Der Föderalismus als Verlierer
Zu den Folgen des Mietendeckel-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts
Respekt!((Dies aus Anlass des Editorials von Max Steinbeis, Kein Anlass zur Schonung.)) Das Bundesverfassungsgericht hat die schwierige Frage nach der Kompetenz Berlins zum Erlass eines Mietendeckels in rekordverdächtiger Zeit entschieden. Es hat eine für seine Verhältnisse bündige Entscheidung getroffen, die niemanden (zuallerletzt den Berliner Senat) wirklich überraschen kann. Wer wissenschaftlich im Privatrecht zu Hause ist, darf sich über das moderne, instrumentell und nicht durch gebietsspezifische materielle Prinzipien definierte Privatrechtsverständnis freuen, das sich in der Auslegung des kompetenzrechtlichen Begriffs „bürgerliches Recht“ niederschlägt.((Im Vorfeld der Entscheidung bereits insoweit übereinstimmend Thomas Ackermann, JZ 2021, 7, 10 f. und Gerhard Wagner, JZ 2021, 247, 248 ff.)) Auch wer den Willen des BGB-Gesetzgebers, die Landesgesetzgebung aus dem Mietpreisrecht auszuschließen, nicht recht zu erkennen vermag,((Gegen die Annahme eines solchen Willens des Gesetzgebers der BGB-Mietpreisbremse bereits Maximilian Schneider/Marten Franke, DÖV 2020, 415, 421, und im Anschluss daran Ackermann [Fn. 2], 14 f.)) sieht sich als „a.A.“((BVerfG, B.v.25.3.2021, Rn. 151, zitiert allerdings für die a.A. nur mich, nicht den Beitrag von Schneider und Franke [Fn. 3].)) vielleicht nicht überzeugt, aber immerhin ernstgenommen. Und wer sich einen Mietendeckel wünscht, darf weiterhin hoffen, dass dieses Anliegen auf Bundesebene Anklang findet, auch wenn sich in der einen Richterstimme, die den Senatsbeschluss nur im Ergebnis und nicht in der Begründung mitträgt, womöglich schon abzeichnet, dass auch Bedenken an der materiellen Verfassungsmäßigkeit eines Mietendeckels beim 2. Senat nicht ungehört bleiben könnten.
Also alles in bester föderal-demokratischer Ordnung? Ich fürchte nein. Mietendeckel sind nicht beliebig skalierbar. Wie die sozio-ökonomische Problemlage auf Mietmärkten fallen auch die Quadratmeterpreise, die die Grenze des Erträglichen markieren, regional ganz unterschiedlich aus. Mit seinem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht den politischen Streit über den Mietendeckel daher auf eine Regelungsebene gehoben, auf der ein Gesetz nach Berliner Vorbild nur noch Plattitüden enthalten kann.((Vgl. bereits die in Fn. 3 zitierten Beiträge aus dem Vorfeld des Beschlusses sowie Ackermann, JZ 2021, 251 f.)) Das behindert Bestrebungen zur Verschärfung der Bundesregelung: Wer die ortsübliche Vergleichsmiete als Referenzgröße der bisherigen BGB-Regelung nicht für hinreichend wirkungsvoll hält und sie auf Bundesebene durch einen marktunabhängigen Bewertungsmaßstab ersetzen will, kann in Ermangelung konkreter Höchstpreise eigentlich nur abstrakte Kriterien normieren, die mehr oder weniger elegant zum Ausdruck bringen, dass es auch auf Märkten mit angespannter Wohnungslage bei der Miethöhe irgendwie gerecht zugehen muss. Die ordentlichen Gerichte wären dann bei der Konkretisierung einer solchen Regelung in die Rolle von Regulierern gedrängt, die sie, wie man aus anderen Rechtsgebieten weiß, überfordern würde.((Vgl. die praktisch sehr selten erfolgreichen Versuche, überhöhte Preise über das kartellrechtliche Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB, Art. 102 Abs. 2 lit. a AEUV) zu sanktionieren.)) Es bliebe einem zur Deckelung von Mieten neigenden Bundesgesetzgeber deshalb im Grunde nur, die Regulierungsentscheidung durch eine Öffnungsklausel oder durch eine (im Vergleich zur bisherigen Regelung) unspezifische Verordnungsermächtigung an die Länder zurückzugeben.
Das Ergebnis befremdet: Die Mechanik der konkurrierenden Gesetzgebung beschert dem Bundesgesetzgeber eine Vetoposition selbst bei demokratisch legitimen Regulierungswünschen, die er selbst nicht erfüllen kann. Hat der Bund, wie (angeblich) im Fall der BGB-Mietpreisbremse, schärfere Landesgesetzgebung nach seinem Willen blockiert, muss man ihn selbst bei Regulierungsanliegen, über die wegen ihrer regionalen Ausprägung inhaltlich nur auf Landesebene entschieden werden kann, erst zur Aufgabe seiner Blockadeposition bewegen. Dieser regulierungshemmende double lock trägt zur demokratischen Legitimation nichts bei und erweist dem Föderalismus einen Bärendienst: Wenn, wie beim Mietendeckel, von einer Länderregelung keine Beeinträchtigung der Regelungsinteressen anderer Bundesländer ausgeht, gibt es keinen Grund, den Bund auf den Plan zu rufen. Hier ist keine „Kakophonie“ (Jürgen Kühling, DVBl. 2020, 842) zu beklagen. Vielmehr können hier Lösungen mit regional begrenztem Risiko erprobt und im Wettbewerb der Landesgesetzgeber Lerneffekte erzielt werden – also eigentlich doch genau das, was wir an der Föderalismusidee schätzen. Diese Idee hätte das Bundesverfassungsgericht schützen können, indem es die Ausschließlichkeit, die der Bundesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 1 GG beanspruchen darf, auf Länderregelungen beschränkte, die der Bund selbst treffen könnte.((Ackermann [Fn. 5], 252.))
Dass es in der Entscheidung zu dieser normativen Begrenzung des Art. 72 Abs. 1 GG nicht gekommen ist, ja nicht einmal eine Auseinandersetzung mit dieser Frage stattgefunden hat, hat eine dysfunktionale Organisation der rechtspolitischen Debatte über die Mietpreisregulierung zur Folge, die nicht gerade dazu geeignet ist, Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Bundesstaates zu wecken. Solange der Bund den Ländern den Weg zum Mietendeckel versperrt, werden auf Länderebene radikalere Ideen, vor allem natürlich die zumindest kompetenzrechtlich nicht verbauten Enteignungsforderungen Auftrieb erhalten. Vor allem aber begünstigt die Einsicht, dass es beim Bund jenseits der Mietpreisbremse letztlich nicht um inhaltliche Fragen richtiger Regulierung, sondern nur um die Beibehaltung oder Aufgabe einer Blockadeposition geht, einen rein opportunistischen Umgang mit der Bundesgesetzgebung: Wer sich jetzt für die BGB-Mietpreisbremse in die Bresche wirft, wird dies womöglich – wie etwa die FDP-Bundestagsabgeordneten, die sich an dem abstrakten Normenkontrollverfahren gegen den Berliner Mietendeckel beteiligt haben – nicht aus Begeisterung für die Bundesregelung, sondern nur zur Verhinderung strengeren Landesrechts tun. Und wer – wie die zur Regierungsmehrheit gehörenden SPD-Abgeordneten – vom Bundesverfassungsgericht darüber belehrt wurde, mit der Mietpreisbremse die Torpedierung eines Prestigeprojekts des von der eigenen Partei mitgetragenen Berliner Senats und damit ein Eigentor beabsichtigt zu haben, wird sich nun vielleicht wünschen, die strengeren Ländermaßnahmen hinderliche BGB-Regelung wieder abschaffen zu können. Solche Kalküle mögen amüsant sein, tragen insgesamt aber zu dem verbreiteten Eindruck der charakterlichen Unzuverlässigkeit der politisch Handelnden bei, obwohl es in Wahrheit ein missglücktes institutionelles Setup ist, das ihnen diese Entscheidungen aufdrängt.
Das Zusammenspiel der Kompetenz für das bürgerliche Recht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) mit dem äußerlich nur vom Willen des Bundesgesetzgebers abhängigen Ausschluss der Länder vom Gebrauch dieser Kompetenz (Art. 72 Abs. 1 GG), dem dieses Ergebnis zu verdanken ist, hat gewiss seinen Charme: Diese Regeln sind so konfiguriert, dass das Bundesverfassungsgericht nicht selbst die föderalismustheoretisch optimale Regelungsebene bestimmen muss, sondern sich einfach an die Selbsteinschätzung des Bundesgesetzgebers halten kann. Man darf wohl annehmen, dass der Bundesgesetzgeber mit dem bürgerlichen Recht normalerweise wenig föderales Porzellan zerschlagen kann. Da hätte es wenig Sinn, jede bundesgesetzliche Regelung in diesem Bereich etwa an Kriterien der Verhältnismäßigkeit oder der Subsidiarität zu messen. Das weite, instrumentelle Verständnis des bürgerlichen Rechts, das dem Bundesgesetzgeber den Einsatz privatrechtlicher Instrumente zu beliebigen Regulierungszwecken erlaubt, birgt jedoch Risiken für den Föderalismus, die es nicht erlauben, jeglicher Entscheidung des Bundes über den abschließenden Gebrauch dieser Kompetenz blind zu vertrauen: Besteht die Ausschlusswirkung der Bundesgesetzgebung nur in der Negierung einer landesrechtlichen Gestaltung, die der Bund aufgrund regionaler Differenzen nicht selbst treffen könnte, fehlt jeder Bezug zur Föderalismusidee und entsteht allein eine Spielwiese für opportunistisches Verhalten, die den Bundesstaat diskreditiert. Hier besteht Anlass, dem Bund eine Grenze zu setzen. Gerade von einem Gericht, das seine eigene Systemebene höchst empfindlich vor Übergriffen der nächsthöheren Ebene bewacht, hätte man mehr Sensibilität in dieser Frage erwartet.
Berlin und Brandenburg teilen einen gemeinsamen Wohnungsmarkt, weswegen der Mietendeckel übrigens zu erheblichen Verwerfungen in Brandenburg führte: Verlagerung des Zuzugsdrucks dorthin, Gentrifizierung über die Landesgrenze hinweg, Dysbalance in Angebot und Nachfrage mit erheblichem Ansteig des Preisniveaus der Mieten bei Neuvermietungen in Brandenburg. Also: Berlin-Brandenburg ist ein gutes Beispiel für das Argument, dass die Bundeszuständigkeit hier schon richtig ist.
Früher gab es übrigens einmal das Politikfeld “Raumordnung”. Es sollte reaktiviert werden, denn der Druck auf die Mietwohnungsmärkte der Ballungsräume ist ein Bundesproblem. Der Bund muss hier Politik machen, anstatt sich nur darauf zu beschränken, den Marktteilnehmern Benimmregeln a la 110% ortsübliche Vergleichsmiete zu verordnen.