04 August 2016

Was wahr ist, darf man sagen (im Prinzip jedenfalls)

(c) Alan Levine, CC BY 2.0

(c) Alan Levine, CC BY 2.0

Der gestern schon konstatierte Karlsruher Sommerfeldzug zugunsten der Meinungsfreiheit geht weiter, die 3. Kammer ist nicht zu bremsen: Gestern ging es um die Konstellation, dass die Gerichte Meinungen zu Tatsachen umetikettieren, auf dass sie nicht mehr den Schutz der Meinungsfreiheit genießen. Heute geht es um die Konstellation, dass sie Tatsachenäußerungen verbieten, obwohl sie wahr sind.

In diesem Fall geht es um einen Unternehmer, der auf einem Internet-Portal eine desaströse Bewertung seines früheren Vermieters hinterlassen hatte. Darin hatte – wahrheitsgemäß – geschildert, wie er drei Jahre zuvor sich mit diesem jahrelang um eine Rückzahlung hatte herumstreiten müssen und der Vermieter erst nach Einschaltung der Staatsanwaltschaft und des Gerichtsvollziehers gezahlt hatte, mit dem Fazit, mit dem besagten – namentlich genannten – Herrn werde er “bestimmt keine Geschäfte mehr machen”.

Das ist natürlich schon richtig blöd, wenn so etwas über einen in einem Bewertungsportal zu lesen ist. Aber ist das Grund genug, dem anderen gerichtlich den Mund zu verbieten?

Persönlichkeitsschaden

In diesem Fall nicht, so die Kammer. Auch hier sei eine Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit vorzunehmen, und wenn es darum geht, das Äußern wahrer Tatsachen zu verbieten, dann müsse schon ein Persönlichkeitsschaden zu befürchten sein, der zum Interesse der Verbreitung der Wahrheit außer jedem Verhältnis steht.

Die Kammer bezieht sich dabei auf eine Entscheidung aus dem Jahr 1998, deren Fan ich in besonderem Maße bin: Damals ging es um eine junge Frau, die als Kind von ihrem Vater über viele Jahre sexuell missbraucht worden war. Als Erwachsene machte sie dies mit großem Engagement öffentlich, trat im Fernsehen auf, bis das OLG Celle ihr dies untersagte: Zwar seien die Anschuldigungen vollkommen wahr, aber der Vater brauche trotzdem nicht hinzunehmen, mit seinem Namen derart “angeprangert” zu werden, weil ihn das stigmatisiere. Aus diesem Grund verbot das OLG Celle der Frau nicht nur, den Vater beim Namen zu nennen, sondern auch sich selbst.

Dies nahm das BVerfG damals zum Anlass, ein Manifest gegen Opfer-Silencing zu schreiben, das heute noch die Lektüre mehr als lohnt.

Zurück zu unserem Fall: bei dem Eintrag in dem Internet-Portal, so die BVerfG-Kammer, sei es nicht um strafbares Verhalten gegangen, sondern um schleppende Zahlungsmoral. Weshalb der Lebach-Gedanke der Rehabilitation straffällig Gewordener, die nicht durch das grelle Licht der Öffentlichkeit auf Jahre und Jahrzehnte unmöglich gemacht wird, hier schon mal keine große Rolle spielt. Drei Jahre post factum müsse man öffentlich schon noch über die gemachten Erfahrungen mit dem säumigen Zahler berichten dürfen, so die Kammer, und sieht keinen Anlass, demselben nach einer solchen Frist schon ein (untechnisch gesprochen) Recht auf Vergessenwerden zuzubilligen.

Wozu die Meinungsfreiheit gut ist

Mir flößt das großen Respekt ein, was die 3. Kammer (bestehend aus RiVerfG Kirchhof, Masing und Baer) da macht.

Die Justiz macht ihren Job normalerweise dann gut, wenn sie die Rädchen der Gesellschaft gut geölt am Schnurren hält, wenn alles schön ineinander greift und vernünftig und wohl geordnet funktioniert. Die Meinungsfreiheit steht oft quer zu diesem Bestreben. Meinungsfreiheit hat etwas Wildes, etwas Anarchisches. Was die Menschen denken und laut sagen, das ist nicht unbedingt immer wohl geordnet und vernünftig. Ihnen platzt der Kragen. Sie werden laut. Sie sagen, was sie sagen, nicht unbedingt deswegen, weil es zum Wohlgeordnetsein der Gesellschaft beiträgt, sondern weil sie es halt empfinden. Oder denken. Oder weil es einfach die Wahrheit ist.

Dass diese Freiheit nicht zwischen die Räder der wohlgeordnet vor sich hinschnurrenden Gesellschaft gerät, dazu ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit da. Und wenn die Justiz, das Ölkännchen in der Hand, dieses bisweilen nicht so richtig in seinem Wert erkennt, dann ist das Bundesverfassungsgericht zur Stelle, ihr denselben in Erinnerung zu rufen.

Zumal die Freiheit natürlich nicht darin besteht, sich ohne Rücksicht auf irgendetwas aufführen zu können wie ein Berserker. Rücksicht muss man schon nehmen, und wenn nötig, seine Zunge zügeln. Aber umgekehrt muss die Gesellschaft, die dies von mir fordert, auch auf mich Rücksicht nehmen und mir nicht mehr Selbstbeschränkung abverlangen, als verhältnismäßig ist.

Ein Wort noch zur heutigen FAZ: Dort schreibt Christian Geyer im Feuilleton etwas zu der Kammerentscheidung vom Montag, was ich für ziemlich haarsträubenden Unfug (keine Schmähkritik!) halte. Warum, habe ich in meinem letzten Blogpost schon geschrieben. Vielleicht findet sich jemand, der mir erklären kann, ob es irgendeine vertretbare Lesart des Beschlusses gibt, die Geyers Position juristisch stützt. Ich wäre um Belehrung dankbar.


9 Comments

  1. Petra Thu 4 Aug 2016 at 17:28 - Reply

    Naja. Geyer liegt nicht ganz falsch mit der Einschätzung, dass man Schmähkritik nicht (mehr) leicht wird annehmen können. Er hat aber wohl nicht verstanden, dass daran auch nicht sehr viel hängt: Die Kammer verlangt (lediglich), dass in die Abwägung eingetreten wird, die im Falle des Vorliegen einer Schmähkritik ausbleibt. An den Ergebnissen ändert sich dadurch nichts (jedenfalls nicht sehr viel), der Schreibaufwand für die Fachgerichte wird nur etwas größer. Der Anwalt des Ausgangsverfahrens wird am Ende seiner Verurteilung wegen Beleidigung wohl nicht entgehen – aber eben schön begründet durch das Strafgericht und nicht mit pauschalem Hinweis auf die Schmähung.

    Dass Missverständnisse wie die des Geyer auftreten ist nicht ungewöhnlich, wenn man Begründungsbestandteile zwischen Schutzbereich und Rechtfertigung hin- und herschiebt. Dass überrascht Laien immer wieder, wenn sie dann lernen, dass grundrechtlich geschütztes Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, am Ende des Tages dann doch nicht ausgeübt wird. Trotzdem (wenn auch aus anderen Gründen) halte ich die jetzt schon drei neuen Beschlüsse für pädagogisch wertvoll – die ordentliche Gerichtsbarkeit sollte das mal ordentlich lesen.

  2. Maximilian Steinbeis Thu 4 Aug 2016 at 17:34 - Reply

    Fair enough. Aber die lernenden Laien schreiben normalerweise keine Zeitungen voll…

  3. Petra Thu 4 Aug 2016 at 17:40 - Reply

    After all: It’s the “Zeitung für Deutschland”…

  4. Jessica Lourdes Pearson Thu 4 Aug 2016 at 18:38 - Reply

    @Max: Doch, erfahrungsgemäß schon (ja ok: “lernend” sind sie vielleicht nicht in Frankfurt…).

  5. O. Sauer Fri 5 Aug 2016 at 20:22 - Reply

    Wenn ich es recht sehe, erwägt die Kammer überdies, dass es ggf. auch nur auf eine wohlwollendere Strafzumessung ankommen könnte, vgl. Rn. 20 a.E. Abgesehen davon, dass sich bei Beschimpfungen “gerade gegenüber der Presse” sogar “grundsätzlich” das allgemeine Persönlichkeitsrecht durchsetzen soll, vgl. (ausdrücklich) Rn. 20. Auch Qualitätsjournalisten Entscheidungen also bitte genau und immer schön bis zum Ende lesen.

  6. Hans Sat 6 Aug 2016 at 02:43 - Reply

    Sagen sollte man alles! Wen es nicht passt ignoriert es oder agitiert dagegegen!
    Niemand hat das Recht, einer Demokratie zu sagen, was gut und schlecht ist! Ausser Sie tragen die Menschenrechte nicht mehr!
    Erdogan darf das aber! Juristen, ohne Arsch in der Hose, wehren sich nicht!

  7. nutellaberliner Sat 6 Aug 2016 at 08:50 - Reply

    In Zeitungen schreiben über juristische Dinge erschreckend viele Laien mit erschreckend komischen Vorstellungen. Manche Journalisten fragen vorher Juristen und lassen sich das erklären – die meisten scheinbar nicht.

  8. CB Mon 8 Aug 2016 at 22:37 - Reply

    Danke für das zutreffende Bild der durch die Justiz gut geölten Rädchen der Gesellschaft vs. das Anarchisch-Wilde der Meinungsfreiheit. Das Speakers’ Corner namens Internet wird in Deutschland leider derzeit von unserem Justizminister mit Hilfe der Amadeu Antonio Stiftung massiv eingeschränkt. Wie war das noch mit “keine Flucht ins Privatrecht” und so?! Hoffentlich ölt die Justiz hier irgendwann mal nach, es knarrt und quietscht hier langsam.

  9. Japped Sat 20 Aug 2016 at 13:30 - Reply

    Ich hänge in einem ähnlichen Fall fest und erwehre mich einer (in der Berufung stehenenden) fristlosen Kündigung und Räumungsklage. Ich hatte meinem Ärger über mehrere Jahre offensichtlich falscher Nebenkostenabrechnungen und anderer vertrauensschädlicher Vorkommnisse in einem Internetportal Luft gemacht. Nach meinem Dafürhalten alles angelehnt an belegbare Ereignisse und Fakten, formuliert im Rahmen meiner persönlichen Meinung.

    Als ich das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts las, hoffte ich spontan, dass auch ich in meinem Fall ein wenig besser punkten kann. Meinungsfreiheit ist ein ziemlich schwammiges Thema und, je nach Geschmacksrichtung der Richter, oftmals reine Auslegungssache.

    In erster Instanz wurde die Klage auf Räumung zurück gewiesen, jedoch erhielt ich einen Rüffel wegen des Artikels. Nun bleibt abzuwarten, was der Berufungsrichter meint.

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