Weniger Staat im ZDF-Fernsehrat – Teil 2
Dass der ZDF-Staatsvertrag aus diesem Verfahren unversehrt hervorgehen wird, glaubt nach dieser Verhandlung wohl niemand mehr. Am Vormittag hatte es sich angedeutet, am Nachmittag wurde es quasi Gewissheit: Das Bundesverfassungsgericht wird seinen 13 Rundfunkurteilen ein vierzehntes hinzufügen, das die Staatskanzleien zurück an den Verhandlungstisch schicken wird. Selbst Christian von Coelln, der Prozessvertreter eines halben Dutzend unionsregierter Bundesländer, bekannte zur Erheiterung des Publikums, eine Bestätigung des bestehenden Staatsvertrags wäre nach dem Verlauf der Verhandlung ein „komisches Ergebnis“.
Kurz zur Erinnerung: Es geht um die Frage, ob der in diesem Staatsvertrag niedergelegte Rechtsrahmen für die Aufsichtsgremien des Zweiten Deutschen Fernsehens dem Gebot des Grundgesetzes genügt, dass der Rundfunk der Gesellschaft in all ihrer Vielfalt zu gehören hat und nicht dem Staat. Am Vormittag ließ sich der Erste Senat erklären, wie der Fernseh- und der Verwaltungsrat und seine Ausschüsse tatsächlich arbeiten und wie ihre Mitglieder zu ihren Posten kommen. Am Nachmittag ging es um die Frage, ob diese Praxis verfassungswidrig ist und, wenn ja, wie man sie verfassungsmäßig machen könnte.
Relativ klar scheint zu sein, dass die Art, wie die so genannte „R-Gruppe“ unter den Gremienmitgliedern berufen werden, nicht so bleiben kann. Dabei handelt es sich um die 16 Posten, die die Ministerpräsidenten mehr oder minder nach Gusto besetzen können. Nominell sollen sie gesellschaftliche Interessen abdecken, die nicht verbandsmäßig organisiert sind und daher nicht von den im Staatsvertrag (unter den Buchstaben G bis Q, deshalb R-Gruppe) ausdrücklich genannten Verbänden abgedeckt werden. Tatsächlich sitzen da offenbar alle möglichen Leute, darunter fünf Parlaments- und Regierungsmitglieder. Der sächsische Staatskanzleichef und Ober-Medienpolitiker der CDU, Johannes Beermann, bemühte sich noch, plausibel zu machen, dass der FDP-Politiker Zastrow doch im Zivilberuf eine Agentur besitze und daher irgendwie auch für die gesellschaftlichen Belange von Kunst und Kultur eintrete, aber das schien niemandem einzuleuchten, um so weniger, als offenbar auch mal ein veritabler Staatskanzleichef als angeblicher Interessenvertreter des Verbraucherschutzes im Fernsehrat Platz nahm.
Eine große Rolle spielte auch die Frage, ob man den Zugriff des Staates auf das ZDF dadurch begrenzen könne, dass man die Zahl der „staatsnahen“ Fernsehräte quotiert. Der Senatsvorsitzende Kirchhof machte klar, dass es nicht damit getan sein kann, dass man nur dem Extremfall eines total staatsdominierten Fernsehens vorbeugt, sondern dass das Grundgesetz Staatsferne befiehlt: Jeder unmittelbare oder mittelbare Einfluss des Staates auf das, was über den Sender geht, ist erst einmal von Übel.
Gernot Lehr, der Prozessvertreter des ZDF, machte dem Senat allerhand Angebote, hinter denen aber teilweise die Stimme seines Herrn, ZDF-Intendant Thomas Bellut, allzu deutlich zu vernehmen war: Lehr stellte den Intendanten als den wahren Hüter der Staatsferne dar und fand deshalb vor allem die Tatsache skandalös, dass dessen Personalentscheidungen, was Direktoren und Chefredakteur betrifft, in den Gremien einer 3/5-Mehrheit bedürfen und somit die Politik, wenn ihr eine Personalie nicht passt, dieselbe blockieren könne. Dass der Intendant selber mit 3/5-Mehrheit gewählt werden muss, fand er dagegen nicht nur in Ordnung, sondern sogar als Bollwerk gegen politische Einflussnahme höchst empfehlenswert. Das leuchtete Richterin Britz nicht ein: Ob er damit nicht die „Ratio des ZDF-Staatsvertrags“ überspiele, nämlich die Aufgabe, für Staatsferne zu sorgen, in die Hände der die Gesellschaft in ihrer Breite repräsentierenden Gremien zu legen?
Interessant wird sein, wie weit der Senat das fünf Jahrzehnte alte Konzept der Staatsferne weiterentwickelt. Richter Masing schien sich für Staatsferne als Staatsferne gar nicht so sehr zu interessieren und sprach lieber von Gruppenpluralismus, Vielfaltssicherung und Transparenz. Tatsächlich scheint mir der alte Antagonismus zwischen Staat und Gesellschaft hier gar nicht mehr den Punkt zu treffen. Die zwölf Parteienvertreter im Fernsehrat wären aus dieser Perspektive ja streng genommen gerade keine Staats-, sondern Gesellschaftsvertreter.
Es geht hier – zumal in diesen Zeiten einer sich abzeichnenden Riesengroßen Koalition – darum, zu verhindern, dass sich die miteinander auf das Komplexeste wechselseitig verflochtenen Inhaber politischer Macht in den Gremien der Rundfunkanstalten gemütlich machen und alle nicht Dazugehörigen ganz handfest und buchstäblich in die Marginalisierung drängen. Das betrifft, wie Masing deutlich machte, auch die Parteien: Grüne und Linke, die in den nächsten vier Jahren wohl alleine für Opposition im Bund sorgen müssen, sind unter den 77 Fernsehratsmitgliedern mit genau zwei Leuten vertreten.
Vor diesem Hintergrund rückten auch die informellen Zirkel in den Mittelpunkt des Verfahrens, die im Fernsehrat der eigentliche Ort des Geschehens sind – die „Freundeskreise“. Richter Paulus sprach von einem „Duopol“: Es gehe hier ja schließlich um Vielfalt, und wenn durch die gegenwärtige Struktur der ZDF-Aufsicht erst mal alles in CDU-nah und SPD-nah sortiert werde, dann sei das vielleicht Zweifalt, aber eben keine Vielfalt. ZDF-Vertreter Lehr unternahm den schwachen Versuch, dagegen zu halten, dass die Freundeskreise in der ZDF-Verfassung „doch gar nicht angelegt“ seien. Da lachte der ganze Saal, und Richter Paulus sagte: „Voilà!“
So naiv ist niemand, zu glauben, dass Karlsruhe informellen Absprachen und Hinterzimmerzirkeln effektiv ein Ende bereiten kann oder auch nur will. (Schließlich sind die Richterinnen und Richter auf kaum weniger intransparente Weise zu ihren Ämtern gekommen.) Ich bin gespannt, welche Formulierung der Senat wählen wird, um die Diskussion und die Entscheidungsmacht wieder in die formellen Gremien zurückzuholen, und mit welchem Erfolg.
Zuletzt ließ der Senat auch noch erkennen, dass ihm die Intransparenz, mit der die Gremien arbeiten, überhaupt nicht gefällt. Masing wurde geradezu sarkastisch, als er schilderte, welche Hürden man überspringen muss, um auch nur die Sitzungsniederschriften des Fernsehrates einsehen zu können. Der sächsische Staatskanzleichef Beermann klang ganz resigniert, als er daran erinnerte, dass eine Live-Übertragung der Gremiensitzungen „nicht der Bringer“ wäre (als ob das der Punkt wäre – überhaupt hat Beermann mich mehr als einmal scharf einatmen lassen vor Peinlichkeit, etwa als er Masing daran erinnerte, dass das Grundgesetz nicht von „Bundesländern“, sondern von „Ländern“ spricht.) Das Argument, dass man mit der Öffentlichkeit im Saal nicht so gut arbeiten kann, schien mir ebenfalls auf nicht allzu viel Resonanz zu stoßen.
Fazit: Wie immer der Senat und nach ihm der Staatsvertrags-Gesetzgeber die Technizitäten der Gremienausgestaltung löst – im ZDF-Fernsehrat wird es künftig künftig wohl deutlich weniger behaglich, dafür aber vielfältiger und transparenter zugehen als bisher. Ob es wirklich gelingt, dafür zu sorgen, dass nie wieder ein Roland Koch einen Nikolaus Brender verhindern kann, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt.
Eigenartig, dass bei dem Verfahren die Einflussnahme der Kirchen nicht zur Sprache kommt! Die haben sich nahezu unbemerkt nicht nur in Form von Produktionsfirmen, die der Bischofskonferenz gehören, eingeschlichen und verbreiten ihre Propaganda anscheinend unbemerkt, sie haben auch in den Gremien ihre und Redaktionen ihre Leute.
[…] in diesem Verfahren ebenfalls betroffen wäre. (Zusammenfassung zweier Artikel vom […]