Auf Schritt und Tritt
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung
Anfang Februar hat das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss veröffentlicht, in dem es die sogenannte elektronische Fußfessel für verfassungsgemäß erklärt – jedenfalls derzeit. Da auch zehn Jahre nach ihrer Einführung keine Langzeitstudien zum kriminalpräventiven Effekt der elektronischen Aufenthaltsüberwachung vorliegen, nimmt das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zu Recht in die Pflicht, die Maßnahme zu evaluieren. Wieso das Bundesverfassungsgericht auf die verpflichtende Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Gefährlichkeitsprognose verzichtet, leuchtet vor dem Hintergrund des intensiven Grundrechtseingriffs, der mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung einhergeht, hingegen nicht ein.
Hohe Eingriffsintensität zum Schutz der Allgemeinheit
Seit dem 1. Januar 2011 ermöglicht § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12 des Strafgesetzbuchs auf Bundesebene, Entlassene aus dem Straf- oder Maßregelvollzug im Rahmen der Führungsaufsicht elektronisch zu überwachen. Die Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung setzt voraus, dass diese erforderlich ist, um die verurteilte Person davon abzuhalten, neue Straftaten zu begehen. Nach der gesetzgeberischen Intention soll die elektronische Aufsicht eine Doppelfunktion erfüllen: Als unterstützende Begleiterin soll sie zur Wiedereingliederung der Überwachten beitragen, zur gleichen Zeit aber durch eine bessere Kontrolle dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dienen.
Die kriminaltheoretischen Ansätze hinter diesem Ziel sind vielfältig. Eine bedeutende Rolle spielte für den Gesetzgeber die Fernhaltung von Orten, die den Betroffenen Anreize zur erneuten Straffälligkeit bieten können. Dies betrifft beispielsweise Drogenkonsumplätze, Kindergärten, oder den Wohnort der/des Geschädigten. Die abschreckende Wirkung der elektronischen Überwachung soll an erster Stelle aus der erhöhten Entdeckungsgefahr resultieren und so zur Rückfallprävention beitragen. Dabei soll insbesondere die kontinuierliche GPS-Überwachung helfen. Die neuere GPS-Technik bietet gegenüber der traditionellen Radiofrequenz-Technik die Möglichkeit, die An- und Abwesenheit der überwachten Personen an verschiedenen Orten vorzuschreiben, zu untersagen und zu kontrollieren. Je nach Ausgestaltung kann die elektronische Überwachung so eine erhebliche Eingriffsintensität entfalten und – das ist empirisch belegt – psychische Zwangslagen hervorrufen. Gerade hier zeigt sich die hohe Eingriffsintensität der elektronischen Fußfessel. Ihr Einsatz muss sich daher zu Recht an einer Vielzahl von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten messen.
Die elektronische Überwachung greift unweigerlich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Durch die GPS-Technik werden Positionsdaten lückenlos erhoben und gespeichert, sodass die gesammelten Daten die Erstellung eines Bewegungsprofils grundsätzlich ermöglichen. „Nie sollst du wissen, wann wir dich beobachten, damit du dich nie unbeobachtet fühlen kannst.“ Doch ganz so ist es nicht. Dem Bundesverfassungsgericht ist daher zuzustimmen, dass keine unzulässige Rundumüberwachung vorliegt: Ein Zugriff auf die automatisiert erhobenen Daten ist nur gestattet, wenn ein konkreter Verdacht eines Weisungsverstoßes oder einer neuen erheblichen Straftat vorliegt (§ 463a Abs. 4 S. 2 StPO). Eine anlasslose Feststellung des Aufenthaltsortes des Betroffenen ist ebenso unzulässig wie die Echtzeitverfolgung auf dem Bildschirm. Zudem dürfen die Daten nur bis zu zwei Monate gespeichert werden, sodass der Gesetzgeber an dieser Stelle jedenfalls die notwendigen Voraussetzungen geschaffen hat, um die Fußfessel hinsichtlich der Datenerhebung als unbedenklich einstufen zu können.
Innerhalb der Wohnung der überwachten Person dürfen keine über den Umstand der bloßen Anwesenheit hinausgehenden Aufenthaltsdaten erhoben werden. Sobald sich die überwachte Person ihrem Zuhause nähert, verhindert eine sogenannte Home-Unit die exakte Standortbestimmung. Der Gesetzgeber hat dies ausdrücklich vorgesehen und trägt damit dem Kernbereichsschutz privater Lebensführung und dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung Rechnung.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde der Betroffenen verpflichten den Staat zudem, die Maßnahme auf die Resozialisierung auszurichten. Das Bundesverfassungsgericht lehnt einen Verstoß gegen das Resozialisierungsgebot ab. Im Ergebnis verdient das zwar Zustimmung, allerdings darf nicht unbeachtet bleiben, dass mit der Fußfessel auch eine erhebliche Stigmatisierungsgefahr einhergeht. Die Fußfessel kann ungewollt in der Öffentlichkeit sichtbar werden und markiert die überwachte Person für die Gesellschaft nicht zuletzt aufgrund medialer Berichterstattung als „Straftäter“. Die Fußfessel kann durch dieses Label die Anbahnung sozialer Kontakte erschweren und bringt Einschränkungen bei der Arbeit und Arbeitssuche mit sich. Personen mit einer elektronischen Fußfessel werden nicht unbedingt gerne eingestellt – und dies nicht nur wegen der mit den Gebots- und Verbotszonen einhergehenden fehlenden Flexibilität.
Gefährlichkeitsprognose ohne sachverständige Begutachtung?
Es ist höchst problematisch, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber in der Auffassung bestätigt, die Amtsaufklärungspflicht des Tatgerichts sei ausreichendes Korrektiv für eine fundierte Gefährlichkeitsprognose. Es wird sicher vielfach unumgänglich sein, ein Gutachten einzuholen, um sich nicht der Gefahr einer willkürlichen Anordnung auszusetzen. Vor dem Hintergrund der klaren und von Gesetzgebung und Bundesverfassungsgericht deutlich hervorgehobenen Grundrechtsrelevanz sollte die Einholung eines Sachverständigengutachtens jedoch gesetzlich normiert werden.
Der Fall des Beschwerdeführers könnte dies nicht plastischer aufzeigen: Das forensische Gutachten, das als Grundlage für die Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung diente, datiert aus dem Jahr 1991. Der Beschwerdeführer befand sich zwanzig Jahre im Strafvollzug, bis die auf dieses Gutachten gestützte Weisung erging.
Das Bundesverfassungsgericht stuft die elektronische Fußfessel als Freiheitsbeschränkung ein und verneint die für eine Freiheitsentziehung notwendige Haftgleichheit – dies trifft für den Großteil der Weisungsgestaltungen zu. Die elektronische Überwachung kann jedoch beispielsweise mit einer unbegrenzten Zahl an Verbotszonen oder der Anordnung, einen bestimmten Ort nicht verlassen zu dürfen, kombiniert werden. Da die Überwachung damit im Einzelfall die Intensität einer „ambulanten Sicherungsverwahrung“ erreichen kann, erschließt sich nicht, wieso es die Weisung nicht in den § 246a StPO geschafft hat. Immerhin betont das Bundesverfassungsgericht die Wichtigkeit der Frist zur Überprüfung alle zwei Jahre nach § 68d Abs. 2 StGB. Diese ist gewiss unerlässlich, denn die elektronische Aufsicht kann über die fünfjährige Höchstdauer der Führungsaufsicht hinaus unbefristet verlängert werden (§ 68c Abs. 3 Nr. 2 lit. b StGB).
Unverzichtbare Begleitforschung
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne stellte sich für das Bundesverfassungsgericht vordergründig die Frage, inwieweit die elektronische Überwachung dazu beitragen kann, Rückfalltaten zu vermeiden. Eine Antwort auf diese Frage konnte das Gericht jedoch nicht geben, da es an zweifelsfreien empirischen Nachweisen dafür fehlt. Nach wie vor mangelt es an experimentellen Rückfallstudien auf Grundlage des nationalen Rechts für sogenannte Hochrisikotäter. Gleichwohl konstatiert das Bundesverfassungsgericht, dass aus der fehlenden experimentellen Forschung nicht geschlussfolgert werden könne, dass der „Einsatz mit Blick auf die Rückfallhäufigkeit generell wirkungslos“ bleibe.
Die Universität Tübingen evaluierte die Implementation der elektronischen Überwachung in der Führungsaufsicht. Das Forschungsdesign erlaubte u.a. wegen des kurzen Beobachtungszeitraums zwar keine endgültigen Rückschlüsse, ein rückfallvermeidender Effekt konnte der elektronischen Überwachung jedoch nicht attestiert werden.
Das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht evaluierte die Implementation der elektronischen Fußfessel in Baden-Württemberg. Hier unterschieden sich die Probanden (überwiegend Niedrigrisikotäter) und der Anwendungsbereich (vorzeitige Haftentlassung und überwachte Vollzugslockerungen) von der Führungsaufsicht. Im Rahmen des baden-württembergischen Modellprojekts konnte der elektronischen Aufsicht jedoch ebenfalls kein rückfallreduzierender Effekt attestiert werden. Die Evaluation ergab, dass die elektronische Fußfessel während der Überwachung eher zu einer vorübergehenden oberflächlichen Verhaltensmanipulation ohne nachhaltige (Norm-)Internalisierung führt. Ein Abschreckungseffekt durch das erhöhte Entdeckungsrisiko schien bereits während der Überwachung abzunehmen und nach der Entfernung des Geräts gänzlich zu verschwinden. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass der Zeitraum der Überwachung deutlich kürzer angesetzt war als es in der Führungsaufsicht der Fall ist.
Sofern sich das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der kriminalpräventiven Wirkung also auf die Behauptung eines möglichen rückfallvermeidenden Effekts zurückziehen muss, so ist auch im Auge zu behalten, dass der Schutz der Allgemeinheit Auftrag des Staates ist und das Rechtsstaatsprinzip eine funktionstüchtige Strafrechtspflege fordert. Die elektronische Aufsicht dient dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter wie Leib, Leben, Freiheit und sexueller Selbstbestimmung. Straftaten zu verhindern, zu verfolgen und aufzuklären hat hierfür eine herausgehobene Bedeutung. Dogmatisch spricht das Bundesverfassungsgericht damit zutreffend das Vorliegen eines legitimen Zwecks an: Die Weisung steht angesichts der Rechtsgüter, deren Schutz sie bezweckt, nicht außer Verhältnis. Das Bundesverfassungsgericht nimmt den Gesetzgeber nun in die Pflicht, die elektronische Aufenthaltsüberwachung empirisch zu begleiten und sie anhand der gewonnenen Erkenntnisse anzupassen und zu verbessern.
Die Implementierung der elektronischen Fußfessel im Rahmen der Führungsaufsicht ist auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 zu sehen. Die Einstufung der rückwirkenden Aufhebung der zehnjährigen Höchstdauer der Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention führte dazu, dass Deutschland dem konventionswidrigen Zustand ein Ende setzen musste. Auch einer der Beschwerdeführer gehörte zu den Entlassenen, für die in Folge des Urteils eine nachträgliche Sicherungsverwahrung abgelehnt wurde. Die elektronische Überwachung war zwar eher ein Nebenschauplatz des entstandenen Gesamtkonzepts zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung. Nicht zuletzt im Hinblick auf eine erwartete „Entlassungswelle“ wurde die elektronische Aufenthaltsüberwachung jedoch im nahezu rekordverdächtigen Tempo implementiert, ohne dass empirische Belege für ihre Wirksamkeit vorlagen.
Vor diesem Hintergrund ist der ausdrückliche Appell an die Gesetzgebung richtig. Er hat sogar im letzten Leitsatz der Entscheidung seinen Niederschlag gefunden.
One size fits all?
Die elektronische Aufenthaltsüberwachung ist mit dem geltenden Recht vereinbar. Dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das wichtigste Korrektiv im Einsatz der elektronischen Aufsicht. In den letzten Jahren wurde der Einsatz der elektronischen Überwachung in Deutschland auf weitere Anwendungsbereiche ausgedehnt und steht zunehmend im Zentrum der Suche nach geeigneten Mitteln zur Kriminalitätsbekämpfung. Die aktuellen sicherheitspolitischen Diskussionen brachten etwa eine Ausweitung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung in der Führungsaufsicht auf terroristische Straftaten hervor. Zudem wurde die GPS-gestützte Überwachung sogenannter Gefährder beschlossen. Diskutiert wird der Einsatz der elektronischen Fußfessel derzeit unter anderem in Bezug auf häusliche Gewalt, Hooligans und Stalking – in Nordrhein-Westfalen ist dies bereits im Polizeigesetz verankert.
Die fortschreitende Ausweitung der Anwendungsbereiche sollte den Gesetzgeber besonders motivieren, die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Beobachtungs- und Anpassungspflicht nicht aus den Augen zu verlieren.