24 March 2021

Ein neuer Flaggenstreit

Das Verhältnis der Deutschen zu ihren Staatssymbolen ist nach wie vor schwierig. Eine Ursache hierfür ist, dass die Bundesrepublik auf einen symbolischen Kontinuitätskurs festgelegt ist, der mitunter Probleme bereitet und der klare Einschnitte schwer zu machen scheint. Das zeigen nicht zuletzt zwei Gerichtsurteile aus Bremen, in denen es um eine Ordnungsverfügung geht, die das Zeigen der Reichskriegsflagge und weiterer Flaggen während einer Demonstration unterbinden sollte. Ist damit die Flaggenfrage wieder en vogue? Jedenfalls geben die jüngsten Ereignisse Anlass, sich mit der Staatssymbolik der „Berliner Republik“ auseinanderzusetzen und behutsame Fortentwicklungen anzuregen. Das birgt Konfliktpotential.

Weimarer Flaggenstreit

Insbesondere die hochumstrittene „Flaggenfrage“ der Weimarer Zeit steht bis heute dafür, dass bei Staatssymbolen unselige Kompromisse mit der Vergangenheit zu gewaltigen Problemen in der Gegenwart und Zukunft führen können. Worum ging es beim Weimarer Flaggenstreit? In der Weimarer Nationalversammlung 1919 hatte sich früh abgezeichnet, dass sich die verschiedenen politischen Lager auf keine einheitliche Lösung bei der Frage der „Reichsfarben“ verständigen würden. Dem dritten Entwurf für die WRV lag noch eine einheitliche Lösung zugrunde, nach der die Reichsfarben schwarz-rot-gold sein sollten. Im Rahmen der Verhandlungen am 3.7.1919 wurde dann zunächst ein Antrag der rechtskonservativen und monarchistischen Kräfte abgelehnt, schwarz-weiß-rot als „Reichsfarben“ in die WRV aufzunehmen. Doch auch der Vorschlag, schwarz-rot-gold als Reichfarben zu wählen, war nicht ohne Weiteres mehrheitsfähig. Erst ein Kompromissvorschlag brachte eine Entscheidung: Nach Art. 3 S. 1 WRV waren die „Reichsfarben“ schwarz-rot-gold, aber Art. 3 S. 2 der WRV hielt fest, dass die Handelsflagge schwarz-weiß-rot war mit den Reichsfarben (also schwarz-rot-gold) in der oberen inneren Ecke (sogenannte Gösch). Ein vollkommener Bruch mit den – eigentlich unhistorischen – Farben schwarz-weiß-rot war also aus politischen Gründen trotz gewaltiger Kraftanstrengungen nicht zu erreichen. Die restaurativen bis reaktionären Kräfte waren in Weimar zu stark. Der gefundene Kompromiss sollte sich aber in jeder Hinsicht als Problem erweisen. Als Sinnbild für die politische Zerrissenheit war er in keiner Weise geeignet, die gegensätzlichen Positionen zu versöhnen und sorgte als Quelle der Desintegration für endlose Streitigkeiten, die noch durch eine Verordnung des Reichspräsidenten vom 11.4.1921 (RGBl. S. 483) verschärft wurde. Diese Verordnung führte zu zahlreichen Flaggen mit unterschiedlichen Kombinationen von schwarz-rot-gold, schwarz-weiß-rot und dem Eisernen Kreuz und die mit Verordnung vom 5.5.1926 (RGBl. I, S. 217) noch einmal geändert wurde. Diese Erfahrungen mahnen gleichermaßen zur Vorsicht und Entschlossenheit.

Nachwirkungen

Der Weimarer Flaggenstreit wirkt bis heute nach, denn auch in der „Berliner Republik“ ist eine vollkommene Abkehr von schwarz-weiß-rot schwierig. Zwar sind nach § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB „Propagandamittel“ verboten, „die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen“. Bislang fallen aber z. B. die ehemalige Reichsflagge des Kaiserreichs und insbesondere die Reichskriegsflagge gerade nicht hierunter. Versuche, das öffentliche Zeigen dieser Flaggen zu unterbinden, sind aber in den letzten Monaten gescheitert. Aufgeschreckt durch die Ereignisse im Rahmen diverser sogenannter Corona-Demonstrationen (insbesondere bei der „Erstürmung“ der Reichstagstreppe), bei denen immer wieder das Schwenken der Reichskriegsflagge zu beobachten war, hatte etwa das Bundesland Bremen versucht, das Zeigen der Reichskriegsflagge und der Kriegsflagge des Norddeutschen Bundes in der Öffentlichkeit auf der Grundlage eines Erlasses zu untersagen. Das Ansinnen ist allerdings erst vor dem VG Bremen (5 V 2212/20) und dann vor dem OVG Bremen (1 B 323/20) krachend gescheitert und ist insbesondere in der Form eines Erlasses nicht durchsetzbar. Das OVG hält fest: „Ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit läge insbesondere vor, wenn das Zeigen der Fahnen gegen Strafgesetze verstoßen würde.“ Das ist aber bislang nicht der Fall.

Sprengkraft symbolischer Kontinuitäten

Ohne in weitere Details gehen zu wollen, zeigt das Ganze jedenfalls, dass auch symbolische Kontinuitäten ihre Sprengkraft nicht verlieren und ihnen in vielen Fällen nur durch Verbote oder einer Fortentwicklung von Symbolen begegnet werden kann. Das gilt nicht nur in Deutschland. So hat Mississippi als letzter Bundesstaat der USA die berüchtigte Kriegsflagge der Konföderierten erst jüngst aus der Gösch seiner Flagge verbannt und eine neue Flagge mit einer Magnolienblüte in der Mitte im Rahmen einer weiteren Abstimmung am Tag der Präsidentschaftswahl 2020 angenommen („The New Magnolia“). Die Diskussion über die äußerst problematische Traditionspflege der Konföderation ist in den USA in vollem Gange. Und eine solche Auseinandersetzung über symbolische Kontinuitäten rollt nun womöglich auch auf die Bundesrepublik Deutschland zu.

Rolle des Bundesgesetzgebers

Es wäre allerdings naiv, eine vollkommene Abkehr von einer Staatssymbolik zu verlangen. Schon de Tocqueville hat darauf hingewiesen, dass auch Demokratien Symbole benötigen. Doch die jüngsten Auseinandersetzungen zeigen, dass diese Symbole immer wieder auch mit der Gegenwart in Bezug gebracht werden müssen – ein alleiniges Kontinuitätsversprechen reicht nicht aus. Insofern kann man die Ereignisse auch als Anlass nehmen, nicht nur über Verbote nachzudenken, sondern auch über eine behutsame Fortentwicklung der deutschen Staatssymbolik.

Auf Bundesebene wird ein Verbot der Reichskriegsflagge zwar derzeit diskutiert – etwa mittels einer Ergänzung des § 86 Abs. 1 StGB. Doch aus dem BMJ ist zu hören, dass man ein „unwürdiges Katz- und Mausspiel zwischen Extremisten und Gesetzgeber“ verhindern wolle (Spiegel Online v. 21.3.2021). Ohne ein solches Verbot auf Bundesebene, das zeigen die Bremer Urteile, werden es aber die Länder schwer haben, ihrerseits tätig zu werden, auch wenn sie offenbar dazu bereit sind. Und ob es tatsächlich zu einem „Katz- und Mausspiel“ kommen würde, sei einmal dahingestellt. Die Bilder von der Reichstagstreppe sind jedenfalls verstörend und sollten eigentlich Anlass zu Nachjustierungen geben.

Es ist aber nicht nur Aufgabe des Bundes über Verbote zu entscheiden, sondern auch über neue Symbole oder eine Fortentwicklung vorhandener Symbole. Das Grundgesetz enthält mit Art. 22 GG nicht allzu viele Aussagen über die Staatssymbole, weist aber dem Bund unzweifelhaft entsprechende (Verbands-)Kompetenzen zu. Er soll mit Symbolen zur Integration des Staatswesens beitragen – durch die Symbole wird der Staat in gewisser Weise für die Bürgerinnen und Bürger „erfahrbar“ und „gegenwärtig“. Diese staatliche Präsenz soll es den Bürgerinnen und Bürgern wiederum ermöglichen, sich mit dem Staat zu identifizieren. Letztlich geht es hier um Kommunikation zwischen Staat und Bürgerin und Bürger. Aber auch um Gefühlsduselei. Das wird deutlich, wenn das Bundesverfassungsgericht vom „Staatsgefühl der Bürger“ spricht, das auch durch Symbole gestärkt werden soll.

Neue Symbole

Wie könnte eine Fortentwicklung der Staatssymbole, insbesondere der Bundesflagge aussehen, die Tradition, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet? Vorgeschlagen sei eine Zusammenführung der Europa- und der Bundesflagge. Man könnte erwägen, die EU-Flagge in die Gösch der Bundesflagge aufzunehmen und damit das Nebeneinander von Europa- und Bundesflagge zu beenden. Verfassungsrechtlich scheint dies unproblematisch zu sein, solange die von Art. 22 GG festgelegte Farbfolge gewahrt bleibt. Die symbolische Wirkung dieses Schritts ist sicher erheblich, findet ihre Berechtigung aber in der deutschen Staatswirklichkeit. Die Europäische Union steht längst nicht mehr neben der Bundesrepublik, sondern ist ein wichtiger Teil des deutschen Weges geworden. Auch wenn die Konstellation an die Weimarer Handelsflagge erinnert, wäre ihre Symbolik doch eine ganz andere: Hier ginge es um den Schritt in die Zukunft und nicht um unselige Kompromisse mit der Vergangenheit.

Bundesflagge mit EU-Flagge in der Gösch


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