06 January 2016

Zur integrativen Kraft des Religionsrechts: Subventionen statt Staatsleistungen?

Die hohe Zahl der nach Europa fliehenden Muslime beflügelt die Angst vor Integrationsproblemen. Wie kann ein weltanschaulich neutraler Staat verhindern, dass Religionsfreiheit von Misstrauen zersetzt und demokratisches Zusammenleben durch fundamentalistische Glaubensvorstellungen gefährdet wird? In einem kürzlich erschienenen Beitrag für die Konrad-Adenauer-Stiftung setzt Christian Waldhoff auf die integrative Kraft staatskirchenrechtlicher Kooperation und schlägt vor die Verfassung zu ändern. Anstelle historisch begründeter Staatsleistungen an die Kirchen sollten zukünftig Religionssubventionen treten, von denen auch Muslime profitieren könnten.

Staatsleistungen

Schon die Weimarer Reichsverfassung forderte, die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen.

Den in Art.138 I WRV postulierten Verfassungsauftrag hat das Grundgesetz übernommen. Staatsleistungen sind Entschädigungszahlungen, die den säkularisierungsbedingten Vermögensverlust der Kirchen ausgleichen sollen. Sie werden größtenteils zweckfrei gewährt und belaufen sich auf jährlich knapp 500 Millionen Euro, von denen v.a. die beiden großen christlichen Kirchen profitieren.

Trotz massiver Kritik säkularer Stimmen ist der Gesetzgeber dem Verfassungsauftrag bisher nicht nachgekommen. Einerseits mag dies an der mangelnden Initiative des Bundes liegen, ein entsprechendes Rahmengesetz für die Länder vorzulegen, wie dies in Art.138 I S.2 WRV i.V.m. Art. 140 GG vorgesehen ist. Andererseits besteht der Kniff einer Ablösung in der grundsätzlich einmalig zu leistenden Ablösungssumme, deren Ausmaß in die Milliarden gehen und die Länder finanziell überfordern dürfte.

Religionssubventionen

Mit dem Vorschlag die Staatsleistungen durch regelmäßige Religionssubventionen zu ersetzen, fordert Waldhoff eine gerechtere Verteilung staatlicher Zuwendungen. Diese müssten neu definiert und begründet werden, da die Förderung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im öffentlichen Interesse liege, ihre Funktion geradezu „zivilitätsstiftend“ zu nennen sei. Das so beschriebene Konzept einer „Religionspflege als Verfassungsvoraussetzungspflege“ bewegt sich damit im Fahrwasser des berühmten Böckenförde-Diktums, wonach der freiheitliche säkulare Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht herstellen kann.

Schon heute subventioniert der Staat Religionsgemeinschaften indirekt durch Steuervergünstigungen oder direkt und zweckgebunden, indem er z.B. den kirchlichen Betrieb von Kindergärten und Krankenhäusern bezuschusst oder für Anstaltsseelsorge und Religionsunterricht aufkommt. Direkte bzw. zweckfreie Subventionen verstoßen gegen das Gebot staatlicher Neutralität. Fände sich hingegen ein staatliches Interesse an der bloßen Existenz von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, könnten direkte Subventionen wohl zulässig werden. Waldhoff verweist hier auf Radikalisierungstendenzen von Religionsgemeinschaften, die sich, wie in den USA, aus Spenden finanzieren müssen oder auf die Förderung aus dem Ausland angewiesen sind. Staatlich gewährte Religionssubventionen könnten somit „befriedend“ wirken, da sie externe Einflüsse beschneiden, ja letztlich überflüssig machen würden.

Zu diesem Zweck müssten die Kirchen vertraglich auf die ihnen zustehende Ablösungssummen verzichten und Religionssubventionen verfassungsrechtlich verankert werden. Nach Waldhoff sei dies keine unzulässige Neubegründung veritabler Staatsleistungen, sondern eine außerhalb des Art.138 I WRV angesiedelte Leistung, die eben nicht mehr im historischen Kontext, sondern mit einem säkularen staatlichen Nutzen begründet werden würde.

Staatliche Neutralität?

Einen Staat der Religionsgemeinschaften dafür subventioniert, dass sie Religionsgemeinschaften sind, wird man auf den ersten Blick schwer als „weltanschaulich neutral“ beschreiben wollen. Auf den zweiten Blick findet sich dann aber vielleicht ein öffentliches Interesse, eine „zivilitätsstiftende Funktion.“ Dass Waldhoffs Vorschlag bei kirchennahen Staatsrechtlern wie Hans-Michael Heinig Zuspruch findet, ist nicht weiter verwunderlich: direkte Subventionen wären eine religionsfreundliche Lösung.

Eine Lösung, die nicht jedem einleuchten wird: das richtige Verständnis staatlicher Neutralität ist hochumstritten und emotional vorbelastet. Eine säkulare Begründung von Religionssubventionen würden Kirchen- wie Islamkritiker auf die Barrikaden treiben. Daher spekuliert der Vorschlag auch auf die Angst vor der scheinbaren Ausweglosigkeit des Art.138 I WRV. Tatsächlich ist unter Religionsrechtlern aber nicht ganz unumstritten, ob die Ablösungssumme wirklich auf einmal geleistet werden muss oder auf Basis eines Tilgungsplans auch Ratenzahlung vereinbart werden könnte.

Religiöses Selbstverständnis?

Waldhoff verspricht einen höheren Integrationserfolg und schwindende Radikalisierungstendenzen. Er setzt dabei auf den Anreizeffekt regelmäßiger Subventionen. Um diese zu erhalten, müssen sich Muslime jedoch so organisieren, dass verbindliche Ansprechpartner vorhanden sind und strukturierte Verteilungsmechanismen bedient werden können. Ist das überhaupt möglich? Schon länger zeigt sich hier die Untauglichkeit des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus für muslimische Religionsgemeinschaften. Diese sind weit weniger einheitlich organisiert als die großen christlichen Kirchen, deren Binnenstruktur einst Modell für die Körperschaft des öffentlichen Rechts gestanden hatte.

Der Staat sehnt sich nach Verantwortungsstrukturen und läuft dabei Gefahr Religionen mitgestalten zu wollen. Nimmt man Böckenförde ernst, kann das jedoch nicht gelingen, denn ein freiheitlicher säkularisierter Staat lebt von eben jenen Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.

Waldhoffs Vorschlag kaschiert, wie reformbedürftig deutsches Religionsverfassungsrecht eigentlich ist. Ein neutraler Staat agiert paritätisch. Er muss sich am Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften ausrichten. Nach Islamwissenschaftlern wie Peter Heine ist dem muslimischen Selbstverständnis eine Hierarchisierung im Sinne des Körperschaftsstatus jedoch fremd.

Bereits Anfang letzten Jahres hatte Gunnar Folke Schuppert darauf hingewiesen, dass im staatlichen Umgang mit dem Islam ein Umdenken dringend nötig geworden sei. Um der Vielfalt religiösen Selbstverständnisses wieder gerecht werden zu können, bedürfe es neben dem Körperschaftsstatus auch anderer „modes of governance.“ In seinem Buch „Europas Angst vor der Religion“ sieht José Casanova die Governancestruktur des Netzwerks am ehesten dafür geeignet den Islam zu erfassen. Eine Religionssubvention ohne Empfänger verfehlt ihren Zweck.

Der zweite Schritt vor dem ersten

Fehlende Hierarchisierung sollte also weniger die Rechtfertigung dafür liefern, Religionsgemeinschaften von staatlichen Zuwendungen auszunehmen, als vielmehr den Anlass bieten, das staatskirchenrechtliche Instrumentarium zu überdenken und anhand von Gleichheitserwägungen auszubessern. Religion ist auch bzw. vor allem Selbstzweck. Ein Staat, der das verkennt, liefe Gefahr Radikalisierungen eher zu befeuern statt sie zu vermeiden. Gerade bei derart globalisierten Glaubensrichtungen wie Islam und Christentum sind und waren einseitige Anforderung der Verfasstheit selten von Erfolg gekrönt. Die in Frankreich nachträglich eigens für die Katholische Kirche geschaffene „association diocésaine“ verdeutlicht dies.

Religionssubventionen ohne einen reformierten bzw. erweiterten Körperschaftsstatus wären der zweite Schritt vor dem ersten. Sie verkämen zu einem Instrument der Assimilation. Leicht nachvollziehbare Verantwortungsstrukturen allein leisten aber weder Integrationsarbeit noch beugen sie Radikalisierungen vor. Will der Staat Religionsgemeinschaften unterstützen, muss er sie auch ernst nehmen. Abseits historischer Vorprägungen wäre ein auf diesem Wege gefestigtes Neutralitätsverständnis in der Lage, Integrationsarbeit zu leisten, die Religionsgemeinschaften dort abholt, wo sie sich befinden: im eigenen Selbstverständnis.


3 Comments

  1. Danny Thu 7 Jan 2016 at 06:01 - Reply

    Es geht also darum, die kath. Kirche zu Gunsten einer noch fiktiven islamischen Religionsgemeinschaft zu enteignen damit der Staat diese kostenneutral versorgen kann, nicht wahr?

    Tut mir leid, aber die Kirche wird da sicher nicht freiwillig mitmachen, denn die Staatsleistungen sind Vertraglich gesichert, während Subventionen an den Subventionen ständig herumgedreht werden wird durch die aktuelle Partei.

    Ausserdem sind es tatsächlich auch keine Subventionen oder Beihilfen sondern es ist Schadensersatz für staatliche Enteignungen, genauer gesagt Zinszahlungen auf diesen Schadensersatz, aktuell ohne Tilgung.
    Die Kritik daran ist also genauso substanzvoll wie die Kritik an der restlichen Staatsverschuldung.
    Es ist schon kurios, dass heute offenbar kein Verständnis mehr für einfachste finanzielle Überlegungen besteht. Da Kirche und Länder sich in etwa zu den gleichen Kapitalmarktbedingungen verschulden können, kann keiner von beiden etwas dadurch gewinnen die Ablösung auf die eine oder andere Art zu verändern. Allenfalls bei Haushaltsüberschüssen könnte es für die Länder sinnvoll sein diese für zusätzliche Tilgungszahlungen aufzuwenden, und damit die Schulden langsam abzutragen, anstatt es anders aus dem Fenster zu werfen, aber Sinn macht das auch erst wenn die Länder ansonsten schuldenfrei sind.

    Wenn der Gesetzgeber gerne den Islam bestechen möchte wird er also wohl für alle Religionen nach einen neuen Subventionstatbestand schaffen müssen, den die christlichen Kirchen dann ZUSÄTZLICH zu den bisherigen Staatsleistungen erhalten.

    Natürlich ist es sinnlos und kontraproduktiv den Islam in Deutschland auch noch zu fördern; das tut man nämlich schon seit Jahren über Umwege und hat durchweg nur schlechte Erfahrungen damit gemacht. (Übrigens gibt es zig Islamversionen in Deutschland; fast so schlimm wie mit den Protestanten).

    Böckenförde so auszulegen, dass er die finanzielle Förderung von Feinden der Demokratie fordert ist allerdings tatsächlich eine kreative Idee!

    Die Lösung ist viel einfacher: alle verfassungsfeindlichen Islamorganisationen verbieten, insbesondere auch die Finanzierung durch ausländische Extremisten. Natürlich löst das nicht die Integrationsprobleme aber die sind ohnehin unlösbar; es würde aber zumindest den Terrorismus etwas reduzieren und v.a. ein klares Signal setzen, dass wir sowas hier nicht tolerieren. Wie gut das mit der Toleranz klappt hat man nun ja letzte Woche in Köln und anderswo gesehen.
    Warum merkt eigentlich niemand, dass Integration um so schlechter funktioniert je mehr sich der Staat damit befasst? Die noch am besten integrierten Moslems waren/sind Gastarbeiter, welche kaum irgendwie gefördert wurden. (Es merkt natürlich niemand weil es sich um Arbeitsbeschaffungsmassnahmen für Politikertöchter handelt).

    Zumal Integration bei den Flüchtlingen eh nicht geboten ist, weil es besser wäre wenn sie wieder nach Hause gingen wenn der Krieg vorbei ist (sog. subsidärer Schutz).

  2. Komische Idee Thu 7 Jan 2016 at 10:14 - Reply

    Religion als Opium für das Volk, selten so schön und offenherzig erklärt.

    Atheisten und Agnostiker werden damit zu Feinden erklärt, obwohl sie etwa 30% der Bevölkerung stellen.

  3. Rebecca Thu 26 Jan 2017 at 16:56 - Reply

    Neues Opium sollte nicht gefördert werden.
    Vor allem wenn es als absoluter Höhepunkt aller Rausche mit Wunsch auf kulturelle Hegemonie daher kommt.
    Das traditionelle Alte ist schon genug – damit ist man gut bedient.

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