Voßkuhle drinnen, ich draußen
Und da sage noch jemand, Verfassungsthemen seien nur für ein paar elitäre Eierköpfe interessant…
Zu dieser Stunde spricht gerade Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften über das Thema “Europa als Rechtsgemeinschaft“. Das hätte ich mir gerne angehört. Ging aber nicht.
Als ich pünktlich um sieben am Gendarmenmarkt eintraf, sah ich schon von weitem eine Menschentraube. Gut 50 Leute standen sich vor verschlossener Tür die Füße in den Bauch. Die ganz vorne standen, klopften immer wieder gegen die Scheibe. Vergebens. Die Tür blieb zu.
Irgendwann kam einer und rief: wegen Überfüllung geschlossen!
Und das Tollste: die Leute blieben trotzdem dort stehen. Gaben die Hoffnung nicht auf, den Superstar aus Karlsruhe an diesem Abend doch noch irgendwie zu Gesicht zu bekommen.
Falls jemand unter Ihnen es in den Saal geschafft und zwischen Feuerzeuggeschwenke und kreischenden Teenagern etwas von Voßkuhles Vortrag mitbekommen hat – bitte lassen Sie uns per Kommentar an Ihren Eindrücken teilhaben!
Falls nicht, bleibt nur die Hoffnung, dass die Akademie für Voßkuhles nächsten Besuch in Berlin die O2-Arena bucht…
Lass Dir von UK berichten! Grüße, wolf
Dann wollen wir mal hoffen, dass es niemand als “Hintergrundgespräch” wertet, was da hinter verschlossenen Türen besprochen wurde…
Ich fand Voßkuhles im Gespräch mit Callies vorgetragene Verteidigung der Entscheidung zur Sperrklausel für das deutsche EP-Kontingent sehr gelungen. Gerade im Vergleich zur m.E. vielfach unqualifizierten bis polemischen Urteilsschelte. Sinngemäß sagte er ungefähr Folgendes:
1. Der Prüfungsmaßstab des BVerfG sei im Bereich von Parteien und Wahlen traditionell streng, der Einschätzungsspielraum des Parlaments also relativ eng. Das sei erforderlich, um der Gefahr der Schließung des Zugangs zur Macht durch die Etablierten entgegenwirken zu können (Anmerkung von mir: Die Reaktionen vieler Parteipolitiker brachten ja – unfreiwillig, aber klar erkennbar – zum Ausdruck, das ihr Hauptinteresse den eigenen Mandaten galt).
2. Ausgangspunkt der gerichtlichen Betrachtung sei das Grundrecht des individuellen Wahlbürgers. Wenn es – sogar in großer Zahl, zuletzt in etwa 4 Millionen Fällen – in seiner Erfolgswertgleichheit beschränkt werde, sei dafür ein sehr guter Grund erforderlich. (Anmerkung von mir: Ein Bekenntnis zu diesem Regel-Ausnahmeverhältnis hätte ich mir auch bei einigen Kommentatoren gewünscht, die stattdessen unmittelbar beim – ja höchstens sekundären – Vergleich EP-Bundestag ansetzten. Das demokratische Wahlrecht des einzelnen so leichtfertig zu übergehen, ist nicht nur juristisch schwer vertretbar, es ist auch politisch sehr fragwürdig.)
3. Ein solcher Grund sei hier nach allem (aus der unfangreichen Literatur und den Stellungnahmen von EP-Abgeordneten und anderen) bekannten Wissen nicht gegeben. Das liege u.a. daran, dass das EP anders funktioniere als der Bundestag (er wiederholte: es sei “nicht besser oder schlechter, sondern anders”), insbesondere keine dauerhafte stabile Mehrheit zur Umsetzung des Programms der Kommission erfordere. Und sogar im Fall der – nach allen bekannten Fakten sehr unwahrscheinlichen – Belastung der Funktionsfähigkeit des EP könne der Bundestag ja Abhilfe schaffen durch Änderung des Wahlgesetzes – was er im Fall der eigenen Zersplitterung womöglich nicht mehr könnte.
4. Auf die Nachfrage, wie er den drohenden EP-Einzug von kleinen EU-kritischen Parteien aus dem rechten Lager bewerte, nannte er die großen EU-kritischen Parteien im EP das wichtigere Problem. Wen er damit meinte, sagte er nicht, außer es keine deutschen Parteien waren (ich dachte an die Lega Nord, den Front National oder die britischen Tories).
zur schwachen performance der presse in dieser frage siehe jetzt auch http://www.spiegel.de/politik/deutschland/a-960438.html