25 May 2011

Ungarn: Ein neuer Streich gegen das Verfassungsgericht

Orbán Viktor hat sich wieder etwas Schlaues ausgedacht.

Es geht um das Verfassungsgericht, bzw. dessen Präsidenten Péter Paczolay, einen eindrucksvollen Mann und hoch angesehenen Juristen, dem nur leider der Makel anhaftet, einen eigenen, mit einem wunderbaren weißen Schnauzbart geschmückten und höchst funktionstüchtigen Kopf auf seinen Schultern zu tragen.

Orbán hat bereits eine Menge dafür getan, das Problem Verfassungsgericht als potenziellen Hort der Widerborstigkeit aus der Welt zu schaffen. Künftig gibt es fünfzehn statt elf Richter, und wer neu hinzukommt, wird vom Parlament mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Das verschafft Orbán und seiner Zweidrittelmehrheit die Möglichkeit, eine entsprechende Zahl von Richtern seiner Wahl im Gericht zu platzieren und so die Mehrheitsverhältnisse zu seinen Gunsten zu verändern. Court Packing nennt man das.

Nur tritt dummerweise die neue Verfassung erst am 1. Januar 2012 in Kraft. Zuvor, am 3. Juli 2011, endet Paczolays Präsidentschaftsturnus.

Unter der neuen Verfassung wird der Präsident vom Parlament gewählt. Unter der alten wird er dagegen von den Richtern selbst bestimmt. Das heißt: Paczolay bekäme womöglich noch einmal drei Jahre.

Damit das nicht passiert, soll jetzt noch mal flugs die ja eigentlich schon für ungültig erklärte und in Grund und Boden dämonisierte alte Verfassung geändert werden: Wie mir einer meiner Budapester Gesprächspartner zuruft, läuft im Parlament ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren. Danach wird die Erweiterung der Richterbank auf 1. September vorgezogen, und die Wahl der neuen Richter auf Juli.

So ist sichergestellt, dass der Präsident des Verfassungsgerichts ab Juli ein Fidesz-Mann ist. István Stumpf vielleicht. Oder einer von den Neuen.

Der neue Präsident wird dann für eine Amtszeit von 12 Jahren gewählt, ebenso wie die neuen Richter. Und wer sich brav verhält, kann weiterhin mit einer weiteren Amtszeit belohnt werden. Das sieht nach meinen Informationen eine Änderung im Verfassungsgerichtsgesetz vor.

Foto: Tony the misfit, Flickr Creative Commons


6 Comments

  1. Leser Wed 25 May 2011 at 17:09 - Reply

    Unverständlich ist für mich in dieser Situation, dass weder die EU-Kommission, noch einzelne Mitgliedsstaaten solche demokratieverachtenden Regeln unkommentiert lassen.
    Als die FPÖ in Österreich an die Regierung kam (ohne Verfassungsmehrheit), war man ja auch nicht zurückhaltend.
    Oder ist das Trauma aus der Zeit noch nicht verarbeitet?

  2. egal Wed 25 May 2011 at 18:39 - Reply

    Wie soll denn die Kommission oder der Rat denn bitte bei einer rein-nationalen Frage eingreifen?

    Schon damals beim Fall Österreich hat sich doch gezeigt, dass 1. die Reaktion aus “Europa” vollkommen überzogen war und 2. überhaupt nichts gebracht hatte.

    Im Übrigen müsste man sich dann auch fragen, warum die EU nichts in Sachen Italien macht. Oder Spanien. usw. Die EU ist keine innenpolitische Union.

  3. Malte S. Wed 25 May 2011 at 18:53 - Reply

    Vielleicht gibt es auch so wenig Reaktion von den restlichen Europäischen Staaten und den Medien, weil die ungarische Entwicklung den aktuellen gesellschaftlichen Mainstream wiedergibt (vulgo: Zeitgeist).
    Auch in der dt. Bevölkerung findet sich eine starke, wenngleich in der Masse eher inaktive Strömung, die gerne einen starken Staat mit einer machtvollen Person an der Spitze hätten. Und nein, ich meine nicht die braunen Freunde aus Prignitz & Co. Es sind Juristen, Lehrer, Verwaltungskräfte, Handwerker – mehr oder weniger ein Querschnitt der Bevölkerung.

  4. Johannes L. Thu 26 May 2011 at 22:35 - Reply

    Ich glaube nicht, dass die mangelnde Reaktion der Medien diesen Grund hat.

    Wahrscheinlicher ist es, dass ungarische Verfassungspolitik für die meisten Zeitungen keinen Nachrichtenwert hat, denn es beeinflusst uns in Deutschland nicht unmittelbar, es erfordert eine vergleichsweise umfangreiche Einleitung in die Hintergründe und ist eher etwas das vor sich hin schwelt. Mithin also nicht etwas, was man einfach so als eine Meldung unter vielen in den Politikteil packen kann. Und das Verfassungsrecht eines – für den Normalbürger wohl halbwegs weit entfernten – anderen Landes eine Schwerpunktseite zu machen ist auch nicht praktisch, wenn man mit so vielen anderen Themen aufmachen kann.

  5. VonFernSeher Thu 26 May 2011 at 23:52 - Reply

    @Johannes L.
    Das glaube ich auch eher. Abgesehen von den Korrespondenten in Brüssel und den paar in Ungarn steigen wahrscheinlich einfach zu wenige Journalisten durch. Und da sich mit der Zusatzarbeit hier kein Blumentopf gewinnen lässt, lassen sie es. Journalisten sind halt oft auch nur normale Arbeitnehmer.

  6. […] ist nach der Beschneidung seiner Kompetenzen durch die neue Verfassung und nach dem durchgezogenen Court-Packing-Scheme der Regierung Orbán nur noch ein Schatten einer selbst – aber offenbar ein immer noch […]

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