24 March 2013

Voßkuhle und die Presse: Stimmungs­umschwung oder Manipulation?

Der Besuch von Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle in Berlin hat ja einigen Wirbel verursacht. Wenn ich es recht überblicke, war das Presseecho überwiegend negativ. Der Journalist der “Berliner Zeitung” und “Frankfurter Rundschau”, der den Gerichtspräsidenten anläßlich seiner Auftritte in Berlin als “Meister der Öffentlichkeitsarbeit” rühmte, scheint ziemlich allein dazustehen. Kommentatoren auf beiden Seiten des Meinungsspektrums, angefangen von der „Zeit“ und der „Süddeutschen Zeitung“ bis zur „Welt“ und dem “Bayernkurier”, waren sich weitgehend einig, dass die Öffentlichkeitsarbeit des Gerichtspräsidenten vor der Bundespressekonferenz in der Hauptstadt  unangemessen, zumindest unklug gewesen sei.

Dabei ging es weniger um die Inhalte des Hintergrundgesprächs, für das ja eigentlich Vertraulichkeit vereinbart worden war; was über die Äußerungen des Gerichtspräsidenten zum bevorstehenden Verfahren zum NPD-Verbot sowie zum Thema Gleichstellung homosexueller Partnerschaften nach außen drang, klang jedenfalls ziemlich allgemein. Aber es geht um Prinzip. Sollte sich der Präsident des höchsten Gerichts, das im beschaulichen Karlsruhe von einer Aura der Politikferne umweht wird, auf die politische Bühne in Berlin begeben?

Die Frage so zu stellen, erweckt den Eindruck, als sei die Berlinreise des Gerichtspräsidenten ein ganz außerordentlicher Vorgang. Das ist eigentlich schon merkwürdig, denn Voßkuhle reist, ebenso wie andere Mitglieder des Verfassungsgerichts und anderer oberster Gerichte, häufiger zu Gesprächen, Vorträgen und Diskussionsrunden – auch in die Hauptstadt und gelegentlich auch, um dort mit Journalisten zu sprechen. Die negativen Presseberichte über die Berlinreise des Gerichtspräsidenten haben daran nichts geändert; Verfassungsrichter und andere Mitglieder oberster Gerichte kommen weiterhin zu Tagungen, Podiums- und Hintergrundgesprächen nach Berlin. Dass Verfassungsrichter nicht nur durch ihre Urteile sprechen, wird ja auch von jenen Kommentatoren anerkannt, die Voßkuhles Berlinausflug kritisieren. Verheddert man sich dann aber nicht in realitätsferner Symbolik mit dem Hinweis,  Verfassungsrichter sollten nicht vergessen, dass sie in Karlsruhe, nicht in Berlin daheim seien?

Aus den politischen Parteien hört man Mahnungen zu richterlicher Zurückhaltung bezeichnenderweise vor allem dann, wenn es um Verfahren geht, in denen die jeweilige Partei  in Karlsruhe als Verlierer dasstehen könnte – wie jetzt im Streit über die Ausdehung des Ehegattensplittings auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften. Innerhalb der Union ist man sich allerdings nicht nur in der Sache uneins, soweit es um die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften geht, gestritten wird auch darüber, ob nun besondere Schweigsamkeit oder doch mehr Auskunftsbereitschaft des Verfassungsgerichts angezeigt sei. Während Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gegenüber dem “Spiegel” hervorhob, Richter sprächen bekanntlich durch ihre Urteile, wünschte sich Unionsfraktionschef Volker Kauder wenige Seiten weiter, Gerichtspräsident Voßkuhle möge auch mit den Politikern in den Fraktionen sprechen, wenn er schon Hintergrundgespräche in Berlin führe.

Dass man sich in Karlsruhe und Berlin Gedanken über die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsgerichts macht, hat zweifellos mit der Dauerkommunikation durch posten, simsen, mailen und twittern zu tun. Wie soll sich das Verfassungsgericht da positionieren? Vor dem Hintergrund der kontroversen Öffentlichkeitsarbeit von Gerichtspräsident Voßkuhle scheint es jedenfalls lohnenswert, die Debatte über die “gesellschaftliche Funktionalität” von “Recht, Macht, Medien” (Gerd Roelleke) wiederaufzunehmen. Eine wichtige Rolle dürfte dabei auch die europäische Integration spielen. Voßkuhle hat mehrfach deutlich gemacht, dass das Gericht besonders intensiv und gründlich erklären und aufklären müsse, wenn es um den europäischen Einigungsprozess geht. Regelmäßig verweist er dann auf eine verzerrende Kurzversion des Lissabon-Urteils, die damals in Brüssel in Umlauf gebracht worden sei und weit darüber hinaus erhebliche Missverständnisse verursacht habe.

Aber wie offensiv oder präventiv darf die Öffentlichkeitsarbeit eines Gerichts sein, dem als Wächter über die Einhaltung des Grundgesetzes eine responsive Aufgabe zukommt? Und wie offensiv oder präventiv dürfen Politik oder Medien reagieren, wenn das Gericht oder seine Mitglieder vermeintlich ihren Kontrollauftrag überdehnen?

Die aggressive Attacke des “Spiegel” gegen Gerichtspräsident Voßkuhle (Merkels Chef, Nr 10/2013) wird hoffentlich nicht den künftigen Weg vorzeichnen. Die Bundespressekonferenz hatte das Magazin ja in einem offenenen Brief gerügt, da durch die Berichterstattung über Voßkuhles Hintergrundgespräch mit den Hauptstadt-Journalisten die Regeln der Vertraulicheit verletzt worden seien.  Zu der Behauptung des “Spiegel”, dass ein Verfassungsgerichtspräsident “nie zuvor” mit einem Auftritt in der Bundespressekonferenz “die große Bühne gesucht” habe, wird in dem Brief klar gestellt, dass die Initiative für das Hintergrundgespräch nicht von Voßkuhle ausgegangen sei, sondern die Bundespressekonferenz vor Monaten eine Einladung nach Karlsruhe geschickt habe. Tatsachenverzerrungen wie diese sind in dem Beitrag kein Einzelfall. Am Ende steht der Präsident des Bundesverfassungsgerichts beinahe als richterlicher Ursupator da, der hochfahrend und selbstgefällig politisches Terrain zu erobern sucht.

Wie  perfide manipuliert wurde, um diesen Eindruck zu erwecken, zeigt auch die Schlusspassage. So schließt der “Spiegel”-Artikel mit den Worten: “Dann ließ er (Voßkuhle) – offensichtlich zufrieden mit sich und der Welt – seinen Tag im Zentrum der Macht im Margaux ausklingen, einem der teuereren Nouvelle-Cuisine-Restaurants im Regierungsviertel – unweit von Kanzleramt und Reichstag.” Wiederum war der Gerichtspräsident jedoch nicht auf eigene Initiative dort, wie die Berichterstatter des “Spiegel” insinuieren. Vielmehr gehörte Voßkuhle zu den Mitwirkenden einer Podiumsdiskussion, die auf Einladung der Bertelsmann-Stiftung in Berlin über die Rolle der Parlamente in der Europäischen Union sprachen. Der Gedankenaustausch wurde dann beim Essen im “Margaux”  fortgesetzt – ein Ausklang, wie er nach solchen Veranstaltungen durchaus üblich ist. Voßkuhle allerdings musste schon nach kurzer Zeit zum Flughafen aufbrechen, von einem genußvollen Gourmetfinale, wie es der Spiegel-Bericht nahelegt, konnte also nicht die Rede sein.

Fast noch mehr als die Deformierungen und Diffamierungen, auf denen die Spiegel-Attacke gegen den Gerichtspräsidenten  aufbaute, irritieren die gehässigen und empörten Leserbriefe, die das Magazin dann eine Woche später abdruckte. Die Berliner “Ein-Mann-Show” Voßkuhles, der “eitel wie ein Pfau nach Selbstdarstellung  gierte”,  trage “Züge eines Staatsstreichs”. “Zurück nach Karlsruhe, aber dalli!” Selbst wenn sich die Verfassungsrichter auf ihre gesetzlich verankerten, ureigenen Befugnisse beschränken und Parlamentsgesetze für nichtig zu erklären, geht das manchen Lesern zu weit. Man müsse sich fragen, ob das “noch mit dem Demokratiegedanken” vereinbar sei.

Wie passen diese Stimmen zu den überragenden Zustimmungswerten, die das Bundesverfassungsgericht im starken Kontrast zu Parlament und Regierung für sich verbuchen kann? Deuten die Leserbriefe etwa auf einen Stimmungsumschwung, gar auf eine Legitimationskrise des Gerichts hin? Oder wird hier schon wieder manipuliert?  Fährt der “Spiegel” mit den Leserbriefen Batallione aus dem Volk gegen das Gericht und seinen Präsidenten auf, um die Unzulänglichkeiten seiner eigenen Berichterstattung zu kaschieren?


7 Comments

  1. Stefan Sun 24 Mar 2013 at 22:36 - Reply

    Ein keiner weiteren Kontrolle unterworfenes Verfassungsgericht, das sich in seiner Rechtsprechungstätigkeit weder gegenüber dem Gesetzgeber noch den Gerichten irgendwelche Zügel nach Art eines “judicial self-restraint” anlegen mag, ist schon problematisch genug. Richter, die darüber hinaus noch durch ihre persönlichen Meinungsäußerungen “wirken” (= Macht ausüben) wollen, sind des Guten dann wirklich zuviel. Man muss das manchmal Kampagnenhafte der Spiegel-Berichterstattung nicht mögen, um der Kritik an Voßkuhle in der Sache recht zu geben.

  2. Martin Sun 24 Mar 2013 at 23:10 - Reply

    Das klingt nach einer offensichtlichen Kränkung der Herrn Journalisten, die so gerne ein Bindeglied zwischen den Meinungsmachern und den Bürgern gewesen wären. War für letztere vor dem Medienzeitalter das BVerfG eine große Unbekannte, die an mancher textuellen Stelle journalistischer Optimierung bedurfte, verschwindet nun das vom Kindergeburtstag bekannte Phänomen der Reise nach Jerusalem.
    Bei mir war es das Interview mit einer Richterin am BGH vor nicht allzu langer Zeit durch die Nachrichtenberichterstatter, das mit erfrischend prägnanter Prosa aufhorchen ließ und den Wunsch nach mehr Spiritualität in den Medien weckte.

  3. Jörg Mon 25 Mar 2013 at 07:28 - Reply

    Wir haben ein “Verfassung”sgericht ohne eine Verfassung.
    Und es ist sogar als eine FIRMA eingetragen, wie die “BRD Deutschland ” auch.

    http://creditreports.dnb.com/webapp/wcs/stores/servlet/IballValidationCmd?storeId=11154&catalogId=71154&productId=0&searchType=BSF&state=&searchPerform=true&hiddenSessionId=-913138894&busName=bundesverfassungsgericht&country=DE#goTop

    Aber zum Glück interessiert das niemanden….. dummer deutscher Michel ….

  4. Dietrich Herrmann Mon 25 Mar 2013 at 09:30 - Reply

    Der SPIEGEL-Artikel ist natürlich tatsächlich weitgehend Blödsinn, es ist der durchsichtige Versuch (ob berechtigt oder nicht), Merkel am Zeug zu flicken, und dabei wird Voßkuhle instrumentalisiert. Die Behauptung etwa, er suche die Öffentlichkeit mehr als seine Vorgänger, ist Unsinn – das Gedächtnis reicht offenbar nur zu Voßkuhles unmittelbarem Vorgänger Papier, der ganz buchstäblich nicht so groß ist wie der jetzige Gerichtspräsident. Mensch erinnere sich aber mal an solche Figuren wie Limbach, Benda (SPIEGEL Titel April 1983!) oder auch Müller, die durchaus präsent waren.
    Man muss auch wissen, dass die Vorwürfe aus der Union gegenüber Karlsruhe vor allem die Funktion haben, von den inneren Differenzen der Union in einem für ihr konservatives Selbstverständnis zentralen Thema “Ehe und Familie” abzulenken. Da biete sich als Ablenkungsmanöver die Vorwürfe gegen Voßkuhle an.
    Dieser hat sich allerdings in der Tat etwas ungeschickt verhalten, in dem er die Einladung zum Hintergrundgespräch zum jetzigen Zeitpunkt angenommen hat. Gewiss kann Karlsruhe nichts für die inneren Querelen der Union, aber der Gerichtspräsident muss auch in solchen Situationen darauf achten, dass er nicht ungewollt Teil des (partei-)politischen Konflikts wird. Gerade in Deutschland mit seiner Kultur der Hochachtung gegenüber Autoritäten der Justiz lebt das Ansehen des höchsten Gerichts und seiner Richter davon, dass sie eben NICHT Teil der politischen Alltagsauseinandersetzungen werden. Eher, wie etwa bei den selten öffentlich werdenden Konflikten um Richternominierungen, werden die Richter ohne eigenes Zutun in diese konfliktive Sphäre hineingezogen. Mit entsprechender Sensibilität können sie aber durch eigenes Handeln (oder auch Nicht-Handeln) dazu vermeiden, dass die eigene Institution weiter beschädigt wird.
    Ich bin aber zuversichtlich, dass diese Episode dennoch insgesamt ein Sturm im Wasserglas bleiben wird.

  5. Gegen Verschworene Mon 25 Mar 2013 at 13:28 - Reply

    Ich lach mich kaputt…

    Sollte sich der Präsident des höchsten Gerichts, das
    i m b e s c h a u l i c h e n K a r l s r u h e v o n e i n e r A u r a d e r P o l i t i k f e r n e u m w e h t w i r d , auf die politische Bühne in Berlin begeben?

    Politik Definition: Politik sind Maßnahmen zu Interesserverwirklichung.

    Es fragt sich wessen Interessen durch Karlsruher höchst politischen Institutionen verwirklicht werden ! Ach welches Symbol steht in Karlsruhe auf dem Marktplatz und wofür steht es ?

  6. Aufmerksamer Leser Tue 26 Mar 2013 at 21:08 - Reply

    Die URL des Artikels verlinkt auf “Voskuhle”, was ich als Kritik am Präsidenten deute!

    Was den Artikel selbst betrifft, gibt es sicherlich subtilere Versuche, Pressesprecherin beim Bundesverfassungsgericht zu werden. Trotzdem: Viel Erfolg!

    • Maximilian Steinbeis Tue 26 Mar 2013 at 21:31 - Reply

      Die URL wird von WordPress aus der Artikelüberschrift generiert, und die kennt kein scharfes s, genauso wenig wie Umlaute.

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