15 March 2010

Vorratsdatenspeicherung: Verständnis für das BVerfG

Das ging ja fix: Das Urteil ist keine zwei Wochen alt, schon gibt es erste Analysen aus der Wissenschaft. Im neuen German Law Journal bemüht sich Christian DeSimone darum, Verständnis für die Linie des Ersten Senats zwischen Schonung der EU-rechtlichen Kompetenzstrukturen und Verteidigung der Grundrechte zu wecken.

DeSimone zufolge stand der Senat vor zwei Alternativen:

The BVerfG might have continued to honor Solange II precedent and not stood in the way of the implementation of European Law through the GNTR, which was nonetheless unconstitutional by standards of German jurisprudence. This would have been a boon for German security hawks as they would have gained a back‐door method of passing legislation that Germany’s Constitutional Court otherwise would nullify. The BVerfG also could have diverged from Solange II and ruled that the ECJ no longer adequately protects basic liberties consistent with German law or issued a blanket retention ban, and reasserted its own jurisdiction. Divergence would have presented a supranational legal crisis with adverse impact on European Union integration.

In dieser Situation habe der Senat einen respektablen Mittelweg gewählt.

Die dritte und meiner Meinung nach eigentlich korrekte Alternative – Vorlage an den EuGH – erwähnt er überhaupt nicht, eigenartigerweise.

Update: Unterdessen werden jetzt Vollmachten gesammelt, um nach dem VDS-Vorbild jetzt auch ELENA mit einer Massen-Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe zu killen.


4 Comments

  1. Stadler Mon 15 Mar 2010 at 14:03 - Reply

    Die Vorlage an den EuGH hätte zunächst die Feststellung beinhaltet, dass das BVerfG Zweifel an der Vereinbarkeit der Richtlinie mit den Grundrechten hat. Wenn der EuGH dieser Ansicht nicht gefolgt wäre, hätte das BVerfG ein Problem gehabt. Die Option, irgendwann doch wieder an die Solange-Rechtsprechung anzuknüpfen, wäre damit nämlich endgültig vertan gewesen. Das Urteil istdeshalb m.E. auch eine taktische Entscheidung.

  2. aloa5 Wed 17 Mar 2010 at 09:40 - Reply

    Grundrechte sind ein taktisches Opfer gewesen auf dem europäischen Altar. Was dabei “respektabel” gewesen sein soll ist mir schleierhaft. Respekt muss man sich verdienen und das hat im Falle von Grundrechten nichts mit taktischen Leistungen sondern mit Rückrat zu tun. Wenn das oberste Gericht Grundrechte politischem Kalkül zu opfern bereit ist, wohin soll man sich denn dann noch wenden?

    Hier wurde vom BVerfG das St. Florians-Prinzip angewendet. Man hofft anscheinend das der Kelch an einem vorüber geht. Und sollte dies nicht der Fall sein wird ein Historiker oder Rechtsgelehrter in ein paar Jahren/Jahrzehnten womöglich das Urteil als “falsch” oder “aus damaliger Sicht richtig erscheinend” bezeichnen und sein Bedauern darüber ausdrücken.

    Es gibt Entscheidungen bei welchen man schon bei der Entscheidung selbst weiß, das es eigentlich falsch ist – es aber trotzdem durchführt. Zweckopportunismus darf es bei Grundrechten aber nicht geben.

  3. Malte S. Wed 17 Mar 2010 at 09:49 - Reply

    Die Vorlage an den EuGH hätte vor allem den Kniefall des BVerfG vor dem EuGH bedeuet. Einmal ganz davon abgesehen, dass hier eine Richtergeneration am Werke ist, die weitgehend noch ohne unmittelbare europäische Bevormundung aufgewachsen ist, dürfte diese Alternative auch rechtlich fragwürdig sein.
    Bei der Frage der Vereinbarkeit eines deutschen Gesetzes mit deutschen Grundrechten hat der EuGH schlicht keine Kompetenz. Völlig unabhängig davon, ob das deutsche Gesetz auf europäischem Recht beruht. Dieses wirkt – entgegen der lediglich pragmatisch begründeten Ansicht des EuGH – nicht unmittelbar für oder gegen den deutschen Bürger. Die Nichtumsetzung bzw. Aufhebung durch das BVerfG begründet meinethalben eine Vertragsverletzung Deutschlands, eine Bindung anderer Rechtssubjekte existiert eben nicht.

  4. aloa5 Fri 19 Mar 2010 at 08:41 - Reply

    Ich könnte mir vorstellen, das es u.U. keine Mehrheit bei den Verfassungsrichtern gegeben hätte das Grundrecht durchzusetzen.

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