Warum Juristen sich mit „Nudges” beschäftigen sollten
Emanuel Towfigh und Christian Traxler fragen in ihrem Beitrag, warum die Debatte um „nudges“ so spät im deutschen rechtswissenschaftlichen Diskurs angekommen ist. Sie identifizieren dafür mehrere Gründe, die zum einen in der Rechtskultur, zum anderen in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung verankert sind. Ich stimme ihren Ausführungen im Wesentlichen zu. Daher möchte ich den Blick auf einen anderen Aspekt legen, den sie in ihrem Beitrag nicht angesprochen haben: Warum sollten sich Juristen mit „nudges“ beschäftigen? Wäre das nicht eher eine Aufgabe für Psychologen oder Verhaltensökonomen? Auf den ersten Blick scheint viel dafür zu sprechen, die Debatte in erster Linie den Sozialwissenschaften zu überlassen. Ein „nudge“ soll das Verhalten von Individuen beeinflussen ohne ihre Wahlmöglichkeit einzuschränken. Das Design von effektiven „Nudges“ hängt also sehr stark davon ab, dass man menschliche Verhaltensmuster versteht. Dabei handelt es sich um eine empirische Analyse, der Sozialwissenschaftler deutlich näher stehen als normativ orientierte Juristen.
Dennoch gibt es zwei Gründe, warum das Feld nicht allein den Sozialwissenschaftlern überlassen werden sollte. Erstens geht es den Befürwortern von „Nudges“ um Regulierungsansätze. Die Frage, ob Verhaltensbeeinflussung durch „Nudges“ wünschenswert ist, ist eine normative. Hier sind Juristen stärker darin geschult, die positiven Effekte einer solchen Regulierung gegen mögliche Nachteile abzuwägen, als empirisch ausgerichtete Sozialwissenschaftler. Der wichtigere Grund ist allerdings ein zweiter. Sozialwissenschaftler beschäftigen sich normalerweise nicht mit großen politischen Fragen. Es ist gleichzeitig Stärke und Schwäche des methodischen Ansatzes der empirischen Sozialwissenschaften, dass dieser auf einem relativ begrenzten Kanon anerkannter Methoden basiert. Die Methodik beschränkt dabei den Zuschnitt der möglichen Forschungsfragen. Empirischen Sozialwissenschaftlern geht es weniger um das Entwickeln holistischer Theorien als vielmehr um die Identifikation oft kleinteiliger Kausalzusammenhänge. Aus diesem Grund rücken Regulierungsfragen oft aus ihrem Fokus der. Die Methode erlaubt ihnen nicht, diese zu analysieren.
In dieser Hinsicht haben Juristen einen komparativen Vorteil. Sie können normative Schlussfolgerungen oft auf informierte Hypothesen oder Annahmen stützen, ohne damit die Regeln der eigenen Disziplin zu verletzen – ein Vorgehen, dass in der Ökonomie oder der Psychologie undenkbar wäre. Auch wenn die „Nudging“-Debatte ein Spätankömmling ist, ist es wichtig, dass sie endlich in der deutschen Rechtswissenschaft angekommen ist. Würde die Rechtswissenschaft sich nicht mit dem Thema beschäftigen, würde es wahrscheinlich vollkommen dem Experimentierfeld des politischen Pragmatismus überlassen. Eine tiefere wissenschaftliche Reflektion kann hier nur von Vorteil sein.
[…] Warum Juristen sich mit „Nudges” beschäftigen sollten Via @KanzleiJob […]
Sie schreiben “Hier sind Juristen stärker darin geschult, die positiven Effekte einer solchen Regulierung gegen mögliche Nachteile abzuwägen, als empirisch ausgerichtete Sozialwissenschaftler.” Die Diskussion um das “Ob” des Nudging ist eine Andere als das “Wie”. Für das “Wie” bin ich sehr froh, wenn alle kreativen und sozialen Kompetenzen wirken ohne diese in Wissenschaftsdisziplinen einsortieren zu wollen.