Brasiliens neuer Superjustizminister und das drohende Ende des Rechtsstaats
Brasiliens demokratischer Rechtsstaat hat gerade seinen 30. Geburtstag gefeiert. Doch mit der Wahl des seit dem 1. Januar 2019 amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro ist sein Fortbestand gefährdet wie nie. Der neue Präsident ist zwar erst vereidigt worden, aber die bisherigen Maßnahmen seines Kabinetts geben bereits zu größtem Pessimismus Anlass: die Abschaffung von Schutzprogrammen für indigene Völkern und Homosexuelle, der mögliche Austritt aus dem UN-Migrationspakt, die geplante Verlegung der brasilianischen Botschaft aus Tel-Aviv nach Jerusalem, und die Leugnung des Klimawandels, der als marxistischer Unsinn bezeichnet wurde.
Weniger Beachtung fand in den internationalen Medien, was die neue Regierung in Bezug auf die Justizverwaltung Brasiliens plant: Ein „Superjustizministerium“ soll gegründet werden, das vom ehemaligen Bundesrichter Sergio Moro geleitet wird, und ein strenges Antiterrorgesetz soll verabschiedet werden. Beides ist geeignet, die rechtsstaatliche Ordnung Brasiliens zu beeinträchtigen.
Eine Schlüsselfigur in dieser Geschichte ist der ehemalige Bundesrichter Sergio Moro. Er war seit 1996 Bundesrichter in Südbrasilien, wo er sich mit der Bekämpfung von Finanzkriminalität beschäftigte. Durch die Leitung eines der folgenreichsten Justizfälle Brasiliens, der Operation „Lava Jato“ (wörtlich Waschanlage) erlangte Moro auch international hohes Ansehen. Sein größter Erfolg: die Verurteilung und Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva, der seit April 2017 eine zwölfjährige Haftstrafe in der brasilianischen Stadt Curitiba verbüßen muss.
In weniger als drei Jahren änderte sich die Situation Moros grundsätzlich. Vor 2014 war er nur ein Beamter ohne Ruhm gewesen. Mit einem Mal wurde Moro bundesweit zu einem Helden für viele Brasilianer, die gegen die Arbeiterpartei und für das Amtsenthebungsverfahrens Dilma Roussefs auf die Straße gingen.
Moro wurde seit dem Beginn der Operation seine richterliche Tätigkeit in der brasilianischen Öffentlichkeit sehr stark kritisiert. Ihm wurde vorgeworfen, er mache Politik anstatt Rechtsprechung, da die polizeilichen Ermittlungen die Arbeiterpartei ins Herz getroffen haben. Dazu kam, dass Informationen, die der Präsidentschaftskandidatur der Arbeiterpartei schadeten, an die Öffentlichkeit durchgestochen wurden. Dadurch spielte Moro eine ausschlaggebende Rolle für den Sieg Jair Bolsonaros und verstieß gegen die im Artikel 95 der brasilianischen Verfassung verankerte Neutralität der Judikative.
Drei Tage nach dem Wahlergebnis erklärte Moro, dass er die Ernennung zum Bundesminister akzeptiert hatte und ab Januar 2019 das Justizministerium führt. Nach mehr als zwei Jahrzehnten legte Moro sein richterliches Amt nieder. Bei seiner Antrittsrede erklärte Moro, bei der Gestaltung der neuen Bundessicherheitspolitik mitwirken zu wollen: „Ein Richter in einer Stadt wie Curitiba kann nicht die allgemeinen Leitlinien der Sicherheitspolitik grundsätzlich ändern.“
Seit den ersten Kontakten mit dem später gewählten Präsidenten Jair Bolsonaro war sich Sergio Moro des Umfangs seiner künftigen Kompetenzen bewusst. Aus der Kombination zwischen dem abgeschafften Ministerium für Öffentliche Sicherheit und dem Justizministerium ergab sich ein neues Organ, über das Moro die ganze Kontrolle hat.
Das von den Medien als „Superjustizministerium“ bezeichnete Organ vereint viele Zuständigkeiten, die zuvor nicht unter der Kontrolle des vorherigen Justizministeriums standen. Hervorzuheben sind die Leitung der Bundespolizei oder die Lebensbedingungen indigener Völker, für die seit Januar das neue Justizministerium zuständig ist. Die Konzentration der Befugnisse in einer Hand könnte als gerechtfertigt angesehen werden, da das Land eine der höchsten Mordraten der Welt hat. Fälle wie der Mord von Marielle Franco, ehemalige Abgeordnete und Aktivistin für Menschenrechte, erschütterten die brasilianische Öffentlichkeit ebenso wie die militärische Besetzung von Rio de Janeiro aufgrund der Gewalteskalation.
Sergio Moro hat allerdings mit dem Superjustizministerium anderes als die Herstellung des Friedens im Land vor. Kennzeichnend dafür ist der Druck, den der ehemalige Bundesrichter auf die Parlamentsabgeordneten ausübt, damit eine neue, strengere Fassung des Antiterrorgesetzes verabschiedet wird.
Der Entwurf der Gesetzesänderung, der von einem der Wahlkampfleiter Bolsonaros verfasst wurde, enthält verschiedene umstrittene Artikel. Die Besetzung öffentlicher Einrichtungen oder der Missbrauch des Demonstrationsrechts sollen künftig als Terrorakte gelten. Laut der Opposition fehlen die Parameter, mit denen solcher Missbrauch festgestellt werden könnte. Eher sei es ein Versuch, die Kritiker und Unzufriedenen zu neutralisieren. Dazu muss man wissen, dass in der letzten Zeit die Besetzung öffentlicher Einrichtungen in Brasilien eine sehr effektive Ausübungsform des Demonstrationsrechts geworden ist, etwa die Besetzung verschiedener Universitäten durch Studenten, um gegen Kürzungen im Bildungswesen zu protestieren. Was eben noch verfassungsmäßiger Protest war, soll nun plötzlich als „Terrorismus“ gelten.
Man könnte geradezu von „politischer Justiz“ im Sinne der Theorie Otto Kirchheimers sprechen, da der aktuellen Regierung die institutionellen Mechanismen zur Beeinträchtigung oder Vernichtung politischer Opposition zur Verfügung stehen. Wo die Vorstellung einer politischen Justiz herrscht, da hört der Rechtsstaat auf. Vor 40 Jahren gehörte die Verfolgung politischer Oppositioneller aufgrund der sogenannten „5. Institutionellen Anordnung (Ato Institucional nº 5) zum Alltag. Diese Anordnung, die im Dezember 1968 verabschiedet wurde, setzte die in der damaligen Verfassung festgesetzten Grundrechte außer Kraft – inklusive des Demonstrationsrechts. Schwere Zeiten liegen wieder vor dem erst in den 1980er Jahren demokratisierten Land.