In der Form ein unmögliches Amt!
Christian Wulff ist zurückgetreten. „Endlich!“, werden wohl die meisten Bürger denken. Bundeskanzlerin Merkel hat angekündigt, koalitionsübergreifende Gespräche über die Neubesetzung anzustreben. Sie kommt damit einer weit verbreiteten Sehnsucht entgegen – der Sehnsucht nach einem Bundespräsidenten als Macht über den Parteien, als Garant des „echten“ Gemeinwohls jenseits aller Partikularinteressen. Doch ist nun wirklich die Suche nach dem „Superpolitiker Herkules“ angesagt, einer Person, hinter der sich die politische Klasse und das gemeine Volk, RTL 2 wie F.A.Z. versammeln können?
Christian Wulff ist zurückgetreten. „Endlich!“, werden wohl die meisten Bürger denken. Bundeskanzlerin Merkel hat angekündigt, koalitionsübergreifende Gespräche über die Neubesetzung anzustreben. Sie kommt damit einer weit verbreiteten Sehnsucht entgegen – der Sehnsucht nach einem Bundespräsidenten als Macht über den Parteien, als Garant des „echten“ Gemeinwohls jenseits aller Partikularinteressen. Doch ist nun wirklich die Suche nach dem „Superpolitiker Herkules“ angesagt, einer Person, hinter der sich die politische Klasse und das gemeine Volk, RTL 2 wie F.A.Z. versammeln können?
Das Grundgesetz gewährt für die Neuwahl 30 Tage Zeit (Art. 54 IV S. 1 2. HS GG). Zwei, drei dieser Tage sollten wir nach der Erfahrung zweier evidenter Fehlbesetzungen vielleicht doch dafür nutzen, noch einmal darüber nachzudenken, wofür so ein Bundespräsident überhaupt noch gut ist.
Dieter Grimm hatte jüngst darauf aufmerksam gemacht, dass das Wesentliche am Amt des Bundespräsidenten nicht seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen seien. Dem wird niemand ernsthaft widersprechen wollen. Gerade deshalb stellt sich aber die Frage, ob überhaupt noch jemand die Rollen ausfüllen kann, die dem Amtsträger jenseits seiner Kompetenzen nach dem Grundgesetz zugedacht werden. Ist die Gesellschaft nicht viel zu diversifiziert und zu schnelllebig, ist die politische Kommunikation nicht viel zu amorph, die Komplexität eines europäischen Mehr-Ebenen-Systems nicht viel zu hoch, die Spannbreite zwischen medialem Glamourbedarf und Erwartungen an die präsidiale Pastoralmacht nicht viel zu groß, um den (vermeintlichen) Integrationsbedarf einer Gesellschaft über den Kniff eines kompetenzarmen Staatsoberhauptes auch nur teilweise zu befriedigen?
Die Institution des Bundespräsidenten hatte, in idealisierter Übersteigerung, seine große Zeiten: als Korrektiv zur Kanzlerdemokratie Adenauers (Heuss), als Vorbote des Reifezeugnisses eines demokratischen Machtwechsels (Heinemann), als geschichtspolitischer Praeceptor Germaniae (von Weizsäcker). Doch seit von Weizsäckers Abschied ist das Präsidentenamt über weite Strecken doch nur noch ein müder Abglanz dessen, was wir wünschten, das es wäre und glauben, was es einmal war. Nicht von ungefähr gehören Herzogs „Ruck-Rede“ und Köhlers Warnung vor den „Monstern“ zum festen Bestandteil des politischen Kabaretts. Einzig Johannes Raus Auftritt vor der Knesset hellt die Bilanz ein wenig auf. Doch ansonsten? Wer kann sich nur an das Thema der 3., 4., 5. Berliner Rede erinnern?
Manche meinen, mit einem Bundespräsidenten Gauck wäre es ganz anders gekommen. In der Tat hat das linksliberale juste milieu Christian Wulff nie verziehen, einen Philosophenersatzkönig im Bellevue verhindert zu haben. Doch bei aller Hochachtung vor der rhetorischen Kraft und denkerischen Klarheit Joachim Gaucks – der Obama-Effekt, die Enttäuschung großer Erwartungen, wäre wohl unvermeidlich gewesen. Gauck selbst hat das gespürt und deutlich artikuliert.
Möglichweise ist die kleine Verfallsgeschichte des Präsidentenamtes also nicht (nur) einem Mangel an Chrisma, politischer Professionalität und moralischer Redlichkeit der Amtsinhaber oder der kulturpessimistischen Grundhaltung ihrer Beobachter geschuldet, sondern schlicht der gesellschaftlichen Unmöglichkeit, ein politisches Amt auszufüllen, dessen Wesen und Auftrag im undefinierten Niemandsland jenseits des durch rechtliche Verfahren und Kompetenzen mühsam pazifizierten Kampfes um politische Macht liegen soll.
Demokratie heißt, Integration durch den kanalisierten Konflikt zwischen politischen Alternativen. Sechzig Jahre Erfahrung mit unseren demokratischen Institutionen legen es nahe, sich mit dieser Form von Integration zu begnügen. Verfassungsrechtlich führt das zu einer einfachen Lösung: Die verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Bundespräsidenten übernimmt der Bundesratspräsident. Dank des üblichen Rotationsprinzips wird die Repräsentationskraft des Staatsoberhauptes deutlich gestärkt. Und die Welt erklären und wider die Bundesregierung löcken kann auch der Bundestagspräsident vortrefflich, wie der gegenwärtige Amtsinhaber zeigt.
30 Tage – das ist nicht nur der von der Verfassung gesetzte Zeitraum für die Neuwahl des Bundespräsidenten, sondern auch genug Zeit auch für seine Abschaffung!
Der Verfasser lehrt Öffentliches Recht und Kirchenrecht an der Georg-August-Universität Göttingen.
Das Grundgesetz gewährt für die Neuwahl 30 Tage Zeit (Art. 54 IV S. 1 2. HS GG). Zwei, drei dieser Tage sollten wir nach der Erfahrung zweier evidenter Fehlbesetzungen vielleicht doch dafür nutzen, noch einmal darüber nachzudenken, wofür so ein Bundespräsident überhaupt noch gut ist.
Dieter Grimm hatte jüngst darauf aufmerksam gemacht, dass das Wesentliche am Amt des Bundespräsidenten nicht seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen seien. Dem wird niemand ernsthaft widersprechen wollen. Gerade deshalb stellt sich aber die Frage, ob überhaupt noch jemand die Rollen ausfüllen kann, die dem Amtsträger jenseits seiner Kompetenzen nach dem Grundgesetz zugedacht werden. Ist die Gesellschaft nicht viel zu diversifiziert und zu schnelllebig, ist die politische Kommunikation nicht viel zu amorph, die Komplexität eines europäischen Mehr-Ebenen-Systems nicht viel zu hoch, die Spannbreite zwischen medialem Glamourbedarf und Erwartungen an die präsidiale Pastoralmacht nicht viel zu groß, um den (vermeintlichen) Integrationsbedarf einer Gesellschaft über den Kniff eines kompetenzarmen Staatsoberhauptes auch nur teilweise zu befriedigen?
Die Institution des Bundespräsidenten hatte, in idealisierter Übersteigerung, seine große Zeiten: als Korrektiv zur Kanzlerdemokratie Adenauers (Heuss), als Vorbote des Reifezeugnisses eines demokratischen Machtwechsels (Heinemann), als geschichtspolitischer Praeceptor Germaniae (von Weizsäcker). Doch seit von Weizsäckers Abschied ist das Präsidentenamt über weite Strecken doch nur noch ein müder Abglanz dessen, was wir wünschten, das es wäre und glauben, was es einmal war. Nicht von ungefähr gehören Herzogs „Ruck-Rede“ und Köhlers Warnung vor den „Monstern“ zum festen Bestandteil des politischen Kabaretts. Einzig Johannes Raus Auftritt vor der Knesset hellt die Bilanz ein wenig auf. Doch ansonsten? Wer kann sich nur an das Thema der 3., 4., 5. Berliner Rede erinnern?
Manche meinen, mit einem Bundespräsidenten Gauck wäre es ganz anders gekommen. In der Tat hat das linksliberale juste milieu Christian Wulff nie verziehen, einen Philosophenersatzkönig im Bellevue verhindert zu haben. Doch bei aller Hochachtung vor der rhetorischen Kraft und denkerischen Klarheit Joachim Gaucks – der Obama-Effekt, die Enttäuschung großer Erwartungen, wäre wohl unvermeidlich gewesen. Gauck selbst hat das gespürt und deutlich artikuliert.
Möglichweise ist die kleine Verfallsgeschichte des Präsidentenamtes also nicht (nur) einem Mangel an Chrisma, politischer Professionalität und moralischer Redlichkeit der Amtsinhaber oder der kulturpessimistischen Grundhaltung ihrer Beobachter geschuldet, sondern schlicht der gesellschaftlichen Unmöglichkeit, ein politisches Amt auszufüllen, dessen Wesen und Auftrag im undefinierten Niemandsland jenseits des durch rechtliche Verfahren und Kompetenzen mühsam pazifizierten Kampfes um politische Macht liegen soll.
Demokratie heißt, Integration durch den kanalisierten Konflikt zwischen politischen Alternativen. Sechzig Jahre Erfahrung mit unseren demokratischen Institutionen legen es nahe, sich mit dieser Form von Integration zu begnügen. Verfassungsrechtlich führt das zu einer einfachen Lösung: Die verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Bundespräsidenten übernimmt der Bundesratspräsident. Dank des üblichen Rotationsprinzips wird die Repräsentationskraft des Staatsoberhauptes deutlich gestärkt. Und die Welt erklären und wider die Bundesregierung löcken kann auch der Bundestagspräsident vortrefflich, wie der gegenwärtige Amtsinhaber zeigt.
30 Tage – das ist nicht nur der von der Verfassung gesetzte Zeitraum für die Neuwahl des Bundespräsidenten, sondern auch genug Zeit auch für seine Abschaffung!
Der Verfasser lehrt Öffentliches Recht und Kirchenrecht an der Georg-August-Universität Göttingen.
es gäbe freilich schon ein erhebliches konfliktpotenzial, wenn der präsident des bundesrats die gesetze ausfertigte – und damit auch das prüfungsrecht des bundespräsidenten ausübte.
erstens wird er häufig ein vertreter der opposition auf bundesebene sein. wenn ich mir nun eine konstellation vorstelle, in der die verfassungsmäßigkeit eines gesetzes zwischen opposition und regierung strittig ist, der bundesratspräsident als vertreter der opposition sich auf sein prüfungsrecht nach art. 82 gg beruft und die ausführung verweigert. die bundestagsmehrheit müsste die ausfertigung vor dem bverfg durchsetzen. das würde doch die verhältnisse arg auf den kopf stellen.
zweitens: häufig mag gerade die zustimmungsbedürftigkeit des gesetzes strittig sein (atomausstieg bzw. seine rückgängigmachung). soll dann der bundesratspräsident über die ausfertigung entscheiden?
kurzum: vielleicht ist es gar nicht ganz doof, bestimmte tätigkeiten außerhalb der konfliktparteien des politischen tagesgeschäfts anzusiedeln.
Das Amt des Bundespräsidenten ist ein Rest monarchischer Strukturen. Abschaffen!
Gewiss lassen sich die Funktionen, die der Bundespräsident hat, auf andere Organe aufteilen, und gewiss auch lässt sich auf einige dieser Funktionen verzichten. Das Problem dieses Amtes ist aber damit nicht aus der Welt. Denn die Hoffnungen auf seine Überparteilichkeit sind vorhanden und ihre Erfüllung wird von weiten Teilen der Gesellschaft erwartet. Eher als eine Abschaffung des Amtes könnte daher eine Amtsausübung helfen, die der Gesellschaft aufzeigt, dass diese Hoffnung ein Irrtum ist und das Fahrenlassen dieser Hoffnung nicht schlimm, sondern eine erwachsene Haltung ist. Aber das ist auch eine Hoffnung …
[…] halten manche Verfassungsrechtsexperten das Amt des Präsidenten in einer modernen pluralistischen Demokratie für entbehrlich. Aus ihrer […]
[…] dem Amt des Staatsoberhaupts, das in den letzten Jahren immer wieder unter der Last seiner eigenen Unmöglichkeit schier zusammenzukrachen drohte, einen großen Dienst […]