27 July 2021

Die Grenzen des „entgrenzten Gerichts“

Von der Notwendigkeit verfassungsprozessualer Rahmenbedingungen – ein Kommentar zum IT-Sicherheitslückenbeschluss des BVerfG vom 8. Juni 2021

Mit Beschluss vom 8. Juni 2021 hat der Erste Senat eine Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen, die sich gegen die nach baden-württembergischen Polizeirecht zulässige Ausnutzung bisher unerkannter IT-Sicherheitslücken zur Infiltration von Spähsoftware im Rahmen der Gefahrenabwehr richtete. Die Entscheidung fügt sich in einen breiteren Trend der letzten Jahre, in dem das Gericht die verfassungsprozessualen Zügel gegenüber Rechtssatzverfassungsbeschwerden zunehmend enger zieht. Aus institutioneller Perspektive bestehen gewichtige Gründe für eine verfassungsgerichtliche Verschärfung der Darlegungsanforderungen in Schutzpflichtkonstellationen. Nicht jede – auch wichtige, spannende und „grundrechtswesentliche“ – Verfassungsfrage ist eine, die verfassungsgerichtlich beantwortet werden kann und sollte.

Verfassungsprozessuale Härten im öffentlichen Fokus

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen den neueingeführten § 54 Abs. 2 PolG BW. Die Beschwerdeführenden hatten gerügt, dass die Möglichkeit der Ausnutzung von Sicherheitslücken einen Anreiz für die Gefahrenabwehrbehörden schaffe, diese den Herstellern der jeweiligen IT-Infrastruktur nicht zu melden. Hierdurch sahen sie grundrechtliche Schutzpflichten verletzt, weil Dritte die Sicherheitslücken dann weiterhin – mit staatlichem Wissen – rechtswidrig infiltrieren könnten.

Das BVerfG stellt zwar fest, dass eine entsprechende grundrechtliche Schutzpflicht besteht und – wie von den Beschwerdeführenden vorgebracht – eine gesetzliche Regelung des Umgangs mit dem behördlichen Zielkonflikt erforderlich ist (Rn. 26-44), weist die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis aber als unzulässig zurück. Die Beschwerdeführenden hätten nicht ausreichend dargelegt, wie der gesetzliche Regelungszusammenhang für den Umgang mit behördlicherseits bekannt gewordenen Sicherheitslücken ausgestaltet ist. Das sei jedoch immer dann besonders vonnöten, wenn eine Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten geltend gemacht werde (Rn. 48-66). Es sei „nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, das Fachrecht eigenständig daraufhin auszuleuchten, inwiefern als Schutznormen in Betracht kommende Regelungen in einer Weise auszulegen sind, dass sie dem grundrechtlichen Schutzauftrag gerecht werden oder diesen aber verfehlen“ (Rn. 61). Zudem hätten es die Beschwerdeführenden versäumt, im Wege verwaltungsgerichtlicher Rechtsbehelfe die fachrechtlichen Anforderungen an den behördlichen Umgang mit ihnen bekannten IT-Sicherheitslücken abzuklären (Rn. 67-74). Nur wenn sich die Fachgerichte vorher mit der Sache befassen, sei zu vermeiden, „dass das Bundesverfassungsgericht auf tatsächlich und einfachrechtlich ungeklärter Basis entscheiden muss“ (Rn. 72).

Die mit diesem Ergebnis aufschimmernden verfassungsprozessualen Härten und Grenzen des Verfassungsprozesses und des Bundesverfassungsgerichts dürften für eine breitere Öffentlichkeit erstmals im Zuge der Corona-Pandemie sicht- und fühlbar geworden sein. Das Bürgergericht, das sonst so zugänglich und zupackend wirkt (s. BVerfG v. 29.4.2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. – Klimaschutzgesetz), hielt sich jenseits vereinzelter Interventionen zugunsten bestimmter Spezialgrundrechte (Art. 8; Art. 4) entschieden zurück. Stattdessen erledigten die Richter:innen fast alle Anträge und Beschwerden auf Zulässigkeitsebene (vgl. zuletzt hier und hier). Dadurch sind die institutionelle Rolle des Gerichts und deren inhärente Grenzen zuletzt immer wieder öffentlichkeitswirksam zum Gegenstand der Karlsruher Rechtsprechung geworden. Das in Laienkreisen verbreitete Vertrauen, jede Grundrechts- oder Verfassungsverletzung notfalls verfassungsgerichtlich abstellen zu können, ist so etwas brüchig geworden.

Darlegungslasten und Subsidiarität als Stellschrauben verfassungsprozessualer Zulassungspraxis

Dabei stehen die hier besprochene Entscheidung und die Corona-Praxis mit ihrem Fokus auf Rolle und Grenzen des „entgrenzten Gerichts“ (vgl. Jestaedt/Lepsius/Möllers/Schönberger, Das entgrenzte Gericht, 2011) keinesfalls allein. So kreisten gleich mehrere Entscheidungen über den Zugang zu lebensbeendenden Arzneimitteln im Gefolge der Paukenschlagentscheidung des Zweiten Senats zum Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe (Urteil des Zweiten Senats vom 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15) um ähnliche Fragen. Auch sie entledigten sich einer materiell-grundrechtlich diffizilen Frage – was genau sich aus dem auf Maßstabsebene weitreichenden Urteil des Zweiten Senats ergibt – im Wege der Zulässigkeit, insbesondere mit Verweis auf den Grundsatz der Subsidiarität. Eine Verfahrenserledigung unter Verweis auf nicht erfüllte Darlegungslasten gehört ohnehin zum verfassungsgerichtlichen Standardrepertoire. Argumentativer Ausgangs- und Ankerpunkt der Subsidiaritätserwägungen in den genannten Entscheidungen ist jeweils die Senatsentscheidung zur KFZ-Kennzeichenerfassung aus dem Jahr 2018 (BVerfGE 150, 309). Dort hatte das Gericht seine bisher großzügige Linie zu Gesetzesverfassungsbeschwerden verschärft, um eine Vorabklärung komplexer Sach- und Rechtslagen im fachgerichtlichen Verfahren zu erzwingen (Rn. 41 ff.). Vorläufer für diese Entscheidungslinie ist wiederum eine verfassungsgerichtliche Rechtsprechung aus dem Jahr 2007 (BVerfGE 115, 81), die für eine erhebliche Ausweitung verwaltungsprozessualer Feststellungsklagen in den Folgejahren den Anstoß gab (darauf reagierend BverwG v. 23.8.2007 – 7 C 13.06).

Diese Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts gegenüber Rechtssatzverfassungsbeschwerden hat gute Gründe – praktischer, institutioneller und legitimatorischer Art (s. näher zum Folgenden auch Möllers, Funktionen des Verfassungsprozessrechts, in: GS Heun, 2019, S. 149 ff.).

Spezialisierung und Arbeitsbelastung

Ganz pragmatisch betrachtet erlauben Auslastung und Entscheidungsbedingungen des Verfassungsgerichts es nicht, das gesamte unmittelbar wirkende gesetzliche Normmaterial erstmals verfassungsgerichtlich zu sichten, auszulegen, zu verknüpfen und auf seine Verfassungskonformität hin zu prüfen. Die Spezialisierung des Verfassungsgerichts im sogenannten österreichischen Modell beruht darauf, dass Fälle und Rechtslagen zunächst fachgerichtlich aufbereitet und sortiert werden. Erst auf dieser Grundlage kann die spezialisierte verfassungsgerichtliche Instanz sinnvoller Weise aktiv werden und etwas zu den verfassungsrechtlichen Maßstäben sagen. Wäre das anders, müsste das Gericht immer zunächst tief im Fachrecht graben und man könnte sich die spezialisierte – in bewusster Distanz zu Fachrecht und Fachgerichtsbarkeit stehende – Verfassungsgerichtsbarkeit sparen. Durch die fachgerichtliche Aufbereitung – oftmals in mehreren Instanzen – soll das verfassungsgerichtliche Verfahren rationalisiert und handhabbarer gemacht werden. Hierauf drängen der Grundsätze der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität.

Wie mühsam und umständlich es ist, komplexe gesetzliche Rechtslagen und darauf gründende Praktiken erstmals verfassungsgerichtlich aufzuarbeiten, zeigt insbesondere das Verfahren zur Auslandsfernmeldeaufklärung nach dem BNDG (BVerfGE 154, 152). Die nachrichtendienstliche – vielfach äußerst geheimnisumwobene – Praxis zu durchdringen und einen entscheidungsfähigen Sachverhalt zu erarbeiten, machte – so viel sei aus Sicht eines am Verfahren beteiligten Mitarbeiters verraten – einen ganz erheblichen Anteil der vorbereitenden und richterlichen Arbeit aus (zur Kritik in anderem Kontext s. Rusteberg). Dieser Aufwand kann nur in ganz seltenen Fällen vom Verfassungsgericht selbst erbracht werden. Im genannten Fall waren es die Intransparenz und Unabsehbarkeit der grundrechtlich Betroffenen und der Verfahrensfokus auf originär verfassungsrechtlichen Fragen (Grundrechtsgeltung im Ausland), weshalb das Verfassungsgericht nicht auf eine fachgerichtliche Klärung verwies.

Rationalisierende Klärung der Streitfrage

Ähnliche Funktionen der verfahrensermöglichenden Rahmung erfüllen die in der Entscheidung zu IT-Sicherheitslücken betonten Darlegungsanforderungen. Hier geht es nicht darum, Beschwerdeführende und deren rechtliche Vertretung zu gängeln und zu länglichen Ausführungen zu zwingen. Vielmehr soll auch dieses Erfordernis dafür sorgen, dass im verfassungsgerichtlichen Verfahren feststeht, worum es geht, wogegen genau sich eine Beschwerde richtet und aus welchen Gründen. Diese Fixierung des Entscheidungsgegenstands und des rechtlichen Streitstoffs ist auch für solche Verfahrensordnungen unentbehrlich, die wie das Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine gerichtlich verantwortete Tatsachenfeststellung (Amtsermittlung) vorsehen. Sie spitzt den Streit auf konkrete Fragen zu, die überhaupt erst gerichtlich geprüft und entschieden werden können. Oft klärt und entschärft die Engführung den Streit auch dadurch, dass sie der diffusen „Ungerechtigkeitserfahrung“, die im Ausgangspunkt eines Verfahrens steht, eine Form gibt. Denn nur eine halbwegs explizierte und geformte Sorge bzw. Beschwer kann man gerichtlich verhandeln und gegebenenfalls ausräumen. Die Spezifizierung des Streitstoffs, zu der die verfassungsprozessualen Darlegungsanforderungen zwingen, kann damit auch eine befriedende, weil klärende Wirkung haben. Befriedung wird nicht nur durch die gerichtliche Entscheidung, sondern schon zuvor durch das Verfahren geleistet. Der Zwang zur Spezifizierung sichert die Legitimität und Akzeptanz verfassungsgerichtlicher Entscheidungen auch in einer weniger menschenfreundlichen – aber wirksamen – Weise, auf die Niklas Luhmann hingewiesen hat: „Funktion des Verfahrens ist … die Spezifizierung der Unzufriedenheit und die Zersplitterung und Absorption von Protesten“ (Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl. 1975, S. 116). Denn die Zuspitzung des Streitstoffs führt zu einer Vereinzelung des Begehrens und der Beschwerdeführerin. Das Verfahren verhandelt dann nicht mehr die allgemeine – potentiell politische, weil alle angehende – Ungerechtigkeit, sondern einen einzelnen Fall, die spezifischen Gründe und Beschwernisse, die hier vorgetragen wurden. Damit verliert der Streit seine Bedeutung für Verfahrensunbeteiligte. Zugleich haben Dritte dann weniger Verständnis und gefühlte Gemeinsamkeit mit der Beschwerdeführerin. Nach dem Motto: „Ihr Problem ist nicht das meine; schließlich hat sie sich erklären können, hat aber trotzdem nicht Recht bekommen.“

Verschärfte Darlegungslasten als Kompensation des fehlenden Widerparts

Auch die klassische kontradiktorische Form gerichtlicher Verfahren bezieht ihre Berechtigung aus der Funktion gerichtlicher Verfahren, rechtliche Interessengegensätze zuzuspitzen, zu klären und – in letzter Konsequenz – auch zu entscheiden. Sie gewährleistet eine Klärung und Abarbeitung des Begehrten im mehrstufigen Prozess von Rede, Gegenrede und gerichtlichem Hinweis. Diese kontradiktorische Form – und damit eigentlich auch das Prozesshafte – fehlt in den meisten Verfassungsbeschwerdeverfahren. Mündliche Verhandlungen sind äußerst selten. Im Wesentlichen besteht das „Verfahren“ aus der Einreichung eines verfahrensbegründenden Schriftsatzes, der irgendwann gerichtlich abschlägig beschieden wird, oder aber in eine Zustellung an die Äußerungsberechtigten mündet. Im Fall der Gesetzesverfassungsbeschwerde erreicht das Gericht dann regelmäßig ein – dem Beschwerdeführer zuzuleitender – Schriftsatz der sachlich zuständigen Ministerialverwaltung, der die angegriffene Gesetzeslage zu verteidigen sucht. Mehr Verfahrensstoff ist mangels fachgerichtlicher Vorbefassung nicht vorhanden. Umso bedeutsamer ist dann aber der im verfahrensbegründenden Schriftsatz präsentierte und näher darzulegende und auszuarbeitende Streitstoff. Die teils überaus scharfen Darlegungsanforderungen in verfassungsgerichtlichen Verfahren, die von den hergebrachten Grundsätzen „iura novit curia“ („Das Gericht kennt das Recht.“) und „da mihi facta, dabo tibi ius“ („Gib mir die Fakten und ich gebe dir das Recht.“) nicht viel übriglassen, sind daher am besten als Kompensation des fehlenden kontradiktorischen Charakters des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu verstehen. Diese Spezifizierungs- und Begründungsanforderungen gehen weit über das hinaus, was in fachgerichtlichen Verfahren üblich und angebracht ist. Man wird sogar vermuten können, dass entsprechende verwaltungsgerichtliche Darlegungsanforderungen als Verletzung der Rechtschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) verfassungsgerichtlich beanstandet würden. Sie stehen aber im Verfassungsprozess in einem anderen Kontext, der sie rechtfertigt.

Dieser Zusammenhang zwischen Strenge der Darlegungsanforderungen und Beteiligtenpräsenz im gerichtlichen Verfahren zeigt sich auch an der notorisch restriktiven Handhabung richterlicher Vorlageentscheidungen seitens des Verfassungsgerichts (s. etwa BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats v. 18.7.2019 – 1 BvL 1/18 u.a.). Da das vorlegende Gericht nicht verfahrensbeteiligt ist, sondern nur durch seinen Vorlagebeschlusses den Anstoß des Verfahrens gibt, besteht dort der Extremfall eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens, in dem gar keine Beteiligten präsent sind, Anliegen spezifizieren und Einwänden begegnen können. Form und Zuschnitt des verfassungsgerichtlichen Verfahrens sind hier gänzlich auf den Vorlagebeschluss zurückgeworfen, was eine entsprechend strenge Zulassungspraxis fast zwingend macht.

Förmlichkeit der Rechtsform

All diese Förmlichkeiten haben gute theoretische Gründe: Gerichte – auch Verfassungsgerichte – handeln in einem durch Prozessrecht und faktische Grenzen (Personal- und Finanzausstattung) gezogenen Rahmen. Sie sind Institutionen, in denen und durch die die in Form des materiellen Rechts und der Grundrechte gemachten normativen Leitlinien Gestalt und Inhalt annehmen müssen (vgl. für den Verwaltungsprozess Buchheim, Actio, Anspruch, subjektives Recht, 2017; s. auch Möllers). Ein Verfassungsrecht ohne ein Verfahrensrecht, anhand dessen das materiell Gebotene festgestellt bzw. entfaltet wird, würde seine eigenen inhaltlichen Ansprüche auf Rechtstaatlichkeit evident verfehlen. Rechtliche Normen erhalten ihren rechtlichen Charakter gerade aus ihrer Formalisierung und der Umsetzung nach Regeln und in rechtlichen Verfahren (zur Formalisierung als allgemeine Funktionsbedingung von Normen Möllers, Möglichkeit der Normen, 2015, S. 271 ff.; zur besonderen Formalisierung rechtlicher Normativität qua Zwangsordnung s. Kelsen, Reine Rechtslehre, Studienausgabe der Zweiten Auflage 1960, 2017, S. 31 ff.,). Das zeigt sich besonders an den Grundrechten oder Staatsstrukturprinzipien, die nach ihrem unmittelbaren semantischen Gehalt oftmals kaum von entsprechenden moralischen Ansprüchen (Menschenwürde, Demokratie, Redefreiheit, Religionsfreiheit usw.) zu unterscheiden wären. Ein Verfassungsgericht, das als letzte Instanz der Rechtsordnung ohne verfahrensmäßige Einbettung und Formalisierung seinen Daumen über kaum spezifizierte, gerahmte und vorbearbeitete Begehren und vermeintliche Ungerechtigkeiten heben oder senken würde, wäre von einem Wächterrat kaum zu unterscheiden und eine zwangsläufig überforderte, irrationale und illegitime Institution. Besonders die Befugnis, im politischen Prozess zustande gekommene Gesetze inhaltlich beanstanden und aufheben zu können, setzt ein hohes Maß an Formalität, Selbstbeschränkung und Unterscheidbarkeit von eben diesem Prozess voraus. Diese Unterscheidbarkeit wird nicht nur durch die besondere Praxis juristischer Argumentation (siehe dazu Poscher, Wozu Juristen streiten, JZ 68 (2013), S. 1 ff.), sondern maßgeblich durch das Prozessrecht, das danach ablaufende Verfahren und dessen Üblichkeiten hergestellt. Die verfassungsgerichtliche Verschärfung der Darlegungsanforderungen in Schutzpflichtkonstellationen reagiert daher völlig zurecht auf deren besondere Eingriffsintensität und Entgrenzungsgefahr aus Sicht des politischen Prozesses.

Grenzen des Verfassungsgerichts

Für die skizzierten Zusammenhänge und den Eigenwert prozessrechtlicher Formen und Grenzen beweist das Bundesverfassungsgericht nicht immer dieselbe Sensibilität. Besonders die Inkorporation guter Teile des Staatsorganisationsrechts in den Art. 38 GG im Zuge der Lissabon-Entscheidung und die darauf gründende Entscheidungslinie haben entsprechende Kritik auf sich gezogen – u.a. aus dem Gericht selbst (BVerfGE 134, 366 – Sondervoten Lübbe-Wolf und Gerhardt). Auch die jüngste Entscheidung zum Klimaschutzgesetz geht – gerade wenn man sie mit Entscheidungen mancher anderer Höchstgerichte kontrastiert wie dem Schweizer Bundesgericht (vgl. für die Schweiz Bundesgericht v. 5.5.2020 – 1C_37/2019) – an die Grenzen dessen, was man legitimer Weise in gerichtlichen Verfahren aufbereiten und entscheiden kann und sollte. Jedenfalls wäre zu wünschen, dass das Verfassungsprozessrecht – in der breiten Öffentlichkeit wie im Fach selbst – als eine notwendige Bedingung und Rahmung einer legitimen verfassungsgerichtlichen Praxis wahrgenommen wird – nicht als lästige Hürde gegenüber der höchstrichterlichen Herstellung materiell-verfassungsgemäßer Zustände.


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