13 March 2020

Corona, entschädigungs­rechtlich betrachtet

Die Sache wird ernst: Die Infektionszahlen schießen nach oben, das soziale Leben kommt zum Erliegen, nun mehr und mehr auch in Deutschland. Veranstaltungen werden abgesagt, Einrichtungen geschlossen, freiwillig, aber auch aufgrund behördlicher Anordnung. Die Länder sind vom Empfehlungsmodus in den Verbotsmodus gewechselt.

Übernehmen sie damit auch eine finanzielle Einstandsverantwortung für die potentiell sehr großen Schäden, die aus den Absagen entstehen? Oder bleiben die Veranstalter, die Ticketpreise zurückerstatten müssen und keine Einnahmen mehr, wohl aber laufende Kosten haben, auf dem Schaden sitzen? Gewiss kann man, wie etwa auch in wetterbedingten Katastrophenlagen, ad hoc Existenzsicherungsprogramme für besonders betroffene Branchen oder Unternehmen beschließen, darüber wird ja auch schon nachgedacht. Aber auf der Suche nach etwaigen Ausgleichsansprüchen kommt natürlich auch das reguläre Entschädigungsrecht in den Blick.

Geschieht die Veranstaltungsabsage auf behördliche Anordnung, führt diese Suche in das Recht der öffentlichen Ersatzleistungen und hier in die Kategorie der Aufopferungsentschädigung für Schäden aus rechtmäßigem Staatshandeln (und nicht Staatsunrecht). Denn darum wird es bei den behördlichen Anordnungen in der Regel gehen: um – wenn nicht irgendwelche Fehler gemacht worden sind oder die Anordnung im Einzelfall unverhältnismäßig ist – rechtmäßige Maßnahmen in Wahrnehmung von Befugnissen nach dem Bundes-Infektionsschutzgesetz.

Damit kommen nun abgelegene sonderordnungsrechtliche Spezialregelungen des IfSG in den Blick, die auch dem mit Fragen des Staatshaftungsrechts vertrauten Juristen kaum bekannt sind und die zudem, wie sich jetzt zeigt, erhebliche Interpretationsprobleme aufwerfen. Die Kommentare sind in der Entschädigungsfrage wenig ergiebig, auch zum 2000 abgelösten Vorgängergesetz, dem Bundesseuchengesetz von 1961; Rechtsprechung und Aufsatzliteratur gibt es nur vereinzelt. 

Schaut man in das Gesetz, scheinen berechtigte Entschädigungsforderungen gegen die Länder wegen aufgrund von Veranstaltungsverboten entstandener Schäden prima vista tatsächlich denkbar. § 65 IfSG bestimmt, dass eine Wiederbeschaffungswert-Entschädigung zu leisten ist, wenn aufgrund behördlicher Maßnahmen nach § 16 oder § 17 IfSG entweder „Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird“. Die ersten drei auf Gegenstände bezogenen Tatbestände einer Schädigung nehmen Bezug auf die Maßnahmenermächtigung des § 17, mit der den zuständigen Behörden (z.B. den Kreisordnungsbehörden als Infektionsschutzbehörden) die Befugnis gegeben wird, mit Krankheitserregern kontaminierte Gegenstände zu sichern und auch zu vernichten.

Hinsichtlich der Veranstaltungsverbote interessant ist demgegenüber (nur) der vierte, in § 65 aufgeführte Schädigungstatbestand (Verursachung eines anderen nicht nur unwesentlichen Vermögensnachteils), der auf die allgemeine Gefahrenvorsorge-Generalklausel des § 16 IfSG verweist. Nach dieser ist die Behörde berechtigt, die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren“ zu treffen, wenn „Tatsachen festgestellt werden“ oder „anzunehmen ist, dass solchen Tatsachen vorliegen“, welche „zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können“.

War die Verhütungs-Generalklausel schon in der Ursprungsfassung des BSeuchG vorgesehen (§ 10), erfasste die Entschädigungsregelung seinerzeit (§ 57 BSeuchG) doch nur die Fälle der Gegenstandsvernichtung (damals noch § 39 BSeuchG). Erst das Dritte Gesetz zur Änderung des BSeuchG von 1971 ergänzte, so die Begründung des Regierungsentwurfs, die „konkret bezeichneten“ gegenstandbezogenen „Enteignungstatbestände“ um den (vierten) „Auffangtatbestand“, der erforderlich sei, „um mögliche Lücken zu schließen“. Durch die Neufassung dürften nun „alle in der Praxis vorkommenden Entschädigungsfälle erfasst sein“ (BT-Drs. VI/1568). 

Kein Sonderopfer

Kann es wirklich sein, dass dieser 1971 nachgeschobene und ins IfSG übernommene Auffangtatbestand im Kontext einer Regelung, die eigentlich historisch die überschaubaren Fälle der Vernichtung kontaminierten Sacheigentums (etwa: salmonelleninfizierter Lebensmittel) im Blick hatte, nun Grundlage für in der Summe exorbitante Entschädigungsansprüche (in Millionen- oder sogar Milliardenhöhe) wegen breitflächiger und ggf. lang anhaltender Veranstaltungsverbote ist? Daran bestehen, aus einer die Logik und Praxis des gesamten Entschädigungsrechts überschauenden Perspektive, schon im Ausgangspunkt massive Zweifel.

Das Staatshaftungsrecht zielt mit seinen vielfach an begrenzende Voraussetzungen gebundenen Haftungstatbeständen und ihrer zudem häufig restriktiven Anwendung grundsätzlich nur auf den Ausgleich überschaubarer, eher „punktueller“ Schadenslagen und ist kein Instrument gesamtgesellschaftlicher Schadensversicherung oder Sozialleistung. Erst recht gilt das für die Aufopferungsansprüche, etwa wegen Beeinträchtigungen durch rechtmäßiges – ggf. aus grundrechtlichen Schutzpflichten sogar gebotenes – Gefahrenabwehrhandeln.

Ansprüche aus Aufopferung setzen ihrer alten Leitidee gemäß ein außerordentliches Sonderopfer, also eine ungleiche Betroffenheit, eine Inanspruchnahme über das Maß der jeden gleichermaßen bindenden Sozialpflichtigkeit des Eigentums und anderer Freiheit hinaus voraus. Im allgemeinen Polizeirecht resultiert daraus die Beschränkung der Entschädigung des Entschädigungsanspruchs auf die Fälle einer gezielten Inanspruchnahme des Nichtstörers, bei der Enteignung heute deren begriffliche Begrenzung auf Fälle der Entziehung privaten Eigentums für Zwecke der Selbstnutzung dieser Rechte durch den Staat (oder dritte Begünstigte): „Güterbeschaffung“.

Würden Entschädigungspflichten sogar für rechtmäßige Gefahrenabwehr (nicht erst und nur für fehlerhaftes Polizeihandeln, rechtwidrige Baugenehmigungen usw.) extensiv verstanden, hätte das unweigerlich einen hemmenden Effekt auf die Bereitschaft der Behörden zu Schutzeingriffen, für deren Folgen ihr Träger ja zu zahlen hätte – diese Sorge vor etwaigen Entschädigungslasten mag nun im Übrigen auch zur Zögerlichkeit der deutschen Länder beim Corona-Schutz beigetragen haben.

Und dieses alte Argument gegen zu weit gesteckte, über (eher niedrig anzusetzende) verfassungsrechtliche Pflichtstandards hinausgehende Entschädigungen hat bezeichnenderweise auch die Ausgestaltung der seuchenschutzrechtlichen Entschädigung selbst geprägt: Die schon angesprochene Änderung des § 57 BSeuchG von 1971 begrenzte nämlich den Kreis der Anspruchsberechtigten auf die „Nichtstörer“, im genaueren diejenigen, die durch die behördlich veranlasste Beschädigung oder Vernichtung von Gegenständen betroffen sind, die nicht mit Krankheitserregern behaftet oder dessen verdächtig sind.

Hintergrund dieser heute in § 65 IfSG fortlebenden, ganz wichtigen Beschränkung war die Erwägung, die bisherige, auch Eigentümer kontaminierter Sachen (also „Zustandsstörer“) berechtigende „reine Billigkeitsregelung“ habe „wegen ihrer außerordentlichen Großzügigkeit zu einer erheblichen, ungerechtfertigten finanziellen Belastung der Länder“ („in die Millionen“ gehend) geführt (s. wiederum BT-Drs. VI/1568, S. 7). 

Bekämpfung, nicht Verhütung

Auch auf juristisch-handwerklicher Ebene lassen sich Argumente gegen ein Verständnis des § 65 IfSG als Haftungsgrundlage für die jetzt ausgesprochenen und kommenden Veranstaltungsverbote formulieren. Das kann hier natürlich nicht annähernd erschöpfend geschehen. Nur so viel: 

Zunächst spricht schon viel dafür, dass § 65 IfSG Verbotsanordnungen in der jetzigen epidemischen Phase (und auch schon früher, nach Auftreten der ersten erwiesenen Krankheitsfälle) gar nicht erfasst: Diese dürften tatsächlich gar nicht auf die Verhütungs-Generalklausel des § 16 IfSG zu stützen sein, sondern auf § 28 IfSG, der – wiederum generalklauselartig – zu Schutz-Maßnahmen ermächtigt, wenn die Krankheit (beim Menschen) ausgebrochen ist oder auch nur ein Krankheits- oder Ansteckungsverdacht besteht.

Das IfSG unterscheidet (wie schon das BSeuchG) systematisch zwischen Maßnahmen zur Verhütung und solchen der Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Übersetzt in allgemeine Kategorien liegt dem die Unterscheidung von (Risiko-)Vorsorge und Gefahrenabwehr zugrunde, auch wenn die Abgrenzung nicht überschneidungsfrei durchgeführt sein mag.

Der Entschädigungsanspruch in § 65 IfSG bezieht sich nur auf die Maßnahmen der Verhütung (hier: § 16), nicht auch auf solche der Bekämpfung gem. § 25 ff., zu denen z.B. die stationäre Quarantäne (§ 30), aber eben auch – in § 28 IfSG sogar beispielhaft ausdrücklich angeführt – Veranstaltungs-und Ansammlungsverbote und die Schließung von Einrichtung gehören. § 16 und § 28 stehen im Verhältnis der Exklusivität (Nds. OVG 3.2.2011 – 13 LC 198/08, Rn. 540 – juris, nachfolgend BVerwG, 22.3.2013 – 3 C 16/11).

Für die Gefahrenabwehr-/Bekämpfungsphase sieht das Gesetz nur einen Anspruch der von Berufsausübungsverboten betroffenen (etwa unter Quarantäne gestellten) Personen auf Verdienstausfallentschädigung vor (§ 56 IfSG), nicht aber den Anspruch aus § 65 IfSG, der sich nur auf die Vorsorge-Befugnisse der §§ 16 f. IfSG bezieht. Diese Differenzierung macht durchaus Sinn: Ist die Krankheit schon ausgebrochen, verdichten sich sowohl die staatliche Schutzpflicht zu wirksamen Eindämmungsmaßnahmen als auch korrespondierend die Pflicht Betroffener, Schutzeingriffe im nun dringenden Gemeinwohlinteresse zu dulden.

Die Frage hinsichtlich eines auf § 28 gestützten und damit jedenfalls entschädigungslosen Veranstaltungsverbotes kann nur sein, wie dicht der Zusammenhang zwischen dem Krankheitsfall (oder Verdacht), der den Eintritt in die Bekämpfungsphase markiert, und der in Rede stehenden Veranstaltung sein muss und ob – vorrangige – Maßnahmen gegen Infizierte oder verdächtige Personen („Störer“) möglich und ausreichend sind.

Unzweifelhaft erfasst § 28 auch Maßnahmen gegen „Nichtstörer“, also nicht nur gegen die infizierten oder ansteckungsverdächtigen Personen. Setzte § 43 BSeuchG in seiner Ursprungsfassung für Veranstaltungsverbote noch das Auftreten der Krankheit „in epidemischer Form“ voraus, ist auch diese Beschränkung später entfallen. Jedenfalls wenn angenommen werden muss, dass auch kranke oder ansteckende Personen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bei größeren Veranstaltungen oder in stark frequentierten Einrichtungen anwesend sein können – und davon wird man bei Corona wohl längst bundesweit ausgehen müssen –, dürfte der gefahr- und damit befugnisbegründende Zusammenhang begründbar sein.

Keine umfassende Einstandspflicht

Selbst soweit (noch) die Vorsorge-Generalklausel des § 16 IfSG einschlägig sein sollte, wäre noch keineswegs ausgemacht, dass Veranstaltungsverbote Entschädigungsansprüche der Veranstalter nach sich ziehen müssten: § 65 IfSG ist – entstehungsgeschichtlich klar nachweisbar – als „Enteignungsentschädigung“ konzipiert.

Nach heutigem Verständnis geht es dabei zwar nicht mehr um eine Enteignung im technischen Sinn (Art. 14 Abs. 3 GG), sondern um eine gesetzlich gewährte Entschädigung für eine vom Gesetzgeber für ausgleichspflichtig gehaltene, enteignungsähnliche Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, besonders deutlich sichtbar in dem Hauptfall der Regelung der Vernichtung nicht kontaminierter (d.h. nicht selbst „polizeiwidriger“) Gegenstände im Eigentum des Nichtstörers.

Der Bezug auf das Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinn ist aber erhalten geblieben. Auch § 65 IfSG setzt die Beeinträchtigung einer Eigentumsposition im Sinn des Art 14 Abs. 1 GG voraus. Die Vorschrift begründet daher keine umfassende Einstandspflicht für sämtliche Vermögensschäden, etwa aufgrund von maßnahmenbedingten Einschränkungen der Berufsausübung.

Dagegen spricht neben dem klaren entstehungsgeschichtlichen Eigentumsbezug auch schon die Sonderregelung für den Verdienstausfall in § 56 IfSG. Ob Veranstalter aber bei Veranstaltungsabsagen eine dem Eingriff in das Sacheigentum bei der prototypischen Gegenstandsvernichtung vergleichbare Eigentumsposition geltend machen können, ist alles andere als sicher. Allenfalls kann man an den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb denken, der aber bis heute bekanntlich verfassungsgerichtlich nicht definitiv anerkannt ist. Hier wäre auch zu fragen und zu bezweifeln, ob § 65 tatsächlich den Schutzzweck haben kann, in Richtung einer Schadensersatzpflicht weitreichende mittelbare Verluste und entgangene Gewinne aus Beschränkungen der Betriebstätigkeit aufzufangen. 

Schließlich muss auch die geschilderte Beschränkung des Anspruchs auf den Nichtstörer bedacht werden: § 65 Abs. 1 IfSG bezieht sie (wie § 57 BSeuchG) zwar ausdrücklich nur auf die gegenstandsbezogenen „Enteignungen“. Es kann aber nicht sein, dass ausgerechnet der 1971 eingefügte „Auffangtatbestand“ (s.o.) eine unbegrenzte Einstandspflicht auch gegenüber dem Störer – die der Gesetzgeber doch mit derselben Gesetzesnovelle gerade ausschließen wollte – eröffnet; hier ist also eine analoge Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz IfSG geboten.

Damit stellt sich aber die Frage der Einordnung von (Groß-)Veranstaltern in die polizeirechtlichen Akteurs-Kategorien und landet man in dem sumpfigen Terrain der insgesamt wenig befriedigenden „Theorien“ oder Faustregeln zur Gefahrverursachung. Dass Ausrichter von Veranstaltungen, durch die ein Ansteckungsrisiko erhöht wird, unter allen Umständen einfach nur Nichtstörer sind oder nicht doch wenigstens Zweckveranlasser oder sogar Verhaltensverantwortliche, ist keineswegs gesichert. Das BVerwG hat in seinem Urteil zur bremischen Gebührenpflicht für Veranstalter von Hoch-Risiko-Veranstaltungen (also z.B. bei bestimmten Fußballspielen) zwar mangels Entscheidungserheblichkeit (es ging nur um eine neben dem Polizeirecht stehende Abgabenbelastung) in dieser Kontroverse zwar nicht Stellung zu bezogen, aber instruktiv auf den Streitstand hingewiesen (BVerwG, 29.3.2019 – 9 C 4/18, Rn. 37, juris). 

Alles in allem zeichnet sich doch ab, dass der eigentumsverfassungsrechtlich begründete Sonderopferausgleich des Infektionsschutzrechts kaum der Hebel sein dürfte, mit dem das gesamtgesellschaftliche Problem schwerwiegender, wohl auch für manches Unternehmen existenzgefährdender wirtschaftlicher Schäden aufgrund der Corona-Epidemie zu bewältigen wäre. Die Frage einer gerechten Lastenverteilung für die wirtschaftlichen Folgen dieser Krankheit muss politisch verhandelt und dann situationsangemessen entschieden werden; sie ist schwerlich schon durch die spezifischen Entschädigungsvorschriften des Seuchenrechts, die solche Schadensszenarien ersichtlich nicht im Blick hatten, vorentschieden.  


16 Comments

  1. de Vivie, Achim Mon 16 Mar 2020 at 09:22 - Reply

    Danke für die erhellenden Ausführungen. Ich bin demgegenüber nach der verfügbaren Literatur (Trute, Pandemien als potentiell globale Katastrophe, GSZ 2018, 125 ff [131]; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Gesundheitsrecht, Rd. 48) davon ausgegangen, dass bei Veranstaltungsuntersagungen immer nur der Kranke, der Krankheitsverdächtige, der Ansteckungsverdächtige oder der Ausscheider möglicher Adressat der behördlichen Anordnung ist und daher für eine Entschädigung allein § 58 IfSG in Rede steht.

  2. Ina Lefevre Mon 16 Mar 2020 at 11:15 - Reply

    an wen wende ich mich denn nun, mein Geschäft muss ich wie alle auch ab mittwoch schliessen , und da ich fast allein da bin, ich habe keine ahnung wie ich die anfallenden Kosten für KV (500 e im monat ) und Miete (1500 euro 9 bezahlen soll ohne einnahmen. onlinehaandel betreibe ich nicht, urlaub mache ich auch nie das wäre sonst ja vergleichbar. $58 besagt für priv KV ersatz, aber wo muss ich das beantragen? MFG Ina Lefevre, Nirvana , Erlangen

  3. Lukas Scherffig Tue 17 Mar 2020 at 10:32 - Reply

    Mich würde das Thema noch aus privater Perspektive in Hinblick auf die vorzeitige Rückreise aus dem Ausland interessieren.
    Bei mir ist die Lage nun speziell, dass ein Freund eigentlich heute vorzeitig aus dem Urlaub zurückgereist wäre.
    Aufgrund der sich überschlagenden Meldungen gestern Abend, bei denen es aus meiner Sicht keine klare Aussage darüber gab, ob und wenn wie lange noch Flüge zurück in die EU durchgeführt würden, hat er nun spontan einen neuen Flug gestern gebucht.
    Wie sehen hier die Möglichkeiten aus, den Schaden ersetzt zu bekommen, der aus der salopp gesagt “schlechten Kommunikation” der Regierung und der daraus resultierenden Verunsicherung nun entstanden ist?

  4. Gast Tue 17 Mar 2020 at 12:58 - Reply

    Sehr geehrter Herr Prof. Cornils,

    vielen Dank für Ihren Beitrag.
    Ich sehe in der Gesetzesbegründung deutliche Hinweise auf einen engen Anwendungsbereich. Grundsätzlich dürfte auch der Auffangtabestand nur Sachverhalte im Anwendungsbereich des Art. 14 GG erfassen – keine darüber hinausgehenden Vermögensnachteile. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu außdrücklich “alle in der Praxis vorkommenden ENTEIGNUNGSfälle [Anm. nicht: Entschädigungsfälle] erfaßt sein…“ (BT-Drs. VI/1568, S. 10).
    Die Neufassung von § 57 BSeuchG sollte gerade das Ausmaß entschädigungsfähiger Sachverhalte beschränken, weil die frühere Regelung (wohl) in der Praxis zu dem Problem geführt hatte, dass Maßnahmen wegen befürchteter Entschädigungen nicht ergriffen wurden.
    Insofern spricht eigentlich nur der Wortlaut prima facie für eine Entschädigung aller Vermögensnachteile; Entstehungsgeschichte, Teleologie und Systematik (mit Abs. 2) sowie verfassungskonforme Auslegung (Art. 14 GG) hingegen sprechen gegen einen engen Anwendungsbereich von § 65 IfSG, der mit Blick auf Absatz 2 ggf. auch nur das Sacheigentum erfasst.

    Mit freundlichen Grüßen

  5. HansClock Tue 17 Mar 2020 at 22:00 - Reply

    Relevant dürfte nach der neueren Entwicklung doch auch 56 InfSG sein. Gerade für Arbeitnehmer, die aufgrund von Geschäftsschließungen aktuell nicht arbeiten können. Die Berliner Verodnung wird bspw. Auf 32 InfSG gestützt. Zulässige Adressaten sind nach 31 und 32 InfSg Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider. Ein pauschales Verbot der beruflichen Tätigkeit dürfte sich nach diesem Wortlaut nur schwer auf 32 InfSG stützen lassen. Voraussetzung des 56 ist aber ein Verbot nach 31 InfSG. Lässt sich Ihrer Meinung nach bspw. das Berliner Verbot auf 32,31 InfSG stützen und wäre in einem solchen Fall 56 InfSG einschlägig?

  6. Matthias Cornils Wed 18 Mar 2020 at 19:08 - Reply

    Vielen Dank für die Anmerkungen. Nur so viel dazu:

    Man muss zwischen der Maßnahmengrundlage und der Rechtmäßßigkeit der Maßnahmen einerseits, der Entschädigungsfrage andererseits unterscheiden.
    1. Was erstere Frage angeht, ist jetzt noch deutlicher als vor einigen Tagen, dass es längst nicht mehr um Verhütungsmaßnahmen (§§ 16 f. IfSG), sondern um Schutzmaßnahmen (§§ 28 ff. IfSG) geht, also um Gefahrenabwehr. Die Landesverordnungen sind ja auch explizit auf § 32 gestützt, der seinerseits § 28 voraussetzt. § 28 setzt zwar voraus, dass die Krankheit ausgebrochen ist (oder jedenfalls ein Ansteckungsverdacht festgestellt ist), beschränkt die dann möglichen Maßnahmen aber nicht auf den Kreis der kranken, infizierten oder ansteckungsverdächtigen Personen. Maßnahmen und also auch dei Verordnung iSd § 32 kann unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands auch gegen “Nichtstörer” gerichtet werden. Und so richten sich die Verordnungen ja nun auch gegen die Wirte, Ladengeschäfts- und Sportstätteninhaber usw., ganz ungeachtet der Tatsache, ob sie infiziert oder verdächtig sind oder nicht. Bleibt noch die Anforderung der Verhältnismäßigkeit: Gewiss gibt es Stimmen, die die breitflächigen Stilllegungen derzeit für übertrieben und unverhältnismäßig halten. Ich vermute aber, dass dieser Einwand gegen die Empfehlungen unserer Chefvirologen, die derzeit das Regierungshandeln bestimmen, rechtlich kaum durchgreifen würde.
    2. Zur Entschädigungsfrage: § 65, der sich nur auf §§ 16 f. bezieht, greift also in der Tat nicht und würde auch tatsächlich , wie von mir schon beschrieben, nur Eigentumsschäden auffangen.
    Eine Entschädigung für den Nichtstörer oder unbeteiligten Dritten gibt es aber bei § 28er-Schutzmaßnahmen nach dem IfSG nicht. § 56 (daran hängt dann auch § 58 ) gibt einen Verdienstausfallanspruch (für Arbeitnehmer und auch für Selbständige, bei letzteren allerdings in eingeschränktem Umfang, s.§ 56 Abs. 3 Satz 4, Abbs. 4 Satz 2) nur denjenigen, gegen die ein Berufsverbot ausgesprochen oder die in Quarantäne “abgesondert” worden sind. Das können aber in der Tat nur die “Störer” (Kranke usw.) sein.
    3. Man kann sich natürlich fragen, ob dieses Ergebnis sachgerecht ist, oder ob nicht eine Haftung irgendwie anders begründet werden muss, etwa im Wege der Analogie oder gestützt auf andere Ansprüche. Ich sehe das eher nicht – Rechtmäßigkeit der Maßnahmen natürlich vorausgesetzt (im Fall von staatlichen Fehlern wäre das anders, ein vorwerfbares Fehlverhalten liegt aber wohl unter den derzeitigen Umständen noch nicht in einer vielleicht nicht immer perfekten Informationspolitik im Hinblick auf Auslandsreisen).
    § 65 dürfte kaum analogiefähig sein. Für die Beschränkung der “Enteignungsentschädigung” des § 65 auf die Vorsorgemaßnahmen und zudem auf die Eigentumsbeschränkungsfälle lassen sich – wie schon von mir beschrieben -immerhin Gründe finden.
    Der allgemein-polizeirechtliche Entschädigungsanspruch des Nichtstörers (oder des unbeteiligten Dritten) dürfte angesichts der sonderordungsrechtlichen Spezialregelung im IfSG gesperrt sein – und er passt ohnehin nicht richtig, weil die polizeirechtliche Inanspruchnahme kaum die umfassende Verpflichtung von Hunderttausenden Betriebsinhabern meint. Man sieht hier sehr gut die Grenzen “regulären” Entschädigungsrechts, das auf solche Situationen einfach nicht zugeschnitten ist.
    4. Das bedeutet nicht, dass sich nicht möglicherweise Finanzhilfen usw., wie sie jetzt angekündigt werden, auch (teilweise) als verfassungsrechtlich geboten begründen lassen (Grundrechte, Sozialstaatsprinzip). Aber eine solche ggf. verfassungsrechtliche Einstands- und Unterstützungspflicht des Staates wäre eben vorzugsweise durch besondere krisenangepasste Hilfsmaßnahmen zu erfüllen, nicht durch interpretatorische Überdehnung eines darauf nicht eingestellten Entschädigungsrechts. Jetzt sind nicht die Gerichte gefragt, sondern die Politik.

  7. HansClock Wed 18 Mar 2020 at 20:58 - Reply

    Vielen Dank für Ihre Ausführungen Professor Cornils!Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme (weitgehende Schließung von Geschäften, Restaurants etc.) würde ich nicht bezweifeln wollen. Die Frage ist m.E. auf welche Rechtsgrundlage lässt sich diese Maßnahme stützen.
    Denkbar erscheint mir aktuell jeden als Ansteckungsverdächtigen im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG anzusehen. Dann wäre eine Untersagung der beruflichen Tätigkeit nach § 31 IfSG jedenfalls möglich. Faktisch können die Schließungsanordnungen m.E. als zeitlich begrenzte Tätigkeitsverbote betrachtet werden. Denn die betroffenen Berufsgruppen können ihren Beruf nicht mehr ausüben. An der reinen Formulierung der Verordnung kann die Qualifikation als berufliches Tätigkeitsverbot nicht scheitern, denn es ist immer möglich die Voraussetzungen für die berufliche Tätigkeit zu verbieten ohne die berufliche Tätigkeit zu verbieten. Nimmt man nun ein berufliches Tätigkeitsverbot an, so würden auch die Voraussetzungen des § 56 IfSG vorliegen. Das würde jedenfalls insoweit sachgerecht sein, als die Betroffenen ein Sonderopfer erbringen. Die Haftung würde auch nicht unbegrenzt ausgedehnt, weil nur von dem Tätigkeitsverbot betroffene Personen einen Entschädigungsanspruch haben.

    Lehnt man einen solch weiten Begriff des Ansteckungsverdächtigen ab, erschiene mir eine Inanspruchnahme von Nichtstörern nach § 28 IfSG aufgrund der Eingriffsintensität der Maßnahme zumindest als schwierig. Für einen solch intensiven Grundrechtseingriff bedürfte es m.E. einer gesetzlichen Grundlage. Eine Analogie der Inanspruchnahme des Nichtstörers aus dem allgemeinen Polizierecht halte ich ebenfalls für schwierig (wie sie selbst schreiben ist das Polizeirecht nicht dafür gemacht, das muss m.E. für die Eingriffsebene wie für die Entschädigungsebene gelten). Allerdings stellt sich die Frage ob die Polizeigesetze der Länder direkt als Eingriffsgrundlage über die Generalklausel angewendet werden können. Eine Gefahr wird sich kaum leugnen lassen. Es gibt in den Polizeigesetzen der Länder auch entsprechende Verordnungsermächtigungen. Über diesen Weg würden auch die entsprechenden Entschädigungsansprüche direkt greifen.

  8. SP Thu 19 Mar 2020 at 14:27 - Reply

    Sehr geehrter Herr Professor Cornils,

    eine Frage bzw. Anmerkung zur Abgrenzung von §§ 16, 28 IfSG, von der ja ganz entscheidend ein möglicher Entschädigungsanspruch für Unternehmen abhängt. Wo sehen Sie hier die Grenze zwischen Verhütung und Bekämpfung? In ihrem Comment oben schreiben Sie, dass “jetzt noch deutlicher als vor einigen Tagen [ist], dass es längst nicht mehr um Verhütungsmaßnahmen (§§ 16 f. IfSG), sondern um Schutzmaßnahmen (§§ 28 ff. IfSG) geht, also um Gefahrenabwehr.” Unterstellt, dies trifft heute auf jede Maßnahme zu – wo lag vorher die Schwelle, ab der die Behörden von § 16 auf § 28 wechseln konnten? Nach dem Wortlaut des § 28 IfSG reicht es ja, dass es irgendwie und irgendwo “Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider” gibt. Zugespitz: Kann ich dann in Kiel die Pizzeria und den Karstadt auf Grundlage von § 28 IfSG schließen, wenn in Passau oder auch nur in Wuhan ein Kranker festgestellt wurde? Dann bliebe von § 65 IfSG recht wenig übrig. Würde man unterstellen, wir hätten in Deutschland heute erst – sagen wir – 10 Fälle, dann müssten wir ja mit dem heutigen Wissen eigentlich vergleichbare Maßnahmen, wie sie jetzt getroffen werden, direkt einleiten und alles wäre bereits “Bekämpfung”, sodass es keine Entschädigung gäbe.

    Die andere extreme Auslegung wäre vielleicht, dass § 28 IfSG nur Veranstaltungsverbote oder Schließungen etc. betrifft, bei denen zB in einer Gemeinschaftseinrichtung konkret ein Kranker festgestellt wurde. Auch dies würde aber nicht gerade zu “gerechten” Ergebnissen bei der Entschädigungsberechtigung führen.

    Daher: Wo zieht man die Grenze? Oder kann man es nicht sinnvoll und besteht daher doch ein Bedürfnis nach einer Analogie für § 65 IfSG, jedenfalls für Unternehmen wie Restaurants oder den Non-Food-Handel, die jetzt schließen müssen, obwohl bei Ihnen – anders als zB bei Veranstaltungen wie Kinovorführungen oder Diskotheken – kein spezifisches, der Unternehmung inhärentes Risiko besteht?

  9. Prof. Dr. Clemens Arzt Fri 20 Mar 2020 at 11:31 - Reply

    Eine etwas andere Perspektive zur Volte um die Spielplätze in Berlin(wo sollen Kinder in Moabit oder Neukölln denn sonst noch spielen) – zugleich ein kurzer Beitrag zu Veranstaltungen, Versammlungen und Ansammlungen, die vermutlich bald aus polizeilicher Sicht bei 2 oder 3 beginnen, zumindest im Geltungsbereich einer Anordnung nach § 28 I 2, die zwar schon im Internet mit der “Androhung” polizeilicher Maßnahmen flankiert wird, aber als Allgemeinverfügung bisher nicht einmal veröffentlicht ist.

    Berlin hat auf Grundlage des § 32 IfSG die Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin (SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung – SARS-CoV-2-EindmaßnV) erlassen. (Pikanterweise bezieht sich die Landesregierung auf Absatz 1, obgleich es keinen Absatz 2 gibt; so viel zur Berliner Verwaltung.) Ich vermute, dies ist die Rechtsgrundlage für vergleichbare VO in den anderen Bundesländern, habe ich aber nicht nachgeforscht.

    Hier sind insbesondere Spielplätze ausgenommen, was zu erheblichen Diskussion führt. Daher haben Bezirke im Alleingang die Schließung von Spielplätzen angeordnet; als Rechtsgrundlage wird offenbar § 28 I 2 IfSG gesehen

    Schutzmaßnahmen nach § 28 I 1 IfSG sind mE aber nur mit Blick auf Einzelpersonen oder einen bestimmten Personenkreis zulässig (BT Drucksache 14/2530, S. 74 ; Anders wohl http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Verwaltungsgerichte&Art=en&Datum=2020&nr=30798&pos=0&anz=63; eine Entscheidung die dieses Problem aber bei erster Lektüre nicht anspricht.

    Denkbar ist indes eine Anordnung nach § 28 I 2; diesen Weg gehen jetzt offenbar die Behörden in Berliner Bezirken, die entgegen der Entscheidung des Berliner Senats nun reihenweise und flächendeckend Spielplätze sperren.Es wird also gleichsam die Entscheidung des Berliner Senats, Spielplätze nicht zu sperren ausgehebelt, indem nicht einzehle “Hotspots” auf Spielplätzen gesperrt werden, sondern gleich alle Spielplätze in einem Bezirk; in Friedrichshain-Kreuzberg sind dies wohl rund 180. Aus meiner Sicht ist dies rechtlich nicht haltbar.

    NAch § 32 IfSG werden die “Landesregierungen (…) ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) können insoweit eingeschränkt werden.”

    Mit Blick auf das Zitiergebot regelt die Norm welche Grundrechte eingeschränkt werden können. Ob die gesetzliche Regelung dabei hinreichend bestimmt ist und den Anforderungen aus Art. 19 I 2 GG genügt (kritisch zu “Sammelklauseln” am Ende eines Gesetzes, wie üblich im Polizei – und Versammlungsgesetzt Deiseroth/Kutscha in; Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht, 2. Auflage Art. 8 GG Rn. 358 ff [im Erscheinen]).

    Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen; sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind.

    Hier werden aber gerade in der fraglichen Norm selbst die relevanten Grundrechtsbeschränkungen genannt, nicht indes die Ge- und Verbote näher eingegrenzt. Dies könnte man durchaus auch für nicht hinreichend bestimmt halten, zumal auch in der Gesetzesbegründung hierzu keinerlei Ausführungen vorfindbar sind. Letztendlich scheint mir das aber im Sinne einer Generalklausel nicht sonderlich problematisch, wobei gerade bei einer solchen Weite von möglichen und im Gesetz nicht irgendwie näher bestimmten Maßnahmen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sicherlich besonderes Gewicht hat.

    Verboten werden in Berlin durch § 1 I 1 der vorgenannten VO beispielsweise öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen, Versammlungen und Ansammlungen mit mehr als 50 Teilnehmenden. Die Begrifflichkeiten sind nicht unbekannt aus dem Polizei- und Versammlungsrecht; nicht nur aber insbesondere mit Blick auf die Datenerhebung durch Bild- und Tonaufnahmen.

    Eine Versammlung dürfte unstreitig eine Zusammenkunft im Schutzbereich des Art. 8 GG sein, auch wenn man zur Personenzahl und Anlass noch im Einzelfall Diskussionsbedarf sehen mag. Dies erscheint mir unproblematisch.

    Eine Ansammlung fällt gerade nicht in den Schutzbereich des Art. 8 GG (vgl. zB § 24 I 1 ASOG Bln). Um eine Ansammlung handelt es sich bei einer “größeren Zahl” von Menschen, deren Unüberschaubarkeit oder ähnliches wie zB bei Übersichtsaufnahmen im Versammlungsrecht ist dabei nicht gefordert.

    Vertreten wird auch ein Verweis auf den strafrechtlichen Begriff der Menschenmenge (kritisch zum Begriff Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 125 Rn. 7-9 :
    Stellt man – die Einzige hier verbleibende Möglichkeit – auf den üblichen Sprachgebrauch ab, so dürfte die Grenze bei ca. 15–20 Personen liegen (so BGH 33 308 m. Anm. Otto aaO; vgl. auch LG Berlin StV aaO, Frankfurt aaO, Naumburg NJW 01, 2034; iE mit Recht verneint deshalb von Düsseldorf aaO für 11 Personen, von LG Fürth aaO für „kaum mehr als 10 Personen“; aber auch BGH NStZ 94, 483, Köln NStZ-RR 97, 235: unter besonderen Umständen eine Menge auch schon bei 10 Personen). In diese Richtung auch Drewes/Malmberg/Wagner/Walter, BPolG, 6. Aufl. § 13 Rn. 39, die auf eine “nicht sofort überschaubare Zahl” abstellen und wenn es das Hinzukommen und Weggehen eines Einzelnen nicht mehr ankomme. Dabei wir auch eine Anzahl von 10 im Einzelfall als ausreichend angesehen.

    Wenn man dem folgte, läge also eine Menschenmenge wohl erst bei 15 bis 20 Personen mindestens aber 10 Menschen vor. Aus meiner Erfahrung ist aber davon auszugehen, dass mit Blick auf die Auffassung, dass bereits die Zusammenkunft von 2 Personen die Möglichkeit einer Infektion in sich trage, die Polizei im Zweifelsfall von einer wesentlich niedrigeren Eingriffsschwelle ausgehen wird. Mit Blick darauf, dass im Versammlungsrecht eine Mindestzahl von 2 oder 3 Personen als notwendig gesehen wird, um eine Versammlung zu konstituieren, dürfte auch diese Zahl aus Sicht von Polizeibeamt*innen als plausibel angesehen werden. Dies alles belegt die Problematik der Bestimmtheit der Norm.

    Der Begriff der Veranstaltung bezeichnet hingegen ein über den Alltag hinausreichendes, planmäßiges, organisiertes und zeitlich eingrenzbares Ereignis, das keine Versammlung iSd Art. 8 GG ist und sich nicht nach der Zahl der Anwesenden, sondern nach ihrem außeralltäglichen Charakter und spezifischen Zweck vom bloßen Verweilen an einem Ort abgrenzt. Es ist also gleichsam eine organisierte Ansammlung (Knape/Schönrock, ASOG Bln, 11. Aufl., § 24 Rn. 3).

    Auf eine Abgrenzung von Ansammlung und Veranstaltung wird es hier mE kaum ankommen, allenfalls könnte darüber nachgedacht werden, ob die Veranstaltung uU bereits Schutzmaßnahmen gegen die Übertragung des Virus implizieren könnte, was mangels Organisiertheit bei der Ansammlung auszuschließen wäre. Ansammlungen und Veranstaltungen sind hingegen von Versammlungen im Schutzbereich des Art. 8 GG abzugrenzen, weil dieser einen sicherlich “höheren” grundrechtlichen Schutz vermittelt als erstere, die nur von Art. 2 I GG geschützt sein dürften (bei Veranstaltungen religiöser Natur wäre natürlich noch Art. 4 I GG zu beachten).

  10. Prof. Dr. Clemens Arzt Fri 20 Mar 2020 at 11:56 - Reply

    Hinzugefügt sei, das das VG Bayreuth ( https://www.gesetze-bayern.de/(X(1)S(4bnd5ofkgz0rhs5eo2b01m3a))/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2020-N-3610?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1) offenbar die Meinung vertritt, eine Allgemeinverfügung für ganz Bayern könne auf § 28 I 1 IfSG gestützt werden, offenbar den § 32 IfSG verkennend, der dies natürlich tragen würde.

    Sicherlich kann der Umfang der betroffenen Maßnahmen kontrovers diskutiert werden; wenn aber ein Virus dazu führt, dass Rechtsgrundlagen massiver Grundrechtseingriffe nicht mehr hinreichend hinterfragt werden, wird es aus meiner Sicht gefährlich ….

  11. El Calculante Tue 24 Mar 2020 at 22:48 - Reply

    Sehr geehrter Herr Professor Cornils,
    sehr geehrter Herr Professor Arzt,

    haben Sie herzlichen Dank für ihre Ausführungen. Bisher wenig in den Blick genommen wurden allerdings Entschädigungsansprüche von Nichtverantwortlichen wie Gastwirten, Clubbetreibern, Hoteliers, privaten Museen, Anbietern von Fortbildungsveranstaltern etc., die nach den VOen der Ländern ihre Betriebe für den Publikumsverkehr schließen mussten. Trotz Erleichterungen in mietrechtlicher Hinsicht (§ 536 BGB) und bei der Kurzarbeit bleiben ja erhebliche Folgewirkungen, insbesondere wenn die erzwungene Schließung länger dauert.

    Insoweit dürften Ansprüche nach dem IfSG in der Tat weitgehend ausscheiden, da es sich ersichtlich an Ausscheider, Ansteckungsverdächtige, Krankheitsverdächtige oder sonstige Träger von Krankheitserregern als Adressaten richtet. Die Frage ist daher aus meiner Sicht, ob sich das IfSG ausschließlich an diese Adressaten richtet (so etwa Kniedel, in: Lisken/Denninger, HbPolR, 5. Aufl. 2012, J Rn. 50) und was das für Auswirkungen auf Entschädigungsansprüche auf anderer Rechtgrundlage hat:

    1. Wenn sich IfSG nur an die Adressaten nach § 2 Nr. 4-7 IfSG richten sollte, wären die VOen der Länder von vornherein rechtswidrig. Aber auch wenn § 28 I 1 IfSG auch auf Nichtverantwortliche anwendbar ist, stellt sich die Frage, wie sich die “soweit”-Einschränkung auswirkt. ME. liegt nahe, dass § 28 I 1 insoweit nur kurzfristige Maßnahmen tragen kann, bei denen sich die Frage einer Entschädigung von vornherein weniger dringlich stellt (auch schwere Unwetter, Hochwasser etc. können einen Betrieb für einige Tage lahmlegen) und daher wohl ohne Verfassungsverstoß ausgeschlossen werden könnte. Auch bei § 28 I 2 liegt mE. nahe, dass man über diese EGL nur einzelne Veranstaltungen etc. unterbinden kann. Für ein eher enges Verständnis spricht auch § 31 Satz 1 und Satz 2 IfSG, wonach nur einem engen Personkreis die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise untersagt werden darf. Auch bei diesem Verständnis dürften bei den angeordneten Betriebsschließungen die Voraussetzungen für die VOen der Länder nicht vorliegen, weil sie nicht Fälle der §§ 28 bis 31 IfSG regeln.

    2. Ich habe wenig Zweifel, dass die VOen an sich auch auf die jeweiligen Ermächtigungen der Polizeigesetze gestützt werden und dann auch zulässig an Nichtverantwortliche adressiert werden könnten, aber das wurden sie bislang nicht. Sollten die auf § 32 IfSG gestützten VOen der Länder formell rechtswidrig sein, müsste sich ein Entschädigungsanspruch der zwangsweise geschlossenen Betriebe ergeben.

    3. Als Anspruchsgrundlage liegen mE. die Entschädigungsreglungen der Polizeigesetze nahe: Bei formeller Rechtswidrigkeit der jeweiligen VO wäre der Entschädigungsanspruch dem Grunde nach gegeben, wenn sich die VO als “Maßnahme” qualifizieren lässt. Der BGH hat dies soweit ersichtlich grundsätzlich bejaht (Urteil vom 10. Juli 1980 – III ZR 160/78, BGHZ 78, 41 unter I.2 ff.) und in seinem Urteil zur fehlenden Entschädigung bei legislativem Unrecht untergesetzliche Maßnahmen ausdrücklich von dieser Rechtsprechung ausgenommen (BGH, Urteil vom 12. März 1987 – III ZR 216/85, BGHZ 100, 136 unter III.4.b.cc a. E.). Aber auch bei Rechtmäßigkeit der jeweiligen VO wäre ein Entschädigungsanspruch dem Grunde nach wohl zu bejahen, weil sich die Maßnahme gegen Nichtverantwortliche richtet.

    4. Die entscheidende Frage dürfte daher sein, ob die Entschädigungsregeln des IfSG abschließend sind, also die landesrechtlichen Entschädigungsregeln verdrängen. Dies erschiene mir schon unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten fraglich, aber auch einfach-rechtlich: Wenn man von einer formellen Rechtswidrigkeit ausgeht, weil das IfSG Maßnahmen gegen Nichtverantwortliche nicht oder jedenfalls nur für Übergangszeiträume zulässt, kann es eine Sperrwirkung von vornherein nicht geben, weil sich dann auch die Entschädigungsansprüche nach §§ 56, 65 IfSG dann nur an die eigentlichen Adressaten des IfSG richten würden (wie Professor Cornils ja auch nachgewiesen hat). Aber auch wenn man die auf § 32 IfSG gestützten VOen für rechtmäßig hält, stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber eine Verdrängung anderer Anspruchsgrundlagen gewollt haben kann: Wenn den Kranken und Krankheitsverdächtigen ein Sonderopfer in Form eines eingeschränkten oder vollständigen Tätigkeitsverbotes nur gegen Entschädigung zugemutet wird (wie etwa in den bereits entschiedenen Fällen zu Medinzinern mit Hepatitis C), dann kann doch für diejenigen, bei denen lediglich die Möglichkeit besteht, dass sie von Kranken oder Krankheitsverdächtigen aufgesucht werden, nichts anderes gelten!? Die Gruppe derer, die das Sonderpfer erbringen müssten, wäre zwar deutlich größer als üblich, aber immer noch klar von der Allgemeinheit abgrenzbar, die weiter ihren geschäften nachgehen darf. Die Haftung des Staates wäre immerhin über die Grundsätze für die Entschädigungshöhe in den Griff zu bekommen, würde ich meinen.

    Über eine Antwort auf diese Fragen würde ich mich freuen. Mit freundlichen Grüßen, EC

  12. Matthias Cornils Thu 26 Mar 2020 at 18:12 - Reply

    Vielen Dank für die Anmerkungen und Fragen.
    Ich kann nicht auf jeden Einzelpunkt eingehen, aber hier wenigstens der Versuch zu einigen ergänzenden Klarstellungen, abermals in der Reihenfolge Maßnahmenbefugnis, dann Entschädigung.

    1. Befugnis: § 28 Abs. 1 IfSG deckt auch Maßnahmen gegen die Nichtstörer, nicht nur gegen die Kranken, Angesteckten und insoweit jeweils Verdächtigen als Störer. Soweit im Lisken/Denninger etwas anderes stehen sollte (ich habe den hier im home office nicht zur Hand und auch nicht elektronisch verfügbar), stimmt das einfach nicht (s. BT-Drs. 8/2468, 27; NdsOVG, BVerwG, wie oben im Beitrag) Der Gesetzgeber hat dabei zwar an die Fälle individuell schutzbedürftiger Noch-nicht-Ansteckungsverdächtiger sowie an die „Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen“(§ 43 BSeuchG 1961), aufgegangen in § 34 Abs. 1 Satz 2 BSeuchG 1979 (4. BSeuchGÄndG), gedacht, Ladengeschäfte hingegen nicht explizit erwähnt. Man könnte auch daran denken, § 31, der Berufstätigkeitsverbote nur gegen die Störergruppe (Kranke usw.) vorsieht (und daran dann die Verdienstausfallentschädigung des § 56 knüpft), Sperrwirkung gegenüber § 28 zumessen. Aber die Generalklausel (§ 34 Abs. 1 BSeuchG 1979) ist damals gerade geschaffen worden, um die bis dahin (BSeuchG 1961) gegebene Enumerationstechnik (die „zu eng“ sei) zu überwinden und „für alle Fälle gewappnet“ zu sein (BT-Drs. 8/2468, S. 27). § 28 (auch schon der bisherigen Fassung, erst recht in der Neufassung von dieser Woche) soll auch diese Schutzmaßnahmen gegen Dritte abdecken, daran habe ich wenig Zweifel.
    Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsbedenken kann man natürlich immer hegen und beweist damit gewiss rechtsstaatliche Sensibilität. Der Bestimmtheitseinwand ist im Polizeirecht so alt wie die Generalklauseltechnik und jetzt ja gerade hier im Blog auch wieder en vogue im Hinblick auf die infektionsschutzrechtlichen Befugnisnormen. Ich bin angesichts der doch sehr handgreiflichen und bedrohlichen Gefahrenlage aber nicht überzeugt, ob diese Bedenken hier wirklich angebracht sind (die ersten Eilrechtsschutzentscheidungen der VGe auch nicht). Gewiss kann man immer mehr gesetzgeberischen Perfektionismus fordern, aber ist es wirklich sinnvoll, vom Gesetzgeber zu verlangen, auf Vorrat eine kunstvoll ausdifferenzierte Standardisierung der Ermächtigungen fordern, wenn sich ein solches Risiko wie jetzt einmal im Jahrhundert verwirklicht? Kurzum: Dass gerade das Gesetz, das zur Seuchenbekämpfung geschaffen ist, keine erforderlichen Maßnahmen der wirksamen Seuchenbekämpfung soll legitimieren können, wenn sie über nur vorübergehende oder punktuelle Einzeleingriffe hinausgehen, wäre schon ein merkwürdiges Ergebnis. Das allgemeine Polizeirecht ist dafür doch jedenfalls nicht besser geeignet – aus meiner Sicht auch nach der Spezialitätsregel verdrängt. Natürlich steht alles unter Verhältnismäßigkeitsvorbehalt. Das gilt aber auch und mit nicht wirklich geringerer Schutzwirkung gegen nicht erforderliche oder übermäßige Maßnahmen, wenn diese nicht detailliert im Gesetz aufgeführt werden. Die (auch aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmende) Verhältnismäßigkeits-Problematik etwa einer wirklichen Ausgangssperre würde nicht dadurch entschärft, dass das Gesetz dazu ausdrücklich ermächtigte.

    2. Entschädigung: Dass das IfSG Gesetz keine Entschädigung gerade für die breitflächigen Maßnahmen mit sehr hohen Schadensfolgen vorsieht (wohl aber dahin gehende Maßnahmenbefugnisse) ist, das habe ich schon deutlich zu machen versucht, nicht notwendig gesetzgeberisches Versagen, sondern kann auch als bewusste Entscheidung gegen eine regelhafte Entschädigung verstanden werden – um die Lastentragung in solchen Fällen, die potentiell eine sehr hohe Belastung für die Länderhaushalte bedeuten können, einer demokratisch verantworteten Bewältigung ad hoc zu überlassen (so wie es jetzt geschieht). Dass die allgemeinen POR-Entschädigungsansprüche ergänzend eingriffen, halte ich weiterhin für wenig plausibel (verdrängende Spezialität des Sonderordnungsrechts). In Rheinland-Pfalz (dessen POG ich als Hochschullehrer in Mainz etwas besser als andere kenne) scheidet das schon deswegen aus, weil davon nur Maßnahmen der Polizei und der allgemeinen Ordnungsbehörden erfasst sind (§ 68 Abs. 1 POG R.-P., § 7 POG).
    Gewiss kann man sich fragen – das ist ein sehr berechtigter Gedanke – wieso das Gesetz in § 56 die Verdienstausfallentschädigung für den „Störer“ vorsieht, nicht aber für die von Geschäftsschließungen betroffenen „Nichtstörer“. Damit scheint die sonst übliche Logik (Sonderopfer-Ansprüche des Nichtstörers, nicht des Störers) gerade umgekehrt. Ich behaupte nicht, dass diese Lösung über jeden Zweifel erhaben ist. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Entschädigungslogik des Gesetzes in sich Brüche aufweist und auch rechtlichen Kohärenzbedenken (Gleichheitssatz?) unterliegen könnte, das müsste man sich noch einmal genauer anschauen. Aber selbst wenn das so wäre, dürfte eine massenhafte richterliche Zubilligung von Entschädigungsansprüche ohne gesetzliche Grundlage, etwa in mutiger Analogiebildung zu § 56, demokratisch höchst zweifelhaft sein. Gerade im Bereich der Aufopferungsansprüche (vor allem, aber nicht nur bei Art. 14 GG) ist (auch vom BVerfG) die gesetzgeberische Prärogative immer hoch gehalten worden. Die nun, ab dem 30.3., wirkende Änderung des § 56, die mit dem neuen auf 2020 befristeten Abs. 1a auch für die Eltern, wenn sie nach der Schulschließung die häusliche Betreuung ihrer Kinder sicherstellen müssen, eine Verdienstausfallentschädigung zubilligt, zeigt erst recht deutlich, dass der Gesetzgeber eine allround-Entschädigung für alle Geschäfts-und Veranstaltungsschließungsanordnungen auch ganz aktuell nicht ins Auge gefasst hat. Schaffen die nun beschlossenen Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung von Unternehmen auf andere Weise eine Existenzsicherungshilfe, könnte das auch durchaus dem Vorwurf einer nur lückenhaften, in sich nicht folgerichtigen Entschädigungsregelung im IfSG den Stachel abbrechen, auch verfassungsrechtlich.

  13. Dr. Peter Schütz Thu 2 Apr 2020 at 11:34 - Reply

    Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Cornils,

    zurecht betonen Sie den engen Anwendungsbereich des § 65 IfSG. Da der Inhaber eines Einzelhandelsbetriebs der Textilbranche oder der Gastwirt, der ein Restaurant betreibt, sich hinsichtlich seiner schließungsbedingten Ertragseinbußen wohl auch nicht auf § 56 IfSG stützen kann, sind andere Anspruchsgrundlagen zu prüfen.

    Insoweit gehe ich davon aus, dass das IfSG keine Sperrwirkung gegenüber der Anwendung anderer Anspruchsgrundlagen zur Folge hat, da es die entschädigungsrechtlichen Folgen behördlicher Maßnahmen nur ausschnitthaft und nicht abschließend regelt (so auch der Gesetzgeber zu den Vorgängerregelungen in §§ 48 ff. BSeuchenG, BT-Drs. III/1888, S. 27).

    Daher ist ein Entschädigungsanspruch nach den polizeirechtlichen Regelungen der Länder über die Inanspruchnahme von Nichtstörern (z.B. § 55 PolG Baden-Württemberg) in Erwägung zu ziehen.

    Daneben ist über einen Anspruch aus Aufopferung (Art. 74, 75 PrALR) nachzudenken, hier in Form des sog. enteignenden Eingriffs.

    Der allgemeine Aufopferungsanspruch erfasst demgegenüber nach h.M. nur Eingriffe in immaterielle Rechte (Leben, Gesundheit, Freiheit). Er scheidet daher aus.

    Der enteignende Eingriff erfasst an sich rechtmäßige (und daher hinzunehmende) Eingriffe in das Eigentum, die beim Betroffenen zu einem unzumutbaren Sonderopfer führen. In jüngerer Zeit hat die Rechtsprechung den Anwendungsbereich dieses Anspruchs zwar immer mehr reduziert (auf atypische, unvorhergesehene Folgen des staatlichen Handelns, insbesondere Zufalls- und Unfallschäden). Zwingend ist diese Beschränkung aber nicht. Die Rechtsprechung hat auch immer ein “Hintertürchen” offengelassen.

    Die Argumentation könnte wie folgt lauten:

    1. Eingegriffen wird in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Dieser ist von den Verwaltungs- und Zivilgerichten als eigentumsrechtlich geschütztes subjektives Recht anerkannt (während das BVerfG diese Frage stets offen gelassen hat). Erforderlich ist ein Eingriff in die “Substanz” des Gewerbebetriebs, nicht nur der Entzug rechtlich nicht gesicherter Erwerbschancen. Wenn das Ladengeschäft oder die Gaststätte aufgrund einer hoheitlichen Verfügung geschlossen werden muss, dürfte ein Substanzeingriff vorliegen.

    2. Der Eingriff ist rechtmäßig und hinzunehmen.

    3. Er führt zu einem Sonderopfer, da die Betreiber von nicht versorgungsrelevanten Einzelhandelsbetrieben oder die Inhaber einer Gaststätte zum Schutz der Allgemeinheit gezwungen sind, ihre Betriebe zu schließen.

    4. Der Anspruch ist auf Entschädigung nicht auf Schadensersatz gerichtet. Entschädigt wird nicht jede Einbuße, sondern nur das Maß an Beeinträchtigung, das die Zumutbarkeitsschwelle übersteigt. Eine “Sockelbeeinträchtigung” hat der Betreiber hinzunehmen.

    Halten Sie das für tragfähig?

    Mit freundlichen Grüßen

  14. RAin Susanne Pourroy-Aßmann Thu 4 Jun 2020 at 15:35 - Reply

    Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Schütz, ich stimme ihrer Argumenatation voll zu, mit einigen zusätzlichen Ansätzen. Zumindest versuchen sollte man es, unter Beachtung der wohl (analog?) geltenden 3-Monatsfrist und einer ausführlichen Aufklärung der Mandanten,u.a. zum Kostenrisiko.
    Mit freundlichen kollegialen Grüßen
    Rechtsanwältin Susanne Pourroy-Aßmann

  15. Urban Berz Mon 15 Feb 2021 at 20:05 - Reply

    Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Cornils,

    seit ihrer letztjährigen Einschätzung, dass das IfSG vermutlich keine großflächigen Entschädigungen für Nichtstörer vorsieht und die wirtschaftlichen Kollateralschäden einer Pandemie eher durch “ad hoc” Lösungen des Gesetzgebers kompensiert werden sollten, ist inzwischen viel Zeit vergangen. Die bisherigen Ergebnisse der Individualproblemlösung durch den Gesetzgeber bzw. die Regierung in Form von Wirtschaftshilfen sehen sich zunehmender Kritik ausgesetzt, da sie in ihrer Form als Beihilfen (Billigkeitsleistungen) rechtlich nicht verbindlich sind und vorwiegend über FAQ definiert werden (teilweise sogar erst nachträglich), sprich im Einzelfall kein einklagbarer Anspruch seitens der Betroffenen besteht, und sie zudem in ihrer Systematik an diverse rechtliche Grenzen stoßen, auf Kosten der Gerechtigkeit und der Effektivität der Programme. Sinnvolle und vielfach erforderliche Hilfen sind so z.T. gar nicht möglich.

    So kollidiert beispielsweise die Idee des zur Finanzierung des Lebensunterhalts vielfach geforderten “fiktiven Unternehmerlohns” für betroffene Selbständige mit der deutschen Sozialgesetzgebung, die wiederum trotz versuchter Zweckentfremdung (“vereinfachter Zugang” ALG II) nicht in der Lage ist, diese Aufgabe ersatzweise zu erfüllen aufgrund der bestehenden allgemeinen Regeln (Bedarfsgemeinschaft, Vermögenskriterien), da diese einen Anspruch trotz erwiesener Betroffenheit in vielen Fällen verhindern.
    Bei der Konstruktion der Hilfen kommt es immer wieder zu Abgrenzungsproblemen bzgl. der Definierung der Anspruchsgruppen, da oftmals die Verbindung zur Betroffenheit aus Maßnahmen des IfSG fehlt bzw. auf diesem Weg nicht ausreichend hergestellt werden kann.

    Hinzukommt erschwerend die Problematik, dass durch die Wahl des Mittels “Wirtschaftshilfen” statt “Entschädigungen” auch das EU-Beihilferecht den Hilfsprogrammen hinsichtlich der Volumina im Einzelfall Grenzen setzt und Förderungen in notwendiger Höhe verhindert. Auf der anderen Seite kommt es in Einzelfällen wiederum durch die Möglichkeit der Kumulierung einzelner Programmen wie z.B. der November-/Dezemberhilfe und ALG II zu nicht unwesentlichen Überförderungen, was hinsichtlich der Verteilungsgerechtigkeit problematisch sein dürfte.

    Daher stellt sich nach nunmehr 11 Monaten Dauerlockdown in einzelnen Branchen (wie z.B. der Diskotheken-, Veranstaltungs- oder Schaustellerbranche) und angesichts der Aussicht auf weitere Monate mit andauernden Betriebsschliessungen und Tätigkeitsverboten zunehmend die Frage, ob vor dem Hintergrund der existenziellen Bedrohung dieses Dauerlockdowns für viele Selbständige und der gravierenden Grundrechtseinschränkungen über so einen langen Zeitraum nicht doch ein grundsätzlicher, verfassungsrechtlicher Anspruch der Unternehmen auf ein rechtssicheres Entschädigungsregime besteht, sprich ob die Bewältigung der aus der Anwendung des IfSG folgenden wirtschaftlichen Schäden nicht doch über eine dort zu integrierende entsprechende Entschädigungsnorm geregelt werden müsste, weil das Beihilferecht dieser Aufgabe offensichtlich nicht genügend gerecht werden kann?

    Gerade auch vor dem Hintergrund der Novellierung des IfSG v. 19.11.2020, bei der in direktem Bezug auf die Covid-19 Pandemie die Eingriffsbefugnisse des Staates in Form des neu geschaffenen § 28a IfSG nochmal deutlich präzisiert, wenn nicht sogar ausgeweitet wurden, drängt sich die Frage auf, ob nicht auch auf der anderen Seite, hinsichtlich der Bewältigung der daraus entstehenden Schäden, die Gewährung von mehr Rechtssicherheit geboten sein dürfte?

    Ihre Einschätzung dazu würde mich sehr interessieren.

  16. Reinhard König Sun 16 May 2021 at 17:37 - Reply

    Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Cornils,

    wie wirkt sich denn entschädigungsrechtliche eine Unterscheidung zwischen Maßnahmen durch 28b IfSG und RVO nach 28, 32 IfSG aus?

    Mit freundlichen Grüßen,
    R. König

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