22 June 2021

Ein stumpfes Schwert

Warum die neuen Transparenzregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages kaum etwas ändern dürften

Neue Tätigkeitsverbote, erweiterte Transparenzpflichten und eine Verschärfung der Strafbarkeit der Bestechung und Bestechlichkeit von Mandatsträgern: Das ist der Ertrag der Reform der Regeln für Abgeordnete im Abgeordnetengesetz (AbgG) und im Strafgesetzbuch (StGB). Ersichtlich getrieben von der Berichterstattung über bezahlte Lobbytätigkeiten von Bundes- und Landtagsabgeordneten hat der Bundestag am vergangenen Freitag, den 11.6., den gemeinsamen Entwurf von CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN((BT-Drs. 19/28784)) in der Fassung des Rechtsausschusses((BT-Drs. 19/30492)) angenommen.

Im Vordergrund steht das Anliegen, Interessenverknüpfungen transparent(er) zu machen, die für die parlamentarische Arbeit bedeutsam sein können. Diese Stoßrichtung ist zu begrüßen und dürfte auf der Grundlage der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Status der Abgeordneten aus dem Jahre 2007 grundsätzlich nicht zu beanstanden sein. Allerdings fehlt weiterhin eine unabhängige Kontrollinstanz, die die Einhaltung der verschärften (nichtstrafrechtlichen) Regeln prüft, weshalb die Maßnahmen sich einmal mehr als ein stumpfes Schwert zu erweisen drohen.

Übersichtlichkeit

Von der grundsätzlichen Konzeption her enthielt das Abgeordnetengesetz bislang die Statusregeln und Tätigkeitsverbote für Abgeordnete, während die Verhaltensregeln in erster Linie Transparenzpflichten vorsahen. Diese Konzeption wurde jedoch in mehrfacher Hinsicht durchbrochen, indem etwa Beschränkungen von Direktspenden und ein Verbot von missbräuchlichen Hinweisen auf die Mitgliedschaft im Bundestag in den Verhaltensregeln statt im Abgeordnetengesetz geregelt waren. Die neuen Vorschriften sind übersichtlicher: Tätigkeitsverbote sind in § 44a und Transparenzregeln in den §§ 45f. AbgG geregelt. Sämtliche Regeln besitzen somit künftig den Rang eines formellen Gesetzes, was zugleich ihre Bedeutung – für die Abgeordneten sowie in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht – betont.

Neue Tätigkeitsverbote

Neu sind zunächst drei Tätigkeitsverbote, die in § 44a AbgG aufgenommen wurden. Unzulässig ist hiernach künftig

  • Geld oder geldwerte Zuwendungen für Vorträge anzunehmen, die in Zusammenhang mit der Mandatsausübung stehen (§ 44a II S. 3);
  • Geldspenden entgegenzunehmen, die bei der oder dem Abgeordneten verbleiben sollen (§ 44a II S. 4);
  • neben dem Mandat gegen Entgelt Interessen für Dritte gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung zu vertreten oder in unmittelbarem Zusammenhang mit der Mandatsausübung Dritte entgeltlich zu beraten (§ 44a III).

Zudem wird ein Verbot „missbräuchlicher Hinweise“ in § 44a IV aufgenommen, das bisher in § 5 der Verhaltensregeln enthalten war. Hiernach sind missbräuchliche Hinweise auf die Mitgliedschaft im Bundestag in beruflichen oder geschäftlichen Angelegenheiten unzulässig. Missbräuchlich sind solche Hinweise dann, wenn sie geeignet sind, auf Grund der Mitgliedschaft im Bundestag einen Vorteil in beruflichen oder geschäftlichen Angelegenheiten zu erzeugen.

Nun sind Nebentätigkeiten von Abgeordneten, wie nicht zuletzt § 44a I unverändert klarstellt, neben dem Mandat grundsätzlich zulässig. Das Bundesverfassungsgericht verweist hier auf Artikel 48 Absatz 2 GG, wonach niemand daran gehindert werden darf, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben, sowie auf einen Umkehrschluss zu Artikel 137 Absatz 1 GG, wonach der Gesetzgeber ausschließlich zu Beschränkungen der Wählbarkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes ermächtigt ist. Man mag monieren, dass die Materialien hier in erster Linie auf monetäre Erwägungen abstellen und insbesondere immer wieder auf die großzügige Abgeordnetenentschädigung verweisen. Dabei sind Nebentätigkeiten aus einer umfassenderen Perspektive in den Blick zu nehmen, helfen sie doch einer Abhängigkeit von dem politischen Betrieb vorzubeugen und den oder die Abgeordnete in der Gesellschaft zu verwurzeln.

Dieses – grundsätzlich bedenkenswerte Argument – entfaltet indes mit Blick auf die nun beschlossenen Änderungen nur geringe Überzeugungskraft, wie auch die Stellungnahme der Sachverständigen Prof. Dr. Ann-Kathrin Kaufhold (LMU) betont: „Schließlich wird keine Berufstätigkeit verboten, die Abgeordnete bereits vor ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag ausgeübt haben oder die sie nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag wieder aufnehmen könnten und die sie deshalb vor Druck aus Partei und Fraktion schützen und die Freiheit des Mandats dadurch stärken könnten.“ Untersagt wird lediglich ein kleiner Ausschnitt von Nebentätigkeiten, die in den meisten Fällen gerade durch die Mitgliedschaft im Bundestag ermöglicht werden.

Sofern man anführen könnte, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit der parlamentarischen Tätigkeit, um deren Schutz es hier geht, zwar im Rahmen des § 44a III 1 Alt. 1 und 3, nicht aber ohne Weiteres bei einer Interessenvertretung gegenüber der Bundesregierung (Alt. 2) vorliegt, sprechen für diese Regelung zumindest allgemeine Erwägungen der Korruptionsbekämpfung: Das Verbot des § 44a III zielt insoweit umfassend auf einen „Einflusshandel“ im politischen (Kern-)Bereich. Ein solcher Einflusshandel spielt in einschlägigen internationalen Verträgen schon länger eine Rolle; so empfehlen etwa das Strafrechtsübereinkommen des Europarats sowie die Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption (United Nations Convention against Corruption einen entsprechenden Straftatbestand auch für Abgeordnete((wenn auch die unterzeichnenden Staaten nicht zur Einführung entsprechender Tatbestände verpflichtet werden, ausführlich hierzu Peters, Korruption in Volksvertretungen, 2017, S. 207ff.)).

Mehr Transparenz

Umfangreicher als bei den Tätigkeitsverboten fallen die Änderungen der Transparenzpflichten aus. Die bisherigen Verhaltensregeln wurden überarbeitet und in die §§ 45f. des neuen 11. Abschnitt des Abgeordnetengesetzes überführt. Interessant sind insoweit insbesondere die folgenden Neuerungen:

  • die Aufnahme einer Pflicht, auf das Bestehen eines Rückkehrrechts nach Beendigung des Mandats oder eines Kündigungsschutzes aus der Zeit vor der Mitgliedschaft im Bundestag hinzuweisen (§ 45 I Nr. 1);
  • die Anzeige und Veröffentlichung von Einkünften, die den Betrag von 1000 Euro im Monat oder 3000 Euro (bisher: 10.000 Euro) im Kalenderjahr übersteigen, wobei neuerdings die konkrete Höhe „auf Euro und Cent“ (bisher: Stufenmodell) angezeigt und veröffentlicht wird. Soweit die Einkünfte aus Umsatzerlösen bestehen, ist statt der Bruttobeträge der Gewinn vor Steuern anzuzeigen. (§ 45 II Nr. 1, III)
  • die Anzeige und Veröffentlichung von Beteiligungen an Kapital- oder Personengesellschaften, wenn der Anteil mehr als 5 vom Hundert beträgt (bisher: wenn dadurch ein wesentlicher wirtschaftlicher Einfluss auf ein Unternehmen begründet wird) und soweit die Tätigkeit der Personengesellschaften nicht ausschließlich die Vermietung und Verpachtung im Rahmen der privaten Vermögensverwaltung betrifft (§ 45 II Nr. 6).

Konkrete Wertgrenzen besitzen letztlich immer einen Rest von Willkürlichkeit und sind daher schwer zu befürworten oder zu kritisieren. Gemessen an dem Zweck, drohende Interessenkonflikte zu identifizieren, ist die allgemeine Stoßrichtung, diese herabzusetzen, jedoch zu begrüßen. Im Übrigen handelt es sich um überfällige Maßnahmen, da die Staatengruppe gegen Korruption (Groupe d’États contre la Corruption – GRECO) die unzureichenden Transparenzregeln wiederholt bemängelt hatte.

Im Rahmen der Sachverständigenanhörungen wurden jedoch teilweise Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Transparenzpflichten geltend gemacht, wobei insbesondere die Pflicht zur Bezifferung der Einkünfte „auf Euro und Cent“ kritisiert wurde. Auf der Grundlage der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Status der Abgeordneten aus dem Jahre 2007 dürften die neuen Regeln allerdings grundsätzlich nicht zu beanstanden sein. Dort wurde insbesondere angeführt, dass „eine Veröffentlichung von Einkünften in ihrer jeweiligen Höhe dem Idealbild eines offenen, in jeder Hinsicht durchschaubaren Prozesses politischer Willensbildung mehr entspräche“ als das alte Stufenmodell. Betont wurde zudem, dass Transparenzpflichten nicht die Sphäre privater Lebensführung betreffen und das Interesse an Vertraulichkeit „gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Erkennbarkeit möglicher Interessenverknüpfungen der Mitglieder des Deutschen Bundestages grundsätzlich nachrangig [ist].“

Sanktionen

Während die Tätigkeitsverbote und die Transparenzpflichten verschärft wurden, blieben die Sanktionsmöglichkeiten im Falle von Verstößen unangetastet: Wie bisher kann das Präsidium ein Ordnungsgeld bis zur Höhe der Hälfte der jährlichen Abgeordnetenentschädigung festsetzen, § 51 AbgG (vormals § 8 der Verhaltensregeln).

Dass der Status der Abgeordneten sie nicht immun gegen Sanktionen macht, ist anerkannt: Das Bundesverfassungsgericht stellte schon 2007 gegenüber der Annahme, zur Durchsetzung der Anzeigepflichten genüge die Feststellung eines Verstoßes und deren Veröffentlichung, klar: „Handlungspflichten mit der Androhung und Verhängung von Ordnungsgeldern durchzusetzen, ist rechtsüblich und auch Abgeordneten gegenüber nicht grundsätzlich unangemessen.“ Aus Art. 38 I 2 GG folge nicht, „dass Abgeordnetenpflichten grundsätzlich nicht mit rechtsförmigen Sanktionen bewehrt, sondern allein über die politische Verantwortung gegenüber dem Wähler reguliert sein dürften“. Der Abgeordnetenstatus sei „nicht prinzipiell sanktionsfrei ausgestaltet“, was insbesondere der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung zeige (s.u.). Dass – selbst strafrechtliche – Sanktionen verhangen werden können, ist dem Umstand geschuldet, dass das freie Mandat auf den Bundestag bezogen und um dessen repräsentativer Stellung Willen gewährt ist. Sanktionen stellen ein wirksames Mittel dar, nicht etwa um inhaltliche Anforderungen an die Mandatswahrnehmung zu stellen, sondern um deren prozedurale Richtigkeit zu sichern((Peters, Der Staat 59 (2020), S. 513, 535f.)).

Insoweit ist nicht nachvollziehbar, dass den nun verschärften Regeln keine scharfen Sanktionen zur Seite gestellt werden. Wünschenswert und lange angemahnt((vgl. etwa v.Arnim, JZ 1990, 1014; Peters, Korruption in Volksvertretungen, 2017 S. 713)) wäre eine unabhängige Kontrollinstanz, anstatt im Zuge der „Selbstkontrolle“ Personen über die Frage eines Fehlverhaltens und dessen Sanktionierung entscheiden zu lassen, die im Zweifel seit Jahren oder Jahrzehnten kollegial und nicht selten freundschaftlich mit den Betroffenen verbunden sind. Für eine solche Kontrollinstanz hatten sich auch die Sachverständigen von Transparency International Deutschland e.V. und abgeordnetenwatch ausgesprochen.

Verschärfung der Strafbarkeit

Zuletzt wurde das Strafmaß des Tatbestands der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern in § 108e StGB von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, angehoben. In der Folge handelt es sich künftig um ein Verbrechen, weshalb schon der Versuch strafbar ist (§§ 12 I, 22, 23 I StGB).

Da es sich bei den Bestechungsdelikten ohnehin um Straftatbestände handelt, bei denen die Strafbarkeit – strukturell vergleichbar zur Verbrechensverabredung in § 30 StGB – weit vorverlagert ist, kann man diesen Schritt durchaus kritisieren: Schon bisher war bereits das Angebot zum Abschluss einer Vereinbarung, die korrupte Verhaltensweisen zum Gegenstand haben sollte, kriminalisiert. Die eigene politische Handlungsbereitschaft unter Beweis zu stellen, indem man das Strafmaß erhöht, hat im Übrigen nicht erst in der jüngeren Vergangenheit Konjunktur, obwohl die empirische Sozialforschung die Eignung solcher „Maßnahmen“ zur effektiven Kriminalitätsbekämpfung seit langem bezweifelt. Darüber hinaus sind dem Tatbestand zahlreiche dogmatische Probleme inhärent, die sich insbesondere auch auf Wechselwirkungen mit dem Abgeordnetengesetz beziehen und in der Literatur – relevante Rechtsprechung existiert zu dieser kaum einmal angewendeten Strafnorm nicht – umfassend aufbereitet wurden. Es wäre wünschenswert gewesen, man hätte die Gelegenheit genutzt, um sich diesen zahlreichen Problemen zuzuwenden.

Fazit

Der nun beschlossene Gesetzesentwurf geht insbesondere hinsichtlich der Erweiterung der Transparenzpflichten viele Schritte, die begrüßenswert sind. Problematisch bleibt jedoch, dass für die Überwachung der Einhaltung der nichtstrafrechtlichen Regeln keine unabhängige Kontrollinstanz existiert. Im Übrigen bleibt der Straftatbestand der Mandatsträgerbestechung ein „Problemkind“ des Strafgesetzbuchs.

Transparenzhinweis: Die Autorin ist im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Bewertung der sogenannten „Maskenaffäre“ gutachterlich tätig.


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