Vorratsdatenspeicherung: Schweden ist nicht Deutschland
Der EuGH hat heute Schweden zu 3 Millionen Euro Geldbuße verurteilt, wegen deren beharrlicher Weigerung, die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen.
Tagesschau.de beeilt sich, daraus ein böses Omen für die deutsche Situation abzulesen: Wir sind bekanntlich noch viel härter drauf bisher. Die Schweden haben mittlerweile längst eingelenkt, aber bei uns ist die Vorratsdatenspeicherung – dem BVerfG und unserer Justizministerin sei Dank – immer noch nicht eingeführt. Daher, so Martin Bohne vom MDR-Büro Brüssel, werde der Luxemburger Beschluss “auch in Berlin mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen”.
Mag schon sein. Aber wenn man dann Kenntnis genommen hat, wird man feststellen: Für Deutschland ist das Urteil nur von sehr begrenzter Relevanz.
Der wichtigste Punkt ist: Deutschland ist, anders als Schweden, noch gar nicht wegen Verletzung seiner europarechtlichen Pflichten verurteilt. Die Klage der Kommission ist zwar anhängig, aber ein Urteil wird erst Ende des Jahres erwartet. Und bis dahin könnte der EuGH möglicherweise zu dem Schluss kommen, dass die Umsetzungspflicht vielleicht aus politischen und vor allem aus rechtlichen Gründen doch nicht mehr so eng zu sehen ist.
Im Fall Schweden dagegen hatte der EuGH bereits vor mehr als drei Jahren festgestellt, dass eine Vertragsverletzung vorliegt. Daher war die Frage, ob Schweden umsetzen musste oder nicht, im heutigen Urteil gar nicht mehr zu klären.
Dass dem EuGH das Argument Schwedens, die Umsetzung habe wegen innenpolitischer Schwierigkeiten so lang auf sich warten lassen, nicht recht einleuchten wollte, kann wirklich niemanden überraschen. Das wäre nun wirklich bizarr, wenn man sich bei Nichtumsetzung einer Richtlinie darauf hinausreden könnte, es dauere halt so lange, weil es so lange dauere.
Also: ruhig Blut. Jetzt warten wir erst mal ab, was bei der Bundestagswahl, und dann, was bei dem Vertragsverletzungsverfahren herauskommt. Und wie wir dann mit der Frage drohender Bußgeldzahlungen umgehen, sehen wir dann.
Es mag zwar durchaus so sein, dass das die Bundesrepublik Deutschland Verfahren in Sachen Vorratsdatenspeicherung noch nicht so weit gediehen ist, dass die Bundesrepublik ebenfalls schon mit einer Geldbuße zu rechnen hat. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob eine Vertragsverletzung vorliegt, und sollte die Bundesrepublik Deutschland nicht entweder das Unionsrecht einhalten oder dessen rechtzeitige Abänderung betreiben?
Mir scheint, hier wird hinsichtlich der Verbindlichkeit des Unionsrechts eher nach dem Motto “Wie es Euch (nicht) gefällt” argumentiert.
Ein weiterer Gesichtspunkt: Die von den ewig gleichen Positionen, mit wenig Zahlenmaterial und ohne Kompromissbereitschaft geführte Auseinandsersetzung zwischen dem BMI und dem BMJ hat leider dazu geführt, dass notwendige Änderungen und/oder Ergänzungen der maßgebenden Bestimmungen nicht mehr mit der technischen Entwicklung einerseits und der kriminellen Nutzung neuster Technik andererseits Schritt halten. Das mag aus Sicht der BMJ nicht dramatisch sein, hat aber zur Folge, dass die Ermittlungsrichter mit Blick auf in Rede stehende schwerwiegende Straftaten oftmals Maßnahmen auf allzu dürftiger Rechtsgrundlage anordnen. Das wiederum mag das BMI kaum berühren, solange nämlich die Maßnahmen nur angeordnet werden. Die Situation ist aber leider weit entfernt von Rechtssicherheit und hinreichendem Rechtsschutz. Vielmehr kommt sie der Rechtssetzungsverweigerung nahe. Eine derartige Lage kann man nur vom “grünen Tisch” aus nicht dramatisch finden. Wie auch immer sich der Gesetzgeber entscheiden mag, ein baldige und klare Entscheidung ist nicht nur unionsrechtlich, sondern auch mit Blick auf die Funktion von Strafrechtspflege und Gefahrenabwehr dringend geboten.