Zum Rückkehrrecht extremistischer Abgeordneter in den öffentlichen Dienst
Nicht wenige Mitglieder des Deutschen Bundestags waren und sind Angehörige des öffentlichen Dienstes. Inzwischen bewegen sich einige davon in offen verfassungsfeindlichen Milieus. Das stellt nicht nur zunehmend die Routinen des parlamentarischen Geschäftsganges und die Parlamentsverwaltung vor neue Herausforderungen. Auch der Umgang mit Extremisten, die in ein früheres Amt zurückkehren wollen, kann nicht nur zu politischen Verwerfungen, sondern auch zu bislang ungeklärten dienstrechtlichen Konflikten führen.
Mein Kollege Andreas Fischer-Lescano hat auf dem Verfassungsblog dargelegt, warum er die Rückkehr des aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen AfD-Abgeordneten Jens Maier in ein Richteramt in Sachsen für rechtlich verhinderbar hält. Offenbar hat ein – mir nicht vorliegendes – internes Rechtsgutachten der sächsischen Justizverwaltung dies nun anders beurteilt und teils harsche Kritik an den Darlegungen Fischer-Lescanos artikuliert. Dies ist Anlass, einen genaueren Blick auf die zentrale Frage zu werfen, ob und inwiefern Äußerungen während eines Abgeordnetenmandats disziplinarischer Sanktionierung zugänglich sind. Es geht um schwierige Rechtsfragen, die bislang kein Vorbild haben und daher unvermeidbar mit Unsicherheiten beladen sind. Wechselseitige Anwürfe und Vorhaltungen sind daher unangebracht.
Indemnität
Einer Sanktionierung im Disziplinarverfahren von vornherein entzogen sind lediglich Äußerungen, die im Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen getätigt wurden (Art. 46 Abs. 1 GG). Außerhalb des Parlaments sind Abgeordnete wie alle Bürgerinnen und Bürger an allgemeine Gesetze gebunden, unterliegen also etwa dem Äußerungsstrafrecht (§§ 130, 185 ff. StGB). Wie nicht strafbare, aber offen verfassungsfeindliche Äußerungen von Mitgliedern des Deutschen Bundestags dienstrechtlich zu bewerten sind, wenn sich diese vor Erwerb ihres Mandats in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis befanden, in das eine Rückkehr möglich bleibt, ist bislang kaum geklärt und auch gesetzlich nicht so eindeutig geregelt, wie es teilweise suggeriert wird.
Das Ruhen der Pflichten aus dem Richterdienstverhältnis
Der im Fall fragliche „Rückkehrer“ war vor Erlangung seines Mandats Richter im Dienst des Freistaats Sachsen, wurde als Abgeordneter in den 19. Deutschen Bundestag gewählt, aber bei der letzten Bundestagswahl im September 2021 nicht wiedergewählt. Sein mandatsbezogener Rechtsstatus richtet sich daher nach dem Abgeordnetengesetz des Bundes (AbgG), worauf deklaratorisch § 65 Sächsisches Beamtengesetz i. V. m. § 3 Sächsisches Richtergesetz (SächsRiG) verweist. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AbgG, der sich auf die Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG stützt, ruhen die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis von Beamtinnen und Beamten mit Dienstbezügen, die in den Deutschen Bundestag gewählt wurden, für die Dauer der Mitgliedschaft. Nach der Beendigung der Mitgliedschaft ruhen diese Rechte und Pflichten nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbgG für längstens weitere sechs Monate. Die Beamtin oder der Beamte ist auf Antrag, der binnen drei Monaten seit der Beendigung der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag zu stellen ist, spätestens drei Monate nach Antragstellung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AbgG wieder in das frühere Dienstverhältnis und in ein adäquates Amt (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 3 AbgG) zurückzuführen. Für Richterinnen und Richter gelten nach § 8 Abs. 1 AbgG diese Regelungen entsprechend. Dass dies im Einzelfall zu praktischen Problemen führen kann, thematisierte bereits der ursprüngliche Fraktionsentwurf zum bis heute fortgeschriebenen Regelungsmodell (BT-Drs. 7/5531, S. 12), hielt dies aber im Interesse der Chancengleichheit für hinnehmbar.
Ruhen des Amtes, nicht des öffentlich-rechtlichen Statusverhältnisses
Mit den ruhenden Pflichten gemeint sind jedenfalls alle Pflichten, die sich auf die jeweilige Dienstausübung im Amt beziehen.((Leppek, in: Austermann/Schmahl (Hrsg.), AbgG, 2016, § 5 Rn. 14.)) Da das konkrete Amt ruht, können aus ihm auch keine amtsbezogenen Pflichten folgen. Das schließt auch das amtsbezogene Mäßigungsgebot ein,((Braun/Jantsch/Klante, AbgG, 2001, § 5 Rn. 8.)) welches nach § 33 Abs. 2 BeamtStG für alle Landesbeamtinnen und -beamten und kraft der Verweisungen in § 72 BeamtStG und § 3 SächsRiG (insoweit analog zu § 46 DRiG) auch für Richterinnen und Richter im Landesdienst gilt. Dementsprechend ist akzessorisch auch kein Disziplinarverfahren wegen eines Dienstvergehens (§ 47 BeamtStG) möglich, dessen Handlungen während des Ruhens der Dienstpflichten begangen wurden.((Leppek, in: Austermann/Schmahl (Hrsg.), AbgG, 2016, § 5 Rn. 16. Vgl. auch BT-Drs. 7/5531, S. 15.))
Ruhen bedeutet hingegen nicht, dass das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis erlischt bzw. das Statusverhältnis zum Dienstherrn (hier: zum Freistaat Sachsen) als solches suspendiert wäre. Die geltende Regelung weicht insoweit bewusst von der früheren Rechtslage ab, nach der – im Einklang mit Art. 137 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 40, 296 (320 f.))  – Beamtinnen und Beamte mit Erwerb der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag in den Ruhestand traten (vgl. BT-Drs. 7/5531, S. 10). Das Statusverhältnis besteht latent fort (vgl. § 23 BBG), ist aber keine Grundlage für dienstbezogene Rechte und Pflichten mehr. Beamtinnen und Beamte scheiden aus ihrem Amt (i. S. des übertragenen konkret-funktionellen Amtes) aus (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 BBG), nicht aber aus dem öffentlichen Dienst.((Braun/Jantsch/Klante, AbgG, 2001, § 5 Rn. 6.))
Sanktionierbarkeit amtsunabhängiger Pflichten
Das spricht dafür, dass nur solche Pflichten zum Ruhen gebracht werden, die an ein übertragenes konkret-funktionelles Amt (sprich: an den Dienstposten mit konkreten amtsbezogenen Pflichten) anknüpfen, nicht aber solche Basispflichten, die unabhängig vom übertragenen Amt bestehen und an das öffentlich-rechtliche Treueverhältnis zum Dienstherren (also das abstrakte Statusamt) als solches anknüpfen. Hierzu gehört die basale politische Treuepflicht, die beispielsweise auch Beamtinnen und Beamte im Ruhestand noch verletzen können, obgleich sie – wie Abgeordnete – keine konkreten Dienstpflichten mehr haben (§ 47 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG).
Für diese Auslegung der §§ 5, 6 AbgG spricht auch, dass es anderenfalls gerade zu einer schwer zu rechtfertigenden Privilegierung von Mitgliedern des öffentlichen Dienstes käme, wenn diese einerseits eine Rückkehroption in ein gleichwertiges Amt behielten, andererseits aber nicht einmal Mindestanforderungen an das persönliche Verhalten während des Mandats zu beachten hätten, die dem Dienstherrn eine solche Rückkehr ohne grobe Verwerfungen offen halten. Die geltende Ruhensregelung des Abgeordnetenrechts sollte nach ihrer Teleologie gegenüber der früheren Rechtslage gerade Beamtenprivilegien abbauen, nicht ausbauen (vgl. BT-Drs. 7/5531, S. 10, 11, 12). Wer später wieder Amtsfunktionen wahrnehmen will, dem kann jedenfalls zugemutet werden, sich während des Mandats nicht in einer Weise zu verhalten, die eine spätere Übertragung eines entsprechenden Amts funktionsbezogen konterkariert. Dazu gehört es, offene Angriffe auf die freiheitliche demokratische Grundordnung (sprich: Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit) zu unterlassen. Anderenfalls würde es dem Dienstherrn praktisch unmöglich gemacht werden, ein Amt zur Verfügung zu stellen, bei dessen Ausübung mit hoheitlicher Gewalt Konfrontierte noch objektiv auf eine unvoreingenommene und verfassungstreue Amtsausübung vertrauen können. Das ist gerade bei Richterämtern augenfällig, die funktionsbezogen besondere Zurückhaltung und Neutralität erfordern (vgl. BVerfGE 153, 1 (39 ff.)).
Verfassungskonforme Auslegung des Abgeordnetenrechts
Art. 137 Abs. 1 GG ermächtigt lediglich dazu, die Wählbarkeit von Mitgliedern des öffentlichen Dienstes zu begrenzen. Belässt man ihnen gesetzlich ein Rückkehrrecht, was nicht zwingend ist, müssen die Konditionen im Lichte des davon unberührt bleibenden Art. 33 Abs. 5 GG so gestaltet werden, dass eine Rückkehr ihrerseits mit den Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Einklang steht. Insoweit sind die §§ 5, 6 AbgG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie den Dienstherren von Beamtinnen und Beamten die Option einer Sanktionierung von amtsunabhängigem Fehlverhalten während des Mandats belassen, wenn dieses Fehlverhalten einen Einsatz in einem entsprechenden Amt zu zumutbaren Bedingungen verhindert.
Politische Treuepflicht
Damit kommt es im Ausgangsfall entscheidend auf eine Verletzung der politischen Pflicht zur Verfassungstreue an, die unmittelbar aus Art. 33 Abs. 5 GG abgeleitet wird. Die Treuepflicht verpflichtet Beamtinnen und Beamte, sich im ganzen Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen und sich positiv mit der Verfassung zu identifizieren. Eine passive Hinnahme oder ein bloßes Unterlassen verfassungsfeindlicher Bestrebungen genügt nicht. Diese Verpflichtung knüpft nicht an ein konkretes Amt und die damit verbundenen Amtspflichten an, sondern an das öffentlich-rechtliche Treuverhältnis, das auch durch die Wahl in den Deutschen Bundestag nicht aufgehoben wird und an dessen Fortbestand das Rückkehrrecht des § 6 AbgG gerade anknüpft.
Eine Verletzung der politischen Treuepflicht nach Art. 33 Abs. 5 GG folgt in der Regel noch nicht unmittelbar aus der Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei, jedenfalls solange die Verfassungsfeindlichkeit noch nicht vom BVerfG nach Art. 21 Abs. 4 GG festgestellt wurde. Die Mitgliedschaft in einer solchen Partei bzw. einer extremistischen Parteigliederung kann allerdings ein Indiz für eine verfassungsfeindliche Haltung sein (vgl. BVerfGE 39, 334 (359)). Entscheidend ist stets eine Gesamtbetrachtung des inner- wie außerdienstlichen Verhaltens. Auf ein innerdienstliches Verhalten kann während des Ruhens des Amtes nicht abgestellt werden, dafür aber auf allgemeine außerdienstliche Verhaltenspflichten, soweit diese nicht allein Funktionen eines konkreten Amtes schützen.
Einheit des Dienstvergehens
Disziplinarrechtlich gibt es grundsätzlich nicht mehrere Dienstvergehen, die separatverfolgt werden, sondern es gilt die Einheit des Dienstvergehens, d. h. alle einzelnen Pflichtverletzungen (Handlungen) werden verklammert und in einem Disziplinarverfahren als einheitliche Verfehlung von Dienstpflichten verfolgt (zu Ausnahmen vgl. § 57 Sächsisches Disziplinargesetz (SächsDG)). Es ist also zwischen dem disziplinarisch relevanten Dienstvergehen einerseits und den diesem zugrundeliegenden Handlungen zu unterscheiden (vgl. § 54 SächsDG). „Dem Einheitsgrundsatz liegt vor allem die Überlegung zugrunde, dass es im Disziplinarrecht nicht allein um die Feststellung und Maßregelung einzelner Verfehlungen geht, sondern um die dienstrechtliche Bewertung des Gesamtverhaltens des Beamten, das im Dienstvergehen als der Summe der zur Last gelegten Pflichtverletzungen seinen Ausdruck findet. Der Beamte wird disziplinarisch nicht gemaßregelt, weil er bestimmte Pflichten verletzt hat, sondern weil er dadurch Persönlichkeitsmängel offenbart hat, die eine Pflichtenmahnung oder eine Beendigung des Beamtenstatus für geboten erscheinen lassen.“(( BVerwG, Urt. v. 14.11.2007 – 1 D 6/06, NVwZ 2008, 1375 (1378). )) Wird eine Verletzung der politischen Treuepflicht durch eine verfassungsfeindliche Betätigung vorgeworfen, kommt es auf die objektivierte Grundhaltung an, die aus einzelnen indiziellen Handlungen als Tatbeiträgen geschlossen wird. In diese Bewertung des Gesamtverhaltens können dann auch solche Elemente einfließen, die Rückschlüsse auf die Haltung einer Beamtin oder eines Beamten zur Verfassung haben und sich aus Äußerungen oder Verhaltensweisen ergeben, die zeitlich während einer Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag getätigt wurden.
Kein Rekursverbot
Die §§ 5 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 8 AbgG regeln das Ruhen aktiver amtsbezogener Pflichten, enthalten aber – jenseits des Art. 46 Ab. 1 GG – kein allgemeines Rekursverbot, welches das Verhalten während eines Mandats der späteren dienstrechtlichen Bewertung generell entziehen würde. So entspricht es ersichtlich auch nicht der Regelungsintention, dass Straftaten während der Mandatsperiode nach Rückkehr in ein Amt irrelevant bleiben sollen, was aber Konsequenz einer expansiven Auslegung der Ruhensregelung wäre, wie sie der sächsischen Justizverwaltung vorzuschweben scheint. Dementsprechend wird eine bereits vor der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag (jedenfalls in Fragmenten manifestierte) Verfassungsfeindlichkeit, die nach dem Ausscheiden noch fortbesteht, zu einem einheitlichen Dienstvergehen als Gesamtvorgang verklammert, in das auch die während des Mandats (außerhalb des Parlaments) getätigten verfassungsfeindlichen Äußerungen einbezogen würden. Selbst wenn man also gegenwärtig eine disziplinarische Verfolgung während des Ruhens des früheren Amtes nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbgG für (noch) nicht möglich hielte, könnten alle disziplinarisch noch relevanten und noch nicht verjährten Handlungen (vgl. § 15 SächsDG) im Rahmen eines Disziplinarverfahrens auf den Tisch kommen, sobald sich Maier nach Übertragung eines neuen Dienstpostens (§ 6 Abs. 2 Sätze 2-3 AbgG) wieder verfassungsfeindlich betätigt. Wie lange das wohl dauern wird?
Bessere Armierung des öffentlichen Dienstes gegen Verfassungsfeinde
Dies alles zeigt, dass die Rechtslage verwinkelt ist und die Causa Jens Maier trotz offenkundig verfassungsfeindlicher Äußerungen sicherlich kein einfacher Fall ist. Insgesamt sprechen aber bessere Gründe dafür, dass eine richterdienstrechtliche Reaktion möglich ist und die Justizministerin nicht zur Handlungsunfähigkeit verdammt bleibt. Ein disziplinarisches Vorgehen ist gewiss mit rechtlichen Risiken verbunden, aber das ist bei neuen Fallkonstellationen immer so. Die sächsische Justizverwaltung müsste zwar, auch wenn man den hier dargelegten Rechtsstandpunkt einnimmt, zunächst dem Rückkehrantrag entsprechen, könnte aber mit Blick auf das latent fortbestehende Statusverhältnis bereits vorher ein Disziplinarverfahren einleiten. Es ist insoweit nicht erforderlich, dass zunächst nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AbgG erst ein entsprechendes konkret-funktionelles Amt übertragen wird. Dass die öffentlich bekannten Äußerungen des fraglichen Richters ein schwerwiegendes Dienstvergehen begründen, das ggf. eine Entfernung aus dem Dienst rechtfertigen kann, um das erschütterte Vertrauen in die Lauterkeit und Verfassungstreue des Richterdienstes wiederherzustellen, drängt sich auf. Eine vorläufige Untersagung von Amtsgeschäften nach Rückkehr könnte nach § 46 SächsRiG nur das zuständige Dienstgericht aussprechen. Erst recht gilt dies für eine Entlassung (vgl. § 50 Abs. 1 SächsRiG), was nur den allgemeinen Anforderungen des Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG Rechnung trägt.
Die durchwachsenen Erfahrungen mit dem „Radikalenerlass“ haben zu Beißhemmungen geführt, gegen Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst wirksam durchzugreifen. Milde gegenüber Extremisten  entspricht hier jedoch weniger einer liberalen Toleranz gegenüber Andersdenkenden, sondern gefährdet die Freiheit derjenigen Menschen, die letztlich den Entscheidungen unterworfen sind, die in Ausübung öffentlicher Gewalt ergehen. Die Eskalation politischer Konflikte und die Polarisierung der politischen Öffentlichkeit verlangen in besonderem Maße verlässliche und rechtsstaatlich vertrauenswürdige Institutionen des Staates. Eine härtere Gangart gegenüber Extremisten im öffentlichen Dienst wäre daher wünschenswert. Im vorliegenden Fall könnte das unter einer dicken Staubschicht schlummernde Instrument der Richteranklage (Art. 98 Abs. 2 GG) wachgeküsst werden. Wenn dessen Voraussetzungen im Fall Jens Maier nicht greifen sollten, wann dann?
Danke für diese Beurteilung. Ich rechne ebenfalls damit, dass Maier zunächst zurückkehren wird, aber dann über seine eigenen Äußerungen stolpern wird. Analog zum Fall des Hamburger Richters „Gnadenlos“ Schill rechne ich auch damit, dass überproportional viele seiner Urteile zu Berufungen führen könnten, sofern man nicht von vornherein sicher ausschließt, dass er Urteile in Fällen spricht, die eine politische Note haben.
Vielen Dank für den aufschlussreichen Beitrag!
Zwei Anmerkungen/Fragen: § 15 SächsDG sieht eine Verjährung nur für den Ausspruch von Verweis, Geldbuße, KdB und Zurückstufung vor. M.E. müsste im Umkehrschluss gelten, dass eine Entfernung unabhängig davon ausgesprochen werden darf, wie lange das Verhalten, das zur Grundlage der Disziplinarklage gemacht wird, zurückliegt (oder übersehe ich etwas?).
Das würde auch Sinn ergeben, da zwar auch bei Verstößen gegen die politische Treuepflicht an konkretes Verhalten (Tun oder Unterlassen) angeknüpft werden muss – es sich ja aber eigentlich mehr um eine Art „Dauerdelikt“ handelt, weil es die im äußeren Verhalten lediglich zu Tage tretende verfassungsfeindliche Gesinnung ist, welche dem Dienst- und Treue-(!)verhältnis die Grundlage entzieht.
Und eine kleine Anmerkung: Wenn ich mich richtig erinnere, sagt die Rspr., dass Verstöße gegen die politische Treuepflicht immer „innerdienstlich“ im disziplinarrechtlichen Sinne sind (dürfte allerdings praktisch irrelevant sein, weil die besonderen Anforderungen an das Vorliegen eines außerdienstlichen Dienstvergehens wohl immer vorliegen würden).
Beste Grüße
Vertreten lässt sich gewiss vieles. Gleichwohl sprechen die besseren Argumente klar gegen die im Beitrag dargelegte Auffassung.
Schon der historische Gesetzgeber ging ganz ausdrücklich davon aus, dass auch die Pflicht zur Verfassungstreue suspendiert ist: In der im Beitrag mehrfach zitierten BT-Drs. 7/5531 heißt es auf S. 15 unmissverständlich: “So ruhen besonders […] die politische Treuepflicht […]”.
In systematischer Hinsicht ist zu beachten, dass in § 5 I 1 AbgG ausdrücklich zwei Pflichten genannt werden, die von der Regelung ausgenommen sind. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Ausnahme gesehen und insoweit eine abschließende Regelung getroffen hat. Es erscheint fernliegend, dass ausgerechnet die Pflicht zur Verfassungstreue als Kardinalpflicht des Beamten “übersehen” worden sein soll. Daher kann nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden, die durch eine verfassungskonforme Auslegung zu füllen wäre. Es handelt sich – was ja schon die Gesetzesbegründung zeigt – um eine bewusste Wertentscheidung des Gesetzgebers, die wohl mit dem hohen Stellenwert des Art 38 I 2 GG zu begründen ist. Für weitere Ausnahmen lässt die Konzeption des Gesetzes somit schlicht keinen Raum.
Nicht überzeugend ist auch der Hinweis auf § 47 II 1 BeamtStG, da diese Norm eben nur für Ruhestandsbeamte gilt. Zwar mag eine entsprechende Regelung de lege ferenda auch für den hier diskutierten Fall sinnvoll sein; dies rechtfertigt es jedoch nicht, eine solche Pflicht contra legem in das geltende Recht hineinzuinterpretieren.
Generell erscheint es bedenklich, dass bei der vom Verfasser vorgenommenen “Auslegung” der §§ 5, 6 AbgG nur Art 33 V GG berücksichtigt wird, nicht jedoch Art 38 I 2 GG. Möglicherweise gebietet es die Freiheit des Mandates auch über die engen Grenzen des Art 46 I GG hinaus, den Beamten vor einer disziplinarischen Ahndung seiner Aktivitäten als Abgeordneter zu schützen. Schon die Ramelow-Entscheidung des BVerfG macht deutlich, dass für Abgeordnete andere Maßstäbe gelten als für Normalbürger. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, während des Abgeordnetenmandates das gleiche Maß an Verfassungstreue zu verlangen wie bei aktiven Beamten.
Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass der vom sächsischen Justizministerium eingenommene Standpunkt auch der bisherigen Rechtsprechung entspricht. So heißt es in der – unzutreffend von Fischer-Lescano für seinen Standpunkt angeführten – Entscheidung des BVerwG: “Danach scheidet ein solcher Soldat mit dem Beginn des Ruhens der Rechte und Pflichten aus seinem Dienstverhältnis infolge der Annahme der Wahl zum Abgeordneten aus dem Wehrdienstverhältnis aus […] mit der Folge, daß […] seine Pflichten […] zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung […] entfallen.” (BVerwG, Az 2 WD 42/84, Rn 64). Von nachwirkenden Pflichten oder einer verfassungskonformen Auslegung ist hinsichtlich der Pflicht zur Verfassungstreue keine Rede; vielmehr sei die Rechtsstellung (jedenfalls für Soldaten) “abschließend und umfassend” geregelt (BVerwG, Az 2 WD 42/84, Rn 64). Nach den obigen Ausführungen gilt für Beamte und Richter das gleiche.
Es ist bedauerlich, dass Sie bei keiner Beleuchtung faschistischer Tendenzen auf diesem Blog darauf verzichten können, Kommunisten und/oder Linke als Transmitter nutzen, um ohnehin viel zu spät stattfindenden antifaschistischen Progressionen den Wind aus den Segeln zu nehmen oder sie teilweise unkenntlich zu machen. Freilich sagen Sie hier und auch hinsichtlich der GBA auch auf diesem Blog Dinge, die als richtig bzw. unbestritten bezeichnet werden können. Was nutzt aber all dies, wenn einer der beiden Pfeile, die nach Ihrer Zeichnung auf die Bundesrepublik gerichtet sind, überhaupt nicht existiert? Da wird von “Extremisten” und “Verfassungsfeinden” gesprochen ohne auch nur einmal die historisch fest gewachsene Schlucht zwischen Links und Rechts zu erkennen.
1. Zur Untauglichkeit des Radikalenerlasses als Maßstab in der hier geführten Debatte: es ist hierzu nicht viel mehr zu sagen, als das Faktum der nationalsozialistisch geprägten Begründungsherrschaft dieser Bespitzelung, Verfolgung und Denunziation von Menschen, die sich gegen Faschisten eingesetzt hatten und in den KZ ihre Familien und ihre Würde selbst verloren haben. Falls nunmehr Brandt hiergegen angeführt wird, sind auf seine lebzeitigen Reflexionen zu verweisen. Der Radikalenerlass war niemals ein Kampf gegen Verfassungsfeinde. Er war die abscheuliche Kreatur von Nazis selbst. Das Leitmotiv war kein Aufbau der Festung Verfassung, sondern die biographisch-gruppenbezogene gewachsene Angst insbesondere von Männern in der jungen BRD vor einer Gesellschaft, die aufarbeitet und Frauen, Roma und Sinti, Jüdinnen und Juden in ihr Staatsmodell einbezieht. Damit kommt man aber ohne Mühe zum Ergebnis, dass der Radikalenerlass gerade zeigt, dass Faschisten auch im modernen Verfassungsstaat das Licht finden und sogar die Freunde ihrer Feinde zu später stark bereuten Weiterführung dieser Verfolgungsarchitektur bringen können. Diese Wirkmacht gehört erzählt. Es ist denn auch nicht verwunderlich, dass Sie als historischen Beleg hier und auch zur GBA immer nur von “Erfahrungen” sprechen. Es handelt sich also bei einem künftigen Vorgehen gegen Faschisten im Staat um einen erstmaligen Akt, der nicht an den Radikalenerlass anknüpft oder mit ihm verbunden ist.
2. War dieser Unterkomplexität vor einigen Jahren noch der Glitter romantischer Provokation vorgebaut, gefährdet sie heute eine kühne Analyse von Gefahr und Lösung. Schon klar, dass eine solche analytische Willkür einem sofort Raum und Zeit gibt, philosophisch zu dichten. Ist es aber wirklich so, dass “extreme Linke” eine härtere Gangart verdienen? Machen wir uns wirklich auf und entfernen auch “Linksextreme” aus dem Staatsdienst, um die “Mitte” noch einmal mit den Rechten tanzen zu lassen?
3. Kleinteilig und im Sekundentakt kann diese Gehilfenschaft der Mitte selbst zum Antipluralismus belegt werden oder ist die Kollaboration von Strauß mit dem Faschisten Franco hinsichtlich der Verhaftung Augsteins und Pinochets hins. der Causa IG Farben bzw. Colonia Dignidad nur ein Märchen? Beides sind nur Millisekunden des jungen German Dreams von einer postautoritären Gesellschaft. Vergleicht man also die Ankerpunkte der KPD und die der CDU/CSU. Und all das erhärtet sich, wenn man weiß, dass es heute überhaupt nicht anders ist: Maaßen, Otte, Steinbach und nicht Gysi, Ströbele und Wagenknecht sind die personalen Schlupflöcher der “Verfassungsfeinde”.
Eine Gesellschaft kann sich nur selbst von diesem Gespenst befreien. Man rennt aber im Kreis, wenn man mit jedem Schlag in Richtung “Verfassungsfeinde” auch diejenige Zivilgesellschaft trifft, die sich für den Schutz Betroffener einsetzt. Aus der “Mitte” war bisher nichts zu erwarten, außer ein beweisbares Zugehörigkeitsgefühl zum nationalen und internationalen Totalitarismus und traditionelle Abgrenzungshemmungen.
Wenn man wirklich von Vulnerabilitätserfahrungen (was auch immer das sein soll) sprechen möchte, dann jetzt.
Ihre detaillierte Ausführung der Rechtslage nehme ich als hilfreich und aufklärend wahr. Ihre Schlussfolgerung finde ich in einem verfassungspolitischen Sinne dagegen nicht richtig. Wir stimmen sicher überein, dass es nicht gut ist, wenn ein Abgeordneter, gleich ob in direkter Funktion im Parlament oder außerhalb, sich gegen Grundsätze der Verfassung äußert. Andererseits sehe ich es als sehr schwierig an, dies ohne politische Absicht der Bewertenden zu betrachten und .. zu bewerten.
Daher sollte eine Entscheidung über die Rückkehr in oder Verbleib im Amt aufgrund laufenden Verhaltens im Amt gefällt werden, und nicht aufgrund einer Extrapolation, also Vermutung. Sie verweisen ja richtig auf die unerfreulichen Erfahrungen des Radikalenerlasses.
Ich sehe auch das Risiko, dass Rechtssuchenden daraus ein Nachteil erwächst, doch das sollte das Rechtssystem durch Berufungsverfahren kompensieren. Es kann genauso gut geschehen, dass der Mensch zurück im Amt korrekt arbeitet, nachdem er es nicht mehr nötig hat, Aufmerksamkeit zu erregen.
Der Beitrag baut mit Bedacht und großer juristischer Geschicklichkeit eine wagemutige mehrstöckige Villa Paletti auf, um ihr im letzten Satz die tragende Säule im Erdgeschoss wegzuziehen und sie krachend zum Einsturz zu bringen. Für den Fall Jens Maier gibt es das Instrument der Richteranklage nach Art. 98 II, V GG iVm Art. 80 SächsVerf – ein entscheidendes Argument dagegen, die §§ 5, 6 ArbG einzelfallmotiviert überzustrapazieren.
Das Risiko, Maßnahmen durchzuführen, die aufgrund der nicht geklärten Rechtslage möglicherweise vor Gericht keinen Bestand hätten, würde ich aus rein pragmatischen Gründen in diesem Fall auch nicht eingehen und lieber das Verhalten dieses Menschen nach seiner Rückkehr in den Dienst abwarten.
Die Vorstellung, daß dieser Mensch sich im Falle einer für ihn positiven Gerichtsentscheidung damit brüsten könnte, Gesetz und Verfassung auf seiner Seite zu haben, finde ich unerträglicher als ihn als Richter arbeiten zu lassen und ggf. disziplinarische Maßnahmen aufgrund neuen Fehlverhaltens zu ergreifen.