13 April 2019

Die Länder-Öffnungsklausel bei der Grundsteuer – ein Zauberwort in der Verhandlungsarena des Föderalismus

Das Gerangel um die Grundsteuer macht gerade dem Brexit Konkurrenz: Die Uhr tickt, und die Zeit vergeht, ohne dass sich bislang ein beschlussfähiger Kompromiss herausgebildet hätte. Im Fall der Grundsteuer werden seit Monaten laufend neue Reformmodelle vorgestellt, die von interessengeleiteten Gutachten zeitnah als verfassungswidrig, als sozial unverträglich, als zu komplex oder als zu aufwändig im Verfahren eingestuft werden. Ersetzt werden sie jeweils durch Alternativvorschläge, die bald das gleiche Schicksal ereilt. 

Im Unterschied zum Brexit lässt sich bei der Grundsteuer allerdings nicht über das Datum der Reform verhandeln. Denn nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 2018, in dem die bisherige Einheitsbewertung des Grundbesitzes für Grundsteuerzwecke für verfassungswidrig erklärt worden ist, muss der Gesetzgeber bis spätestens zum 31.12.2019 die Grundsteuer reformiert haben. Verstreicht dieses Datum, ohne dass zuvor eine Neuregelung der Grundsteuer verkündet worden wäre, so droht ihre Aussetzung. Für die Gemeinden, denen das Grundgesetz eine finanzielle Mindestausstattung zur Erfüllung ihrer stetig wachsenden Aufgaben garantiert, ist die Grundsteuer aber eine der wichtigsten Einnahmequellen. Sie ist insbesondere – und das ist in Zeiten gebremsten Aufschwungs von besonderer Bedeutung – weitgehend unabhängig von der Konjunktur, gewährleistet den Gemeinden also fest kalkulierbare Steuereinnahmen, für das Jahr 2020 in Höhe von immerhin 14 Milliarden Euro.

Die Eckpunkte des Grundsteuerkompromisses

Mit Spannung erwartet worden war daher der Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums zur Grundsteuer. Dieser wurde nun vor ein paar Tagen von Bundesfinanzminister Scholz vorgelegt, vom Kanzleramt dann aber zurückgewiesen – weil eine Länder-Öffnungsklausel fehlte. Die politische Diskussion geht damit in eine neue Runde. Dabei hieß es bereits Anfang Februar, die Finanzminister von Bund und Ländern hätten sich auf Eckpunkte eines Kompromisses geeinigt, die binnen weniger Wochen in einen Gesetzentwurf münden würden. In der Sache schienen jedenfalls zuvor diskutierte, wertunabhängige Modelle („WUM“), die sich nur an der Fläche des Bodens oder des Gebäudes orientieren, erledigt. Durchgesetzt hatte sich nach Medienberichten ein wertabhängiges Modell („WAM“), eine Art Aktualisierung der alten Einheitsbewertung.

Schon bald nach Bekanntwerden dieser Eckpunkte wurden jedoch vor und hinter den Kulissen neue Probleme aufgeworfen und alte Fragen neu gestellt. Sie kreisen um die Festsetzung der Bodenrichtwerte, die in die Bemessungsgrundlage eingehen sollen. Es geht aber auch um die Ermittlung des Grundstückwerts, der weiterhin im Ertragswertverfahren erfolgen soll und sich durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete ergibt. Hier soll grundsätzlich auf amtlich ermittelte Durchschnittsmieten abgestellt werden. Zu kompliziert erscheinen manchen jedoch die Ausnahmen, die für besonders niedrige tatsächliche Mieten vorgesehen sind. Zudem drohen jeweils eigene Bewertungsprobleme bei gemischt genutzten Grundstücken, bei Geschäftsgrundstücken und bei land- und forstwirtschaftlichen Objekten. Im Zentrum der Diskussion steht aber die pauschale Anknüpfung an Nettokaltmieten aus dem Mikrozensus. Wer wird auf der Grundlage eines solchen Modells bei stetig steigenden Mieten in Ballungszentren letztlich wirtschaftlich belastet? Soll Städten mit mehr als 600 000 Einwohnern ein Zuschlag zur Berücksichtigung unterschiedlicher Wohnlagen gewährt werden? Was lässt sich pauschalierend vereinfachen, wo bedarf es regionalspezifischer Lösungen?

Die Frage nach der Öffnungsklausel

So hat eine zunehmend verworrene Sachdiskussion um die Bemessung des Bodenwerts vor einigen Wochen ein neues Zauberwort hervorgebracht, das jetzt immerhin die politische Schlagkraft hatte, den Weg des aktuellen Gesetzentwurfs ins Bundeskabinett zu blockieren: die Öffnungsklausel. Ohne eine solche zugunsten der Länder – so der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Söder – werde die CSU der Grundsteuerreform nicht zustimmen. Die Kanzlerin hat Sympathien für eine Länder-Öffnungsklausel verlautbaren lassen, das Meinungsbild unter den Ministerpräsidenten und Finanzministern der Länder ist uneinheitlich. Tendenziell wird eine Länderöffnungsklausel eher von unionsgeführten Ländern favorisiert, es gibt aber auch unter diesen einige, die sie strikt ablehnen. Manche Finanzminister halten sie für verfassungswidrig .

Was genau unter Öffnungsklausel im Bereich der Grundsteuer derzeit verstanden wird, ist den politischen Äußerungen schwer zu entnehmen. Immerhin lassen sich die unterschiedlichen Vorstöße in drei Gruppen einteilen – schlagwortartig gekennzeichnet als kleine Öffnungsklausel, große Öffnungsklausel und Länderzuständigkeit.

Kleine Öffnungsklausel

Eine kleine Öffnungsklausel berücksichtigt die Länder im Grundsteuerverfahren nur punktuell. Ausgehend von der Grundsteuererhebung in drei Schritten – erstens: Ermittlung des Grundstückwerts, zweitens: dessen Multiplikation mit einer Steuermesszahl, drittens: Anwendung des Hebesatzes durch die Gemeinden – wäre insbesondere eine landesspezifische Festlegung der bislang bundeseinheitlich bestimmten Steuermesszahl, also des zweiten Erhebungsschritts, möglich. Eine solche kleine Öffnungsklausel könnte ohne Grundgesetzänderung in das mit einfacher Parlamentsmehrheit zu beschließende Grundsteuergesetz eingefügt werden. Steuersystematisch wäre sie kein Fremdkörper – weder im Grundsteuersystem noch mit Blick auf andere Steuerarten. Denn bereits im geltenden Grundsteuerrecht wird zwischen dem Ertragswertverfahren in den alten und demjenigen in den neuen Bundesländern differenziert. Seit der Föderalismusreform I aus dem Jahr 2006, die eine Stärkung der Länder durch Entflechtung von Kompetenzen erreichen wollte und immerhin teilweise zu verwirklichen vermochte, gibt es zur Grunderwerbsteuer unterschiedliche Steuersätze: gestaffelt von 3, 5 % in Bayern bis zu 6, 5 % in Thüringen.

Große Öffnungsklausel

Eine große Öffnungsklausel würde dort ansetzen, wo die steuerpolitische Diskussion um die Reform der Grundsteuer ihren Ausgangspunkt nahm: bei den unterschiedlichen Modellen zur Bewertung des Grundstückswerts. Sie würde den Ländern also erlauben, statt des vom Bund eingeschlagenen Wegs einer wertabhängigen Bestimmung des Grundstückswerts („WAM“), diesen wertunabhängig zu ermitteln, also nur nach Fläche und Größe des Gebäudes („WUM“). In diesem Sinn lässt sich der Vorstoß des Bayerischen Finanzministers zu einer „umfassenden Länder-Öffnungsklausel“ wohl verstehen. 

In der Sache entspräche eine wertunabhängige Ausgestaltung der Grundsteuer deren steuerrechtlicher Legitimation jedenfalls mehr als das auf Bundesebene derzeit vorgesehene Modell. Denn rechtfertigen lässt sich die Grundsteuer heute nur noch damit, dass durch sie Aufwendungen der Gemeinden für solche Infrastrukturleistungen kompensiert werden sollen, die gerade durch die Nutzung des Grundbesitzes ausgelöst werden, etwa Straßen oder Grünanlagen. Zusätzlich zu den Gebühren und Beiträgen, welche die Gemeinden dafür erheben können, etwa Müllgebühren oder Kurbeiträge, sollen sie pauschal den Ertrag einer Steuer auf den Grundbesitz abschöpfen. Dagegen hat die Grundsteuer gerade nicht die Funktion, eine gesteigerte, durch Grundbesitz vermittelte Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu treffen. Diese Aufgabe erfüllt heute die Einkommensteuer als Personensteuer, bei der denn auch die Berücksichtigung individueller Besonderheiten geradezu Programm ist – von der Abzugsfähigkeit von Betriebsausgaben und Werbungskosten über den Einbezug von Sonderausgaben bis zu unterschiedlichen Steuersätzen. Wenn die Grundsteuer im Anschluss an den Zugriff der Einkommensteuer den mittels ihrer Einkünfte erworbenen Grundbesitz zum Steuerobjekt macht, handelt es sich daher im Grunde um eine Doppelbesteuerung des Steuerpflichtigen. Daher lässt sich diese Steuer schon als solche nur schwer rechtfertigen, gerade wenn sie auf die Mieter umgelegt wird. Vor allem aber ist der Maßstab möglicher sozialer Staffelungen wesentlich ungenauer als derjenige der Einkommensteuer, mit der sich zielgerichtet durch Steuerermäßigungen etwa Alleinerziehende oder kinderreiche Familien entlasten ließen. Mit guten Gründen plädiert daher ein Großteil der Steuerrechtswissenschaft für eine generelle Abschaffung der Grundsteuer und deren Ersetzung durch alternative Einnahmequellen der Gemeinden. Verfassungsrechtlich wäre der Verzicht auf die Erhebung der Grundsteuer ohne weiteres möglich, da das Grundgesetz nur eine Verteilungsregel zur Grundsteuer enthält, nicht aber deren Erhebung vorschreibt. Politisch ist ein Abschaffungsszenario zur Grundsteuer jedoch unrealistisch. Denn wie sich zuletzt in der Diskussion um die Gewerbesteuer gezeigt hat, sind die Gemeinden nicht bereit, auf ihre traditionellen Einnahmequellen zu verzichten. Insbesondere wollen sie sich nicht auf Alternativmodelle einer stärkeren Beteiligung an den Erträgen der Einkommensteuer einlassen. 

Zur Ausgestaltung der Grundsteuer lässt sich jedenfalls festhalten, dass diese nicht zwingend wertabhängig zu erfolgen hat. Es handelt sich bei der Frage einer wertabhängigen oder wertunabhängigen Ausgestaltung der Grundsteuer vielmehr um eine politische Entscheidung für oder gegen eine Doppelbelastung bestimmter Personenkreise. Mit Blick auf das sozialstaatliche Anliegen der Verringerung der Schere zwischen arm und reich treffen wertabhängige Grundsteuermodelle teils „die Richtigen“, in vielen Fällen, gerade in Zeiten steigender Mieten, aber auch „die Falschen“. Eine politische, demokratisch zu legitimierende Entscheidung – und um eine solche handelt es sich bei der Frage nach der Wertabhängigkeit – sollte in einem föderal organisierten Gemeinwesen aber auf derjenigen staatlichen Ebene getroffen werden, die den Sachproblemen am nächsten ist. Dies sind im Fall der Grundsteuererhebung die Länder. 

Verfassungsrechtlich würde eine große Öffnungsklausel allerdings ein Kompetenzproblem aufwerfen: Die Grundsteuererhebung durch den Bund beruht gegenwärtig auf der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Art. 125a Abs. 2 GG. Moderate Reformmodelle hielten sich noch in diesem Rahmen, der das alte Recht in Bezug nimmt. Ein Modellwechsel durch den Bund, aber auch durch die Länder im Rahmen einer großen Öffnungsklausel, würde dagegen eine Grundgesetzänderung erfordern. Ob sich dafür derzeit hinreichende Mehrheiten finden, erscheint fraglich.

Föderalisierung der Grundsteuer

Die dritte Form der Öffnung wäre eine vollständige Föderalisierung der Grundsteuer, d.h. ihre Überantwortung in die Zuständigkeit der Länder. Mit diesem Anliegen hatten sich am 4. März sechzehn Professoren des Steuerrechts in einem offenen Brief an den Bundesfinanzminister gewandt. Steuersystematisch wäre dies – wenn man die Grundsteuer nicht gänzlich abschaffen will – der richtige Weg. Denn der Ertrag der Grundsteuer steht nach dem Verteilungssystem des Grundgesetzes den Gemeinden zu. Diese sind im bundesstaatlichen Aufbau aber den Ländern zuzurechnen, gerade nicht dem Bund. Vor allem aber rechtfertigt die Sachnähe dieser Realsteuer eine Zuständigkeit der Länder: Diese sind näher dran an der Festlegung der Bodenrichtwerte in ihrem Gebiet, und sie übersehen die Staffelungen der Mietstufen in ihren Städten genauer als dies von Berlin aus erfolgen kann. Insbesondere haben sie aber einen deutlicheren Einblick in die Gegebenheiten vor Ort, können also etwa in Großstädten klar erkennen, wann es wo Bedarf für soziale Staffelung gibt. Demgegenüber überzeugt der Gesichtspunkt, ein Grundsteuer-Flickenteppich sei zu vermeiden, in einem Bundesstaat nicht. Denn Flickwerk ist notwendige Kehrseite föderaler Vielfalt – von der Bildung über die öffentliche Sicherheit bis zur Grundsteuer.

Die Verhandlungsarena des Förderalismus

Unter steuersystematischem wie verfassungsrechtlichem Blickwinkel wäre eine vollständige Föderalisierung der Grundsteuer daher die beste Lösung. Die zweitbeste Option wäre eine große Öffnungsklausel. Politisch realisierbar erscheint aber wohl keine dieser Lösungen. Die Länder-Öffnungsklausel dürfte in den Mühlen des politischen Prozesses zerrieben werden und allenfalls als kleine Öffnungsklausel überleben. Wie dies vor kurzem bei den Finanzhilfen des Bundes für den Digitalpakt zu beobachten war, wird das Interesse der Länder an der Verteidigung ihrer föderalen Eigenständigkeit spätestens dann enden, wenn der Bund mit finanziellen Gaben winkt – zu welchem dazu geschnürten Politikbereich auch immer. In der langen Diskussion um die staatstheoretische Legitimation des Bundesstaatsprinzips ist damit ein Tiefpunkt erreicht: Die Beteiligung der Länder ist nur noch Verteilungsmasse in der Verhandlungsarena des Föderalismus.




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