13 November 2012

Wen ich für rechtsradikal halte, den darf ich auch rechtsradikal nennen

“Ich habe nichts gegen Juden, viele meiner besten Freunde sind Juden.” Wer diese Worte spricht, gibt in neun von zehn Fällen gleich als nächstes etwas knallhart Antisemitisches von sich. Meistens kommt dann im nächsten Satz irgendwas über die amerikanische Ostküste, über die Nazihaftigkeit der israelischen Besatzungspolitik in Palästina, über das jüdische Talent im Umgang mit Geld oder dergleichen. Und zum Abschluss, mit einem gewissen triumphierenden Bibber in der Stimme: “Das wird man doch wohl noch sagen dürfen.”

Es gehört zu den Erstaunlichkeiten des Phänomens Antisemitismus, wie viele Antisemiten der festen und lauteren Überzeugung sind, dass sie alles sind, nur keine Antisemiten. Wenn mich so jemand nun verklagt und fordert, ich dürfe ihn nicht einen Antisemiten nennen, kann er mir das dann verbieten?

Zumindest in Nordbayern kann er das offenbar. Das lässt ein Fall vermuten, der einer heutigen Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegt.

Ein Rechtsanwalt hatte einen anderen u.a. wegen dieses hübschen Stücks Verschwörungstheorie als rechtsradikal bezeichnet. Darin steht – in aktuell im Netz zu findenden Versionen ist die Parenthese getilgt – diese Passage:

Bis heute sind es aber zumeist die superreichen Familien Englands, Frankreichs und Hollands – größtenteils khasarische, also nicht-semitische Juden -, die das Wirtschaftsgeschehen in der Welt bestimmen. Es sind diese europäischen Finanzoligarchen, die in Wahrheit hinter der amerikanischen Wirtschaft stehen und die sich regelmäßig und höchst klandestin in ominösen Zirkeln [Trilaterale, Bilderberger-Konferenz, Atlantische Brücke, Council on Foreign Relations (CFR) und etwa 100 weiteren Bünden und Logen] treffen und untereinander absprechen.

Das Landgericht Würzburg hielt für diesen Text die Bezeichung “rechtsradikal” für eine Tatsachenbehauptung, und zwar für eine unzutreffende: Der Autor habe sich nicht selbst einer höheren Gruppe von Menschen zugeordnet und die besagten jüdischen Familien nicht als minderwertig bezeichnet. Er sei also in Wahrheit gar nicht rechtsradikal, und die Meinungsfreiheit gebe niemandem das Recht,  falsche Tatsachen in die Welt zu setzen.

Das OLG Bamberg erkannte in zweiter Instanz immerhin, dass es sich um eine Wertungs- und keine Tatsachenfrage handelt, sah aber Schmähkritik am Werk: “Ohne jeden nachvollziehbaren Hintergrund aus völlig anderen Motiven als denen einer sachlichen Auseinandersetzung” sei die Bezeichnung “rechtsradikal” gefallen, und – darf man in Kenntnis bayerischer Lebens- und Denkungsart wohl ergänzen – wo kommen wir denn da hin, wenn man da jeden, der von jüdischer Weltherrschaft faselt, gleich einen Rechtsradikalen nennen dürfte!

Die 1. Kammer des Ersten Senats macht da gar keine langen Worte: Natürlich ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit berührt, denn ob etwas “rechtsextrem” ist oder nicht, kann man nicht durch Beweiserhebung klären und kann daher keine Tatsachenfrage sein. Und natürlich ist es nicht gleich Schmähkritik, wenn man einen Artikel, den jemand anders veröffentlicht und damit öffentlich zur Diskussion stellt, scharf attackiert.

Die Urteile der fränkischen Zivilgerichte scheint mir die Kehrseite der auch sonst in der Instanzgerichtsbarkeit oft anzutreffenden Tendenz zu sein, Rechtsradikalismus als etwas zu behandeln, das einfach weg muss. Dann liegt es natürlich nicht fern, den Einsatz dieses Etiketts besonders restriktiv handhaben zu wollen: Wer rechtsradikal ist, der ist wirklich draußen, und dieses Schicksal darf man nicht jemandem zufügen, nur weil man das halt gerade mal so findet.

Es gehört zu den Ruhmestaten des BVerfG, dass es sich dieser Tendenz immer entgegengestellt hat: Wer rechts oder sogar rechtsradikal ist, ist deshalb noch lange nicht draußen. Dessen Meinungs-, dessen Versammlungsfreiheit ist von Polizei und Justiz zu schützen wie die jedes anderen Bürgers auch, notfalls mit zugehaltener Nase. Umgekehrt muss er sich aber gefallen lassen, dass andere offen aussprechen, für was sie ihn halten.

Das eine ist die Position der Angst, das andere die der Freiheit. Und ich bin im Zweifel für letztere.

Update: Thematisch passend dazu kommt gerade die Meldung, dass die NPD sich von Karlsruhe ihre Verfassungstreue bescheinigen lassen will – quasi einem Verbotsantrag vorbeugend und per Feststellungsklage.

Mir scheint das auf den ersten Blick ein ziemlich fieser und gewiefter Schachzug der NPD zu sein. Damit könnte sie die Innenpolitiker, die uns seit Monaten mit immer neuem Geraune über das Für und Wider eines neuen Verbotsverfahrens gegen die NPD langweilen, zum Schwur zwingen.

Wenn der Erste Senat es sich leicht machen will, könnte er wohl den Antrag an der Zulässigkeit scheitern lassen, denke ich. Formal gibt es kein Parteiverbotsverfahren, in dessen Rahmen die NPD einen Feststellungsantrag stellen könnte: Das erste ist ja eingestellt, und ein neues könnten nur Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Landesregierungen einleiten.

Materiell ist die interessante Frage, ob Art. 21 GG tatsächlich nicht verbotene Parteien davor schützt, dass Politiker bzw. Regierungschefs ihre Verfassungstreue bestreiten. Sofern diese sich amtlich äußern, können sie sich jedenfalls nicht auf ihre Meinungsfreiheit berufen: Der Staat ist kein Grundrechtsträger. Umgekehrt muss es im politischen Diskurs möglich sein, über die Verfassungstreue anderer Parteien kontrovers und ohne Maulkorb zu diskutieren. Vielleicht kann man sagen, dass es darauf ankommt, ob man explizit im Namen der Regierung bzw. das Parlament spricht oder nur persönlich als Politiker.

Das sind jetzt erst mal nur spontane Ersteinschätzungen. Wenn ich es schaffe, schreibe ich noch was Durchdachteres dazu.

 


One Comment

  1. Matthias Tue 13 Nov 2012 at 21:32 - Reply

    Ob der Schachzug der NPD so gewieft ist? Ich weiß nicht. Der Antrag (man kann ihn ergoogeln) ist grausig schlecht und ziemlich offensichtlich unzulässig. Einen Ich-bin-nicht-verfassungswidrig-Feststellungsantrag kennen GG und BVerfGG (§ 43) nun einmal nicht. Bleibt also die Frage nach der Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens. Und dazu hat die NPD herzlich wenig vorgetragen. Dass Politiker in Interviews (nur dies wird vorgetragen) ihren Ekel vor der NPD verbal artikulieren, soll eine rechtserhebliche Maßnahme sein, die Rechte der NPD aus Art. 21 GG verletzt? Nein, die NPD wird mit diesem Antrag abgewatscht werden.

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