13 July 2018

Zugang für die Erben gesichert, aber viele Fragen offen: Das BGH-Urteil zu digitalen Hinterlassenschaften

Vor einigen Jahren äußerte der US-Schauspieler Bruce Willis, dass er seine umfangreiche apple-i-tunes Sammlung seinen Töchtern vererben wolle. Zu seinem Erstaunen musste er allerdings zur Kenntnis nehmen, dass das apple-Konto nicht von Todes wegen übertragbar ist. Der Fall verrät bereits, dass digitale Güter offenbar Eigentum von begrenzter Haltbarkeit darstellen. Die Dimension einer Verfügungsbefugnis nach dem Tod ist indes erheblich: Wenn die Digitalisierung im bisherigen Maße fortschreitet, werden große Teile der Nutzung bedeutsamer Güter nur noch digital verfügbar sein. Das betrifft digitale Verträge mit Banken, Vermietern, Strom- und TK-Lieferanten, auch den Zugang zum vererbten Smartphone, Tablet und zum Medien-Account. Wären alle diese Verträge unübertragbar und unvererblich, könnte das reale Leben gefährdet sein.

Um eine Dimension erweitert wird der Sachverhalt, wenn es um den postmortalen Zugang zu Informationen geht, die nicht nur eigentumsrechtliche, sondern auch persönlichkeitssensible Bedeutung haben. So war es im nun vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall: Nach dem vermutlich geplanten Suizid ihrer 15jährigen Tochter verlangten die Eltern Zugang zu dem Facebook-Konto der Verstorbenen. Faktisch hätten die Eltern diesen Zugang gehabt, denn sie verfügten über die Login-Daten. Doch hatte ein Bekannter der Tochter durch die Mitteilung von ihrem Tod das Konto gewissermaßen eingefroren. Nach den AGB des Netzwerkbetreibers kann das Konto nun nur noch gelöscht oder in einen „Gedenkzustand“ versetzt werden. Aktivieren können es Nutzer oder Erben nicht mehr, auch wenn – wie im vorliegenden Fall – ein nachvollziehbares Interesse besteht. Tatsächlich wollten die Eltern durch den Zugang zur lebzeitigen Kommunikation ihrer Tochter Gründe für den vermutlich geplanten Suizid erfahren. Das LG Berlin hatte diesen Zugang zu Zwecken der Wahrnehmung postmortaler Befugnisse noch gewährt (LG Berlin Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15). Das KG hatte ihn hingegen versagt, weil über die Zugangsgewährung auch Kommunikationsinhalte Dritter geöffnet werden müssten (KG Urt. v. 31.5.2017 – 21 U 9/16). Dies aber verhindere § 88 Telekommunikationsgesetz (TKG) als einfachgesetzliche Ausprägung des grundrechtlich geschützten Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG).

Der Umgang des BGH mit dem gordischen Knoten

Der III. Zivilsenat des BGH folgt nun dem Landgericht und eröffnet den Zugang zum Nutzerkonto für die Eltern. Die Entscheidung verhindert, dass die Betreiber sozialer Netzwerke zu einer Art Gralshüter über das Konto auch in Fällen werden, in denen nicht dessen Löschung, sondern nur ein Gedenkzustand beantragt wurde. Die Vorstellung, dass ausgerechnet Facebook in der Lage sein sollte, nach dem Tod des Betroffenen dessen höchstpersönliche Kommunikationen (die in Bezug auf den Verstorbenen selbst datenschutzrechtlich nicht mehr geschützt sind, vgl. Erwägungsgrund 27 DSGVO) allein zu sichten, wäre denn auch sehr seltsam gewesen.

Die mit dem Fall verbundenen Fragen löst der BGH indes geradezu hemdsärmelig: Er verweist zunächst darauf, dass auch Verträge zum nach § 1922 BGB vererblichen Vermögen zählten: Dies werde durch die Nutzungsbedingungen von Facebook nicht ausgeschlossen und könne AGB-rechtlich auch nicht ausgeschlossen werden. Zudem seien die Verträge selbst nicht höchstpersönlicher Natur. Die Eltern des Mädchens hätten als deren Erben daher Anspruch auf vollständigen Zugang zu den Konten – und zwar auch, soweit die darin zu findende Kommunikation höchstpersönlicher Natur sei.

Die Frage, wie mit den Absendern der Nachrichten umzugehen ist, löst der BGH ebenfalls pragmatisch: Einerseits argumentiert er, dass die Zugangseröffnung gegenüber den Erben noch nicht bedeute, dass die Daten auch öffentlich oder missbraucht würden. Andererseits rücke der Erblasser vollständig in die Position des verstorbenen Vertragsinhabers ein, sei also nicht einmal Dritter in der fernmelderechtlichen Beziehung zwischen den ursprünglichen Parteien.

Besonderen Sprengstoff birgt ein Satz aus der Pressemitteilung des Gerichts: Es bestehe aus erbrechtlicher Sicht kein Grund, digitale Inhalte anders zu behandeln als die nach §§ 2047 Abs. 2, 2373 S. 2 BGB vererblichen Briefe und Tagebücher. Das digitale Erbe fällt danach vollständig unter § 1922 BGB.

Digitales Erbe – alle Probleme gelöst?

Damit hat das Gericht offenbar „die Vererbbarkeit des digitalen Eigentums (zum Beispiel Nutzer Accounts, Datenbestände) rechtssicher“ geregelt, was der aktuelle Koalitionsvertrag bisher nur versprochen (Rdn. 6204, 6205) hat. Eine solche Neuregelung ist jedenfalls im Erbrecht für in Vertragsbeziehungen eingebundene Güter nicht mehr erforderlich, wenn digitale Verträge (und damit der Zugang zu ihnen) vererblich sind und der Zugang auch AGB-fest ist. Auch Bruce Willis wäre damit aus Sicht des deutschen Rechts bereits geholfen.

Unklar bleibt, ob höchstpersönliche Interessen damit angemessen berücksichtigt sind. Für 15jährige, aber auch junge Erwachsene mag es durchaus bedrohlich sein, wenn ihre Erben Zugang zu ihrer sozialen Kommunikation erhalten. Erbe kann gesetzlich jeder Verwandte sein, auch der Vater aus einer geschiedenen Ehe oder die unliebsame Tante aus der Seitenlinie. Bei höchstpersönlichen Interessen, wie der Wahrnehmung der Rechte am eigenen Bild, stellt das Kunsturhebergesetz daher auf die engsten Angehörigen in der Kleinfamilie ab (§ 22 S. 4 KUG), was zumindest die weitere Verwandtschaft ausnimmt. Eine solche Lösung wäre auch für das BGB vorzugswürdig, wenn es um höchstpersönliche Interessen geht. Wer auch die enge Familie nicht bedenken will, der müsste eine Person des Vertrauens testamentarisch mit der Wahrnehmung dieser Rechte bedenken, etwa die engste Bezugsperson außerhalb der eigenen Familie.

Etwas zu pragmatisch blendet der BGH auch die Stellung des Kommunikationspartners der Verstorbenen und den Schutz des Fernmeldegeheimnisses aus: So mag auch der Kommunikationspartner Abwehrinteressen haben, die – wie im Facebook-Fall – über den Betreiber des Netzwerks (und damit z.B. über § 88 TKG) zu lösen wären. Das kann zugegebenermaßen eine unsichere und in der Abwicklung aufwändige Prozedur sein. Die pragmatische Lösung der BGH-Richter ist an dieser Stelle sicher der einfachere Weg.

In der Konstellation zwischen Account-Inhaber, Netzwerk-Betreiber und Kommunikationsteilnehmer stellt sich schließlich aber auch die Frage, ob die Betreiber sozialer Netzwerke nicht eine Art mittelbare Grundrechtsberechtigung dadurch haben, dass sie in der Lage (und offenbar auch bereit) sind, Rechte betroffener Kommunikationsteilnehmer zu verteidigen. Dies spielt auch in der Debatte um Löschansprüche gegenüber Netzwerkbetreibern eine erhebliche Rolle. Mit der Grundrechtsberechtigung kommen allerdings nicht nur Privilegien, sondern auch Verantwortlichkeiten. Ein Netzwerkbetreiber, der die Kommunikationsordnung verteidigt, bewacht sie auch, ist also nicht mehr länger nur neutraler technischer Dienstleister. Diese Frage betrifft insbesondere die Verantwortung für fremde Rechtsverletzungen, etwa im Urheberrecht. Sie kann nicht zuletzt die Debatte um die Berechtigung von Uploadfiltern erheblich befeuern, die das Europäische Parlament gerade nochmals auf den September vertagt hat.

Es ist danach nicht übertrieben, dem begrenzten Sachverhalt des BGH-Urteils und seiner Lösung Bedeutung auch für die Zukunft der Kommunikationsordnung einzuräumen. Möglicherweise ist gar die Problematik selbst noch nicht in der letzten Instanz angekommen.


2 Comments

  1. Peter Camenzind Sat 14 Jul 2018 at 16:07 - Reply

    Ein Erbfreiheitsgrundrecht kann zweifach für Erblasser und Erben zählen. Zudem können normal eigentumsrechtliche Vermögensheraussgeberechte und informelle Datenbestimmungsrechte, sowie Informationen und daher Angelegenehiten im familiär persönlichen Kernbereich und betroffen sein. Alles im grundrechtsnah relevanten Bereich. Auf Unternehmsseite kann nur Unternehmensfreiheit gleichermaßen gegenüber allen Interessen und daher kaum zgunsten ines sonstigen Interesses zählen. Auf Seiten von Kommunikationspartnern können eher nur spezielle Kommunikationsrechte betroffen sein. Eine Abwägung kann damit dazu führen, dass auf Seite familiäre Erben grundsätzlich mehr gewichtigere Interessen im grundrechtsnah relvanten Bereich bestehen und betroffen sein können und daher überwiegen können.
    Insofern kann eine Anahme vertretbar scheinen, dass sich Erbeninteressen grundsätzlich eher gegenüber (Zurückbehaltungs-)Interessen von Kommunikationspartnern oder Unternehmen etc. durchsetzen können.

  2. Peter Camenzind Mon 16 Jul 2018 at 17:09 - Reply

    Ein überwiegendes Zugangsrecht kann wenigstens im Sonderfall bestehen. Fraglich kann eine Begrenzung von Sonderfällen sein. Sonderfall kann etwa Trauerbewältigung bei hinreichend möglicher Aufklärung von unmittelbaren Todesumständen sein, oder ein verhältnismäßig ähnlich wichtiger Grund. Dies kann u.U. ein familiär persönlichen Kernbereich Trauernder besonders betreffen usw.

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