02 February 2014

Von der Währungsunion wollte Francis Mann nichts wissen

Das Manuskript, das der emigrierte deutsche Jurist Francis Mann Anfang 1938 nach Oxford an die renommierte Clarendon Press schickte, veränderte die Spielregeln des altehrwürdigen englischen Gerichtssystems. Traditionell galt es als unzulässig, bei Gericht noch lebende Autoren zu zitieren. Auf Mann jedoch bezogen sich auch hohe Richter – selbst im House of Lords fanden seine Überlegungen zum Geld- und Währungsrecht Erwähnung. Noch kurz vor seinem Tod im September 1991 korrigierte Mann die Druckfahnen der fünften Auflage. „The Legal Aspect of Money“ wurde zum Standardwerk.

Zuvor hatten Juristen den geheimnisvollen Gegenstand des Geldes eher für eine esoterische Domäne der Ökonomen gehalten, von der man sich lieber fernhielt. Auch der Autor, 1907 als Friedrich Alexander Mann im pfälzischen Frankenthal geboren, machte um ökonomische Theorien einen weiten Bogen. Der Gegenstand des Geldes würde aus einer rein juristischen Perspektive verhandelt, betonte er, vom neutralen Standpunkt des Rechts. Ökonomie und Finanzwissenschaft, Soziologie, Geschichte und Politik sollten völlig ausgeklammert bleiben.

Dabei hatte Mann, Enkel eines Bankiers, selbst die katastrophalen Folgen der Inflation in Deutschland erlebt. Nach dem Studium in Genf, München und Berlin legt der Sohn eines jüdischen Anwalts 1930 in Berlin das Erste Staatsexamen ab und wird Assistent des Zivilrechtlers Martin Wolff, bei dem er 1931 promoviert wird. Aus dem Referendariat entlassen, tritt Mann in München in eine Kanzlei ein, kann dann im Oktober 1933 doch noch das Zweite Staatsexamen absolvieren. Wenige Tage nach ihm wird seine Freundin Eleonore Ehrlich examiniert, eine der ersten Berliner Doktorinnen der Rechtswissenschaft, „unglaublich gut“, wie ein Zeitzeuge mitteilt, und eine bei den Studenten beliebte Dozentin. Der Entschluss zur Emigration ist längst getroffen. Am Tag nach Lores Examen treten die beiden frühmorgens vor den Standesbeamten, bevor sie den Zug nach Paris besteigen und von dort nach London entkommen. Trauzeuge ist der Berliner Assistentenkollege Werner Flume, später Professor in Bonn und dort regelmäßig Gastgeber Manns.

Der Anfang im Exil ist hart. Flüchtlinge aus Deutschland sind kaum willkommen. Lore und Francis, wie ihn die britischen Kollegen nennen, eröffnen ein kleines Rechtsberatungsbüro. Während des Bombenkrieges schicken sie ihre beiden Kleinkinder allein nach Kanada, um ihnen das Überleben zu sichern. Die Zulassung zur anwaltlichen Praxis als solicitor erhält Mann erst 1946, nach der Einbürgerung. Schnell beginnt für den Emigranten eine glänzende Laufbahn im britischen Justizsystem – bei der ihn Lore, die brillante Berliner Doktorandin, durch den Verzicht auf eine eigene Karriere unterstützt.

Obwohl Francis Mann zeit Lebens ein Praktiker der Rechtsberatung blieb, beeinflusste er das englische Recht in Praxis und Wissenschaft weit intensiver als die meisten Rechtsgelehrten. Seine Aufsätze und Urteilsrezensionen werden von Anwälten und hohen Richtern nicht nur gelesen, sondern sogar – gegen die Tradition – gelegentlich zitiert. Manns Praxis umgreift ein breites Spektrum an Rechtsgebieten, besonderes Augenmerk gilt jedoch stets den Grenzbereichen zwischen Völkerrecht und internationalem Privatrecht. Immer wieder befassen ihn der Rechtsstatus Deutschlands und die Fortwirkungen nationalsozialistischer Gesetzgebung, zahlreiche Veröffentlichungen widmet er dem Umgang englischer Gerichte mit ausländischem Recht.

Den Beitrag Manns zur Entwicklung von Rechtswissenschaft und Praxis hat der Lordrichter Lawrence Collins, vormals Kanzleikollege Francis Manns, bereits vor einigen Jahren gründlich und prägnant entfaltet. In seiner nun vorgelegten kleinen biographischen Skizze betont Geoffrey Lewis, selbst ebenfalls langjähriger Kollege Manns in der Kanzlei Herbert Smith, die Leidenschaft des Privatgelehrten für die Praxis – verschweigt aber auch nicht, dass dem Emigranten in seiner Wahlheimat eine akademische Karriere gar nicht offen stand.

Als er sich 1949 auf den Lehrstuhl für Völkerrecht an der Londoner Universität bewarb, ermutigt von so prominenten Unterstützern wie seinem engen Freund Hersch Lauterpacht, konnte sich die Auswahlkommission nicht für ihn entscheiden. Die Stelle blieb für zehn Jahre vakant. Einen weiteren Zuwanderer neben dem in Lemberg geborenen Lauterpacht, so war hinter vorgehaltener Hand zu hören, könne das englische Völkerrecht auf einem Lehrstuhl nicht verkraften. Dass Mann ein Außenseiter blieb, ging nach Auffassung von Lewis an dem dünnhäutigen Gelehrten nicht spurlos vorbei. An eine Rückkehr nach Deutschland war für ihn gleichwohl nie zu denken, obwohl er ab 1946 regelmäßig an westdeutschen Universitäten lehrte und ab 1960 eine Honorarprofessur in Bonn bekleidete.

Die bemerkenswerteste Quelle, aus der Lewis für seinen kleinen Erinnerungsband schöpft, ist ein Konvolut von Briefen, die Mann im Sommer 1946 aus Deutschland an seine Frau Lore nach London schreibt. Erschüttert von Chaos, Not und Flüchtlingselend in Berlin, reist er als Rechtsberater der Militärregierung in der britischen Besatzungszone weiter durch das zerstörte Land, trifft alte Bekannte wie den vormaligen Berliner Dekan Kohlrausch und den Studienfreund Flume und nimmt in Nürnberg an einigen Prozesstagen vor dem Internationalen Militärgerichtshof teil. Auf Einladung des Wirtschaftsrechtsprofessors Walter Hallstein, den er aus Berliner Assistentenzeiten kennt, spricht er vor Studierenden in Frankfurt und Marburg. Unmittelbar nach seiner Rückkehr hält er in London vor der Grotius Society einen Vortrag über den Rechtsstatus Deutschlands, der bis heute zu den klassischen Texten zur deutschen Frage zählt.

Francis Mann überbrückte in seinem langen und produktiven Berufsleben den tiefen Graben zwischen Rechtswissenschaft und Praxis, der das britische System lange prägte. Seine Forschungen bereicherten seine Tätigkeit als Praktiker, während umgekehrt die Erfahrungen der Praxis immer neue Fragen für den Wissenschaftler aufwarfen. Bestärkt wurde er von zwei Freunden, mit denen er ständigen wissenschaftlichen Austausch pflegte: mit dem Völkerrechtler Hersch Lauterpach, mit dem ihn eine tiefe Überzeugung vom Vorrang des Internationalen Rechts und der Notwendigkeit verbindlicher Grundrechtskataloge verband, und mit Otto Kahn-Freund, dem Nestor des Arbeitsrechts auf den Britischen Inseln. Für den überzeugten Linken Kahn-Freund, vor der Emigration Arbeitsrichter in Berlin, ist das Recht allerdings notwendig politisch, während es dem bürgerlichen Konservativen Mann immer zuerst um den Eigensinn des Rechts geht, ohne Rücksicht auf rechtssoziologische und politische Kontexte.

„Zwischen Ihrem Denken und meinem liegt eine unüberwindliche Kluft“, schreibt Kahn-Freund einmal – und wäre wohl überrascht gewesen, mit welchem Nachdruck Mann in seinen letzten Lebensjahren plötzlich politisch argumentierte, wenn es um die Verhinderung der Europäischen Währungsunion ging. Es könne gar keinen Zweifel geben, schrieb er in der 1992 posthum publizierten fünften Auflage seines Buches „The Legal Aspect of Money“, dass eine Währungsunion eine konstitutionelle Struktur voraussetze, die einem einheitlichen föderalen Staat entspreche oder sich diesem jedenfalls annähere. Eine europäische Föderation aber, da war sich der Skeptiker Mann mit der von ihm bewunderten Margaret Thatcher einig, würde auf Dauer weder dem Frieden dienen noch den Wiederaufstieg eines dominanten Deutschland verhindern können.

Geoffrey Lewis, „F.A. Mann.“ A Memoir, Hart Publishing Oxford, Oxford 2013, 157 S., geb., 22,50 £.

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Diese Rezension erschien, ganz leicht gekürzt, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. Februar 2014 (Nr. 27), S. 32.

 

 


No Comments

  1. Blickensdörfer Sun 2 Feb 2014 at 10:13 - Reply

    Ein lesenswerter Artikel zum Leben und Wirken von Francis Mann. Er begründet aber damit nicht seinen Titel. Auch nicht, dass Mann zu Währungsunion „plötzlich argumentierte“.

    „Mann in seinen letzten Lebensjahren plötzlich politisch argumentierte“ . . . „eine Währungsunion eine konstitutionelle Struktur voraussetze, die einem einheitlichen föderalen Staat entspreche oder sich diesem jedenfalls annähere“.

    Seine geäußerte Erkenntnis, wenn die Intension seiner Aussage (Argumentation) richtig übersetzt/ wiedergegeben ist, dass die Bildung und Aufrechterhaltung einer Währungsunion etwas voraussetzt und etwas bedingt, als „politische“ Argumentation zu verstehen, ist wohl dem Verständnis geschuldet, diese Voraussetzung und Bedingung einer Währungsunion seien (allein) „politische“.

    Doch demnach müsste auch sowohl Recht als „notwendig politisch“ verstanden werden als auch, dass zu einem Für und Wider einer Währungsunion auch „nichtpolitisch“ argumentiert werden könne.

    Das Eigenschaftswort „politisch“ darf zwar beliebig verstanden werden, aber nicht in einer wissenschaftlichen Argumentation.

  2. S Sun 9 Feb 2014 at 08:27 - Reply

    Ist dieser Artikel ein erstes Anzeichen dafür, dass das Europa- und EU-freundliche (und auch deswegen von mir hochgeschätzte) Verfassungsblog sich zu einer skeptischeren Haltung zum Euro durchringen wird? Es wäre zu hoffen.

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