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18 June 2021

Wie Zugangsprivilegien Bildung und Forschung prägen

Ein Erfahrungsbericht

Wie steht es um den Zugang zu rechtswissenschaftlicher Literatur in Pandemiezeiten? Im Grunde so wie vorher und wahrscheinlich auch danach: Der Zugang ist ein Privileg – und das ist ein Problem, wie ich anhand eigener Erfahrungen schildern möchte.

Ich genieße das Privileg, seit gut sieben Jahren Teil einer deutschen Universität zu sein. Diese bietet mir den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen. Bis März 2020 konnte ich jederzeit entweder eine der dutzenden Bibliotheken auf dem Campus der Universität besuchen oder ganz bequem von meinem Computer auf unzählige Fachartikel und Buchkapitel zugreifen. Alles was ich dazu brauchte, waren eine zwölfstellige Nummer und ein Passwort. Diese öffnen mir bis heute das Tor zu einem riesigen Reservoir an wissenschaftlichen Publikationen.

Was sich mit der Pandemie geändert hat? Nunja, für einige Wochen waren alle Unibibliotheken pandemiebedingt „geschlossen“. Also war es nicht möglich, Bücher auszuleihen. Die Schließungen kamen für uns alle sehr überraschend, sodass die Mitarbeitenden der Bibliotheken einige Wochen brauchten, um von „Scan & Send“ über „Ausleihe von 10 Büchern für 2 Tage“ zu „reguläre Ausleihe unter Hygienevorschriften“ zu kommen. Dies hat viele meiner Kommiliton:innen vor große Herausforderungen gestellt. Ich konnte jedoch für meine damals anstehende Masterarbeit in den Wirtschaftswissenschaften primär auf online verfügbare Fachartikel zugreifen. Da ich mich jedoch zeitgleich auf meine Promotion in Jura vorbereitete, benötigte ich auch öfters Zugang zu Präsenzexemplaren.

Gut geschützt: Zwei-Faktor-Authentifzierung bei Beck-Online. Screenshot: Konstantin Gast.

Die Pandemie hat mich daher weniger im Zugang zu wissenschaftlicher Literatur betroffen. Auffällig war lediglich, wie vorteilhaft es ist, wenn Publikationen digital zugänglich sind (gerne auch mit Zwei-Faktor-Authentifizierung à la Beck-Online). Viele Studierende und Mitarbeitende an der Universität haben schnell lernen müssen, wie sie etwa mit einem VPN-Tunnel auf eBooks zugreifen können (ohne bis heute zu wissen, wofür das Akronym steht; nämlich „Virtual Private Network“, ich musste auch erst googlen). Ich habe mich auch immer gefreut, wenn ich mehr als nur 51 Seiten eines 374-seitigen Buches am Tag runterladen konnte – sodass ich nicht über Tage hinweg beschäftigt war, um ein gesamtes Buch als PDF zu erhalten. Am pandemiebedingten Herunterfahren des physischen Bibliotheksverkehrs wurde erkennbar, dass der Zugang zu wissenschaftlicher Literatur für Angehörige einer Universität vor allem ein Problem der geringen Digitalisierung von Publikationen ist. Dies ist jedoch nicht unabhängig von der Finanzierung von Zugängen zu wissenschaftlichen Publikationen. Nicht immer kann eine institutionelle Einkäuferin wie die Universität eine Lizenz für ein eBook für den gleichen Preis eines Druckexemplars erwerben (sofern es das Werk überhaupt als eBook gibt). Wenn der Preis für das eBook dann den des Druckexemplars zu sehr übersteigt, wird letzteres gekauft.

Privilegierter als andere

Das institutionelle Privileg, dass mir die Universität einen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen zur Verfügung stellt, haben die meisten Menschen nicht. Und selbst wenn sie Teil einer Universität sind, hängt es immer noch von den finanziellen Ressourcen der jeweiligen Einrichtung ab, wie umfangreich der (digitale) Zugang zu Literatur ist. Eine Institution muss sich den Zugang zu wissenschaftlicher Erkenntnis oft erkaufen. Je mehr finanzielle Mittel einer Universität dafür zur Verfügung stehen, desto umfangreicher ist der individuelle Zugang. Bereits Universitäten innerhalb Deutschlands haben unterschiedliche Ressourcen. Weltweit sind diese Unterschiede noch größer.

Diesen Unterschied konnte ich in einer für mich positiven Art und Weise erfahren. Durch mein Auslandsstudium an einer Londoner Universität erweiterte sich mein Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen. Auch hier reichten wieder eine Nummer und ein Passwort. Wenn immer mein Zugang durch meine Göttinger Universität beschränkt war, konnte ich dank meines zweiten Londoner Accounts Literatur lesen, zu der mir der Zugang zunächst versperrt war. Die englische Universität hatte nicht nur mehr Fachzeitschriften abonniert, sondern oftmals waren auch die aktuellen Jahrgänge lizenziert – ein kleines, aber nicht unwichtiges Detail. Zudem habe ich den Eindruck, dass dort im Vergleich zur Universität Göttingen deutlich mehr Werke auch im eBook-Format verfügbar waren. Mein Zugang zu wissenschaftlicher Erkenntnis hängt also nicht nur davon ab, ob ich Teil einer Universität bin, sondern auch welcher und in welchem Land.

Selbst mit zwei Accounts hatte ich teilweise keinen Zugang zu bestimmten Publikationen. Mein weiteres Privileg war und ist der Kontakt zu anderen Forschenden, die einem PDFs zukommen lassen konnten. Der informelle Austausch von Publikationen gilt als unausgesprochene Praxis der Wissenschaft.

Zudem bin ich aufgrund meiner Herkunft privilegiert durch mein Wissen, das ich im Laufe des Studiums erworben, teilweise aber auch schon vorher besessen habe. Denn ich bin nicht die erste Person aus meiner Familie, die studiert hat. Mein Zugang zu Publikationen ist einfacher und größer, wenn ich technisch weiß, wie ich per VPN auf digitale Medien zugreife oder ein Buch zum Erwerb vorschlage. Ich kann nur von meiner Erfahrung sprechen: Ich habe diese Dinge nicht allein herausgefunden. Mir wurden diese zum Beispiel im Rahmen eines studentischen Forschungsprojekts von einem Bibliothekar beiläufig erklärt. Auch waren einige meiner Kommiliton:innen überrascht, wann immer ich ihnen davon erzählte.

Bücherwunsch für Studierende, Unibibliothek Göttingen. Screenshot: Konstantin Gast.

Wie bereits erwähnt, wird ein Werk aus lizenzrechtlichen Kostengründen häufig als Druckexemplar angeschafft. Abgesehen davon, dass die Printversion nicht wie das eBook bereits am nächsten Tag, sondern oftmals erst nach mehreren Wochen in der Bibliothek verfügbar ist, kann die Druckausgabe auch immer nur von einer Person genutzt werden und erfordert eine physische Präsenz am Hochschulort. Eine vereinfachte Anschaffung von eBooks wäre daher eine große Bereicherung – nicht zuletzt auch weil Jurastudierende oftmals sehr spezifische Literatur brauchen, insbesondere bei Schwerpunktarbeiten mit einer – recht kurzen – Bearbeitungszeit von sechs Wochen. Bei Hausarbeiten stellt sich zudem das Problem, dass dutzende Studierende die gleiche Literatur benötigen und daher um die in der Bibliothek verfügbaren Publikationen konkurrieren.

Kosten von Forschung und Bildung

Mein Zugang zu wissenschaftlicher Literatur kostet Universitäten Geld. Forschende müssen zunächst ausgebildet und anschließend für das Forschen bezahlt werden. Zudem brauchen sie Büros, Computer, Labore und vieles mehr. Daher scheint es intuitiv, dass wissenschaftliche Literatur auch nicht ohne finanzielle Gegenleistung genutzt werden sollte.

Wenn der Kauf von Zugängen zu wissenschaftlicher Literatur die Wissenschaft finanzierte, wäre es mir verständlich, warum der Zugang zu Wissen ein Preisschild hat. Doch werden Wissenschaftler:innen in der Regel weder für das Veröffentlichen noch für das Peer-Reviewen von Fachartikeln bezahlt. Sie erhalten ihr Gehalt von der Universität. Die Universität kauft also Zugänge zu Fachzeitschriften, welche Artikel von Forschenden beinhaltet, die an Universitäten entstanden sind. Die Wissenschaft wird also in keiner Weise aus den Erlösen von Fachzeitschriften finanziert. Im Gegenteil: Der Erwerb von Zugängen behindert das wissenschaftliche Arbeiten. Laut Deutscher Bibliotheksstatistik gibt allein die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen jedes Jahr gut vier Millionen Euro für Lizenzen digitaler Fachzeitschriften aus. Mit diesem Geld könnten jedes Jahr 120 zusätzliche Wissenschaftliche Mitarbeitende (TV-L 13, 50%) finanziert werden. Ich lasse das mal kurz wirken. Ich bin nicht dafür, dass aus dem Budget der Bibliotheken neue Stellen für Wissenschaftliche Mitarbeitende geschaffen werden. Vielmehr beobachte ich, dass an einigen Stellen Geld aus dem Wissenschaftsbetrieb – wie zum Beispiel an private Verlage – fließt und gleichzeitig an anderer Stelle Gelder zur Forschung fehlen.

Solange ich Teil einer Universität bin, habe ich einen guten Zugang zu wissenschaftlicher Literatur. Teil der Universität kann ich entweder als Doktorand oder Mitarbeiter bleiben. Meist bedingen sich diese Faktoren gegenseitig, denn um zu promovieren benötige ich Geld. Selbst um ein Stipendium zu bekommen, muss ich zunächst 6-12 Monate eigenständig finanzieren können, etwa um ein belastbares Exposé einer Dissertation anzufertigen.

Die Eisscholle schmilzt

An dem Privileg der Zugehörigkeit zu einer Universität hängt auch der Zugang zu wissenschaftlicher Literatur. Dieses Privileg ist jedoch wie eine schmelzende Eisscholle. Auch wenn die Kürzungen von 25 Millionen Euro in der Grundfinanzierung an allen Hochschulen in Niedersachen durch die Landesregierung (wie NDR und FAZ berichten) nicht im direkten Zusammenhang mit meinem persönlichen Zugang zu wissenschaftlicher Literatur stehen, so beeinflussen sie meinen Zugang jedoch indirekt. Zum einen ist zu erwarten, dass die Budgets der Bibliotheken schrumpfen. Zumindest teilweise sind diese aus Landesmitteln finanziert. Die Kürzungen können entweder bedeuten, dass zukünftig weniger Lizenzen für Fachzeitschriften erworben werden oder Anschaffungen an anderer Stelle ausbleiben. Zum anderen implizieren die geringeren Landesmittel bereits jetzt, dass Stellen von Wissenschaftlichen Mitarbeitenden nicht neu besetzt werden können. Diese sind jedoch nicht nur essenziell für meinen Zugang zu wissenschaftlicher Literatur als Doktorand und Mitarbeiter, sondern auch für die Publikation von Wissenschaft. Ich will komplexe Finanzierungsströme nicht übersimplifizieren. Vielmehr möchte ich den Punkt unterstreichen, dass es sehr fragwürdig ist, wenn Forscher:innen aus öffentlichen Mitteln für Ihre Forschung – und die daraus entstehenden Publikationen – finanziert werden und dann diese Forschung von privaten Verlagen verwaltet wird. Das wiederum hat zur Folge, dass andere Forschende nur darauf zugreifen können, wenn sie dafür Geld bezahlen oder das Privileg haben, dass ihre Institution auf Basis öffentlicher Gelder diesen Zugang erkaufen. Mit diesen Kürzungen schmilzt meine Eisscholle und die von vielen weiteren Nachwuchswissenschaftler:innen immer weiter.

Wie ich die Frage nach meiner Erfahrung mit dem Zugang zu Literatur in Pandemiezeiten beantworte? So wie vorher und wahrscheinlich auch danach: Der Zugang ist oftmals kein Problem, sondern mein Privileg. Ein Teil der Lösung könnten Open-Access-Publikationen sein. Aber nur, wenn diese nicht mit neuen Kosten für die Forschenden verbunden sind. Bis dahin würde ich mich schon über das eine oder andere eBook freuen, das ich mit einem Klick als ein gesamtes PDF herunterladen kann. Man darf doch wohl noch träumen.


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