20 January 2021

Wenig Raum für Debatte

Grünheide, Tesla und die Bürger

Tesla überraschte Ende 2019 Medien und Politik mit seiner Standortentscheidung für den Bau der so genannten Gigafactory im brandenburgischen Grünheide. Während Tesla den Bau seiner Fabrik fortsetzt, reißt der Protest von Bürgern und Umweltschutzverbänden nicht ab. An diesem Projekt zeigt sich exemplarisch die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Öffentlichkeitsbeteiligung im Anlagengenehmigungsverfahren.

Enttäuschte Hoffnungen

Das Vorhaben von Tesla ruft, nicht nur aufgrund seiner baulichen Dimension, großes mediales Interesse hervor. Der RBB betreibt mittlerweile eine eigene Website mit Podcast zum Thema. Das Unbehagen über den Bau der Gigafactory hat diverse Gründe. Nachdem die Verhandlungen über den Standort Grünheide lange geheim geblieben waren, sollte eine schnelle Umsetzung der geplanten Anlage folgen. Tesla wollte die Gigafactory bereits im Juli dieses Jahres in Betrieb nehmen (vgl. hier und hier). Auf Grundlage der bereits erteilten (vorläufigen und Teil-) Genehmigungen hat Tesla mit dem Bau der Fabrik begonnen (und sich für den Fall der Genehmigungsversagung zum Rückbau verpflichtet). Das Genehmigungsverfahren wird von diversen Stellen kritisch begleitet. Lokale Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen haben Einwände erhoben. Einige beschäftigen die Gerichte derzeit, über andere haben Gerichte bereits entschieden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 20.02.2020, OVG 11 S 8/20; zuletzt: VG Frankfurt Oder, Beschl. v. 10.12.2020, VG 5 L 602/20).

Die beteiligten Bürgerinitiativen, aber auch die allgemeine sowie die Medienöffentlichkeit hatten Hoffnungen in die Öffentlichkeitsbeteiligung und insbesondere in den Erörterungstermin gesetzt, der Ende September und Mitte Oktober 2020 stattfand (vgl. hier und hier und hier). Die Erörterung der betroffenen Belange erschien als ein wichtiges Forum, um mögliche Einwände gegen das Vorhaben zu debattieren. Doch die Erwartungen wurden enttäuscht. Der dem Termin vorangegangene Auslegungszeitraum wurde als zu knapp für eine angemessene Vorbereitung empfunden. Beteiligte fühlten sich gegenüber der Genehmigungsbehörde unterlegen. Auch das Engagement von Tesla SE während der Erörterung blieb blass. Reaktionen gingen nicht über allgemeine Aussagen hinaus. Der Termin fand hauptsächlich werktags und tagsüber statt. Medien hatten berichtet, dass die Erörterung vorzeitig abgebrochen worden sei, tatsächlich wurden jedoch alle Einwendungen über insgesamt zwei Wochen erörtert (vgl. schriftliche Mitteilung des Landesamts für Umwelt, LfU, an die Autorin des Beitrags). Dennoch: Inwieweit kann die Erörterung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren tatsächlich Erwartungen an eine „Debatte“ über das beantragte Vorhaben erfüllen?

Begrenzt demokratisierende Funktion

Der Bau von Teslas Gigafactory richtet sich nach dem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, welches im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) geregelt ist. Die Öffentlichkeitsbeteiligung in diesem umweltbezogenen Verfahren entfaltet – aufgrund des engen gesetzlichen Rahmens, der ihr gesetzt ist – nur eine begrenzte legitimatorische Kraft. Erwartungen der allgemeinen Öffentlichkeit an eine akzeptanzverschaffende oder demokratisierende Funktion im Sinne einer ergebnisoffenen Deliberation über das Für und Wider der Entscheidung, können daher nur enttäuscht werden (vgl. etwa: C. Franzius, Verwaltungsarchiv 2015, 76 ff.; B. Peters, Legitimation durch Öffentlichkeitsbeteiligung? Mohr Siebeck 2020). Das soll im Folgenden erläutert werden.

Im Anlagengenehmigungsverfahren nach dem BImSchG beantragt ein Antragsteller die Genehmigung, welche die Behörde nur versagen kann, wenn Versagungsgründe vorliegen. Im Plan(feststellungsverfahren) hingegen, welches bei anderen Großvorhaben einschlägig ist (Straßenbau, Eisenbahnstraßenbau, Stromleitungsbau), wird die Behörde zwar ebenfalls nur auf Antrag des Vorhabenträgers tätig, doch der Plan ist unter Abwägung aller widerstreitender Interessen zu erstellen. Insofern ermöglicht das Planfeststellungsrecht alternative Betrachtungen, etwa über den Standort des Vorhabens. Im Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG ist das nicht der Fall. Zudem erlaubt § 25 Abs. 3 VwVfG bei Planfeststellungen einen frühen Austausch zwischen Vorhabenträger und Öffentlichkeit.

Im immissionsschutzrechtlichen – wie allerdings auch im planungsrechtlichen – Beteiligungsverfahren sichtet die allgemeine Öffentlichkeit den Antrag des Vorhabenträgers und die sonstigen Unterlagen und nimmt schriftlich zu ihm Stellung. Bei Vorhaben, die wie die Gigafactory eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern, beträgt die Frist für die Stellungnahme vier, sonst lediglich zwei Wochen (vgl. 10 Abs. 3 S. 4 BImSchG). Im Rahmen diverser Reformen ist angemerkt worden, dass diese Fristen für Einzelne, insbesondere für Umweltorganisationen, zu knapp bemessen sind. Angesichts der Komplexität moderner Vorhaben eröffnen sie keine Möglichkeit, die Unterlagen detailliert zu studieren (A. Schmidt, ZUR 2011, 296, 297). Derartige Einwände fanden bisher kein Gehör. Vielmehr setzt der Gesetzgeber, zuletzt mit dem im März 2020 in Kraft getretenen Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich, auf eine weitere Geschwindigkeitserhöhung im (Planungs- und Genehmigungs)verfahren. Schließlich liegt es nach § 10 Abs. 6 BImSchG im Ermessen der Genehmigungsbehörde, eine weitere Erörterung durchzuführen. Das Ermessen erstreckt sich auch auf die Ausgestaltung des Termins, etwa die Zeiten. Entsprechend ist die Durchführung von Erörterungen werktags zu den üblichen Arbeitszeiten in der Behördenpraxis üblich. Der Termin dient ausschließlich dazu, die zuvor schriftlich erhobenen Stellungnahmen zu diskutieren. Die Öffentlichkeit ist dabei zwar zugelassen (§ 18 Abs. 1 S. 1, 9. BImSchV). Der Termin bietet ihr aber keinen Raum, allgemeine Aspekte des Für und Wider des Vorhabens zu diskutieren.

Eine Beteiligung der Öffentlichkeit im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren der Behörde kann demnach zwar wertvolle Einsichten und fehlende Informationen über Genehmigungshindernisse verschaffen. Auch können gewichtige Einwendungen, welche entgegenstehende Vorschriften auf den Plan rufen, letztendlich dazu führen, dass das Vorhaben nicht genehmigt werden kann. So erhält die Öffentlichkeit die Möglichkeit, die Letztentscheidung der Behörde zu beeinflussen. Dennoch bietet das derzeitige immissionsschutzrechtliche Genehmigungsrecht keinen Raum für eine allgemeine Debatte, welche auch bei kontroversen Vorhaben wie der Gigafactory eine weitere Möglichkeit eröffnen würde, die Vor- und Nachteile des Vorhabens zu erwägen.

Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung sicherstellen

Ein früheres, beherzteres und transparenteres Engagement der Tesla SE hätte wohl dazu beitragen können, die nun hochgeschlagenen Wogen zu glätten. Tesla scheint bislang hauptsächlich auf Überraschung und die allgemeine Sympathie gegenüber der (vermeintlich) umweltfreundlichen Elektromobilität gesetzt zu haben. Die Proteste in Grünheide mögen das Unternehmen überrascht haben. Die jüngere Geschichte lehrt allerdings, dass die Öffentlichkeit in Deutschland mittlerweile Großvorhaben jeglicher Couleur kritisch durchleuchtet. Tesla hätte es also gut gestanden, die in § 25 Abs. 3 VwVfG mögliche frühe Öffentlichkeitsbeteiligung zu nutzen, um eine erste Informationsgrundlage über die Gigafactory zu schaffen. Nach der gesetzgeberischen Begründung soll die Vorschrift des § 25 Abs. 3 VwVfG zwar allein im Planfeststellungsrecht Anwendung finden (BT Drs. 17/9666, 16.05.2012, 1), weshalb das zuständige LfU in Grünheide auch nicht auf eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung hingewirkt hatte (LfU, in einer Mitteilung an die Autorin dieses Beitrags). Allerdings hindert das den Vorhabenträger nicht daran, frühzeitig einen informellen „Bürgerdialog“ oder „Infopunkt“ über das Vorhaben einzurichten. Solche „Beteiligungen“ jenseits der formell geregelten Möglichkeiten werden mittlerweile von Verwaltungen wie Vorhabenträgern gleichermaßen rege genutzt. Sie können dazu beitragen, Vorbehalte und Widerstände gegenüber einem Vorhaben abzubauen.

Schließlich liefert der „Fall Grünheide“ ein weiteres Argument dafür, § 25 Abs. 3 VwVfG auch im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren planmäßig zur Anwendung zu bringen (vgl. H. Schmitz/L. Prell, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2013, 745, 746; J. Ziekow, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2013, 754, 755; H. Jarass, BImSchG, Kommentar, 2020, § 10, Rn. 26). Mit der Erinnerung durch die Genehmigungsbehörde, die dazu gehalten ist, auf einen solchen Termin hinzuwirken, wird der Vorhabenträger nämlich auch institutionell unterstützt, sich möglicher Widerstände und Einwände möglichst frühzeitig anzunehmen. Systematisch und semantisch spricht aufgrund der Verortung von § 25 Abs. 3 VwVfG im „allgemeinen Teil“ des VwVfG und des fehlenden Verweises auf die ausschließliche Anwendbarkeit im Planfeststellungsrecht jedenfalls nichts dagegen.


One Comment

  1. Weichtier Wed 20 Jan 2021 at 12:39 - Reply

    „Tesla überraschte Ende 2019 Medien und Politik mit seiner Standortentscheidung für den Bau der so genannten Gigafactory im brandenburgischen Grünheide.„
    Die Auffassung, dass die Politik von der Standortentscheidung überrascht war, kann ich nachvollziehen. Die Politik stand vermutlich in einem globalen „Schönheitswettbewerb“ hinsichtlich der Standortentscheidung. Insofern dürfte die Entscheidung für Grünheide kein Selbstläufer gewesen sein. Gesichtspunkte wie Fördermittel (positiv) sowie Dauer und Komplexität des Genehmigungsverfahrens (negativ) dürften ein Rolle gespielt haben.
    Eine Steigerung der legitimatorischen Kraft von Standortgenehmigungen durch eine ergebnisoffene Deliberation über das Für und Wider der Entscheidung dürfte davon betroffene Standorte in „Schönheitswettbewerben“ zurückfallen lassen. Vielleicht sollte sich die deutsche Politik ehrlich machen und auf eine Teilnahme an Wettbewerben für solche Großansiedlungen gleich ganz verzichten. Ein Mehr an Akzeptanzverschaffung oder Demokratisierung beim Genehmigungsverfahren wird die Wettbewerbsfähigkeit bei solchen Ansiedlungen negativ beeinträchtigen. Auch andere Wettbewerber dürften für Unternehmen eine interessante Infrastruktur haben (technische Infrastruktur, Rechtsstaatlichkeit, Ausbildung von Arbeitskräften). Zusätzliche Nachteile müssten vermutlich durch noch höhere Fördermittel kompensiert werden.

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