14 November 2018

Ecclesia rules the waves: der Vatikan als Flaggenstaat privater Rettungsschiffe im Mittelmeer?

Ende September sorgte ein von der deutschen NGO Mission Lifeline auf Twitter veröffentlichtes Schreiben der Apostolischen Nuntiatur in Deutschland für Aufsehen. Darin antwortete die Nuntiatur auf eine Anfrage des Kapitäns des im Hafen von Valletta (Malta) festgesetzten Rettungsschiffes Lifeline, diese unter der Flagge des Vatikans zu registrieren. Dieser Bitte gab die Nuntiatur im Auftrag des Staatssekretariats des Vatikans nicht statt. Der Vatikan begründete die Versagung damit, dass die Lifeline „keine tatsächliche Beziehung zum Vatikanstaat” habe. Der Vatikan könne seine „eigene Zuständigkeit” über die Lifeline nicht ausüben und nicht „die Immunität von Besatzung und Passagieren gewährleisten”. So erstaunlich die Idee einer Beflaggung durch den Vatikan im ersten Moment klingen mag: Ganz abwegig ist sie nicht. Im Jahr 1951 hat der Vatikanstaat tatsächlich unter dem Eindruck des Elends des zweiten Weltkriegs ein eigenes Schiffsregister eingerichtet, das der Beflaggung von Schiffen zu humanitären Zwecken (etwa dem Transport von Hilfsgütern) dienen sollte. Bisher wurde das Register aber noch nicht genutzt.

Hintergrund der Anfrage von Mission Lifeline ist der steigende politische Druck, dem NGOs ausgesetzt sind, die im Mittelmeer Seenotrettung betreiben. Einige EU Küstenstaaten, allen voran Italien und Malta, verweigern den Schiffen der NGOs die Hafeneinfahrt mit geretteten Personen an Bord. Schiffe, die in italienische oder maltesische Häfen einfuhren, wurden teilweise festgesetzt. Zeitweise waren vier Schiffe mit unterschiedlicher Begründung in italienischen und maltesischen Häfen festgesetzt. Bei der Sea-Watch 3, der Lifeline und der Seefuchs wurde die Festsetzung von den lokalen Behörden auf eine fehlerhafte Registrierung der Schiffe gestützt. Die Sea-Watch 3 durfte mittlerweile nach Bestätigung ihrer Registrierung durch niederländische Behörden aus dem Hafen von Valletta auslaufen. Die Lifeline und die Seefuchs sind im Gegensatz zur Sea-Watch 3 aber nicht im niederländischen Flaggenregister eingetragen, sondern werden als Sportboote geführt. Die Niederlande bestreiten mittlerweile, dass Einträge ins Sportbootregister zum Führen der niederländischen Flagge berechtigen. Im Fall der Lifeline steht Kapitän Claus-Peter Reisch daher in Malta vor Gericht, weil die Dokumente der Lifeline aus diesem Grund beim Einlaufen in den Hafen falsch gewesen seien.

Die Registrierungproblematik wird auch am Fall des von den NGOs SOS Méditerranée und Médecins Sans Frontières betriebenen Schiffes Aquarius deutlich. Bei der Aquarius kam es ganz offiziell und gleich zweimal zur Rücknahme der Registrierung durch den Flaggenstaat (erst Gibraltar und später Panama), sodass das Schiff derzeit ohne Flagge im Hafen von Marseille liegt. Zusammengenommen haben die Maßnahmen gegen die NGOs dazu geführt, dass sich nach unserem Kenntnisstand derzeit kein privates Rettungsschiff mit nennenswerten eigenen Rettungskapazitäten mehr auf See befindet. Es überrascht also nicht, dass sich die NGOs mittlerweile nach kreativen Lösungen für die Flaggenproblematik umsehen.

Grundsätzlich hat jeder Staat unabhängig vom Bestehen eines Meereszugangs das Recht, Schiffe zu beflaggen und ihnen damit seine Nationalität zu verleihen. Das gilt auch für den Vatikanstaat. Zwar wird der genaue Status des Vatikanstaats und des Heiligen Stuhls als Völkerrechtssubjekte, insbesondere auch das Verhältnis beider Gebilde zueinander, aufgrund ihrer historischen Entstehungsgeschichte unterschiedlich interpretiert. Jedoch ist anerkannt, dass zumindest einer der beiden Entitäten Staatsqualität zukommt. Hierfür spricht auch die Praxis des Vatikans, völkerrechtliche Verträge abzuschließen, sowie die Pflege diplomatischer Beziehungen mit 183 Staaten. Das heißt, dass der Vatikanstaat grundsätzlich Schiffe beflaggen kann. Ein entsprechender Hinweis findet sich auch auf der Webseite des Vatikanstaats:

Obwohl der Vatikanstaat keinen direkten Zugang zum Meer besitzt, ist ihm gemäß der Erklärung von Barcelona aus dem Jahr 1921 die Hochseeschifffahrt mit eigenen Schiffen unter der päpstlichen Flagge gestattet.

Der Verweis auf die Barcelona Declaration ist allerdings aus heutiger Sicht redundant, da das Recht, Schiffe zu beflaggen, auch für Binnenstaaten völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Auf der Webseite ist auch zu lesen:

Zur Zeit übt der Vatikanstaat dieses Recht nicht aus.

Dieser Hinweis hätte eigentlich ausgereicht, um die Anfrage von Mission Lifeline abzulehnen. So leicht hat es sich der Vatikan aber nicht gemacht, weshalb es sich lohnt, die konkreten Gründe für die Ablehnung genauer zu betrachten. Der Vatikan scheint der Auffassung zu sein, dass eine Beflaggung der Lifeline rechtlich nicht möglich ist. Mit dem Hinweis auf das Fehlen einer „tatsächlichen Verbindung“ zum Vatikanstaat dürfte wohl das Fehlen einer „echten Verbindung“ („genuine link“) gemeint sein. Tatsächlich steht im vatikanischen Schiffsregister von 1951, dass nur Schiffe im Eigentum des Vatikans, eines Staatsangehörigen des Vatikans oder eines vatikanischen Unternehmens registriert werden können. Zudem dient das Register dem Transport von Waren und Personen von und zum Vatikan. Diese Voraussetzungen erfüllt die Lifeline nicht. Daher ist der Hinweis auf das Fehlen einer „echten Verbindung“ nach dem nationalen Recht des Vatikans nicht zu beanstanden.

Auf der Ebene des Seevölkerrechts, aus dem der Begriff der „echten Verbindung“ stammt, besteht aber keine solche Voraussetzung. Nach ständiger Rechtsprechung des Internationalen Seegerichtshofs (siehe hier und hier) ist das Bestehen einer „echten Verbindung“ zwischen Schiff und Flaggenstaat jedenfalls nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 (SRÜ) und dem Völkergewohnheitsrecht keine Voraussetzung für die wirksame Beflaggung eines Schiffes. Stattdessen diene die echte Verbindung dazu, eine effektive Umsetzung der grundlegenden Verpflichtungen des Flaggenstaates zu gewährleisten. Nach dem Seevölkerrecht sind Flaggenstaaten nämlich dazu verpflichtet, ihre Hoheitsgewalt („jurisdiction“) und Kontrolle in verwaltungsmäßigen, technischen und sozialen Angelegenheiten über die ihre Flagge führenden Schiffe wirksam auszuüben. Insgesamt spricht man insoweit auch von der Verantwortung („responsibility“) des Flaggenstaates. Mit anderen Worten: Wenn der Vatikan wollte, könnte er (ggf. nach einer entsprechenden Änderung des Schiffsregisters) Schiffe wie die Lifeline beflaggen.

Der Vatikan müsste dann aber auch seine neu entstandenen Verpflichtungen als Flaggenstaat erfüllen. Diese Aussicht könnte den Vatikan zu dem Einwand bewegt haben, dass er seine „eigene Zuständigkeit” über die Lifeline nicht ausüben könne (eine andere Lesart wäre, dass der Vatikan dies wegen des Fehlens einer „echten Verbindung“ nicht kann, also als dessen Rechtsfolge). Die Begriffswahl dürfte durch eine Übersetzung aus dem Italienischen, in dem im Vatikan offizielle Schriftstücke verfasst werden, etwas missglückt sein: Gemeint sein dürfte die bereits genannte Hoheitsgewalt („jurisdiction“) oder die Verantwortung („responsibility“) des Flaggenstaates. Für die Ausübung der Hoheitsgewalt als Flaggenstaat ist der Vatikan in der Tat schlecht gerüstet: Er verfügt nicht über ein nennenswertes nationales Schifffahrtsrecht, ist kein Mitgliedstaat der internationalen Seeschifffahrts-Organisation und ist auch nicht Partei der üblichen internationalen Abkommen (im Kontext der Seenotrettung insbesondere SOLAS und die SAR Konvention). Auch eine Behörde mit der notwendigen Expertise müsste erst noch aufgebaut werden. Zwar ist der Vatikan derzeit völkerrechtlich formal nur an die gewohnheitsrechtlichen Verpflichtungen gebunden, da er nicht einmal Vertragspartei des SRÜ ist. Dennoch müsste er sich an weithin anerkannte Mindeststandards halten, um seine Legimitation als maritimer Akteur im Mittelmeer nicht zu untergraben. Es ist also nachvollziehbar, dass der Vatikan sich außerstande sieht, sein Schiffsregister für Schiffe von NGOs zu öffnen. Es handelt sich aber letztlich um eine politische Entscheidung.

Der dritte Einwand des Vatikans lautete, dass er „die Immunität von Besatzung und Passagieren [nicht] gewährleisten” könne. Immunität ist nach dem Seevölkerrecht aber keine Voraussetzung für die Beflaggung von Schiffen. Zudem würden vom Vatikan beflaggte Schiffe auch ohne Immunität hinreichenden Schutz genießen. Denn auf der hohen See hat der Flaggenstaat ein Monopol auf die Ausübung von Hoheitsgewalt über das Schiff. Ausnahmen hiervon sind nur in sehr engen Grenzen gegeben. Aus diesem Grund sind beispielsweise Behinderungen von Rettungseinsätzen oder gar Gewalt durch die libysche Küstenwache jenseits des libyschen Küstenmeeres völkerrechtswidrig. Laufen die NGO-Schiffe aber in Häfen ein, müssen sie sich an das dortige Recht halten.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Wenn er denn wollte, dann könnte der Vatikan Schiffe wie die Lifeline beflaggen. Das wäre aber nur mit einem verhältnismäßig hohen legislativen und exekutiven Aufwand zu schaffen. Zudem wäre für die Vergabe der Flagge an NGOs in der aktuellen politischen Situation wohl ein politischer Preis zu zahlen, der nicht absehbar ist. Ohnehin wären mit einer Beflaggung nicht mit einem Schlag alle Probleme aus der Welt geschafft: Die NGO-Schiffe wären damit rechtlich weder dem Zugriff der libyschen Küstenwache im libyschen Küstenmeer noch den italienischen und maltesischen Behörden in den Häfen entzogen. Und die EU-Küstenstaaten sind, wie Nele Matz-Lück auf diesem Blog bereits ausgeführt hat, seevölkerrechtlich nicht dazu verpflichtet, eine Ausschiffung in ihren Häfen zuzulassen. Nach alledem überrascht die Zurückhaltung des Vatikan in dieser Sache nicht.


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