17 December 2015

Schengen und die versteckte Wiedereinführung der Grenzkontrollen

Immer mehr Migrant/innen reisen unerlaubt nach Deutschland ein und nutzen dabei ganz normale Buslinien. Das darf nicht sein, fand die Bundespolizei und entschloss sich 2013 – so wörtlich – „den Geltungsbereich des § 63 Aufenthaltsgesetz neu zu definieren“. Nach dieser Norm ist es Beförderungsunternehmen verboten, Ausländer/innen ohne die erforderlichen Einreisepapiere in das Inland zu befördern. Bei Verstößen können Zwangsgelder von bis zu 5000 Euro festgesetzt werden. Es handelt sich um die Umsetzung einer Unionsrichtlinie, die von den Mitgliedsstaaten die Schaffung von Sanktionen gegen Beförderungsunternehmen verlangt, sogenannte carrier sanctions. Allerdings nur für den Fall, dass Menschen unerlaubt in das Schengengebiet befördert werden. Entsprechend wurde die Regelung in Deutschland bis vor Kurzem nur auf Flugunternehmen angewendet.

Das sollte sich ändern. In einem Schreiben vom 9. August 2013 informierte die Bundespolizei die Verbände der Busunternehmen über das angeblich bestehende Beförderungsverbot sowie die Konsequenzen bei Verstößen und bot Schulungen für ihr Personal an. Im Jahr 2014 wurden nach Angaben der Bundespolizei gegen zwei Busunternehmen Verbotsverfügungen erlassen und Zwangsgelder angedroht.

Eines der betroffenen Busunternehmen ging gerichtlich dagegen vor. Nachdem es mit seinem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht Potsdam scheiterte, gab das OVG Berlin-Brandenburg ihm recht. Es sei offen, ob die dem Beförderungsunternehmer auferlegte Kontrollpflicht, die nicht zwischen den Außengrenzen der Schengener Vertragsstaaten und den Schengen-Binnengrenzen unterscheidet, im Einklang mit den Regelungen des Gemeinschaftsrechts stehe. Schließlich seien die behördlichen Kontrollen an den Binnengrenzen durch den Schengener Grenzkodex abgeschafft worden, und dürften nur unter engen Voraussetzungen vorübergehend wiedereingeführt werden. Auch wenn die dem Busunternehmen auferlegten Pflichten nicht in jeder Hinsicht dem Prüfprogramm von Grenzübertrittskontrollen entsprächen, könnten sie diesen aber in ihrer tatsächlichen Wirkung gleichstehen, so das OVG in seinem Beschuss.

Die Praxis der Bundespolizei ist kein Einzelfall. Dänemark hat vor wenigen Tagen ein Gesetz verabschiedet, das Beförderungsunternehmen in die Pflicht nimmt, an der deutsch-dänischen Grenze zu kontrollieren. Zuvor hatte bereits Schweden eine entsprechende Regelung auf den Weg gebracht. Und gegen Tschechien hat die Europäische Kommission bereits 2014 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Während also in Brüssel um die Rettung von Schengen gerungen wird, hebeln die Mitgliedstaaten das Abkommen bereits aus – durch Outsourcing der Grenzkontrollen.

Der EuGH hat die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser Praxis bisher noch nicht geklärt, jedoch in Bezug auf polizeiliche Maßnahmen festgestellt, dass diese auch dann verboten sind, wenn sie die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen haben, etwa bei systematischen Kontrollen im grenznahen Gebiet. Es liegt eigentlich auf der Hand, dass die Abschaffung der Grenzkontrollen auch nicht durch die Inanspruchnahme Privater umgangen werden darf. Das Verwaltungsgericht ist dennoch gut beraten, im Hauptsacheverfahren die Frage dem EuGH vorzulegen, um europaweit Klarheit zu schaffen.

Das könnte auch Konsequenzen für die Strafbarkeit des Schleusens haben: Es kommt immer wieder vor, dass Taxifahrer/innen des „Einschleusens von Ausländern“ oder der „Beihilfe zur unerlaubten Einreise“ beschuldigt und teilweise sogar verurteilt werden. Die Bundespolizei warnt Taxifahrer/innen in einem Informationsblatt: „Werden Sie nicht zum Mittäter international agierender Schleuser! Leisten Sie keine Beihilfe zur unerlaubten Einreise! Bringen Sie sich nicht in Gefahr!“. Und auf ihrer Homepage heißt es: „Befördern Sie Personen nur, wenn Sie sicher sind, nicht in Schleusungsverdacht zu geraten.“

Auch hinsichtlich der Bestrafung des Schleusens innerhalb des Schengenraums, stellt sich im Einzelfall die Frage, ob diese mit dem Entfallen der Grenzkontrollen durch Schengen vereinbar ist. Nun kann man natürlich auf die Unterschiede zwischen dem allgemeinen Beförderungsverbot und der Strafbarkeit des Schleusens verweisen: Anders als beim Zwangsgeld nach dem Aufenthaltsgesetz kommt eine Bestrafung wegen Schleusens nur bei Vorsatz in Betracht.

Andererseits sind die Anforderungen an bedingten Vorsatz bekanntlich nicht besonders hoch. Das ist insbesondere dann problematisch, wenn Personen befördert werden, die nicht „europäisch“ aussehen und nicht die „richtige“ Sprache sprechen. Taxifahrer/innen, die solche Personen befördern, dürften es in aller Regel zumindest „für möglich halten und billigend in Kauf nehmen“, Beihilfe zur unerlaubten Einreise zu leisten. Aber was sollen sie tun? Fahrgäste abweisen, weil sie die falsche Hautfarbe haben? Nach den Pässen fragen? Ein solches, diskriminierendes Vorgehen – man spricht von racist oder racial profiling – ist zwar bei der Bundespolizei gängige Praxis, verstößt jedoch – ausgeübt von der Polizei – gegen das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz. Und wenn der Staat bei Grenzkontrollen selbst nicht rassistisch diskriminieren darf, dann darf er das erst recht nicht von seinen Bürger/innen verlangen.

Wie also sollen sich Taxifahrer/innen dagegen schützen, strafrechtlich belangt zu werden? Letztlich gibt es drei Möglichkeiten: Erstens, sie kontrollieren alle Fahrgäste. Das würde dem Geist von Schengen widersprechen. Zweitens, sie fragen bei „Verdachtsmomenten“ nach Ausweisen. Das läuft auf rassistische Kontrollen hinaus. Bleibt also, drittens, die Möglichkeit, gar nicht mehr im grenzüberschreitenden Verkehr tätig zu werden. Das zu verlangen, würde nicht nur ihre Dienstleistungsfreiheit aushöhlen, sondern auch sonst einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte von Fahrer/innen und Kunden darstellen.

Es spricht daher viel dafür, dass auch der Straftatbestand des Schleusens europarechts- und verfassungskonform reduziert werden muss. Das gilt im Übrigen nicht nur für Bus- und Taxifahrer/innen, sondern unter Umständen auch für Privatpersonen. Wer bei längeren, grenzüberschreitenden Autofahrten gerne mal Menschen mitnimmt – sei es per Anhalter oder als entgeltliche Mitfahrgelegenheit – , darf nicht strafrechtlich belangt werden, nur weil die mitfahrende Person äußerlich nicht dem Stereotyp eines Europäers oder einer Europäerin entspricht und sich nicht ausgewiesen hat.


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