Der Grundsatz (in)effektiver Opposition: zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Oppositionsfraktionsrechte
1. Das Grundgesetz gewährt den Abgeordneten und ihren Zusammenschlüssen Möglichkeiten zu parlamentarischer Opposition durch Zuweisung verschiedener Frage-, Kontroll- und Mitwirkungsinstrumente. Von besonderer Bedeutung sind das Recht, einen Untersuchungsausschuss einsetzen zu lassen, sowie das Recht, eine abstrakte Normenkontrolle zu beantragen. Beide sind als qualifizierte Minderheitenrechte einem Viertel der Abgeordneten des Bundestages zugewiesen. Als Oppositionsinstrument taugen sie daher nur, wenn sich eine entsprechend große Opposition zusammenfinden kann.
Als sich im Oktober 2013 die qualifiziert große Koalition von CDU/CSU und SPD abzeichnete, stand daher ein Oppositionsproblem auf der Agenda. Selbst zusammen erreichten die beiden Fraktionen, welche die Regierung nicht tragen, jene qualifizierte Minderheit nicht. Staatsrechtslehrer und Politiker warnten vor dem Ausfall entscheidender Kontroll- und Machtbegrenzungsmechanismen des parlamentarischen Regierungssystems; manche hielten Verfassungsänderungen für erforderlich. Erinnerungen an frühere große Koalitionen und außerparlamentarische Entwicklungen wurden wach.
Anders als früher konnte man mit dem zunächst gezeigten Problembewusstsein zufrieden sein. Der Koalitionsvertrag thematisierte die schwierige Situation und verpflichtete sich auf eine noch zu findende Lösung. Auf dem langen Weg dorthin erlitt die anfängliche Hoffnung, das seit den 1960er Jahren erarbeitete Wissen um die Bedeutung parlamentarischer Opposition würde im Verein mit demokratischer Parlamentskultur zu geradezu guten Lösungen führen, einige Dämpfer. Es gelang nur, aber immerhin ein Kompromiss auf Geschäftsordnungsebene (§ 126a GOBT, 2014). Man kann ihn kritisieren wegen rechtsdogmatischer Mängel und Verbindlichkeitsdefiziten. Dass er überhaupt erreichbar wurde, war nicht selbstverständlich; der Widerstand gegen ‚Zugeständnisse’ an die ‚Zwergenopposition’ wurde zwar nicht öffentlich formuliert, war aber deutlich spürbar. Vorstellungen von verfassungsrechtlich gebotener Unterstützung der Möglichkeit zur Opposition, die Erinnerung einiger Abgeordneter an frühere Oppositionsangehörigkeit und die Überzeugungskraft des der Regierungsmehrheit angehörenden Parlamentspräsidenten Lammert (CDU) dürften für die kompromisshafte Einhegung jener Widerstände entscheidend gewesen sein.
In dem Geschäftsordnungskompromiss wurde einem Quorum von 120 Abgeordneten die Möglichkeit eingeräumt, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Die Zahl der Ausschussmitglieder wurde in der bisherigen Praxis auf jeweils acht Abgeordnete begrenzt. Dadurch konnten in den bislang vier Untersuchungsausschüssen dieser Legislatur die beiden Abgeordneten aus den oppositionellen Fraktionen das qualifizierte Ausschussquorum erreichen, das nach dem PUAG zur Ausübung wesentlicher Rechte im Ausschuss erforderlich ist. Lösungsversuche gab es auch mit Blick auf andere Quorenrechte und auf die Redeordnung. Nicht aufgegriffen wurde der Wunsch der oppositionellen Fraktionen, eine abstrakte Normenkontrolle beantragen zu können.
Die Fraktion „Die Linke“ war mit diesem Kompromiss nicht zufrieden. In einem Organstreitverfahren trug sie unter anderem vor, dass aus dem Grundgesetz eine Pflicht des Bundestages folge, die abstrakte Normenkontrolle wie auch das Untersuchungsrecht als Recht der beiden oder einer Oppositionsfraktion auszugestalten. Das müsse auf Verfassungsebene, hilfsweise auf Gesetzesebene geschehen. Sie behauptete also unter anderem ein Verfassungsgebot auf Änderung der Verfassung. Die ausgesprochen komplizierten und in sich teils unklaren, teils widersprüchlichen Anträge können hier nicht kommentiert werden. Sie haben unter anderem auch den Geschäftsordnungskompromiss als verfassungsrechtlich nicht ausreichend markiert und damit dem BVerfG Gelegenheit gegeben, sich dazu zu verhalten: im Urteil vom 3.5.2016, 2 BvE 4/14.
2. Offenbar wollte das Gericht das auch in der Sache tun, auch wenn es die verfassungsrechtliche Prüfung der Geschäftsordnungsregelung ausdrücklich offen lässt (Rn. 78).
2.1 Die Zulässigkeitsanforderungen sind vergleichsweise kurz behandelt und vergleichsweise weit ausgelegt worden. Inwiefern dem Bundestag ein Recht oder eine Pflicht auf Änderung der Verfassung im oppositionellen Sinne zukommen kann, das/die dann durch eine Fraktion in Prozessstandschaft gerichtlich gegen die Parlamentsmehrheit verfolgt werden darf, hätte man angesichts des Ausnahmecharakters der Prozessstandschaftskonstruktion und der normlogisch schwierigen Annahme verfassungswidrigen Verfassungsrechts gern genauer erklärt bekommen. Das vom Gericht angenommene Feststellungsinteresse eröffnet zudem zu Gunsten der Antragstellerin die Klärung einer Rechtsposition unabhängig von einer konkreten Verletzungsgefahr. Auch das erscheint eher großzügig.
Die nach der Entscheidung formulierte Vorstellung auf Seiten von „Die Linke“, dies eröffne in Zukunft oppositionelle Organstreitverfahren als eine Art Normenkontrollersatz, weil auch gegen alle möglichen anderen (unterlassenen) Gesetzesbeschlüsse im Organstreit vorgegangen werden könne, geht allerdings fehl. Sie basiert wohl auf einem Mißverständnis der oppositionsfreundlichen Diktion, mit der die Zulässigkeit gerichtlich hergeleitet wird.
2.2 In der Sache lehnt das Gericht, wenig überraschend, eine aus der Verfassung folgende Pflicht auf Änderung der Verfassung im Sinne der Zuweisung bestimmter Rechte gerade an die Oppositionsfraktionen ab. Es entnimmt dem Grundgesetz keine Institutionengarantie, sondern eine Funktionsgarantie, die gerade nicht die Institutionalisierung bestimmter Oppositionsrechtsträger fordert. Das ist begrüßenswert. Die Verfassung muss die politische Realität des Fraktionenparlaments, die Abgeordnete weitgehend mediatisiert, nicht nachzeichnen, um sie ausreichend berücksichtigen zu können. Quorenregelungen ermöglichen die größte Vielfalt an Opposition: sie hindern die praktisch besondere relevante Oppositionsfraktion nicht, erlauben vielmehr zusätzlich ad hoc Opposition, etwa in Gestalt von Koalitionsbildungen zwischen Oppositionsfraktionen oder, politisch unwahrscheinlich, aber nicht unerfreulich, über die Grenzen von Oppositions- und Regierungsmehrheitslager hinweg. Weshalb solche Vielfalt dem Realismus des Normalfalles geopfert werden sollte, ist nicht einzusehen.
2.3 Das gilt auch dann, wenn man, anders als das Gericht es in einer Art obiter dictum vorgibt, die Gewährleistung spezifischer Oppositionsfraktionsrechte nicht per se als Verletzung der Chancengleichheit von Abgeordneten und Fraktionen ansieht. Die Ausführungen des Gerichts zu angeblichen Rechtsverlusten der Regierungsmehrheitsabgeordneten, selbst bei nur zusätzlicher Einräumung von Rechten für Oppositionsfraktionen (z.B. Rn. 99, 101, 103), sind nicht nachvollziehbar. Das Gericht fürchtet, dass trotz gleichbleibender Rechtsausstattung der Regierungsmehrheitsabgeordneten zusätzliche Oppositionsfraktionsrechte ein Signal an jene Regierungsmehrheitsabgeordneten aussendeten, sie seien nicht so bedeutsam wie ihre Kollegen von der Opposition. Man ist versucht, ein Taschentuch zu zücken. Mit diesem Argument müsste man wohl die Fraktionsbildung überhaupt verbieten, weil sie erhebliche Bedeutungsdifferenzierungen zwischen den Abgeordneten einer Fraktion bewirkt. Zugleich sind die Aussagen des Gerichts geeignet, etwaige verfassungspolitische Überlegungen zur Effektivierung gerade oppositioneller Kontrolle, die wegen der für sie typischen Öffentlichkeit eben durchaus besondere Bedeutung für Kontrolle und Demokratie (Wahlentscheidungen) hat, von vornherein zu desavouieren. Dafür gab das Verfahren keinen Anlass. Die entsprechenden Passagen des Urteils stehen denn auch in seltsamen Widerspruch zur vorherigen gerichtlichen Verortung des Verfassungsprinzips effektiver Oppositionsübung. Wenig weiterführend ist auch der Hinweis des Gerichts, die strukturelle Informationsasymmetrie zu Lasten der Opposition, gegen die gerade das Untersuchungsausschussrecht mit seinem Selbstinformationsrecht nutzbar ist, könne durch den erhöhten Oppositionsbonus kompensiert werden (Rn. 105). Das widerspricht nun wirklich jeglicher Empirie. Geld kompensiert gewisse Ungleichheiten bei der Informationsverarbeitungskapazität, aber nicht Defizite im Informationszugang.
2.4 Folgt man dem grundgesetzlich angelegten Pfad, effektive Oppositionsübung u.a. durch Rechtszuweisungen an Quoren ermöglicht zu sehen, stellt sich das Problem der Quorenhöhe, das Problem, was gelten soll, wenn über eine oder gar mehrere Legislaturen die Quoren für oppositionelle Akteure schlicht nicht erreichbar sind. Vom gerichtlichen Bekenntnis zum Grundsatz effektiver Opposition, die „bei der Ausübung ihrer Kontrollbefugnisse nicht auf das Wohlwollen der Parlamentsmehrheit angewiesen sein“ dürfe (Rn. 90), bleibt nun fast nur noch Rhetorik. Das Gericht verneint einen Auslegungsspielraum hinsichtlich der Quorenregelung zur abstrakten Normenkontrolle. Das ist angesichts des Wortlautes von Art. 93 Abs. 1 und Abs. 3 GG gut nachvollziehbar. Verfassungspolitisch möglicherweise erwünschte Ergebnisse können hier nicht durch gerichtliche Auslegung, sondern nur durch Verfassungsänderung erreicht werden. Weshalb das auch für alle anderen Quoren gelten soll, ist insbesondere mit Blick auf die verfassungsrechtliche Formulierung beim Untersuchungsausschussrecht nicht ohne Weiteres einsichtig. Ob es verfassungsrechtlich wirklich so ohne weitere Auslegungsanstrengungen hinnehmbar ist, dass von den für Oppositionsübung entscheidenden Minderheitsrechten kein Gebrauch gemacht werden kann, erscheint ebenso fragwürdig, wie die Behauptung, der Verfassungsgeber und der verfassungsändernde Gesetzgeber hätten dies gewollt.
2.5 Was ist aus der Entscheidung mit Blick auf den mühsam ausgehandelten Geschäftsordnungskompromiss zu entnehmen? Das Urteil gibt einerseits vor, sich zu seiner Zulässigkeit nicht zu verhalten. Andererseits entzieht es dem dort vorgesehenen Quorenrecht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durch 120 Abgeordnete jedenfalls die Grundlage verfassungsrechtlicher Gebotenheit und damit wohl die Möglichkeit, es vor dem BVerfG einzuklagen (Rn. 79). Welche Auswirkungen das auf die zukünftige Parlamentspraxis haben wird, ist offen. Für Versuche, parlamentsinterne Lösungen für das Oppositionsproblem zu finden, ist es kaum hilfreich. Das gilt erst recht mit Blick auf die interpretatorische Umdeutung des zunächst angenommenen Spannungsverhältnisses von qualifizierten Quoren und effektiver Oppositionsübung. Am Ende, so das Gericht, seien die Quorenregelungen eben gerade die Konkretisierung des Grundsatzes effektiver Oppositionsübung. Die Formulierung von der Notwendigkeit effektiver Opposition stammt vom Gericht. Sie ist verfassungsrechtlich und verfassungspraktisch einleuchtend. Aber irgendwie scheint sie doch nicht zu stimmen.
2.6 Was hat das Gericht bewogen, den zugemuteten Antrag so aufzugreifen? Man kann es nicht wissen. Ein bißchen Spekulation sei erlaubt. Abstrakte Normenkontrollen bringen das Gericht immer wieder in ungemütliche Situationen. Der Kritik an gerichtlicher Übergriffigkeit kann es, nimmt es seine Aufgabe ernst, kaum entgehen. Dass das Gericht die Zahl entsprechender Anträge nicht steigern möchte, kann man verstehen. Ob der zeitweise vom Stand der Parlamentspraxisforschung recht unberührt wirkende Duktus der Entscheidung auch davon beeinflusst wird, dass zum zweiten Senat drei ehemalige Regierungsangehörige gehören, bleibt eine offene Frage.
3. Zum Schluss: Bleiben die aufgeworfenen Probleme relevant oder können wir uns damit beruhigen, dass qualifiziert große Koalitionen ein Ausnahmefall bleiben? Die Zukunft mag unsicher sein, die Relevanz der Fragen aber ist sicher. In Zeiten zunehmender Parteienfragmentierung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch in zukünftigen Parlamenten Minderheitenquoren zur Ausübung oppositionsrelevanter Rechte nicht erreicht werden. Eine parteipolitisch sehr heterogene Opposition kann nicht als „die Opposition“ agieren. Würde es, wie derzeitige Umfragen nahelegen, beispielsweise zu einer ‚normal’ großen Koalition „der Mitte“ kommen, die von 53% der Abgeordneten gestützt wird, bliebe als ‚Oppositionspotential’ 47%. Da sich dieses aber auf bis zu vier Fraktionen verteilen könnte, ist es eher unwahrscheinlich, dass eine Fraktion das besonders relevante Viertelquorum erreicht. Ob sich Oppositionskoalitionen bilden können, die es erreichen, ist angesichts der erwartbaren Konstellationen durchaus unklar. Vom Prinzip effektiver Opposition bleibt dann nur wenig übrig. Das BVerfG scheint uns mit der Vorstellung des heroischen Abgeordneten trösten zu wollen, der mit der Waffe der Chancengleichheit in der Hand die Kontrolldefizite des parlamentarischen Regierungssystems kompensiert. Das klingt vertraut, ruft hehre Liberalismus-Bilder des 19. Jahrhunderts auf. Mit Verfassungswirklichkeit und Parlamentspraxis haben und hatten diese Bilder indessen nichts zu tun. Die Aufgabe, einen vernünftigen Weg zwischen deskriptiv-resigniertem Fraktionendogmatismus und illusionär-geschichtsklitterndem Abgeordnetenheroismus zu finden, liegt einmal mehr beim Parlament selbst. Wenn das Bundesverfassungsgericht sich insofern zurückhalten möchte, ist das gut nachvollziehbar; nicht gut nachvollziehbar ist, dass das Urteil Deutungen erlaubt, die Änderungs-Konzepte von vornherein zu begrenzen scheinen. Es erschwert damit die erforderliche Diskussion um die Konkretisierung des Prinzips effektiver Opposition durch tatsächlich effektive Instrumente. Die Verantwortung für eine solche Diskussion liegt gerade auch bei der Regierungsmehrheit. Dass sie die demokratische Vorläufigkeit ihres Status bedenken möge, kann man nur hoffen.
Die Verfasserin hat 2013 zur Frage des Untersuchungsausschussrechts ein Gutachten für die Grünen erstattet, publiziert in: Cancik, NVwZ 2014, 18ff. Mit dem hier kommentierten Organstreitverfahren war sie nicht befasst.
“[…] nicht gut nachvollziehbar ist, dass das Urteil Deutungen erlaubt, die Änderungs-Konzepte von vornherein zu begrenzen scheinen.”
Auf welche Deutungen beziehen Sie sich?
@Hella:
Das BVerfG formuliert, dass “einer Einführung spezifischer Oppositionsfraktionsrechte” Art. 38 Abs. 1 S. 2 entgegenstehe, entsprechende Durchbrechungen der Abgeordnetengleichheit nicht zu rechtfertigen seien (Rn. 95). Das ist überraschend, weil der Oppositionsbonus, den das Gericht selbst offenbar positiv bewertet (Rn. 105), als solches Oppositionsfraktionsrecht ausgestaltet ist (§ 50 Abs. 2 AbgG), eben um tatsächliche Ungleichheiten zu kompensieren. Ein solcher Ansatz ist auch mit Blick auf andere Rechtszuweisungen diskutiert worden. Auch wenn ich keine Verfechterin der Idee bin, dass man Rechte immer nur an die Einheit Fraktion zuweisen müsse, meine ich, dass es doch sinnvoll wäre, zu diskutieren, ob es tatsächliche Ungleichheitswirkungen zu Lasten der Oppositionsfraktionen gibt, die dann auch gerade durch Rechtszuweisungen an diese ausgeglichen werden können. Mit dem Diktum des BVerfG wird diese Idee ganz pauschal und ohne die wünschenswerte Aufarbeitung von Parlamentspraxis als gleichheitswidrig abgetan. Und das könnte, so befürchte ich, die erforderliche Diskussion einschränken.
Ein sehr guter Beitrag von Frau Cancik! Das Urteil ist insbeondere in den von Juristen als “obiter dicta” bezeichneten Passagen enttäuschend – weil dort ohne Not der Handlungsspielraum für verfassungspolitische Korrekturen der Zukunft eingeschränkt wird. Auch der Oppositionsbegriff wird nicht weiterenwickelt. Für die Richterinnen und Richter scheint Opposition nach wie vor inhaltlich deckungsgleich zu sein mit „parlamentarischen Minderheiten“. Ein solcher Begriff der Opposition bleibt jedoch verfassungsrechtlich unterdeterminiert, weil er als eigenständiger Rechtsbegriff keine Anerkennung erfährt. Dies verursacht gravierende Probleme, wenn insbesondere Koalitionsformate dominieren, die nicht dem gängigen Schema der mehrheitsbestimmten Logik des parlamentarischen Regierungssystems entsprechen. Zu beachten wäre – “wirklichkeitswissenschaftlich” – Folgendes: Parlamentarische Opposition kann unter verschiedenen Koalitionsformaten – und der sich mit ihnen verändernden Funktionslogik des parlamentarischen Betriebs – sehr verschiedengestaltig sein: Die Oppositionen unter „Minderheitenregierungen“ sowie „Großen Koalitionen“ sind daher empirisch-analytisch anders zu erfassen sowie normativ zu bewerten als die Opposition einer über eine knappe parlamentarische Mehrheit verfügenden Regierung. Beides vermag das Verfassungsrecht aber derzeit nicht zu leisten, insoweit es „Opposition“ lediglich mit „parlamentarischer Minderheit“ gleich setzt (und ganz versteckt durch die Hypostasierung des einzelnen Abgeordneten nicht nur der “alte Dualismus” zwischen Regierung und Parlament wiederauflebt, sondern sogar das völlig verquere – altliberale – Parlamentarismusverständnis von Carl Schmitt). Ohne CS scheints noch immer nicht zu gehen…
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die im Verfassungsrecht vorherrschende Meinung die prozedurale Aufwertung der Opposition unter den Bedingungen der „Großen Koalition“ verfassungsrechtlich für nicht geboten hält bzw. es der politischen Selbstorganisation des Parlaments, und so dem Voluntarismus übergroßer parlamentarischer Mehrheiten überlassen will, wie sie mit kleinen Oppositionen umgeht. Die unter der gegenwärtigen „Großen Koalition“ entwickelten Sonderregeln in der Geschäftsordnung des Bundestages erscheinen in dieser Perspektive als (voluntaristische) Gnadenakte einer übergroßen Regierungsmehrheit, die diese aber ebenso voluntaristisch wieder zurücknehmen kann. Vor diesem Hintergrund wäre es notwendig, im Einklang mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes stehende und möglichst im Verfassungsrecht verankerte Normen zur „Opposition“ zu entwickeln, die auch unter bis dato nicht gängigen Regierungs- und Koalitionsformaten die konstitutive Bedeutung von Opposition für Demokratie zu würdigen und zu schützen wissen.