, für eine Gleichstellung der “Homo-Ehe“ einzutreten und folgerichtig alle staatlichen Privilegien daran zu knüpfen, ob eine “Familien-Gemeinschaft“ existiert oder nicht.
Im Übrigen:
Die diversen Hinweise in dem abweichenden Votum, woraus erkennbar wird, dass die besagten Richter die Aufgabenteilung zwischen dem Gesetzgeber und den Verfassungshütern als problematisch erachten, kann dem Beschluß des BVerfG nicht entgegen gehalten werden.
Denn: Wenn die abweichenden Richter dem “2001-er Gesetzgeber“ bescheinigen, dass er gerade keine (vollständige) Gleichstellung der Ehe und der eingetragenen Partnerschaft wollte, haben die Richter eben anzuerkennen, dass der “2004-er Gesetzgeber“ eben die schrittweise Angleichung offensichtlich eingeleitet hat, also wollte.
@Denk-Exiland: Lies Dir das Sondervotum mal in Ruhe durch. Achte vor allem darauf, was Beschwerdegegenstand war. Und dann schau mal in Ruhe hin, weshalb die Regelungen der Lebenspartnerschaften keine “Gemeinschaft des Erwerbs und des Verbrauchs” begründet haben.
Max hat recht, die Entscheidung ist nicht überraschend. Ich muss aber gestehen, dass das Sondervotum an gedanklicher Schärfe und juristischer Präzison die tragenden Richter ziemlich nackt dastehen lässt. Dass man so einfach den gesetzgeberischen Willen einer stetigen Annäherung ex post unterlegt, ist meines Erachtens ein starkes Stück und eine Verquerung der Zusammenhänge. Und auch der Abschnitt zur Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers bekommt durch die Linse des Sondervotums ein sehr großes Fragezeichen, der Fragen nach dogmatischer Konsistenz stellt.
Das sind natürlich alles keine Kritikpunkte, mit denen man einem poltischen Gericht kommen kann, aber öffentlich reklamiert das Gericht (bzw. der Präsident als sein Kapitän) ja, dass nur das juristische Argument zählt.
“aber trotzdem wird man bei vielen von ihnen das Gefühl nicht los, dass sie selbst ihr Leben nicht so richtig geglückt finden.”
Es wäre sicher unfair, sehr geehrter Herr Steinbeis, Ihnen zu unterstellen, Sie wollten das subjektive Gefühl eines – von seinem eigenen Vorverständnis geleiteten – Beobachters zum Maßstab der verfassungsrechtlichen Beurteilung machen; in den auf das Zitat folgenden Sätzen relativieren Sie diesen Eindruck ja wieder.
Was bei der Diskussion um das Ehegattensplitting aus den Augen gerät, ist der Umstand, dass es in Wahrheit keinen Ehegatten davon abhält, ein Einkommen zu erzielen, denn nach Besteuerung bleibt davon wohl typischerweise mehr, als es in der geschmähten Einverdienerehe der Fall wäre: Der Splittingvorteil schrumpft ja, je kleiner die Differenz zwischen den Einkommen der Ehegatten wird. Die Betrachtung, dass “in Steuerklasse V” nur wenig vom Einkommen des einen Ehegatten übrig bliebe, unterschlägt ja gleich zweierlei – erstens, dass keine gemeinsame Veranlagung gewählt werden muss, und zweitens, dass (wenn gemeinsame Veranlagung gewollt ist), beide Gatten “in einen Topf” wirtschaften. Und bezogen auf diesen kommt am Ende durch den Einkommensteuerjahresausgleich wieder das Richtige heraus.
Ebenfalls aus den Augen gerät bei den Gegnern des Ehegattensplittings der schlichte Umstand, dass auch der Ehegatte, der kein Einkommen erzielt, Lebensunterhalt benötigt. Dem – wie es in der politischen Diskussion gelegentlich zu hören ist – durch die Berücksichtigung eines Existenzminimums zu begegnen, ist schon im Hinblick auf die eheliche Lebensgemeinschaft zynisch (soll man seinen Partner auf das Nötigste setzen?). Es lässt darüber hinaus außer Acht, dass der nichtverdienende Gatte einen Unterhaltsanspruch gegen den anderen hat, der nicht beim Existenzminimum halt macht. Wenn man die Ehe traurigerweise für etwas hält, das Menschen nur aus steuerlichen Gründen eingehen (dieser Standpunkt besagt vielleicht auch Einiges über die Personen, die ihn äußern), kann man immerhin darüber nachdenken, wie es sich verhält, wenn einer der Gatten aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht in der Lage ist, ein Einkommen zu erzielen – Existenzminimum aus steuerlichen Gründen? Soll dann wirklich ein gutverdienender Ehegatte sein Einkommen per Steuer eher der Umverteilung zur Verfügung stellen müssen als der Person, der gegenüber er sich moralisch und rechtlich zur besonderen Verbundenheit verpflichtet sieht?
Vom Einfluss auf den Leistungswillen einmal abgesehen und dafür etwas polemisch zugespitzt: Wie soll es zu rechtfertigen sein, dass der verheiratete Gutverdienende (der natürlich auch eine sie sein kann) dem weniger hart Arbeitenden und seiner Familie das Reihenhäuschen finanzieren soll, das er sich selbst dank Verlustes des Splittingvorteils nicht mehr leisten kann?
Wenig gewürdigt: sehr gelungene Überschrift und Aufmachung. Aber das ist ja auch guter Standard auf diesem Blog.