Durchsuchungen von Bundesministerien, eine Pressemitteilung und der Bundestagswahlkampf
Der Bundestagswahlkampf ist in seine finale, heiße Phase eingetreten. Die Umfrageergebnisse dürften für manche Akteure überraschend sein. Die Nerven vieler Beteiligter liegen blank. Auch wenn man diese Umstände in Rechnung stellt, ist die auf richterlichen Beschluss erfolgte Durchsuchung von zwei Bundesministerien bemerkenswert. Noch bemerkenswerter ist eine Pressemitteilung der zuständigen Staatsanwaltschaft Osnabrück. Mitgeteilt wird, dass in dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Osnabrück wegen Strafvereitelung im Amt gegen Verantwortliche der Financial Intelligence Unit (FIU) Beamte der Zentralen Kriminalinspektion Osnabrück und der Staatsanwaltschaft Osnabrück die Amtsräume des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz durchsucht hätten. Ziel der Durchsuchungen sei die weitere Aufklärung eines Straftatverdachts und insbesondere individueller Verantwortlichkeiten. „Es soll unter anderem untersucht werden, ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren.“
Diese Pressemitteilung kann nur so verstanden werden, dass die Untersuchung der Staatsanwaltschaft sich jedenfalls auch gegen die Leitung und die Verantwortlichen der beiden Ministerien richtete. Ein solcher Vorwurf ist im Wahlkampf von hoher Brisanz. Noch brisanter ist aber, dass die Staatsanwaltschaft tatsächlich nicht eine Untersuchung beim Verdächtigen (§ 102 StPO), sondern bei unverdächtigen Dritten (§ 103 StPO) beantragt und der zuständige Richter auch nur eine solche Untersuchung angeordnet hat. Die Pressemitteilung ist also falsch. Zu den Amtspflichten von Pressesprechern und Behördenleitern gehört es aber, Pressemitteilungen der Wahrheit entsprechend zu verfassen. Die Öffentlichkeit und die Medien müssen zur Sicherung der Informationsfreiheit zuverlässig und zutreffend über das Behördenhandeln informiert werden. Nur wahrheitsgemäße Informationen erlauben es ihnen, sich im öffentlichen Diskurs frei ihre eigene Meinung zu bilden. Das gilt in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes besonders in Zeiten des Wahlkampfs, wenn verschiedene Parteien miteinander im Wettstreit um eine neue demokratische Legitimation für ihre politische Arbeit stehen. Wer unzutreffende Pressemitteilungen zulasten eines Teilnehmers am politischen Wettbewerb herausgibt, verletzt seine Amtspflichten und handelt rechtswidrig.
Das gilt ganz unabhängig von der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung selbst. Insoweit bestehen durchgreifende Zweifel an der erforderlichen Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung. Eine Durchsuchung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur zulässig, wenn nicht andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in jedem Verfahrensstadium das jeweils mildeste Mittel anzuwenden (BVerfG, B. v. 29.2.2012, 2 BvR 1954/11, Rn. 19). Nach unwidersprochen gebliebenen Pressemitteilungen ist der Staatsanwaltschaft bereits Ende Juli seitens der zuständigen Ministerialbeamten die Überlassung der gewünschten Informationen angeboten worden. Voraussetzung sollte nur ein schriftlicher Antrag sein. Da in einem Bundesministerium schon wegen des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kein Beweismittelverlust zu befürchten ist, hätte die Staatsanwaltschaft einen solchen Antrag ohne weiteres und ohne jegliche Gefährdung ihres Ermittlungsverfahrens stellen können. Sie durfte und musste davon ausgehen, dass die beiden Bundesministerien sie im Wege der Amtshilfe in ihren Ermittlungen unterstützen würde. Für das scharfe Schwert einer Durchsuchung ist kein Anlass ersichtlich. Sie war nicht erforderlich und deshalb rechtswidrig. Das wird noch eine Rolle spielen, wenn von der Strafjustiz geklärt wird, ob die Veröffentlichung eines Teils des Durchsuchungsbeschlusses durch einen Betroffenen nicht in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt ist.
Mit Verlaub, ich finde es von einem Juristen und anerkannten Verfassungsrechtler etwas befremdlich, einen komplizierten Vorgang nur anhand eines auf Twitter von einem Staatssekretär geposteten Beschlussschnipsels als rechtswidrig bewerten zu wollen. Etwas faden Beigeschmack hat dies noch dazu, wenn mit einer scheinbaren Gewissheit, aber ohne jede Sachverhaltskenntnis unterstellt wird, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch StA und Gericht missachtet worden sei. Wie sowas den Weg auf den Verfassungsblog finden kann, lässt mich zumindest etwas fragend zurück.
Mit Verlaub, der Vorgang ist nicht kompliziert. Die Sache stinkt schlicht und ergreifend zum Himmel. Eine StA, die einfach mal so zwei Bundesministerien als “Dritte” durchsucht. Und das mit einer solchen PM zwei Wochen vor der Wahl. Und dann noch ein weiteres Verfahren hinterher, um die öffentliche Richtigstellung der Falschbehauptung zu unterdrücken. Leben wir in Russland?
Wir leben nicht in Russland. Daher hat auch ein Richter den Beschluss erlassen.
Wieland kennt den vollständigen Beschluss nicht; subsumiert aber hierunter die Rechtswidrigkeit und die Pressemitteilung. Respekt.
Wir lernen auch: Durchsuchungen sind bei Behörden grundsätzlich unverhältnismäßig, da diese an Recht und Gesetz gebunden sind
“Da in einem Bundesministerium schon wegen des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kein Beweismittelverlust zu befürchten ist, ” – komisch, wieso stellt jeder PUA fest, dass Akten vernichtet worden sind? Wie https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/fiu-103.html zeigt, hat das BMF Vorgaben des BMJV ignoriert und es gibt noch mehr Facetten als in der Pressemitteilung steht. Eine Wertung “rechtswidrig” sollte nur auf Basis aller Fakten getroffen werden und nicht während des Prozesses.
wenn die Durchsuchung so offensichtlich unverhältnismäßig sein soll, warum hat dann das Gericht diese erlaubt?
Bekanntlich muss ein Amtsrichter die „Verhältnismäßigkeit“ nicht prüfen . Da hier wie beschrieben nur eine „Durchsuchung“ nach §103 beantragt wurde , war auch diese weniger kritisch. Zum Thema wurde es doch erst aus folgenden Gründen : 1) Presse wurde vorab informiert ( nicht jedoch die Ministerien), 2) es wurde durch die eigene Pressemitteilung suggeriert , dass die „Durchsuchung“ nach §102 erfolgt. Nun weiß man seit gestern ( Sueddeutsche Zeitung) , dass die Osnabrücker Staatsanwälte nach eigenem Bekunden auf dem Bericht „ Keine Durchsuchung durchgeführt“ angekreuzt haben . Fazit: Praktisch wurde das erreicht , was man in der Tat auch bei sachlich korrekter Kooperation zwischen Exekutivorganen erreicht hätte . Warum dies in diesem Fall nur mit der erfolgten „Medienaufruhr“ ging , kann und muss jeder für sich bewerten.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bindet als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips alle staatliche Gewalt und muss natürlich auch vom Gericht beachtet werden. Wie kommen Sie darauf, dass das Gegenteil der Fall wäre?
Ein Amtsrichter muss bei der Genehmigung einer Durchsuchung nicht die Verhältnismäßigkeit prüfen? Was soll dann der Richtervorbehalt bringen?
Vielleicht hat die StA in die Akte geschrieben, das Ministerium habe sich auf Anfrage geweigert, die Informationen herauszugeben? Das wäre nicht gelogen, sondern nur gefärbt dargestellt, und das würde ich einer StA schon zutrauen, anders als eine Lüge.
“Noch brisanter ist aber, dass die Staatsanwaltschaft tatsächlich nicht eine Untersuchung beim Verdächtigen (§ 102 StPO), sondern bei unverdächtigen Dritten (§ 103 StPO) beantragt und der zuständige Richter auch nur eine solche Untersuchung angeordnet hat.” Eine Frage unter StPO-Laien: Warum ist das brisant? § 103 StPO stellt doch strengere Anforderungen als § 102 StPO. Außerdem scheint Herr Wieland anzunehmen, dass sich die Durchsuchung auf Räume erstreckte, die den möglichen Verdächtigen selbst persönlich zugeordnet waren.
Der Unterschied zwischen dem Wortlaut und der Zielrichtung des Durchsuchungsbeschlusses nach §102 StPO und dem Wortlaut und der Zielrichtung der Presseerklärung der Staatsanwaltschaft ist schon frappierend und müsste eigentlich umgehend zu einer Richtigstellung und Entschuldigung führen.
Der Unterschied zwischen Durchsuchungsbeschluss und Presseerklärung ist womöglich nur für diejenigen frappierend, die sich in der StPO nicht auskennen. Herr Wieland scheint anzunehmen, dass der Durchsuchungsbeschluss bei einem Verdacht gegen Personen aus der Ministerumsleitung auf § 102 StPO hätte gestützt werden müssen. § 102 StPO hätte nach meinem Verständnis aber nur die Durchsuchung der persönlichen Räume der Verdächtigen erlaubt. Für alle anderen Räume des BMF (es sind ja gewiss nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses verdächtig) ist allein die strengere Regelung des § 103 StPO die richtige Grundlage. Wenn bei einem auf § 103 StPO gestützten Beschluss auch Räume von Personen durchsucht werden, die sich als Verdächtige erweisen, ist der Beschluss außerdem jedenfalls nicht aus diesem Grund rechtswirdrig. Die Wahl von § 103 StPO könnte daher schlicht damit zu erklären sein, dass man beim Durchsuchungsbeschluss auf der sicheren Seite sein wollte. Sie bedeutet, wenn das zutrifft, aber nicht, dass die StA niemanden im BMF für verdächtig hielt. Auf diesen Punkt bezieht sich meine – an StPO-Kundige gerichtete – Frage. Ich verstehe i.ü. sehr wohl, dass die Umstände der Ermittlungen ein ungutes Gefühl wecken. Aber ich bezweifle, dass Herr Wieland uns hier den Beweis geliefert hat.
§ 102 StPO lässt auch die Durchsuchung bei Unverdächtigen zu, soweit ein Verdächtiger Mitgewahrsam am Durchsuchungsgegenstand hat. Die Frage ist aber weniger, ob § 102 StPO und § 103 StPO wirklich in einem Stufenverhältnis stehen. Es geht darum, ob die Angaben des Durchsuchungsbeschlusses bzw dem Antrag dazu dem tatsächlichen Willen der StA entsprechen. Die StA darf das Ermittlungsverfahren nicht unzulässig lange gegen Unbekannt halten und sie muss dem Ermittlungsrichter bei Antrag alles auf den Tisch legen.
Das ist problematisch, weil sich mit der Pressemitteilung die Frage stellt, ob der ErmRi getäuscht wurde. Der Richtervorbehalt wird sonst umgangen.
Sie schreiben “Da in einem Bundesministerium schon wegen des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kein Beweismittelverlust zu befürchten ist…”
Das finde ich als Argument etwas schwach. Mit diesem Argument könnte man das kontradiktorische Strafverfahren und auch die gesamte Verwaltungsgerichtsbarkeit aufheben.
Und ich merke gerade, dass das Argument auch zirkelschlüssig ist. Denn auch die StA ist an das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden. Warum dann davon ausgehen, dass hier unverhältnismäßig gehandelt wurde (bzw, warum überhaupt Richtervorbehalt?)?
Das kommt auf die konkrete Situation und die Art der Informationen an, nach denen man sucht. Weil das BMF die Informationen nicht auf telefonischen Zuruf rausgeben wollte, ging die StA wohl davon aus, dass man dem BMF nicht trauen kann. Das halte ich für sehr gewagt.
Grundrechte, subjektive Rechte generell und das kontradiktorische Strafverfahren sind Ausdruck eines Misstrauens gegenüber der Staatsgewalt.
LG Neubrandenburg NJW 2010, 691 zur VHM bei Durchsuchung beim Nichtverdächtigen:
“Durchsuchung und Beschlagnahme bei Insolvenzverwalterin
StPO § 103
Nach § 103 StPO kann bei einem Unverdächtigen die Durchsuchung angeordnet werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen zu vermuten ist, dass bestimmte, als Beweismittel dienende Gegenstände sich in dessen Räumen befinden. Jedoch ist bei der Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme bei einem unverdächtigen Insolvenzverwalter äußerste Zurückhaltung geboten.”
“Jedoch ist bei der Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme bei einer unverdächtigen Insolvenzverwalterin äußerste Zurückhaltung geboten (vgl. LG Berlin, ZinsO 2008, 865 = BeckRS 2009, 06178; LG Potsdam, ZIP 2008, 287 = BeckRS 2007, 16068). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, in jedem Verfahrensstadium das jeweils schonendste Mittel anzuwenden. Die Ermittlungsbehörden hätten hier die Möglichkeit gehabt, von der Insolvenzverwalterin Einblick in die Geschäftsunterlagen zu verlangen und entsprechende Kopien anzufordern. Der Insolvenzverwalter als unabhängige Rechtsperson, die Amtspflichten trifft, ist ohnehin verpflichtet, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren.”
Gerade im Spiegel gelesen: aus Polizeikreisen wird vermeldet, dass die Iniative von der StA kam und die Polizei von der Durchsuchungsmaßnahme überrascht war. Wer weiß, wie Ermittlungsverfahren laufen, weiß auch, dass das extrem ungewöhnlich ist. Normalerweise treibt die Polizei die StA an, und die StA stellt die Anträge oder bremst die Polizei ein bisschen ein. Das ist natürlich keine Smoking gun für einen politischen Hintergrund, aber die Merkwürdigkeiten häufen sich. Dasselbe gilt dafür, dass der Richter lange als Staatsanwalt in derselben Behörde beschäftigt war. Natürlich ist auch das nichts Schlimmes und spricht nicht für ein Komplott – eine zu unkritische Haltung kann sich in solchen Grenzfällen aber schon auswirken. Muss natürlich nicht so sein, aber wie gesagt, die Merkwürdigkeiten häufen sich. Erst anrufen (macht man nicht, wenn man Angst vor Beweismittelverlust hat), dann „durchsuchen“, dann nur das mitnehmen, was freiwillig rausgegeben wird.
Man mag durchaus daran zweifeln, dass sich Behörden durch das Gesetzlichkeitsprinzip an der Beweisvernichtung hindern lassen. Zu beachten ist insofern vor allem das immense Gewicht, das die Aufdeckung rechtswidrigen Handelns eines SPD-Bundesministerium zu diesem Zeitpunkt hätte. Die Ergebnisse bisheriger Untersuchungsausschüsse, die ja auch schon von JG angebracht wurden, zeichnen da meines Erachtens ein klares Bild von einem offensichtlichen Interessenkonflikt.
Andererseits ist es schlichtweg unmöglich, dass sich der Leitende Oberstaatsanwalt der politischen Tragweite seines Handelns nicht bewusst war – war er doch vor einiger Zeit selbst kommunalpolitisch für die CDU tätig geworden. Um zu beurteilen, ob die Durchsuchung rechtmäßig war, sollte man aber wohl zuallererst die vollständige Veröffentlichung des Beschlusses abwarten.
Bereits damals fand ich Ihren Artikel sehr lesenswert. Auch damals war schlicht bereits klar was für ein ekliges Spiel dort gespielt wird… Das Timing, der Inhalt… Einfach nur eklig wie Jusitz für Wahlkampf scheinbar missbraucht wurde. Wie sich herausstellte war es noch deutlich absurder und unnötiger als damals vermutet… In meinen Augen hat sich die CDU/CSU dort Dinge geleistet die an düsterste Bananenrepublik oder House of Cards erinnern… Es ist gut, dass diese Art v on Politik hoffentlich die nächsten Jahre nicht mehr in Deutschland regiert…
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/osnabrueck_emsland/Razzia-im-Justizministerium-war-laut-Landgericht-rechtswidrig,durchsuchung274.html