Wie hoch müssen die Hammel springen?
Zur Frage der Rechtmäßigkeit des verweigerten Hammelsprungs
Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause kam es Ende Juni im Bundestag zu Vorkommnissen, die mehr verfassungsrechtlichen Sprengstoff enthalten, als manch einer auf dem ersten Blick vermuten mag. Bei einer nächtlichen Sitzung zum „Zweiten Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU“ bezweifelte die AfD-Fraktion gem. § 45 Abs. 2 S. 1 GO BT die Beschlussfähigkeit des Bundestages. Offenkundig waren weniger als die Hälfte seiner Mitglieder anwesend. Nichtsdestotrotz wies der Sitzungsvorstand das Ansinnen der AfD-Fraktion zurück, indem er die Beschlussfähigkeit einmütig bejahte. Das ganze Schauspiel lässt sich hier und hier nachvollziehen. Schon unmittelbar nach dem verweigerten Hammelsprung sprach die AfD von einem „Rechtsbruch“. Heute nun hat die Fraktion angekündigt, das Verhalten des Sitzungsvorstandes tatsächlich in Karlsruhe prüfen zu lassen. Die Erfolgsaussichten sind gering.
Zunächst einmal ist festzustellen, dass der Sitzungsvorstand die Vermutung der Beschlussfähigkeit gem. § 45 Abs. 2 GO BT nicht aufgehoben hat. Durch das einmütige Bejahen der Beschlussfähigkeit blieb der Bundestag beschlussfähig, so dass der Gesetzesbeschluss (BT-PlPR. 19/07, 13295 D–13296A) zum „Zweiten Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU“ zumindest nicht mit einem formalen Makel belastet ist.
Die eigentliche Frage lautet allerdings: Durfte der Sitzungsvorstand, obwohl offenkundig nur etwa 120 Abgeordnete anwesend waren, die Beschlussfähigkeit bejahen? Ohne nähere Begründung geht das Bundestagspräsidium hiervon aus. Blickt man allerdings näher auf die Vorschrift des § 45 Abs. 2 S. 1 GO BT, so kommen einem Bedenken.
Aufgabe des zwischen der Rüge einer Fraktion und dem Hammelsprung geschalteten Sitzungsvorstandes ist, dass dieser kraft seiner Verantwortung verhindern soll, dass Fraktionen den parlamentarischen Beratungsablauf torpedieren, indem sie offenkundig unbegründet die Beschlussfähigkeit rügen. Sind evident mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages anwesend, so würde ein Hammelsprung den parlamentarischen Alltag nur stören, weshalb der Sitzungsvorstand solch eine Anfrage durch einmütiges Bejahen der Beschlussfähigkeit zurückweisen kann. Ab wann genau man von einer unbegründeten Rüge sprechen kann, unterliegt einem Beurteilungsspielraum des Sitzungsvorstandes. Sinn und Zweck der Vorschrift ist insofern der Schutz der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlamentes. Nun haben wir allerdings den umgekehrten Fall: Im Bundestag waren offensichtlich nicht die Hälfte seiner Mitglieder anwesend und der Sitzungsvorstand hat dennoch die Anfrage der AfD-Fraktion unisono zurückgewiesen.
Rekurriert man auf die der Funktion des Sitzungsvorstandes nach § 45 Abs. 2 S. 1 GO BT zur Abwehr von Störungen des parlamentarischen Ablaufes, so könnte man dessen Vorgehen als materiell rechtmäßig erachten. Immerhin konnte das Parlament aufgrund des verweigerten Hammelsprunges seiner Arbeit nachgehen.
Gegen solch eine weite Interpretation der Norm sprechen allerdings die Systematik und der Wortlaut. Explizit wird in Abs. 2 S. 1 von der einmütigen Bejahung der Beschlussfähigkeit gesprochen, während Abs. 1 definiert, wann Beschlussfähigkeit vorliegt. Der Sitzungsvorstand hat sich bei der Beurteilung der Abwehr von Rügen an diese Maßstäbe zu halten. Weitere Kriterien – etwa die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Parlaments – in die Beurteilung der Situation der offensichtlichen Beschlussunfähigkeit miteinzubeziehen, fällt mit Blick auf den Wortlaut schwer. Indem der Sitzungsvorstand – wider den für Jedermann erkennbaren Tatsachen – die Beschlussfunfähigkeit negierte, traf er eine Entscheidung, die nicht mehr von der GO BT gedeckt war.
Folgen dürfte der Verstoß allerdings keine haben. Dass ein Gesetz mit nur wenigen Abgeordneten auf Grundlage der Vermutung des § 45 Abs. 2 GO BT wirksam beschlossen werden kann, hat das BVerfG bereits bestätigt (BVerfGE 44, 308 (320 f.), bestätigt durch 123, 39 (67)). Von einer Verletzung von verfassungsrechtlichen Mindestbeteiligungsqouren, sollten diese überhaupt existieren, ließe sich nur ausgehen, wenn man die Grenze etwa oberhalb von 25 % ansiedelt (hierfür Pracht/Ehmer, Jus 2019, 531 (535)). Insofern bleibt es bei der formalen Vermutung der Beschlussfähigkeit. Der materielle Verstoß des Sitzungsvorstandes schlägt nicht auf das Gesetz durch.
Auch vor dem Bundesverfassungsgericht sind die Erfolgsaussichten eines Organstreitverfahrens gering. Bereits an der Frage der Antragsbefugnis dürfte das Verfahren scheitern. Da das Organstreitverfahren ein kontradiktorisches Verfahren ist, in dem der Antragssteller eigene Rechte aus der Verfassung oder zumindest solche Rechte des Organs, dem er angehört, geltend machen muss, kann die AfD-Fraktion nicht einfach die Missachtung der GO BT bzw. von objektiven Prinzipien des GG anführen. Hinsichtlich der AfD-Fraktion sind keinerlei Hinweise ersichtlich, dass sie in ihren parlamentarischen Beteiligungsrechten beeinträchtigt wurde. Im Gegenteil dürfte ihr der Sitzungstermin bekannt gewesen sein, so dass sie nicht nur mit einer Hand voll Abgeordneten hieran hätte teilnehmen müssen. In ihren eigenen Rechten wurde sie daher nicht einmal möglicherweise verletzt. Sofern die AfD-Fraktion als Prozessstandschafter Rechte des Bundestages geltend macht, kommt man zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Sitzung war rechtzeitig angekündigt worden und es liegen keine Hinweise zu etwaigen Behinderungen der parlamentarischen Abläufe im Vorfeld (BVerfGE 44, 308 (320 f.)) vor, durch die (Minderheiten-)Rechte verkürzt wurden. Auch das Gesetzgebungsrecht des Bundestages wurde durch den verweigerten Hammelsprung nach keinerlei Betrachtungsweise geschmälert: Gerade die Verweigerung des Hammelsprunges führte ja dazu, dass es zu den Gesetzesbeschlüssen kommen konnte. Ferner ist durch die Entscheidung des Sitzungsvorstandes das Gesetz nicht mit dem Makel der Verfassungswidrigkeit behaftet, welcher das Gesetzesrecht des Bundestages leerlaufen lassen könnte.
Die AfD wird folglich mit ihrem Antrag in Karlsruhe scheitern. Ob es aus politischer Sicht klug war den Hammelsprung zu verwehren, ist eine andere Frage. Jedenfalls konnte sich die AfD – mal wieder – medial als „Opfer des Establishments“ stilisieren. Möglicherweise sollten die Abgeordneten des Bundestages darüber nachdenken, den § 45 GO BT zu reformieren oder gar zu streichen. Der Bundestag ist längst ein Arbeitsparlament, so dass regelmäßig das Quorum von § 45 Abs. 1 GO BT verfehlt wird. Ehrlicher wäre es, wenn man das Quorum absenkt oder dem Sitzungsvorstand einen erweiterten Beurteilungsspielraum zubilligt. Damit ließen sich in Zukunft vergleichbare Schachzüge vermeiden.
Falls es wirklich zunächst an der Antragsbefugnis scheitern sollte, dürfte es ja nicht so schwer fallen, später einen Bürger aufzutreiben, der wie in BVerfGE 44, 308 durch die Anwendung des in Frage stehenden Gesetzes tatsächlich benachteiligt wurde. Und in dieser Entscheidung hat das Gericht ja durchaus geprüft, ob das in der GO festgelegte Verfahren zur Feststellung der Beschlußfähigkeit auch eingehalten wurde.
Sollte es tatsächlich zu einer VB kommen, die eines der beschlossenen Gesetze zum Gegenstand hat. Müsste sich das BVerfG wieder damit befassen, ob die Vermutung widerlegt wurde.
BVerfGE 44, 308 (320 f): “Unter welchen Umständen diese Vermutung als widerlegt zu erachten ist, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Zu denken wäre an Fälle, in denen die Mehrheit der Abgeordneten aus tatsächlichen Gründen gehindert ist, bei einer Schlußabstimmung im Plenum zu erscheinen, nachdem eine umfassende Vorbereitung der zu treffenden Plenarentscheidung in den Ausschüssen und Fraktionen unterblieben ist oder in diesem Verfahrensabschnitt kein Konsens über das betreffende Vorhaben erzielt werden konnte.”
Bisher konnte nicht aufgezeigt werden, dass eine dieser Fallgruppen hier einschlägig ist. Dass der Verstoß gegen die GO BT nicht automatisch die Vermutungswirkung des § 45 GO BT entfallen lässt, ist oben bereits ausgeführt. Auch ein andersgearteter Verstoß gegen das GG ist m. E. nicht ersichtlich, insb. kein Verstoß gegen etwaige Mindestbeteiligungsqouren, die dem Demokratieprinzip entspringen könnten. Eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ist daher schwer vorstellbar.
Nach §51 stellt der Sitzungsvorstand ebenfalls einstimmig das Abstimmungsergebnis fest. Somit kann der Sitzungsvorstand jedes Ergebnis willkürlich nach eigenem Gutdünken festlegen, ganz egal wie die Abgeordneten darüber abgestimmt haben. Wie das mit demokratischen Prinzipien in Übereinstimmung zu bringen ist, wissen wahrscheinlich nur die lupenreinen Demokraten, die der Meinung sind, dass die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages bei der Beschlussfähigkeit nicht eingehalten werden müssen.
Niemand behauptet, dass die Geschäftsordnung grundsätzlich eingehalten werden muss.
Die erste Frage ist, ob überhaupt ein Verstoß gegen sie vorliegt. Das kann man durchaus kontrovers diskutieren. Da ist ihr Beispiel zwar ein Versuch diese Debatte ad absurdum zu führen, aber nicht gänzlich verfehlt.
Unabhängig davon folgt dann aber die zweite Frage: Was hat dies für Auswirkungen? Und da ist die Geschäftsordnung nun mal in erster Linie – wie der Name ja schon sagt – eine Geschäftsordnung. Verstöße führen also nicht zwingend zu einer Verfassungwidrigkeit oder zu einer erfolgreichen Klage vor einem Verfassungsgericht. Das bedarf weiterer Feststellungen. Eine Verfassungswidrigkeit von Gesetzen herbeizuführen ist eben keine Frage des Binnenrechts des Bundestagees.
Art 40 GG (1) Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung.
Die Grundlage der GOBT ist das Grundgesetz. Der Bundestag „gibt sich eine Geschäftsordnung“. Das ist die klare Forderung des Grundgesetzes. Davon, dass diese GOBT dann, wie Sie behaupten, nicht eingehalten werden muss, ist im GG nichts zu finden.
Ich kann dem Vorredner “moep” nur zustimmen. Die Frage des Verstoßes ist m. E. zu bejahen. Allerdings ist allseits bekannt, dass ein Verstoß gegen die GO BT – als reines Binnenrecht – nicht automatisch zur Verfassungswidrigkeit oder Nichtigkeit eines Gesetzes führt, es sei denn, es sind zugleich Bestimmungen des GG verletzt. Man denke an den Fall, dass ein Gesetz entgegen des § 78 GO BT nicht in drei regulären Lesungen beschlossen wurde (vgl. BVerfGE 29, 221 [234]). Solch ein Verstoß hätte ebenfalls nicht die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Folge, da sich das GG dieser Frage enthält und ein Verstoß gegen weitere Bestimmungen nicht ersichtlich ist.
Die Schlussfolgerung aus dem Aufsatz kann ich nicht nachvollziehen: Hier hat der Sitzungsvorstand bewußt durch “Zurechtbiegen” von Tatsachen und unter offensichtlicher Mißnutzung der Geschäftsordnung eine der im Bundestag vertretenden Parteien “abklatschen lassen”.Ob das rechtlich angreifbar, demokratisch legitimiert oder moralisch unterirdisch war, lasse ich dahingestellt. Genauso wie die Frage, ob hier die ausgebremsten Mandatsträger von Dritten moralisch/demokratisch gutgeheißen werden oder nicht. Allein die Schlussfolgerung: Hier hat Frau Roth Recht und Fairness missachtet und sich von der Sitzungsleitung in ihrem Handeln unterstützen lassen, um den “bösen Undemokraten” die Stirn zu bieten, also müssen ihr und ihresgleichen hierzu weitere diesbezügliche Möglichkeiten eingeräumt werden? Das ist eine ergebnisgeleitete Haltungsforderung, die aus der Überzeugung der eigenen moralischen Position zu entspringen scheint. Hier wird nicht die Rechtswidrigkeit der Verweigerung des Hammelsprungs als Handlungsgebot gesehen, sondern am Ende lamentiert, dass man doch gefälligst den bösen AfDlern die Rechtsmöglichkeiten nehmen solle, diese würden die parlamentarisch definierten Regeln sonst für sich nutzen. Und das ist das schlimmste, was man in der demokratischen Debatte tun kann: Dem politischen Gegner nicht durch Argumente, sondern taktische Spielchen ausbremsen. Formale Unredllichkeiten aus moralischer Überhöhung gegen die bösen Undemokraten einzusetzen. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn das Konzept dieser Partei aufgeht und sie sich erfolgreich als unterdrücktes Opfer durch etablierte Parteien stilisiert und keine inhaltliche Debatte führen muss.
Ich glaube Sie mistverstehen meine Forderung zur Reform der GO BT. Ich sehe die Regelung des § 45 GO BT in seiner jetzigen Form als obsolet an. Der Bundestag nimmt seine Aufgaben primär in den Ausschüssen war. Im Plenum wird i. d. R. weniger die Sacharbeit erledigt, als dass öffentlichkeitswirksam diskutiert und am Ende dem Gesetz zugestimmt bzw. es abgelehnt wird. Keineswegs sind auch diese Punkte wichtig, allerdings bedarf ist hierzu nicht unbedingt der Hälfte seiner Mitglieder. Ehrlicher wäre es, wenn man ein anderes Quorum zur Beschlussfähigkeit einführt, z. B. i. H. v. 25 %. Ebenfalls könnte man dem Sitzungsvorstand die Frage anvertrauen, ob eine Rüge der Beschlussunfähigkeit damit abgewehrt werden kann, dass jedenfalls kein Verfassungsverstoß vorliegt, da im Vorfeld der Lesungen die Rechte der Fraktionen und der Abgeordneten geachtet wurden. Man würde damit den Beurteilungsspielraum zur Notwendigkeit eines Hammelsprunges explizit auf die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments erweitern. Die Entscheidung sollte der Sitzungsvorstand, der sich aus Personen der Regierungs- und Oppositionsfraktionen zusammensetzt, einmütig getroffen werden. Dies käme der Realität des Arbeitsparlaments jedenfalls näher als die jetzige Fassung. Auf der anderen Seite birgt solch eine Veränderung natürlich Konfliktpotential, was allerdings in der jetzigen Fassung – siehe Sachverhalt – ebenso vorhanden ist.
Die Reformüberlegung sollten also kein Versuch sein, die AfD mit unlauteren Mitteln zu bekämpfen. Das Vorgehen der AfD hat lediglich die Tatsache, dass die Norm des § 45 GO BT nicht (mehr) den parlamentarischen Alltag widerspiegelt, in Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Bereits in jüngerer Vergangenheit haben auch andere Parteien den Hammelsprung durchführen lassen (Linksfraktion im Jahr 2012), was zwar zu politischen Verstimmungen geführt hat; allerdings keine weiteren Rechtsfragen aufgeworfen hat. Die Frage der Justiziabilität hat erst das m. E. geschäftsordnungswidrige Verhalten des Sitzungsvorstandes ggü. der AfD-Fraktion aufgeworfen. Insofern ging es mir nie darum die AfD durch „taktische Spielchen“ auszubremsen, sondern schlicht den Finger in eine Wunde zu legen, die erst durch das Verhalten von Sitzungsvorstand und AfD offenbart wurde. Seien Sie sich sicher, dass der Beitrag genauso ausgefallen wäre, wenn die Rüge von den Grünen/ Linken/ SPD/ FDP/ CDU/CSU / Partei Ihrer Wahl ausgegangen wäre.
Ich verstehe bei ihren Ausführungen etwas nicht. Es geht doch darum ob eine Regelung eingehalten wurde. Es ist eine völlig andere Sache ob eine Regelung anders gewünscht ist.
Die GO könnte “jederzeit” vom Bundestag mit 2/3 Mehrheit geändert werden. Die Änderung müsste dann immer noch GG konform sein. Die jetzige Regelung ist GG konform. Gestritten wird nur darum ob sie GG konform eingehalten wurde? Und da verstehe ich die Diskussion nicht, denn klarer kann man eine Regelung nicht nicht einhalten oder in der Anwendung ad absurdum führen.
Wie gesagt, der Fall bietet Anlass zu überlegen, ob man eine bestehende verfassungskonforme Regelungen, die allerdings bei näherer Betrachtung oftmals nicht der Realität entspricht, reformiert oder nicht. Daher der rechtspolitische Ausblick am Ende des Beitrages.
Dass die Regelung des § 45 GO BT m. E. verletzt wurde, wird ja deutlich. Die daraus resultierenden Fragen der Verletzung von Verfassungsrechten – nicht solchen aus der GO BT – der AfD-Fraktion bzw. des Bundestages als Ganzes und der Verfassungsmäßigkeit der erlassenen Gesetze sowie die verfassungsprozessuale Geltendmachung sind Folgefragen, die zu diskutieren sind.
Naja, in der imaginierten Opferrolle suhlt sich die sog. AfürD ja völlig unabhängig davon, wie andere mit ihr umgehen. Insofern wäre es verfehlt, gegenüber den Faschisten die Samthandschuhe anzuziehen, nur damit die auch ja keinen weiteren Grund zum Quengeln haben.
Ich bin Ingenieur und kein Jurist, aber hier sind in meinen Augen gleich mehrere Dinge haarsträubend:
1) Die Frage ob die beschlossenen Gesetze tangiert sind ist eine Ablenkungsdiskussion. Die Beschlussunfähigkeit wurde nicht festgestellt, die Sitzung nicht abgebrochen und es wurde abgestimmt, das versteht jeder.
2) Regelungen die nicht mehr mit dem gesunden Menschenverstand nachvollziehbar sind, können grundsätzlich nicht mehr demokratisch sein. Wenn es also eine Regelung gibt, wann Beschlussfähigkeit besteht, dann muss das auch für den gelten, der die Beschlussfähigkeit festzustellen hat.
3) Wenn niemand Einspricht mag alles laufen wie es will, wenn aber jemand das Recht hat einzusprechen, muss er dieses auch bekommen. Andernfalls ist er in seinen Rechten beschnitten (und nicht in der Opferrolle).
4) Es steht auch nicht im Raum ob die 50% um ein oder zwei anwesende Abgeordnete unterschritten war. Dies hätte ein Hammelsprung in eben dieser Präzision aber feststellen können. Logisch wäre also die Frage warum ein dermaßen aufwändiges Verfahren festgelegt ist, wenn, was ich nicht glauben will, ein Sitzungsvorstand etwas offensichtlich nicht korrektes feststellen darf.
Und dann ist da noch der Vorschlag die Geschäftsordnung zu ändern, weil das längst eh ein “Arbeitsparlament” sei. Das halte ich für keine rechtliche sondern für eine politische Einschätzung. Ich jedenfalls bin schon der Auffassung das jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen unterliegt und das tut er nur wenn er mit abstimmt. Da finde ich schon 50% bedenklich und möchte nicht wissen wie oft man bei abweichenden Meinungen sich lieber durch Abwesenheit entzieht? Als Wähler erwarte ich, dass ich ganz klar wissen kann, wie “mein” Abgeordneter auch wirklich aktiv gewählt hat, dazu hat er da zu sein. Wenn das nicht mehr gilt können die Parteivorstände das erledigen und der Rest kann zuhause bleiben?
Ich finde die ganzen Ausführungen dann doch sehr schwach. Wenn es um Abstimmungen und die Frage von zwingenden (!) Regelungen dazu im entscheidenden Organ der Legislative geht, dann halte ich es für bedenklich, dass sowohl der Autor als auch die bisherigen Kommentatoren sich an kleinteiligen Aspekten aufhalten. Das ist schwach. Selbstverständlich ist zunächst Art. 20 Abs. 1 zu lesen. Dass Art. 20 Abs.1 nicht mal “gestreift” wird lässt rechtsdogmatisch tief blicken. Erst nach dem “Einloggen” dieser systematisch so wichtigen Basis folgert man weiter. Und dann ist es selbstverständlich, den Rest sozusagen “Artikel-20-freundlich” auszulegen und die inzwischen wirklich gut etablierten Grundregeln dazu durchzusetzen, was denn sinnvollerweise als ein beschlussfähiges Parlament zu sehen ist. Da können “Bequemlichkeitsregeln” und “Arbeitsfähigkeitsüberlegungen” dann gerne auf der niederen Ebene “ausgelebt” werden, aber das ist doch nicht der ausschlagebende Punkt, wenn es zur Güterabwägung geht. Mal ganz unjuristisch liebe Kollegen: Sind wir schon wieder in einer Paria-Malus-Phase? Wie damals in den 80ern bei den Grünen? Auch erinnere ich an den guten alten Abgeordneten Wüppesahl! “Nervig” aber nützlich. Ich weiß, das Ärgerliche an der neuen Fraktion ist, dass sie sich empirisch bei als bei überheblichem Verhalten gut auszukennen gibt und daher dieses schlicht besonders schnell und klar bei Ihrem Gegenüber erkennt. Das schmerzt, handelt man doch in selbstvergewisserter, guter Absicht. Jedoch gilt “der Zweck heiligt die Mittel” eben gerade NICHT im Staat des Grundgesetzes. Nun, einfach mal durchatmen, und weg vom Durchwursteln bitte! Das Grundgesetzt ist in Sachen Demokratie und gelebte, demokratische Praxis logisch und zielführend. Die GOBT und die Praxis der Teilorgane hat dem zu folgen und sich dem nicht entgegenzustellen, so einfach ist das. Selbstverständlich war das geschilderte Vorgehen verfassungswidrig. Ich verstehe die Zweifel nicht, vielmehr lassen Sie einen stirnrunzeln! Diese Trickserei ist kurz gedacht und führt in eine wenig gute Rechtspraxis-Kultur. Daher mein Ausruf: Mehr Artikel 20 wagen! Das Grundgesetz hat sich immer am besten und wirksamsten gezeigt, wenn es als eine auch im tristen Parlaments-Alltag lebendige und Konsequenzen zeitigende Verfassung begriffen und angewendet wird. Und eben nicht als störendes, theoretisches Konstrukt, das einer geschmeidigen Praxis nur im Weg steht.
Möglicherweise wurde in meinem Beitrag nicht deutlich, dass durch die Billigung des Gesetzes mit nur etwa 120 Abgeordneten etwaige Mindestbeteiligungsqouren, die dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) entspringen, verletzt sein könnten. Derartige Quoren sind allerdings alles andere als gesichert (vgl. Pracht/Ehmer, Jus 2019, 531).
Im Übrigen können Sie nicht von einem „selbstverständlich verfassungswidrigen Vorgehen“ des Sitzungsvorstandes sprechen, ohne mit nur einer Silbe zu begründen, inwiefern die Verweigerung des Hammelsprunges das Demokratieprinzip verletzt hat. Jedenfalls das Prinzip der Repräsentation ist durch die geringe Zahl der Abgeordneten nicht per se gefährdet, wenn die Diskussion in die Ausschüsse “vorverlagert” wurde (BVerfGE 44, 308 (319)). Dies wird im Beitrag behandelt. Weder die AfD noch Sie haben hierfür stichhaltige Anhaltspunkte vorgebracht.
I. Ü. hat BVerfG in der damaligen Entscheidung ein Gesetz gebilligt, welches “nur” mit 36 oder 37 Abgeordneten verabschiedete wurde. Gerade aufgrund der Vermutungswirkung des GO BT, die sich aus den Sachzwängen eines Arbeitsparlaments speist, akzeptiert das BVerfG solch eine parlamentarische Praxis.
Ich teile Ihre Auffassung. Die GOBT ist unmittelbarer Ausfluss des Grundgesetzes mit Artikel 40. Die grundgesetzliche Vorgabe, „Er (Bundestag) gibt sich eine Geschäftsordnung“, bestimmt die Bedeutung dieser rechtlichen Forderung.
Die GOBT enthält z. B. die Vorgaben zur Wahl des Bundeskanzlers (§4). Es ist doch unvorstellbar, wie hier von @moep behauptet, dass die Geschäftsordnung zum Beispiel in dieser Frage nicht eingehalten wird.
Dazu hat der Deutsche Bundestag die Frage, ob man sich an die Regelungen de GOBT zu halten habe, wie folgt beantwortet:
„Zu Ihrer zweiten Fragen teile ich mit, dass die einzelnen Mitglieder des Bundestages verpflichtet sind, sich an die Regelungen in der Geschäftsordnung, die sie sich auf Grund der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages aus Art. 40 Grundgesetz selbst gegeben haben, zu halten. Gemäß § 126 GO-BT ist es möglich im einzelnen Fall mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder von einer Regelung in der Geschäftsordnung abzuweichen, wenn die Bestimmungen des Grundgesetzes dem nicht entgegenstehen. https://fragdenstaat.de/anfrage/einhaltung-der-geschaftsordnung-im-bundestag/
Zur Wahl des Bundeskanzler enthält das GG in Art. 63 explizite Vorgaben (grundsätzlich Mehrheit der Mitglieder des Bundestages).
Zur Mehrheit bei der Beschlussfassung über Gesetze enthält das GG keine Vorgaben (vgl. Art.77 Abs. 1 S. 1 GG: “Die Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen”).
Bitte nicht ablenken. Dass es auch anderenorts noch Vorgaben zur Wahl des Bundeskanzlers gibt, habe ich nicht bestritten.
Es geht um die Forderung des GG, dass der Deutsche Bundestag sich eine Geschäftsordnung gibt, die nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit seiner Mitglieder geändert werden kann.
Ich kann dazu nur folgendes zu bedenken geben:
Wenn die Situation genau anders herum gewesen wäre und ein AFD Präsidium hätte genau das mit den Alt-Parteien gemacht?
Den Aufschrei der Empörung in Medien und Bundestag kann ich mir gut vorstellen!
Ich will nochmal nachhaken. Aber zunächst vielen Dank @JanPeterBrodersen, die Anmerkung trifft ins Schwarze ohne ins Detail zu gehen.
In der Sache geht es hier um die GO des Bundestages, da muss man nicht das GG bemühen. Wenn sie anfangen §20 GG zu bemühen dann war die DDR auch eine lupenreine Demokratie?
Es spricht nichts dagegen ein Gesetz mit 37 Abgeordneten zu beschließen. Selbst wenn das die 37 Abgeordneten sind die ihr Gesetz vorher im Fachausschuß “bekungelt” haben. Das macht Sinn gerade weil es die Regelung in der GO gibt, das eine Fraktion die Beschlussfähigkeit anzweifeln kann. Wenn die Beschlussfähigkeit gegeben ist weil “die meißten” Abgeordneten zugegen sind kann nichts “ausgekungelt” werden und wenn eine Fraktion oder eben das Quorum in der GO die Beschlussfähigkeit anzweifelt, dann stellt das sicher das eben nicht eine geringe Anzahl von Abgeordneten etwas durchregelt. Und es stellt sicher das in so einem Fall der Wählerwillen aufgewertet wird.
Wenn das Präsidium etwas feststellt was faktisch nicht der Fall ist, dann mag das so möglich sein, sicher war es nicht im Sinne derer die den Passus so formuliert haben.
Ich will auch noch ein Beispiel bringen. Man stelle sich vor sie fahren bei grün über die Ampel und werden von zwei Polizeibeamten dabei beobachtet und angehalten. Die beiden diskutieren kurz und sind sich einig das sie bei rot über die Ampel gefahren sind. Ich vermute das können die machen aber rechtsstaatlich ist anders und ich wünsche ihnen es gibt jemanden der den Vorgang gefilmt hat.
Das über diese Selbstverständlichkeiten hier aber schon so divergent diskutiert wird zeigt was für ein Demokratieproblem wir in der Bundesrepublik inzwischen haben.
“Das über diese Selbstverständlichkeiten hier aber schon so divergent diskutiert wird zeigt was für ein Demokratieproblem wir in der Bundesrepublik inzwischen haben.”
Und früher gab es keine Verstöße gegen die Geschäftsordnung des Bundestages?
Schauen Sie sich im Übrigen mal Unterhaussitzungen in London an. Da werden z.T. Beschlüsse bei Anwesenheit von zwei Abgeordneten gefasst. Wenn nicht gerade der Premierminister spricht, herrscht meistens deutlich Leere – und das obwohl ohnehin nicht einmal jeder Abgeordnete einen Sitzplatz hat. Und abgestimmt wird durch Rufen von “Aye” oder “No”. Wer lauter ruft, hat gewonnen.
Was sie da liefern ist ein Nichtdiskussionsbeitrag.
Schauen sie mal nach London, da fahren die Autos links auf der Straße….
Hier geht es um Regelungen in Deutschland und nicht in England. Andere Länder, andere Sitten/Regelungen. Zudem ist es falsch was sie ausführen, denn dort im Unterhaus geht es nicht darum “wer gewonnen hat” sondern die bestätigen oder lehnen den Redner durch “aye” oder “no” ab. Bei uns wird “unflätlich” dazwischengerufen….
Ihre Frage im Sinne von “früher gab es keine Verstöße?”, ist überhaupt keine Frage. Die Frage ist vielmehr gelten Regelungen und gelten sie für alle gleich! Wenn ja sind wir ein Rechtsstaat; wenn nein, dann eben nicht.
Das über diese Selbstverständlichkeiten hier aber schon so divergent diskutiert werden muss, zeigt, was für ein Qualitätsproblem wir in der Bundesrepublik inzwischen haben.
Mein Hinweis auf die Usancen in Großbritannien, das ja geradezu als Sinnbild eines parlamentarisch verfassten Staates gilt (sogar: Parlament als Souverän), sollte nur dazu beitragen, Fehlvorstellungen darüber zu begegnen, ob das Unterschreiten einer Mindestanwesenheitszahl im Bundestag ein, wie von einigen hier geschildert wird, demokratiegefährdender Umstand oder nicht bloß eines ist: ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Bundestages – nicht mehr und nicht weniger.
Ihre persönlich konnotierten mehrfachen Vermerke à la “früher war alles besser” sind von der Wirklichkeit nicht gedeckt, wie ein Blick in die bisherige Spruchtätigkeit des Bundesverfassungsgerichts zeigt. Das macht den hier vorliegenden Verstoß gegen die GOBT zwar nicht ungeschehen, widerlegt aber Ihre Demokratieuntergangsphantasien.
Also meine Anmerkungen können sie nicht meinen weder habe ich geschrieben “das früher alles besser war” noch glaube ich das das eine Rolle spielen würde selbst wenn es so sein sollte.
Auch wie sie über Mindestanwesenheiten glauben werten zu können verstehe ich nicht, denn in jedem Fall ist nur dann sichergestellt, dass der Wille der Repräsentanten wiedergegeben wird, wenn diese auch zu einer “überwiegenden Zahl” wählen. Verstehen könnte ich also, wenn man die Anzahl der Repräsentanten reduziert nicht aber das Beteiligungsquorum.
Und ja, es gibt Monarchien mit demokratischen Strukturen.
“zeigt, was für ein Qualitätsproblem wir in der Bundesrepublik INZWISCHEN haben.”
Das sind doch Ihre Worte, oder?
Zu beachten ist, dass sich die vorliegende Situation in einem entscheidenden Punkt von derjenigen in BVerfGE 44, 308 unterscheidet: Dort wurde die Beschlussfähigkeit nämlich nicht bezweifelt, es lag also “nur” ein Verstoß gegen § 45 I GOBT vor.
Auch unser Aufsatz beschäftigt sich mit dem “Regelfall” des einmütigen “Verstoßes” gegen § 45 I GOBT. Der Aufsatz befasst sich also grds. nur mit der Frage, wann trotz einmütigen Willens der Abgeordneten absolute Beschlussunfähigkeit qua Verfassung vorliegt. Die Ergebnisse des Aufsatzes sind zwar kraft argumentum de minore ad maius “erst-recht” auf den vorliegenden Fall des schwereren Verstoßes anzuwenden. Hier ist aber noch weitergehend zu prüfen, welche GG-Normen möglicherweise durch die Verweigerung des “Hammelsprungs” verletzt worden sein könnten.
Fazit: Das BVerfG wird sich nicht nur mit einer möglichen absoluten Beschlussunfähigkeit auseinanderzusetzen haben (die es wohl im Anschluss an BVerfGE 44, 308 zu unrecht ablehnt), sondern wird darüber hinaus die Verletzung der hinter dem GOBT-Recht, einen Hammelsprung zu verlangen, stehenden GG-Vorschriften prüfen müssen.
Dass die Erfolgsaussichten des Antrags wg. der i.R.e. einstweiligen AO vorzunehmenden Folgenabwägung äußerst gering sein werden, steht auf einem anderen Blatt.
Könnten sie den Teil zu den Erfolgsaussichten bitte nochmals für einen juristischen Leien etwas ausführen?
Fragen:
Ist es nicht Aufgabe des BVerfG sicherzustellen das “nachgeordnete” Regelungen GG konform sind und angewendet werden?
Warum glauben sie, dass die Folgen gering sein werden? (Ich würde erwarten, es hat gar keine Folgen; vielmehr würde klargestellt, dass es nicht legitimiert ist faktisch unkorrektes festzustellen, oder das es zumindest sanktioniert wird? Oder ist derartiges juristisch irrelevant?)
Welchen Stellenwert hat es, dass sich der Ältestenrat mit der Thematik befasst hat und wird es nicht erst dadurch tatsächlich relevant, so das ein Einschreiten der BVerfG überhaupt erst erforderlich wird?
Danke.
1. Zu den Erfolgsaussichten:
Verfassungsrechtliche Fragen sind stets besonders komplex, weil relativ wenig ausdrücklich im GG steht. Einstweilige Anordnungen müssen schnell erlassen werden, um ihre Wirkung nicht zu verfehlen (“Eilverfahren”). Das BVerfG hat daher keine Zeit, sich alle verfassungsrechtlich relevanten Grundsätze anzuschauen und eine entsprechende Abwägung vorzunehmen. Daher wird im Eilverfahren allein geschaut, welche Auswirkungen es rechtlich/faktisch hat, wenn die Anordnung ergeht oder nicht ergeht. Also: Sind die Konsequenzen schwererwiegend, wenn eine einstweilige AO ergeht, sie sich aber hinterher als falsch herausstellt, also der Antragssteller in der Hauptsache unterliegt. Oder sind die Konsequenzen schwererwiegend, wenn eine einstweilige AO nicht ergeht, sich aber hinterher herausstellt, dass der ASt. doch richtig lag. Bei den vorliegenden Fragen zum Datenschutz – insoweit bin ich aber völliger Laie und habe mir die Normen auch nicht einmal angesehen – gehe ich davon aus, dass der ASt. (AfD-Fraktion) nicht so schwer belastet ist, wenn das Gesetz einstweilen in Kraft tritt, später für formell verfassungswidrig und damit nichtig erklärt wird. Es würde dann ja ohnehin bald wieder erlassen werden…
2. Zur Aufgabe des BVerfG:
Grds. haben Sie Recht. Die entscheidenden Fragen hier sind aber, (a) ob überhaupt ein GG-Verstoß vorliegt (nach unserer Ansicht im Aufsatz wäre das der Fall) und (b) prüft es das erst im Hauptsacheverfahren, s. 1.
3. Betreffend die Folgen:
In meinem urspr. Kommentar bezieht sich das “äußerst gering” nicht auf die Folgen, sondern auf die Erfolgsaussichten betreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen AO. Diese Erfolgsaussichten sind aber m.E. gering, weil ich – ungeprüft (s.o.) – die Folgen eines “einstweiligen” Inkrafttreten des Gesetzes für wenig gravierend halte.
4. Zum Ältestenrat: Damit habe ich mich bis dato nicht beschäftigt, sodass ich auch lieber nicht “aus dem Bauch heraus” eine Einschätzung geben möchte.
Die Frage wird wohl sein, ob das Präsidium evtl. der Pflicht unterliegt, eine Zählung nach der Rüge tatsächlich durchzuführen, oder ob sie willkürlich von der Beschlussfähigkeit ausgehen darf, die evident nicht vorlag ( nach Maßgabe der GOBT ). Ich hoffe, das Bundesverfassungsgericht wird uns eine Antwort darauf geben. Eine Verletzung des Prinzips der repräsentativen Demokratie sehe ich hingegen nicht, da die Fraktion mangels entgegenstehender Anhaltspunkte in den Ausschüssen die Gelegenheit gegeben wurde, eine von der Mehrheit abweichende Ansicht darzulegen, ebenso ist wohl von einem allg. Konsens auszugehen, da sich dieser, meines Wissens nach, in den vorbereitenden Ausschusssitzungen, herauskristallisierte. Jedoch geht es, insofern wiederhole ich mich, bei der Frage, die das BVerfG zu entscheiden hat, wohl in erster Linie um eine eventuelle Zählpflicht des Vorstandes. Inwieweit diese sich grundrechtlich ergibt, muss man sehen. Ein Organstreit wird jedoch, wie vom Autor angemerkt, wohl an der Zulässigkeit scheitern, da die AFD-Fraktion sich nur schwerlich auf ein eigenes Recht berufen kann.
Danke für die Ausführungen. Ich hoffe ich nerve hier nicht als juristischer Dilletant.
Ich kann das alles nicht verstehen.
Was ich verstehe ist, dass Gesetze und Regelungen dem GG entsprechen müssen. Ich bin auch naiv genug zu glauben das Gesetze eingehalten werden müssen.
Als Ingenieur weis ich, dass es überall Ermessensspielräume gibt.
In dem aktuellen Fall hat sich nun jemand über geltende Regelungen hinweggesetzt. Es hätte mehrere demokratische Möglichkeiten gegeben das zu verhindern. So hätten die Beisitzer ihren gesungen Menschenverstand benutzen können um abzuschätzen ob mehr als die Hälfte der Abgeordneten anwesend sind. Das haben die nicht getan. Der Ältestenrat hätte klarstellen können das es so nicht geht. Auch der hat das Gegenteil getan. Nun wird hier eine Fachdiskussion geführt, die kompliziert sein mag, aber doch im Ergebnis zunächst erst einmal grundsätzlich feststellen müsste, dass das nicht in Ordnung war.
Wem welches recht zusteht, mag juristisch sehr bedeutend sein. Wenn dieses Unrecht im Ergebnis aber legitimiert bleibt, dann leben wir hier über kurz oder lang nicht mehr in einer Demokratie. Oder um es mit einem Spruch aus meiner Jugend anders zu sagen: Dann wird aus der Demokratie eine Diktatur einer Mehrheit über eine Minderheit. Dann ist die Erde eben flach wenn eine Mehrheit das will.
Liege ich da so falsch?
Meine Hoffnung ist das eine juristische Instanz das einfängt, egal welche :-)
“Was ich verstehe ist, dass Gesetze und Regelungen dem GG entsprechen müssen.”
Genau das ist ja hier der springende Punkt. Vereinfacht gesagt: Für den hier vorliegenden Fall enthält das GG keine Vorgaben, sondern die Regelung der Frage obliegt der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages (eine Geschäftsordnung ist im Übrigen kein Gesetz).
Verstöße gegen die Geschäftsordnung des Bundestags kann das Bundesverfassungsgericht in der Regel nicht prüfen, weil sich seine Kompetenz – wieder vereinfacht gesagt – auf die Einhaltung der Vorgaben des GG beschränkt, die hier aber nicht verletzt sind (s.o.)
Sehen sie und das verstehe ich nicht.
Dann teilen sie also jedenfalls die Meinung: pacta sunt servanda, egal ob Gesetz, Regelung oder Vertrag. Und dann verstehe ich die Ausführungen insgesamt bis hierher dahingehend, dass sich die Kompetenz des BVerfG daraus ableitet, das die GO des Bundestags im GG verankert ist und einzuhalten ist?
Na ich warte dann mal hoffnungsvoll ab und bedanke mich bis dahin bei allen für die Diskussion.
“pacta sunt servanda”
Dieses Rechtsprichwort betrifft Verträge, nicht Geschäftsordnungen.
Die Kompetenzen des BVerfG in dieser Sache ergeben sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG:
“Das Bundesverfassungsgericht entscheidet (…) über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind (…)”
Es geht also (nur) um die Auslegung des Grundgesetzes. Reine Verstöße gegen die Geschäftsordnung des Bundestages kann das Gericht nicht prüfen. Nur weil das Grundgesetz den Bundestag dazu ermächtigt, sich eine Geschäftsordnung zu geben, bedeutet dies nicht, dass deren Verletzung zu einem Verstoß gegen das Grundgesetz wird.
Die Geschäftsordnung des Bundestages ist natürlich einzuhalten. Darüber, ob dies geschieht, befinden aber grundsätzlich der Bundestag und seine Gremien selbst.
Lediglich einige unverzichtbare Verfahrensgarantien werden dem Grundgesetz entnommen (wie etwa Minderheitenschutz, Möglichkeit von Äußerung und Teilnahme an Beschlussfassung). Sind diese berührt, kann das BVerfG eine Verletzung prüfen.
Dieses System ist eindeutig faul bis ins Mark!
Wieviele Abgeordnete hat der Bundestag nochmal? Über 700!
Die GO muss geändert werden: wenn keine 50 % da sind, nicht Beschlussfähig!
Dies ist als Vorschlag so, noch großzügig….
“Dieses System ist eindeutig faul bis ins Mark!”
Sie wissen aber schon, wem Sie diese Terminologie entnehmen, oder?
Im Übrigen trifft Ihre Feststellung nicht zu.
Wenn eine Geschäftsordnung da ist, muss man sich an sie halten, oder nicht?
Wenn die Strafprozessordnung nicht eingehalten wird, geht das Urteil ja auch erfolgreich in Berufung oder Revisionismus.
Das ist doch der Sinn von Ordnungen.
“Von einer Verletzung von verfassungsrechtlichen Mindestbeteiligungsqouren, sollten diese überhaupt existieren, ließe sich nur ausgehen, wenn man die Grenze etwa oberhalb von 25 % ansiedelt (hierfür Pracht/Ehmer, Jus 2019, 531 (535)).”
Die 25%-Grenze ist im vorliegenden Fall aber doch auch klar unterschritten, es waren nur 17% der ca. 720 Abgeordneten anwesend. Und es sind auch schon umstrittene Gesetze mit nur ca. 30 anwesenden Abgeordneten (also nur 5%!) beschlossen worden (während dem deutschen Fußball-EM-Halbfinale 2012), weniger als in vielen Bundestagsausschüssen sitzen. Irgendwo muss man doch die Grenze eines Verfassungsverstoßes ziehen, wenn man nicht möchte, dass im Extremfall die dreiköpfige Sitzungsleitung vor leerem Haus allein Gesetze beschließen kann.
Ich kann als Nichtjurist zu den juristischen Dingen nichts sagen.
Allerdings zu den Demokratietheoretischen. Und da wäre die Argumentation von Deger gefährlich. Da sie den Abgeordneten des Bundestags die Möglichkeit gäbe, den Bundestag beschlussunfähig zu halten. Einfach, indem 50% der Mitglieder den Sitzungen konstant fernbleiben. Damit wäre der Bundestag nie beschlussfähig, denn die offensichtliche Beschlussunfähigkeit wäre ja immer gegeben.
Am Beispiel erklärt: Bekäme eine Partei bei der kommenden Wahl mehr als 50%, hätte sie die Chance, das Parlament abzuschalten. Sie müsste einfach nie da sein und immer den Hammelsprung verlangen.
Meiner Ansicht nach ist das Recht des Bundestags, seine Beschlussfähigkeit auch “wider (…) für Jedermann erkennbaren Tatsachen” festzustellen, schützt das Parlament davor.
Das erscheint mir nicht logisch – Warum sollte eine Partei mit absoluter Mehrheit (mehr als 50% der Gesamtmandate) mit dieser Mehrheit die Feststellung der Beschlussfähigkeit blockieren wollen, wenn sie ihre eigenen Gesetzesinitiativen (im Rahmen einer erforderlichen qualifizierten Mehrheit) durchbringen könnte? Warum etwas abschalten, das man quasi nach Lust und Laune benutzen kann?