21 March 2019

Wegschauen verletzt das Recht auf Leben: Zum Drohnenurteil des OVG Münster

Das Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen hat am 19. März eine für die rechtsstaatliche Prägung deutscher Außenpolitik sehr bedeutsame Entscheidung getroffen. Demnach muss sich die Bundesrepublik in Zukunft vergewissern, ob durch den Einsatz von US-Drohnen, die über deutsches Gebiet gesteuert werden, Völkerrecht verletzt wird. Ist dies der Fall, muss sie Maßnahmen treffen, damit eine solche Rechtsverletzung unterbleibt. Ein einfaches Wegducken der Bundesrepublik ist damit nicht mehr möglich.

In dem Rechtsstreit hatten drei Kläger aus dem Jemen geltend gemacht, dass im Jahr 2012 nahe Angehörige durch amerikanische Drohnen im Jemen getötet worden seien. Die Tötungsbefehle seien technisch durch Telekommunikationsanlagen übermittelt worden, die auf deutschem Gebiet, nämlich in der Luftwaffenbasis Ramstein belegen seien. Durch diese Hilfestellung für den amerikanischen Drohneneinsatz habe die Bundesrepublik Rechte der Kläger verletzt. Sie verlangten von der Bundesrepublik daher, eine Nutzung der Air Base Ramstein für derartige Einsätze zu unterbinden. Diese Forderung wies das Gericht nun zwar zurück, es erkannte aber an, dass für die Kläger eine Schutzpflicht des deutschen Staates bestehe, wenn Angriffe auf ihr Heimatland über eine Relais-Station des US-Militärs in Deutschland gesteuert werden.

Die amerikanischen Drohneneinsätze in Jemen sind Bestandteil eines amerikanischen Programms der Terrorismusbekämpfung. Ihre faktische Unterstützung durch die Bundesrepublik, die die notwendigen Grundstücke zur Verfügung stellt, ist seit Jahren Gegenstand der Kritik. Dem ist die Bundesrepublik immer mit der Behauptung entgegengetreten, sie habe keine Anhaltspunkte dafür, dass durch den Einsatz der über Ramstein (oder andere US-Einrichtungen in Deutschland) gesteuerten Drohnen Völkerrecht oder deutsches Recht missachtet werde. 

Dieser Haltung nach dem Vorbild der berühmten drei Affen, „nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“, hat das Gericht nun eine Absage erteilt: sie verletzt das Recht auf Leben.

Die tragende verfassungsrechtliche Erwägung des Gerichts ist, dass das Grundrecht auf Leben eine Schutzverpflichtung der Bundesrepublik beinhaltet. Sie müsse Betroffene davor schützen, dass durch ein Tun oder Unterlassen des deutschen Staates Leben verletzt werde, und dies auch im Ausland, soweit das Verhalten des deutschen Staates für eine Verletzung des Rechts auf Leben (mit) kausal sei. Dass sei immer dann der Fall, wenn die Tötung, die der deutsche Staat ermöglicht, völkerrechtswidrig sei. So wird für die Feststellung einer deutschen Rechtsverletzung die Frage relevant, ob der amerikanische Drohneneinsatz völkerrechtswidrig ist. Das Gericht hält den Drohneneinsatz nicht generell für völkerrechtswidrig. Wenn der Einsatz im Rahmen eines bewaffneten Konflikts erfolge, wie er im Jemen herrscht, sei er rechtswidrig, wenn er gegen Zivilpersonen, nicht aber, wenn er gegen Kämpfer gerichtet sei. Damit folgt das Gericht einer Argumentation, die schon der Generalbundesanwalt in einem Strafverfahren wegen eines amerikanischen Drohneneinsatzes in Pakistan verwandt hatte. In jenem Strafverfahren konnte der Generalbundesanwalt aufgrund eigener Erkenntnisse sicher sein, dass die Zielperson ein Kämpfer in einem in Pakistan herrschenden Konflikt, seine Tötung also keine Straftat war. Eben diese Sicherheit besteht aber nicht allgemein für die Praxis des Drohneneinsatzes der USA. Es bestehen vielmehr nach allem, was über diesen Drohneneinsatz bekannt ist, Anhaltspunkte, dass die Tötung nicht stets Kämpfer in einem bewaffneten Konflikt trifft. Die Auswahl der Zielpersonen folge der Konzeption eines bewaffneten Konflikts mit dem „Terrorismus“, der Terrorismusverdächtige generell zu rechtlich tauglichen Zielpersonen mache. Diese pauschale Bestimmung von Zielpersonen lehnt das Gericht ab, wie schon der Generalbundesanwalt in dem besagten Beschluss. Kämpfer im Sinne des völkerrechtlichen Kriegsrechts sei nur derjenige, der in einem bestimmten bewaffneten Konflikt eine dauerhafte Kampfaufgabe („continuous combat function“) habe. Das Gericht macht sich damit ausdrücklich die Definition des Kämpfers zu eigen, die das Internationale Komitee vom Roten Kreuz entwickelt hat, und es stellt sich in den Rahmen der von den Vereinten Nationen erhobenen Forderung, dass auch im Kampf gegen den Terrorismus die Menschenrechte zu beachten sind. 

Inhalt der grundrechtlichen Pflicht zum Schutz des Lebens ist also, dass sich die Bundesregierung, wenn deutsche Staatsorgane irgendwie, wenn auch nur technisch, zu Tötungshandlungen anderer Staaten beitragen, vergewissern müssen, dass die völkerrechtlichen Grenzen zulässiger Tötungshandlungen beachtet werden. 

Eine Erfüllung der Schutzpflicht bedarf dann eines außenpolitischen Handelns Deutschlands gegenüber den Vereinigten Staaten. Bestimmte außenpolitische Maßnahmen kann und will das Gericht der Bundesregierung aber nicht vorschreiben. Der Bundesregierung stehen im Bereich der Außenpolitik weite Spielräume bei der Einschätzung ihrer Möglichkeiten zu. Diese Beschränkung der Befugnisse der Gerichte im Bereich der Außenpolitik hat das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren festgestellt, und das OVG verkennt sie nicht. Es konnte darum die Bundesregierung nicht dazu verurteilen, den Drohneneinsatz zu verhindern. Sich informieren und „geeignete Maßnahmen“ ergreifen, das sind die allgemein gehaltenen Pflichten, die das Gericht der Bundesregierung vorgibt. Dieses Verlangen des Gerichts ist nicht „lebensfremd“, wie eine große Tageszeitung in der Kommentierung der Entscheidung meint. Militärs und Geheimdienste der USA und Deutschlands arbeiten trotz mancher Schwierigkeiten immer noch zusammen und reden miteinander. Lebensfremd ist vielmehr eine Haltung, die so tut, als sei alles bei dem amerikanischen Drohnenprogramm rechtlich in Ordnung.

Die Bundesregierung muss also jetzt etwas tun. Sollte das Bundesverwaltungsgericht, das über die zugelassene Revision zu entscheiden hätte, das anders sehen, so stünde der Weg zum Bundesverfassungsgericht offen.

Regeln des Völkerrechts sind manchmal für die Außenpolitik unbequem. Ein dem Rechtsstaatsprinzip verpflichteter Staat darf sie aber deswegen nicht einfach beiseite lassen. Daran hat das OVG in verdienstvoller Weise erinnert.                                


8 Comments

  1. Dr. Monika Ende Goethe Univetsität Ffm Thu 21 Mar 2019 at 17:59 - Reply

    Auf meine Frage, ob es Schutzpflichten in der EMRK gibt, antwortete Professpr Bernhardt 1995 an der Viadrina: “Selbstverständlich.”
    Schutzpflichten wirken nun auch im Völkerrecht, das ist erfreulich.
    Ich habe heute das Selbstbewusstsein erneut zu schreiben Schutzpflichten gibt es auch im Europarecht, abgeleitet aus den EU Vertragszielen, insbesondere Art. 2 EUV, aber inzwischen auch aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
    Warum der Hinweis auf das Europarecht und gerade heute am Geburtstag meines verstorbenen Lehrers M. Zuleeg?
    Weil diese für die Weiterentwicklung einer Europäischen Verteidigungsunion entscheidend sein werden.

  2. bla Sat 23 Mar 2019 at 12:35 - Reply

    Zuleeg war auch mein Lehrer (in Bonn), schoen, aber wieso gilt die EMRK auch im Yemen? Gilt sie in Ramstein? Im Wasser galt sie nicht und auch nicht in Belgrad.Das Grundgesetz gilt aber ganz selbstverrstaendlich auch in Afghanistan,so auch Herdegen. Woher kommt diese Sicherheit?

  3. bla Sat 23 Mar 2019 at 13:45 - Reply

    Was Prof Bothe ueber das Verhaeltnis von Kriegsrecht und Menschenrechten sagt, befriedigt mich auch nicht. Weder im Fall eines Angriffskriegs noch im Fall eines Verteidigungskrieges. Was ist mit dem Menschenrecht auf Souveraenitaet und territoriale Unversehrtheit? Wie Novak sagt, die Menschenrechte gelten immer.

  4. Dr. Monika Ende Goethe Universität Ffm Sat 23 Mar 2019 at 21:48 - Reply

    @ bla
    Soveränität und territoriale Unversehrtheit sind keine Menschenrechte, sondern Staatsrechte.
    Herr Zuleeg hat nie etwas anderes vertreten auch nicht vor meiner Zeit in Bonn.

  5. Dr. Monika Ende Goethe Universität Ffm Sat 6 Apr 2019 at 15:09 - Reply

    @Michael Bothe
    Im Krieg sterben sterben nun einmal Menschen. Hat die Lorscher Heimatzeitung Sie da 2010 falsch zitiert, Herr Professor Bothe?
    Und mit der Einschränkung, daher wäre es selbstverständlich besser erst gar keine Kriege zu
    zu haben.
    Aber Ihnen muss ich nicht sagen, dass das humanitäre Völkerrecht darauf beruht, wenn diese entsetzlichen Kriege schon nicht zu vermeiden sind, so viele Kriegshandlungen wie möglich als inhuman und Verstoß gegen ius cogens zu ächten.
    Drohnen töten ohne Gerichtsprozesse Schuldige, manchmal auch Unschuldige und sogar unbeteiligte Zivilisten.
    Das ist nach deutschem Verfassungsrecht verboten, denn die BRD ist nicht im Krieg mit dem Jemen.
    Aber auch im Krieg mit Afghanistan gelten Regeln und das Töten Unschuldiger Kinder ist niemals mit im Krieg sterben eben Menschen zu rechtfertigen.
    Nein, ich schreibe kein bla bla, ich bin nur mit dem Alter etwas nachsichtiger gegenüber Pressezitaten geworden und einem Satz, der sich so in einem Ihrer wissenschaftlichen Aufsätzen nicht finden würde.

  6. Dr. Monika Ende Goethe Universität Ffm Sat 6 Apr 2019 at 15:44 - Reply

    @ bla
    Ich wurde bereits 2017 an der Universität Kiel auf einen anderen Bonner Schüler von Herrn Zuleeg angesprochen.
    Es steht Ihnen selbstverständlich frei, ein Pseudonym zu benutzen.
    Doch meiner Ansicht nach sollte man, wenn man sich als Schüler eines Professors bezeichnet, seinen richtigen Namen verwenden.
    Das verlangt der Anstand, denn solche öffentlichen Angaben sollten überprüfbar sein.
    Das ist guter Journalism-us.

  7. Dr. Monika Ende Goethe Universität Ffm Sat 17 Aug 2019 at 10:04 - Reply

    @ Michael Bothe
    Das ist hier das typische What about? Argument
    Sie sehen zum Thema Wegsehen das unbestritten verwerfliche Tun im Jemen, das Verhaltend des Assistenten 1993 an Ihrem Lehrstuhl und mein Recht auf unverletztes Leben sehen Sie nicht.
    Ich würde das ja gar nicht auf dem Verfassungsblog ansprechen, wenn sich jetzt nicht auch noch dort ein Assistent aus Bonn gemeldet hätte.
    “Es ist nie zu spät, bernünftig und weise zu werden.” I. Kant

  8. Dr. Monika Ende Thu 19 Dec 2019 at 06:41 - Reply

    @ Michael Bothe
    Was ich in diesem Kommentar sagen wil,ist eigentlich ganz einfach, aber rechtswissenschaftlich diskursiv nicht irrelevant:

    Wie können menschenrechtliche Schutzpflichten im Jemen exterritorial gelten, wenn diese bestritten (?) von Ihrem Assistenten, heute Professor Goethe Universität Ffm, nicht einmal an Ihrem eigenen Lehrstuhl gelten?

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