22 October 2014

Alle Rüstungsexportgewalt geht vom Volke aus?

Die Bundesregierung muss dem Bundestag keine Auskunft darüber geben, dass sie gegenwärtig die Genehmigung einer Kriegswaffenausfuhr erwägt. Erst wenn sie über den Antrag auf Bewilligung eines Rüstungsexports bereits entschieden hat, muss sie auf eine parlamentarische Anfrage hin über das geprüfte Waffengeschäft berichten, und das auch nur in begrenztem Umfang. So hat es das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden.

Das Verfahren hatten drei Abgeordnete des Bundestages angestrengt. Aus Anlass von Presseberichten über die angebliche Absicht der Regierung, Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien (und weitere Waffenexporte nach Saudi-Arabien und Algerien) zu genehmigen, hatten sie im Juli 2011 die Bundesregierung zur Auskunft über ihre Befassung mit diesen Geschäften aufgefordert. Die Abgeordneten machen geltend, ihre Fragen seien nicht oder nicht zureichend beantwortet worden.

Erst im November 2012 informierte die Bundesregierung mit dem jährlichen Rüstungsexportbericht nachträglich über ihre Genehmigungstätigkeit im Jahr 2011. Falls die Regierung 2011 tatsächlich erwogen hatte, die Ausfuhr von Leopard 2-Panzern nach Saudi-Arabien zu genehmigen, so hat sie davon jedenfalls Abstand genommen. Nach dem Rüstungsexportbericht wurden keine Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien genehmigt. Auch wenn ein entsprechender Ausfuhrantrag nach einem formellen Genehmigungsverfahren abgelehnt worden wäre, hätte der Bericht das dokumentiert. Die Bundesregierung berichtet aber nicht über ihre Befassung mit der sogenannten Voranfrage eines Unternehmens, in deren Rahmen sie bereits vor der Stellung eines Ausfuhrantrags die voraussichtliche Genehmigungsfähigkeit eines beabsichtigten Rüstungsgeschäfts prüft. Das gilt auch für Anträge auf Ausfuhrgenehmigung, die zurückgenommen wurden. Es lässt sich also nur darüber spekulieren, ob die öffentliche Aufmerksamkeit hier die Genehmigung einer Kriegswaffenlieferung an ein autoritäres Regime verhindert hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat das parlamentarische Informationsrecht im Bereich der Rüstungsexportpolitik mit seinem Urteil nun eng definiert. Vor diesem Ergebnis – der begrenzenden Auslegung – steht in der verfassungsgerichtlichen Prüfung aber eine emphatische Darlegung der demokratischen Begründung und Bedeutung des parlamentarischen Informationsrechts: Das Informationsrecht sei ein wesentliches Instrument des Parlaments, um die Regierung verantwortlich zu halten. Es ist Ausdruck des Demokratieprinzips, das die Rückführung aller Staatsgewalt auf den Willen des Volkes gebietet. Alle Staatsgewalt muss in der Kombination von personeller Legitimation (Ernennung oder Bestellung in ein öffentliches Amt ist letztlich abgeleitet vom Willen des Volkes) und sachlich-inhaltlicher Legitimation (Bindung an das demokratische Gesetz, parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung) hinreichend demokratisch legitimiert sein. Es fällt der hochinteressante Satz, dass das Ausgehen der Staatsgewalt vom Volk sowohl für das Volk als auch für die Staatsorgane konkret erfahrbar und praktisch wirksam sein müsse. Die Geheimhaltung gegenüber dem Bundestag, so schließt das Gericht sein Narrativ des legitimatorischen Grundes parlamentarischer Auskunftsrechte, beschränkt die parlamentarische Kontrollmöglichkeit und kann deshalb den notwendigen demokratischen Legitimationszusammenhang beeinträchtigen oder unterbrechen.

Dann macht das Gericht sich daran, Beeinträchtigungen oder Unterbrechungen dieses Legitimationszusammenhanges zu rechtfertigen.

Aus mehreren Gründen gilt, so das Bundesverfassungsgericht, der Informationsanspruch des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten nicht grenzenlos. Aus dem Prinzip der Gewaltenteilung folge der Schutz eines Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung, der einen nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Vor allem ist die Vertraulichkeit der Willensbildung der Regierung in der kabinettsinternen Entscheidungsvorbereitung und ressortübergreifenden und -internen Abstimmung geschützt. Das gilt, soweit die Information des Parlaments zu einem Mitregieren Dritter bei Entscheidungen führen kann, die allein in der Zuständigkeit der Regierung liegen. Das Parlament darf nicht in die laufende Willensbildung der Regierung eingreifen. Deswegen erstreckt sich die Kontrollkompetenz des Bundestages grundsätzlich – und so auch im Fall der Rüstungsexportentscheidung der Regierung – nur auf abgeschlossene Vorgänge.

Im Bereich der Außenpolitik ist der Regierung ein weiter Spielraum zur eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung überlassen, auch wenn dies keine Ausnahme von der parlamentarischen Verantwortlichkeit begründet. Die Rolle des Parlaments als Gesetzgebungsorgan sei in diesem Bereich schon aus Gründen der Funktionengerechtigkeit beschränkt. Eine erweiternde Auslegung der Beteiligungsbefugnisse des Bundestages würde, so das Gericht, auf eine nicht funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt hinauslaufen.

Diese Ansicht ist indes keineswegs zwingend. Der Blick in die USA zeigt, dass die Frage der Funktionengerechtigkeit auch ganz anders bewertet werden kann: Nach dem Arms Export Control Act erteilt der Präsident die Lizenz für den privatwirtschaftlichen Export von Rüstungsgütern. Er autorisiert auch Transfers von Regierung zu Regierung. Dabei gelten im Vorfeld der Entscheidung umfangreiche Anzeigepflichten gegenüber dem Kongress (notification requirements). Grundsätzlich gilt, dass der Kongress mit einer Frist von 30 Tagen notifiziert werden muss, bevor die Regierung die finalen Schritte zum Erteilung einer Exportlizenz gehen kann. Das dient dazu, dem Kongress ein legislatives Vorgehen gegen die geplante Rüstungsexportentscheidung zu ermöglichen: Der Arms Export Control Act sieht ausdrücklich vor, dass ein vom Präsidenten vorgeschlagener Rüstungsexport in der Form einer joint resolution von Repräsentantenhaus und Senat verboten werden kann. Es besteht zwar die Möglichkeit des präsidentiellen Vetos gegen diese Gesetzgebung, doch kann ein solches mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beider Kammern überwunden und damit von der Legislative ein konkreter Rüstungsexport bindend untersagt werden.

Einen derartigen Parlamentsvorbehalt für die Rüstungsexportentscheidung der Regierung lehnt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ab. Aber die ausschließliche Zuständigkeit der Regierung für die Rüstungsexportkontrolle, die Art. 26 Abs. 2 GG begründe, schaffe auch keinen kontrollfreien Raum des Regierungshandelns. Allerdings wirkt das Staatswohl, soweit es durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen über die Rüstungsexportpolitik gefährdet wird, als weitere Grenze des parlamentarischen Informationsrechts. Die Bundesregierung kann dem Bundestag die Weitergabe von Verschlusssachen, die Dienstgeheimnisse enthalten, verweigern, wenn dieser nicht den von ihr für notwendig gehaltenen Geheimschutz gewährleistet. Die Geheimschutzordnung des Bundestages, so vermutet das Gericht, biete keine ausreichende Vorsorge für den Geheimschutz in Bezug auf Maßnahmen, bei denen nicht nur der Inhalt der Beratung, sondern auch die Tatsache der Beratung und Beschlussfassung an sich geheim zu halten sei, wenn der Erfolg der Maßnahme nicht von vornherein vereitelt werden solle.

Erst nachdem die Regierung – durch Beschluss des Bundessicherheitsrates (auf den ich hier nicht näher eingehen kann) – entschieden hat, einen formellen Antrag auf Genehmigung eines Rüstungsexports zu bewilligen oder abzulehnen, muss sie das Parlament dem Grunde nach über das geprüfte Kriegswaffengeschäft informieren. Der Auskunftsanspruch setzt also zeitlich nicht erst mit dem Erlass des entsprechenden Bescheids ein. Und ihm ist nicht mit dem jährlich im Nachgang veröffentlichten Rüstungsexportbericht genüge getan. Inhaltlich ist aber auch das Recht auf nachträgliche Information begrenzt: Die Regierung müsse dem Bundestag nur das Ergebnis des Genehmigungsverfahrens, das Rüstungsgut, das Auftragsvolumen und das Empfängerland des beabsichtigten Waffentransfers mitteilen. Darüber hinausgehende Angaben sind, so das Gericht, verfassungsrechtlich nicht geboten. Es gilt ausdrücklich keine Pflicht, auf parlamentarische Fragen zu den Gründen einer getroffenen Entscheidung zu antworten. Das gebieten Gründe des Staatswohls, soweit das Bekanntwerden der Begründung vor allem einer ablehnenden Entscheidung zu Verwerfungen im Verhältnis zum Empfängerland führen kann.

Das Staatswohl kann unter Umständen die Verweigerung der Auskunft auch über bereits abgeschlossene Entscheidungen des Bundessicherheitsrates rechtfertigen. Das begründet das Gericht mit dem Schutz außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. Rüstungsexportentscheidungen haben eine diplomatische Dimension; die Haltung der Bundesregierung zu einem geplanten Rüstungsgeschäft kann Indikator für die politischen Beziehungen zu einem Land oder Ausdruck einer bestimmten Sicherheitsstrategie sein. Sie beruhen unter Umständen auf nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, deren Quellen geschützt werden müssen. Bemerkenswert ist, wie die wirtschaftspolitische Erwägung der Protektion der nationalen Rüstungsindustrie in das Staatswohl einbezogen wird: Ein Bekanntwerden geplanter Rüstungsgeschäfte könne ausländische Konkurrenten auf den Plan rufen, die den deutschen Anbieter ausstechen. Die Aufrechterhaltung eines nationalen Rüstungswesens aber ist, so die Setzung des Bundesverfassungsgerichts, ein legitimes staatliches Ziel.

Das Urteil fällt in eine Zeit, in der die deutsche Außenpolitik eine neue Doktrin entwickelt, für die die Lieferung von Kriegswaffen an ausländische Akteure von zentraler Bedeutung ist. Angela Merkel betrachtet die militärische Ertüchtigung von Bündnispartnern als sicherheits- und verteidigungspolitisches Instrument . Deutschlands Partner sollen dazu befähigt werden, sich selbst für die Bewahrung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden in ihren Regionen wirksam einzusetzen. Die Ertüchtigung ersetzt unter Umständen funktional den Einsatz der Bundeswehr und umfasst die Ausstattung mit militärischer Ausrüstung – auch mit Kriegswaffen. Mit der Lieferung von Maschinengewehren und anderen Waffen an die kurdischen Milizen, die im Irak den Islamischen Staat bekämpfen, hat dieser Ansatz auch bereits einen Anwendungsfall, der sehr sichtbar und umstritten ist. Hier hat die Regierung sich in einer symbolischen parlamentarischen Debatte und Entschließung des Rückhalts der Regierungsmehrheit des Bundestages versichert. Ob einzelne Abgeordnete des Bundestages – natürlich vor allem solche der Opposition – Auskünfte über die Rüstungsexportpolitik der Regierung auch durchsetzen können, wenn die Regierung eine parlamentarische Befassung nicht für opportun hält, bleibt aber eine Frage, die das Recht beantworten muss. Wie das Verfassungsrecht hier die Rolle des Bundestages definiert, wird umso relevanter, je mehr Rüstungsexporte als Form der (indirekten) militärischen Intervention in Krisenregionen eingesetzt werden. Ein starkes, weitreichendes Informationsrecht des Parlaments stellt Öffentlichkeit her. Es steht (oder stünde) so für eine Politisierung des Instruments der Ertüchtigung durch Bewaffnung. Diese berührt vielfältige, konkurrierende Belange: außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Interessen, die Menschenrechte und den internationalen Frieden, nicht zuletzt aber auch wirtschafts- und industriepolitische Erwägungen. Auskunftspflichten der Bundesregierung würden dieses Instrument und seinen Einsatz einer öffentlichen Reflexion unterwerfen, die die widerstreitenden Interessen und Belange artikuliert und kenntlich macht und ihre Abwägung verhandelt.

Das Gericht entwirft in den entsprechenden Passagen des Urteils ein Bild der Außenpolitik, die – um protektionistische Erwägungen erweitert – recht weitgehend eine Sphäre geheimen exekutiven Handelns ist. Allein in Bezug auf die positive Genehmigungsentscheidung besteht relativ zweifelsfrei ein parlamentarischer Auskunftsanspruch. Und dieser gilt auch nur für die essentialia des Rüstungsgeschäfts. Die Gründe für ihre Entscheidung muss die Regierung nie darlegen. Das steht einer demokratischen Politisierung der Rüstungsexportpolitik doch stark entgegen. Ob es für das Volk und für die Staatsorgane im Bereich der Rüstungsexportpolitik unter diesen Umständen tatsächlich noch konkret erfahrbar und praktisch wirksam ist, dass die Staatsgewalt vom Volk ausgehe, scheint mir zweifelhaft.


4 Comments

  1. Kai K. Wed 22 Oct 2014 at 20:19 - Reply

    Die ganze Diskussion ist der dermaßen pazifistisch durchsetzt, dass eine sachliche Auseinandersetzung mit diesem Thema kaum noch möglich ist.
    In aller erster Linie verkauft bei einem Rüstingsgeschäft ein deutsches Unternehmen ein Produkt an einen ausländischen Käufer. Bei vielen fängt hier schon die Schnappatmung an. Für so manchen meinungsführenden Zeitgenossen ist der Verkauf von Rüstungsgüstern aus moralischer Sicht nahezu gleichbedeutend mit der Vorbereitung eines deutschen Angriffskrieges.
    Dabei sollte man nicht vergessen, dass Waffen und Armeen in aller erster Linie der Verteidigung von Ländern und Staatsvölkern dienen. Angenommen es hätte keine NATO gegeben und die BRD wäre auf sich allein gestellt gewesen. Wie toll hätten wir das wohl gefunden, wenn uns die anderen Länder nur B-Ware angeboten hätten, weil die technologisch führenden Waffen ja bei uns evtl. in eine Konfliktregion geliefert worden wären und die heimischen Moralwächter das nicht geduldet hätten ?
    Dieser angebliche moralische Grundsatz deutscher Rüstungspolitik, dass man keine Waffen in Konfliktregionen verkaufe ist ein Witz, im Vergleich zu der Tatsache, dass man stattdessen eigene Kampftruppen in Krisenregionen schickt und dort feindliche Soldaten direkt tötet. Was daran moralisch besser sein soll, als wenn man nur Waffen liefert erschließt sich mir nicht. So wie Deutschland Waffen an seine Freunde in der NATO verkauft, sollte es doch kein Problem sein auch Waffen an seine Freunde außerhalb der NATO zu verkaufen. Schließlich will man ja, dass der Freund nicht von einem “Nichtfreund” militärisch angegriffen wird. Und wer Freund und Feind ist, fällt unter Außenpolitik und unterliegt damit nur sehr beschränktem Einfluss des Parlaments.

  2. Diogenes Wed 22 Oct 2014 at 20:33 - Reply

    Das Demokratieprinzip gilt nicht unbeschränkt, sondern steht in einem Spannungsverhältnis zum Rechtsstaatsgebot, dessen Ausfluss auch die Gewaltenteilung ist und der Exekutive steht auch ein Kernbereich eigener Kompetenz zu. Die Exekutive ist der Legislative nicht untergeordnet, sondern in Teilen gleichgeordnet.

  3. karlo Fri 24 Oct 2014 at 13:09 - Reply

    Gut aufbereitet, klug kritisiert. Vielen Dank für diese sehr gelungene Besprechung!

  4. Christian Schmidt Fri 24 Oct 2014 at 18:33 - Reply

    Wenn dem Bundestag das nicht passt kann er doch einfach das Gesetz aendern?

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