06 January 2014

“Die Energiewende hat der Gesetzgeber nicht aus Langeweile gemacht”

Die Industrie will sich mit einer Verfassungsbeschwerde dagegen zur Wehr setzen, für die Folgen der Energiewende in Haftung genommen zu werden. Worum geht es da?

Es gibt zwei Konstellationen: In der einen produzieren die Windparks zu viel Strom und destabilisieren das Netz. Dann können die Übertragungsnetzbetreiber Industrieunternehmen zwingen, ihre Kraftwerke abzuschalten. In der anderen Konstellation produzieren die Windparks zu wenig Strom, und die Netzbetreiber fordern von Industrieunternehmen, Strom, den sie sonst selbst verwenden würden, ins Netz einspeisen. In beiden Fällen müssen die betroffenen Unternehmen womöglich ihre Produktion einstellen, weil ihnen Wärme oder Strom fehlt. Und § 13 Energiewirtschaftsgesetz, der diese sehr einschneidenden Maßnahmen ermöglicht, sieht dafür keine Entschädigung vor.

Wäre eine solche denn verfassungsrechtlich geboten?

Das wäre sie, wenn es sich um eine Enteignung handeln würde. Die gibt es nur gegen Entschädigung. Eigentum ist aber nach Art. 14 I 2 GG sozialpflichtig. § 13 EnWG kann auch einfach eine Ausgestaltung des Eigentums sein. Es geht nicht um den Bestand des Eigentums, sondern nur um seinen Gebrauch, nicht um das Ob, sondern um das Wie.

Aber auch dafür kann eine Entschädigung nach Art. 14 GG geboten sein, oder nicht?

Das BVerfG hat anerkannt, dass es in schweren Fällen eine Art Billigkeits-Entschädigungspflicht geben muss. Das gab es zum Beispiel im so genannten Pflichtexemplar-Fall: Wer ein Buch publiziert, muss Pflichtexemplare an Bibliotheken abliefern. Wenn man aber einen sehr teuren Kunstband produziert, kann einen das in den Ruin treiben. In dem Fall hat das BVerfG gesagt, die Regelung sei nur dann verhältnismäßig, wenn es eine Entschädigung gibt.

Wäre das hier so ein Fall?

Wenn man sich die gesetzliche Begründung ansieht, erkennt man, dass diese Maßnahmen nur in unerträglichen Notstandssituationen ergriffen werden dürfen. Der Gesetzgeber argumentiert dort mit der übergeordneten Bedeutung des Energieversorgungssystems. Das ist ein sehr hohes Gut. Ich könne mir vorstellen, dass damit solche Maßnahmen zu rechtfertigen wären.

Aber es handelt sich doch nicht nur um unvorhergesehene Katastrophenfälle, sondern um eine Situation, die der Gesetzgeber selbst herbeigeführt hat.

Die Energiewende hat der Gesetzgeber nicht aus Langeweile gemacht. Wir sind internationalrechtlich verpflichtet, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Die Versorgungssicherheit ist ein sehr hohes Ziel des Gesetzgebers. Dass es damit Probleme geben kann, hat mit den Besonderheiten der erneuerbaren Energien zu tun. Der Wind weht halt nicht immer gleich. Deshalb kommen diese Schwankungen zustande, die die Versorgungssicherheit insgesamt gefährden können.

Könnte man argumentieren, dass der Industrie abverlangt wird, für übergeordnete Zwecke des Allgemeinwohls ein Sonderopfer zu erbringen, das entschädigt werden muss?

Das werden die Anwälte machen, ja. Ob das stichhaltig ist, hängt davon ab, ob die Belastung, die tatsächlich auf das klagende Unternehmen zukommt, das Maß des Hinnehmbaren übersteigt. Das ist für mich jetzt schwer zu beurteilen. Aber das wird Karlsruhe zu klären haben.

Heißt das, dass sich die Entschädigungsfrage für jedes betroffene Unternehmen neu und anders stellt?

Die Entscheidung des BVerfG in dieser Sache wird man wohl schon als Maßstab auch für andere Unternehmen heranziehen können. Das wird ein Grundsatzurteil werden.

Das Interview führte Maximilian Steinbeis.


3 Comments

  1. Tourix Mon 6 Jan 2014 at 23:35 - Reply

    Ein bemerkenswerter Artikel.

    Der Spiegel hat dazu vor kurzem einen Artikel herausgebracht, wonach das erste Unternehmen jetzt vor Gericht ziehen will.
    http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/papierfabrik-legt-verfassungsbeschwerde-gegen-energiegesetz-ein-a-942086.html

  2. Rudi Karl Sander Thu 9 Jan 2014 at 11:48 - Reply

    Rechtsstaat bleibt Rechtsstaat – und Polizeistaat bleibt Polizeistaat!

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