Die Flucht aus der politischen Verantwortung – Indexierung des Rundfunkbeitrags
Am gestrigen Donnerstag berieten die Ministerpräsidenten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den dazugehörigen Rundfunkbeitrag. Doch es ging einmal mehr nicht bloß um die Höhe des Beitrags. Nach der Umstellung der Finanzierung (primär) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von einer Gebühr auf den Beitrag im Jahre 2013 wird seit Mitte 2017 über die Grundlagen des Verfahrens diskutiert. Diesmal geht es nicht um die Frage, wer zahlen muss, sondern um die Ermittlung der Höhe des Beitrags. In Rede steht eine (Voll-)Indexierung, de facto also eine ständige Erhöhung des Beitrags in einem vermeintlich vereinfachten Modus, gepaart mit einer Flexibilisierung des Programmauftrags sowie der Einräumung größerer Spielräume bei der Verwendung des Budgets. Im Anschluss an die Ministerpräsidentenkonferenz stellte Malu Dreyer (SPD) in Aussicht, dass der Rundfunkbeitrag ab dem 1. Januar 2023 „mittels eines Index angepasst werden soll“. Die geplanten Änderungen werfen dabei nicht nur ein Schlaglicht auf eine höchst zweifelhafte (medien-)politische Kultur, sondern sind auch kaum mit (europa-)rechtlichen Vorgaben vereinbar.
Der status quo – Das KEF-Verfahren
Die Rundfunkgesetzgebung liegt bekanntlich in der Kompetenz der Länder. Um den aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG resultierenden Grundsatz der Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu wahren, erfolgt die Festsetzung des Beitrags jedoch nicht direkt durch die Gesetzgebung in den Länderparlamenten. Eine zentrale Position im Verfahren nimmt die mit unabhängigen Sachverständigen besetzte Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) ein.
Zunächst ermitteln die Anstalten alle vier Jahre ihren Finanzbedarf. Dazu konkretisieren Sie ihren prinzipiellen verfassungsrechtlichen und durch den Gesetzgeber vorkonkretisierten Auftrag so weit wie möglich, treffen entsprechende Programmentscheidungen und legen zusätzlich dar, welche Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsmaßnahmen getroffen wurden. Auf Basis der sogenannten Bestands- und Entwicklungsgarantie erfolgt dabei einerseits eine Fortschreibung des Bestandes, es wird aber auch die künftige Weiterentwicklung in inhaltlicher sowie bspw. technischer Hinsicht betrachtet.
Im zweiten Schritt überprüft die KEF diese Bedarfsanmeldungen, was im Wesentlichen der Begrenzung der Expansionstendenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dient. Die weite Befugnis zur Letztkonkretisierung des Auftrags, der sehr offene Begriff der publizistischen Konkurrenzfähigkeit und die Entwicklungsgarantie, flankiert von einer Finanzierungsgarantie, fördern diese Expansionstendenz, die keinem Marktkorrektiv ausgesetzt ist.
Erst im dritten Schritt wird die Beitragshöhe mittels eines Staatsvertrags festgesetzt, der durch sämtliche Länderparlamente zu ratifizieren ist. Die Länder dürfen dabei nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, beispielsweise zur Vermeidung sozialer Härten, vom Vorschlag der Kommission abweichen.
Insgesamt dient dieses Verfahren dazu, – unter Berücksichtigung des Gebots der Staatsferne – verschiedene Interessen zu einem Ausgleich zu bringen: die verfassungsrechtlich geschützten Positionen der Anstalten, die Finanzgewährleistungspflicht des Staates sowie eine möglichst geringe Belastung der Beitragszahler.
Die politische Dimension des Rundfunkbeitrags
Dieser Ausgleich muss bei jeglicher Reform der Finanzierung selbstverständlich gewahrt bleiben. Nun ist der Rundfunkbeitrag durch seine selbständige, regelmäßige und direkte Erhebung stets ein Politikum und nicht wenige politische Akteure nutzen die Neufestsetzung immer wieder zur populistischen Profilierung beim Wähler. Ausnahmslos alle politisch Beteiligten jedoch sind bemüht, unpopuläre Erhöhungen dieses Beitrags zu vermeiden. Das Zauberwort lautet „Beitragsstabilität“ – ein Kriterium, das im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag keine Erwähnung findet. Ob diese Erwägung wirklich (nur) auf der Motivation der Erhaltung oder Erhöhung der Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beruht, sei einmal dahingestellt.
Diese Stabilität ließe sich freilich auch ohne eine wesentliche Veränderung der Rundfunkfinanzierung erreichen. Seit Langem versuchen sich die Länder an einer Neukonturierung oder Präzisierung des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, haben dabei jedoch die recht undankbare Aufgabe, Einstimmigkeit zu erzielen und auch die Programmhoheit der Anstalten unangetastet zu lassen. Und die Einsparvorschläge, die die Anstalten vorgelegt haben, reichten auch nicht aus. Einfacher ist es da, am Modus der Festsetzung Hand anzulegen.
Der politische Vorschlag einer Indexierung dieses Beitrags dient also gewissermaßen der eigenen Entmachtung beziehungsweise der Kaschierung der politischen Verantwortung, regelmäßig eine für alle Bürger unangenehme Beitragsentscheidung oder aber grundsätzliche rundfunkpolitische Entscheidungen treffen zu müssen. Ein Verweis auf bestehendes Recht ist allemal besser zu verkaufen als eine aktive Entscheidung (um die zudem aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips immer härter gerungen werden muss) – auch, wenn damit Stabilität allenfalls im Sinne einer kontinuierlichen Erhöhung eintreten mag. Dies kann man auch als tiefen Einblick in die (medien-)politische Kultur verstehen.
Dass der in der Diskussion stehende Vorschlag ausgerechnet vor der nächsten Beitragsperiode, die 2021 beginnt, von den Ländern aktiv vorangetrieben wird, geschieht keinesfalls zufällig: Aktuell liegt der Beitrag nur aufgrund enormer Rücklagen – unter anderem aus dem Mehraufkommen nach der Umstellung auf den Beitrag gebildet – bei 17,50€. Zur nächsten Beitragsperiode steht nach aktuellem Verfahren eine deutlich spürbare Erhöhung ins Haus. Hier droht Ungemach wenigstens aus Sachsen, wo Ministerpräsident Kretschmer eine Nichtzustimmung seines Bundeslandes zu einer Erhöhung des Rundfunkbeitrags in Aussicht gestellt hat. Und über allem schwebt die Angst, die mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gerade zimperlich umgehende AfD könne bei einer Regierungsbeteiligung ab Sommer 2019 die Rundfunkstaatsverträge in Gänze in Frage stellen.
Das ABC-Modell – Auftrag, Budgetierung, Controlling
Den Vorschlag einer Indexierung des Rundfunkbeitrags brachte die ARD bereits 2016 in die Diskussion ein. Er wurde in einer Initiative der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein im Juni 2017 aufgenommen, der sich später auch Hamburg, Sachsen, Thüringen und Bremen anschlossen. Ihnen schritt die Arbeit in der von der Rundfunkkommission der Länder gegründeten AG „Auftrag und Strukturoptimierung“ nicht schnell genug voran. Neben der Indexierung des Beitrags anstelle einer regelmäßigen Bedarfsprüfung schlugen Sie eine Flexibilisierung des Auftrags vor, wobei nur noch die Hauptprogramme wie Das Erste, ZDF und die dritten Programme einen klar beschriebenen gesetzlichen Auftrag erhalten sollten. Für die übrigen Auftragsbestandteile wollte man auf das im Bereich der Telemedien etablierte Instrument des sogenannten Drei-Stufen-Tests zurückgreifen. Dieses Verfahren bei den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten beinhaltet die Überprüfung eines Vorhabens auf seine Befriedigung eines gesellschaftlichen Bedürfnisses, seinen Beitrag zum publizistischen Wettbewerb und den finanziellen Aufwand hin, gibt Dritten und Gutachtern die Möglichkeit zur Stellungnahme und schließt mit einer förmlichen Bestätigung durch die Rechtsaufsicht.
Die weitergehende Verlagerung der Vorkonkretisierung des Auftrags in diese Richtung würde also größere Teile des Konkretisierungsprozesses als bisher in die Hände der Anstalten bzw. ihrer Aufsichtsgremien legen. Was diese Mehrverantwortung langfristig für die Akzeptanz des ohnehin ständig unter Beschuss stehenden öffentlich-rechtlichen Rundfunks bedeuten würde, der dann nicht mehr auf zwingende politische Vorgaben verweisen kann und damit auch einen Maßstab für die Auftragserfüllung verlöre, ist leicht zu erahnen. Die Freude über diese Aussicht auf eine neue „Freiheit“ scheint dementsprechend auch verhalten.
Ganz nebenbei bemerkt scheint es nicht völlig ausgeschlossen, dass eine flexiblere Handhabung des Auftrags und eine Budgetierung im Sinne einer vollständigen oder weitgehenden Deckungsfähigkeit der momentan teilweise voneinander getrennten Positionen wie etwa Personal- und Programmhaushalt auch unerwünschte Verschiebungen weg vom Programm mit sich brächten.
Zur Indexierung selbst sind indes wenige Details an die Öffentlichkeit gelangt. So ist einerseits unklar, welcher Betrag die Basis darstellen soll. Andererseits ist nicht bekannt, für welchen Index – wie etwa die Inflationsrate oder den Verbraucherpreisindex – sich die Länder entscheiden werden. Unabhängig von beiden Punkten stehen aber einer (Voll)-Indexierung nicht nur politische, sondern auch rechtliche Bedenken gegenüber.
Rechtsprobleme der Indexierung und Auftragsflexibilisierung
Eine Indexierung ohne jegliche Kontroll- und Korrekturmöglichkeiten könnte gerade mit Blick auf die Bestands- und Entwicklungsgarantie keinesfalls die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine funktionsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erfüllen (so auch das Gutachten für den Privatsenderverband VAUNET). Schließlich bedeutete sie eine fixe Deckelung ohne die Möglichkeit, die Abdeckung eines Finanzbedarfes zur Entwicklung gerade im technischen aber auch im inhaltlichen Bereich zu berücksichtigen. Bereits das Erfordernis der Vorausplanung im Rahmen des aktuellen Festsetzungsverfahrens ist eine schwierige Aufgabe für die Anstalten. Sollte sich etwa zeigen, dass der Bedarf für Innovationen höher liegt – auch über einen ggf. im neuen Verfahren berücksichtigten „Entwicklungszuschlag“ hinaus – und dieser nicht durch Einsparungen gedeckt werden kann, so stünden die Anstalten zwangsläufig vor einer „Entweder-Oder-Entscheidung“, was in jedem Falle zu einer Nichterfüllung des verfassungsrechtlichen Funktionsauftrages aufgrund einer Unterfinanzierung führte und somit die Rundfunkanstalten in Ihrer Rundfunkfreiheit verletzte.
Wollte man diese Wirkung der faktischen Deckelung sicher vermeiden, müsste man bewusst eine Überkompensation des Auftrags der Rundfunkanstalten herbeiführen. Dies wäre allerdings mit den beihilferechtlichen Anforderungen der zweiten Rundfunkmitteilung der Kommission nicht vereinbar.
Das europäische Beihilfenrecht hält aber auch Hürden für den Vorschlag der Auftragsflexibilisierung bereit. Bereits im Einstellungsbeschluss aus dem Jahr 2007, dem sogenannten Beihilfekompromiss, betonte die Kommission mit Blick auf „neue Dienste“ die entscheidende Bedeutung einer klaren Auftragsdefinition „um ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Erbringung von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und der Schaffung gleicher Rahmenbedingungen für öffentliche und private Betreiber herzustellen und damit sicherzustellen, dass die Finanzierung neuer Mediendienste nicht dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft“ (Rn. 230). Sie ließ auch keinen Zweifel daran, dass „die Länder in letzter Instanz darüber (zu) befinden (haben), ob“ (Rn. 312) neue Angebote vom öffentlichen Auftrag umfasst sind.
Auch könne auf eine wirksame ex-post-Kontrolle nicht verzichtet werden (Rn. 315 ff.). Die im Beihilfenverfahren durch die Bundesrepublik gemachten Zusagen gelten bis heute. Eine dieser von der Kommission akzeptierten Zusagen betrifft den bereits erwähnten Drei-Stufen-Test, der aktuell lediglich für neue Telemedienangebot durchgeführt wird (oder auch nicht). Ob die Übertragung dieses Verfahrens auf weitere Tätigkeitsbereiche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und damit eine auch in diesen Bereichen gegenüber dem status quo weniger klare Auftragsdefinition von der Kommission akzeptiert würde, scheint zumindest fraglich. Denn für die Kommission war hier die Dynamik der neuen Dienste ausschlaggebend für die Abweichung von ihrer grundsätzlich strengen Linie in Sachen Auftragskonkretisierung (vgl. Rn. 371) und die Akzeptanz der lediglich förmlichen Bestätigung des Auftrags durch die Rechtsaufsicht.
Die Angst vor der Verantwortung
Eine Indexierung ohne Kontrollmechanismen dürfte es unmöglich machen, die Kriterien der zweiten Rundfunkmitteilung der Kommission, die als Maßstab eines Beihilfenverfahrens gelten würden, zu erfüllen. Dafür sprechen auch die insgesamt sehr detailliert auf die Rolle der KEF im Festsetzungsverfahren eingehenden Erwägungen der Kommission im zitierten Einstellungsbeschluss, sodass insgesamt bei Umsetzung des hier besprochenen Vorschlags erneut ein beihilferechtliches Kommissionsverfahren gegen die Bundesrepublik drohen könnte.
Zur Vermeidung der gezeigten rundfunkpolitischen und rundfunk-, verfassungs- und unionsrechtlichen Probleme müssten also umfassende Sicherungs- und Kontrollmechanismen eingezogen werden. Dies deutete auch Dreyer nach der Ministerpräsidentenkonferenz an und ließ dabei eine zukünftige Rolle der KEF nicht unerwähnt. Mit diesen Mechanismen, die wohl dem aktuellen Festsetzungsprozess gleichen werden, ist das Argument der Vereinfachung vollständig entkräftet.
Übrig bleibt dann nur die Flucht vor der Verantwortung der verfassungsrechtlichen Pflicht zur funktionsgerechten Finanzierung.
Hier ist die Alternative, eine direkt von Art. 20 GG (“Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und ABSTIMMUNGEN und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.”) abgeleitete Festlegungsmethode: https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/neue-wege/bausteine-direkter-demokratie-die-festlegung-einer-zahl/
Dort findet sich ein genau auf diesen Sachverhalt gemünztes Beispiel für die Festlegung dieser Steuer durch Volksentscheid inkl. Herleitung der prinzipiellen Mechanik zur Festlegung einer Zahl durch Volksentscheide.