Wer sich traut…
Die „Chefarzt-Saga“ ist um ein weiteres Ausrufezeichen reicher: Einem leitenden Arzt eines katholischen Krankenhauses darf nicht allein deshalb gekündigt werden, weil er sich kirchenrechtswidrig wiederverheiratet hat, so der EuGH heute Vormittag. Damit bestätigt der EuGH im Ergebnis die Urteile der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit, die mit der Sache in drei Instanzen beschäftigt war und ist. Er stellt sich aber zugleich offen gegen das Bundesverfassungsgericht, das sich in ebenfalls derselben Sache noch auf die Seite der Kirchen geschlagen hatte. Das Urteil ist somit nicht nur als weitere Grundlegung eines EU-Staatskirchenrechts bemerkenswert (1.). Es bedeutet auch eine überaus selbstbewusste Behauptung des Unionsrechts im Dreieck kollidierender Rechtssätze von EU-Recht, Kirchenrecht und nationalem Recht (2.).
1. Luxemburger Staatskirchenrecht
So ganz überraschend kam das heutige Urteil nicht. Bereits im letzten Jahr stellte sich dem Gerichtshof die Frage, ob Steuervergünstigungen für kirchliche Einrichtungen am Beihilfenregime der Artikel 107 ff. AEUV zu messen sein können (Rs. Congregación de Escuelas Pías, dazu hier auf dem Verfassungsblog). Das damals schon vergleichsweise deutliche „Ja“ des Gerichtshofs ließ für die Kirchen nichts Gutes erahnen: Immerhin verspricht Art. 17 Abs. 1 AEUV, dass die Union den Status der Kirchen, wie er sich aus den nationalen Rechtsordnungen ergibt, „achtet“ und nicht „beeinträchtigt“. Doch schon im letzten Jahr maß man der Vorschrift kein allzu großes Gewicht bei. Jedenfalls wollte sie das Gericht nicht als strengen Ausnahmetatbestand für die sonstigen Regelungen des Unionsrecht verstanden wissen. Während jenen unionsrechtlichen Implikationen des spanischen Steuerrechts hierzulande noch nicht allzu viel Aufmerksamkeit zuteilwurde, bezog sich ein weiteres Urteil des EuGH aus dem vergangenen April nun unmittelbar auf die deutschen Kirchen. In seinem Egenberger-Urteil bestätigte der EuGH die eingeschlagene Linie. Die Klägerin, Frau Egenberger, hatte sich auf eine Stelle bei der Diakonie zur Erarbeitung eines Berichts zur UN-Antirassismuskonvention beworben. Die Gerichte sahen es als erwiesen an, dass sie nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde, weil sie nicht – obwohl dies in der Stellenausschreibung ausdrücklich gefordert war – Mitglied der evangelischen Kirche ist. Zu Unrecht – wie der EuGH befand: zwar erlaube es das Unionsrecht den Kirchen, für bestimmte Tätigkeiten die Religionszugehörigkeit zu verlangen. Dies hänge jedoch von der Art der konkreten Tätigkeit ab. Insbesondere müssten die Kirchen plausibel darlegen, warum eine bestimmte Tätigkeit nur von Kirchenmitgliedern verübt werden könne, was durch die staatlichen Gerichte dann auch umfassend zu überprüfen sei.
Mit dem heutigen Urteil hat es nach der evangelischen nun auch die katholische Kirche ereilt: der Gerichtshof schließt sich den Ausführungen seines Generalanwalts vom Juni dieses Jahres an (dazu hier auf dem Verfassungsblog) und zitiert dabei ausführlich aus seinem Egenberger-Urteil. Wiederum betont er den hohen Rang der Rechtsschutzgarantie, wenn er die staatlichen Gerichte darauf verpflichtet, die kirchlichen Selbstbeschreibungen eigenständig („objektiv“) zu überprüfen. Der Raum kirchlicher Autonomie – wie ihn noch das Bundesverfassungsgericht gegen die Arbeitsgerichte abgesteckt hatte – ist enger geworden.
Dies gilt umso mehr, als dass der EuGH entgegen den üblichen Gepflogenheiten sogar überaus deutlich zu Tatsachenfragen des konkreten Einzelfalls Stellung bezieht und die ausstehende Subsumtion des Bundesarbeitsgerichts, das den Fall vorgelegt hatte, schon fast vorwegnimmt. So bewertet der Gerichtshof die Akzeptanz des katholischen Eheverständnisses, wonach die Wiederheirat allenfalls nach Annullierung der ersten Ehe zulässig ist, als „nicht notwendig“ für die Leitung eines Krankenhauses. Dabei verlässt er sich auf ein Motiv, das ihn bereits in der Vergangenheit bei der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen der Religion geleitet hat: da die Akten ergäben, dass in dem Krankenhaus auch nichtkatholische oder gar konfessionslose Chefärzte und -ärztinnen angestellt seien, die jedoch keinerlei Konsequenzen bei Scheidung und Wiederheirat zu befürchten hätten, könne das katholische Kirchenrecht hier „keine wesentliche Anforderung“ für die Tätigkeit als leitender Arzt enthalten. Wer sich auf die Notwendigkeit zur Ungleichbehandlung beruft, soll dies also bitteschön auch konsequent durchziehen. Damit kommt es allerdings – trotz aller Parallelen – letztlich zur umgekehrten Situation als im Fall Egenberger. Wo dort die evangelische Kirche die eigenen Mitglieder nicht bevorzugen durfte, schützt das Antidiskriminierungsrecht nun den Katholiken vor der katholischen Kirche.
2. Alte Vorrangfragen neu gestellt?
Das Urteil behauptet jedoch nicht nur das Unionsrecht gegenüber dem Kirchenrecht und begründet damit gleichsam ex negativo ein europäisches Staatskirchenrecht. Es stellt sich auch ungewohnt deutlich dem nationalen Recht und damit den mitgliedstaatlichen Gerichten entgegen. Dies beginnt bereits mit den schon erwähnten präzisen Vorgaben des Gerichtshofs für die Subsumtion des Sachverhalts. Dabei müsste der EuGH dem vorlegenden Bundesarbeitsgericht wohl kaum misstrauen – schließlich war es der Erfurter Senat, der trotz (oder womöglich gerade wegen?) einer Karlsruher Rückverweisung des Falls dem Gerichtshof mit seiner Vorlage überhaupt erst das Wort erteilt hat. Die trotzige Behauptung des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht setzt sich aber auch in den Ausführungen des EuGH zur Privatrechtswirkung seines Urteils fort. So lässt es der Gerichtshof – ebenso wie bereits im Egenberger-Urteil und unter Rückgriff auf seine Mangold– und Kücükdeveci-Entscheidungen – nicht gelten, dass mit § 9 Abs. 2 AGG möglicherweise eine nationale Rechtsvorschrift bestehe, die nicht mehr unionsrechtskonform ausgelegt werden könne. Notfalls – so das Gericht – sei das AGG hier unangewendet zu lassen, obgleich das beklagte Krankenhaus in privater Rechtsform steht. Erst hier – und nicht bei der Frage des Status der Kirchen – verlässt sich der EuGH also auf die Verfassungstradition: das Antidiskriminierungsrecht sei Ausdruck der gemeinsamen Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten und wird demnach faktisch in den Rang des Primärrechts gehoben. Entgegenstehendes nationales Recht kann dem nun auch im Verhältnis zwischen Privaten nichts mehr anhaben.
Ob diese heutigen Worte des EuGH zugleich die letzten Anweisungen an die Erfurter Richterinnen und Richter in dieser Sache darstellen, ist indessen nicht gesagt. Denn pikanterweise hat das Bundesverfassungsgericht ja gerade die Fragen des Staatskirchenrechts in seiner Lissabon-Entscheidung zur unveräußerlichen Verfassungsidentität gekürt und damit zumindest punktuell den Vorrang des Unionsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten bestritten. Wie sich die selbstbewussten Ansagen aus Luxemburg mit diesem Karlsruher Souveränitätsvorbehalt vereinbaren lassen, ist die wohl spannendste Frage, die das heutige Urteil aufwirft. Dabei sind die Positionen klar: das Bundesverfassungsgericht hat sich jeher als kirchenfreundliches Gericht gezeigt deren Autonomie gestärkt. Ebenso traditionell ist der EuGH jedoch auf die Einheitlichkeit und die Wirksamkeit des Unionsrechts bedacht. Das eine lässt sich hier nur auf Kosten des anderen verwirklichen. Die Extremposition, wonach alles Unionsrecht infolge einer Allianz aus Art. 17 Abs. 1 AEUV und deutscher Verfassungsidentität nur außerhalb kirchlicher Interessenssphären wirksam sei, wird sich jedoch nur schwerlich halten lassen. Im Übrigen – frei nach den Grundsätzen Reulscher Auslegungslehre – dürfte es außerhalb staatskirchenrechtlich geschulter Zirkel kaum noch zu vermitteln sein, dass der Weg zum Standesamt unmittelbar zum Arbeitsamt weiterführen soll. Eine weitere Entfremdung von Europa – diese These sei abschließend gewagt – wird das heutige Urteil wohl nicht bewirken.
Im entsprechenden Fällen kann vielleicht noch mit bedeutsam sein, dass es gesetzlich bei einer Interessenabwägung gunzulässig sein kann, wenn eine Kirche ein drittbeteiligte Person durch ein für diese eher sachfremdes Druckmittel mittelbar an einer grundsätzlich grundrechtlich geschützten Eheschließungsfreiheit zu hindern sucht. Sachfremdheit kann hier für eine drittbeteiligte, ehewillige Person darauf gründen, dass sie grundsätzlich einem Arbeitsvertrag mit seinen Loyalitätspflichten als Druckmittel nicht direkt unterfällt.
Bei einer Interessenabwägung können nicht allein Interessen zwischen Kirche und Mitarbeiter beachtlich sein. Mit erheblich können eventuell zudem noch Interessen von weiter beteiligten, konkreten “Eheanwärtern sein. Diese können dabei eventuell arbeitsvertraglichen Loyalitätspflichten weniger unterfallen. Das kann mit einen Grund dafür geben, dass entsprechende Kündigungen von Arbeitsverträgen staatlich weniger anerkennenswert sein können. Dies soweit jedenfalls beim Mitarbeiter ein genügendes Mindestmaß an Loyalität bleibt und weitergehend Loyalität nicht gerade für die Anstellung kirchlich von besonderer Bedeutng sein kann, wie u.U. bei einigen Geistlichen.
@ Peter Camenzind
Der EuGH hat es geschafft, allgemeinverständlich zu sein.
Kann sein. Das gelingt eventuell nicht jedem immer.
Es ist doch gut, dass der Mann wieder ordnungsgemäß verheiratet ist. Kann er sich auch viel besser auf seine Arbeit konzentrieren.
Das hier ist Diskriminierungsverbot im Europäischen Atbeitsrecht und kein Staatskirchrecht.
Wer nicht katholisch ist kann arbeitsrechtlich bei dem selben Arbeitgeber heiraten, wen und so oft er will. Aber ein katholischer Chefarzt darf das arbeitsrechtlich(!) nicht. Das ist doch absurd.
@ Maximilian Steinbeis
Vielleicht war dieser Beitrag etwas flapsig.
Aber stellen Sie sich vor, Dornrschen ist aufgewacht und lt sich scheiden.
Was soll der Prinz dann tun?
Er muss ein neues Dornrschen finden.