26 March 2020

ESM-Kredite statt Corona-Bonds

Zu den Vorschlägen einer gemeinsamen Antwort der Eurozonen-Mitgliedstaaten auf die Corona-Krise

ESM-Kredite oder Corona-Bonds? Das Thema steht heute auf der Agenda des Ratstreffens ganz oben. Durch die Corona-Pandemie droht eine wirtschaftliche Krise und eine gemeinsame fiskalische Antwort der Eurozonen-Mitgliedstaaten hierauf wäre ein begrüßenswertes Symbol des Zusammenhalts und der Solidarität in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Sie könnte die Märkte beruhigen, Staatsschuldenkrisen verhindern und Zweifel an der Integrität der Eurozone im Keim ersticken. Diese Antwort muss sich jedoch im Rahmen des geltenden (europäischen Währungs-)Rechts bzw. der Vorgaben des ESM-Vertrages halten. Der Einsatz des ESM ist dabei der Emission von Corona-Bonds vorzuziehen, weil er rechtssicherer und schneller umsetzbar ist.

Von der Gesundheitskrise zur Wirtschaftskrise zur Staatsschuldenkrise?

Als Folge der Corona-Krise bricht gerade ein symmetrischer externer ökonomischer Schock gleichzeitig über alle Mitgliedstaaten der Eurozone herein. Die kurzfristigen Auswirkungen sind schon jetzt extrem. Angebot und Nachfrage gehen zeitgleich massiv zurück, die Wirtschaftsleistung ist drastisch eingebrochen. Aktuelle Prognosen zu den mittelfristigen volkswirtschaftlichen Auswirkungen lassen Schlimmes erwarten. Um die Auswirkungen zu lindern, haben beinahe alle Staaten der Eurozone fiskalische Hilfsprogramme von beispiellosem Ausmaß beschlossen. Ermöglicht werden diese durch die erstmalige Aussetzung der Defizitregelungen des EU-Stabilitätspakts. Die EZB flankiert die Programme durch ein Sekundärmarktkaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme – PEPP) im Umfang von bis zu 750 Mrd Euro. Langfristig droht durch den enormen Kapitalbedarf der mitgliedstaatlichen Programme allerdings ein starker Anstieg der Staatsverschuldung. Gleichzeitig brechen die Steuereinnahmen weg. Die Krise der Realwirtschaft droht sich zu einer Krise des Fiskus auszuwachsen. Die Risikoaufschläge auf die Staatsanleihen bestimmter Eurozonen-Mitgliedstaaten steigen schon jetzt an und könnten durch Zweifel an der Tragfähigkeit ihrer Staatsverschuldung weiter zunehmen. Das schränkt den Kapitalmarktzugang dieser Staaten stark ein und gefährdet ihre (Re-)Finanzierungsfähigkeit. Daneben entstehen auch Gefahren für den Bankensektor. Dieser stellt sich zwar erheblich resilienter dar, als vor der letzten Krise. Dennoch kann der drohende umfangreiche Ausfall von Forderungen gegen Unternehmen und Haushalte infolge einer starken Rezession die Banken schwer treffen. Gerade Kreditinstitute in den verwundbarsten Ländern der Eurozone halten zudem nach wie vor große Staatsanleiheportfolien ihrer Heimatstaaten. Der verhängnisvolle Rückkopplungsmechanismus zwischen Fiskus und Bankbilanzen droht wiederaufzuleben. Letztlich kann dies sogar dazu führen, dass die betroffenen Staaten aus der EWU austreten.

Vor diesem Hintergrund werden inzwischen Möglichkeiten einer gemeinsamen Antwort der EWU-Mitgliedstaaten diskutiert. Frühes Gegensteuern soll Gefahren für Stabilität und Integrität der Eurozone verhindern. Als erster hat der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte in der Videokonferenz der Staats- bzw. Regierungschefs am 17. März entsprechende Maßnahmen gefordert. Am 21. März veröffentlichte eine Gruppe bekannter deutscher Ökonomen in der FAZ einen Appell zur einmaligen Emission gemeinsamer Corona-Bonds. Daneben wird der Einsatz des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ins Spiel gebracht. Beide Möglichkeiten hat die Eurogruppe – ohne definitives Ergebnis – bei der Videokonferenz am 24. März ausführlich diskutiert. In einem Brief vom 25. März 2020 an den Präsidenten des Rats der EU Charles Michel fordern auch neun EWU-Mitgliedstaaten, darunter Italien, Spanien und Frankreich die Begebung gemeinsamer Anleihen. Ein Ergebnis könnte bereits das Treffen des Europäischen Rats am 26. März 2020 bringen.

Einsatz des ESM zu präventiven Zwecken

Der auf den ersten Blick einfachste und politisch bisher wohl favorisierte Weg scheint die direkte Kreditvergabe durch den ESM zu sein. Der ESM hat bisher vor allem die Funktion eines lenders of last resort für die Mitgliedstaaten der Eurozone erfüllt. Er bietet diesen ein Sicherheitsnetz und springt ein, wenn ihr Kapitalmarktzugang infolge von Staatsschuldenkrisen eingeschränkt ist. Entsprechend hat er bisher ausschließlich reaktive Instrumente eingesetzt. Dazu zählen insbesondere die mit weitreichenden makroökonomischen Anpassungsprogrammen verbundenen Kredite für Irland, Portugal, Griechenland und Zypern. Noch befindet sich kein Staat der Eurozone aufgrund der Corona-Epidemie in einer Staatsschuldenkrise. Eine solche droht mittelfristig jedoch insbesondere Italien. Es stellt sich nun die Frage, ob der ESM auch vorbeugend an Staaten ausreichen kann, deren Kapitalmarktzugang bisher – trotz gestiegener Risikoaufschläge auf Staatsanleihen – noch nicht eingeschränkt ist. Ist dies der Fall, stellt sich die Frage, wie die Hilfen konkret ausgestaltet werden könnten.

Ziel des ESM ist nach Art. 12 Abs. 1 ESM-Vertrag die „Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten“. Dies schließt ein präventives Handeln ein. Dazu stellt der ESM-Vertrag in Art. 14 unter der Überschrift „vorsorgliche ESM-Finanzhilfe“ zwei Instrumente zur Verfügung, die bisher noch nicht angewendet wurden: die vorsorgliche bedingte Kreditlinie (Precautionary Conditioned Credit Line/PCCL) und die Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen (Enhanced Conditions Credit Line/ECCL). Eine Leitlinie des ESM regelt diese genauer. Sie bezwecken, den Kapitalmarktzugang von Staaten mit bisher noch gesunden Staatsfinanzen aufrechtzuerhalten. Auf Antrag des hilfesuchenden Staates und nach Prüfung durch Kommission und EZB gewährt der ESM die Mittel über ein Darlehen oder den direkten Ankauf von Staatsanleihen am Primärmarkt. Durch die gemeinsame Haftung seiner Mitglieder und das eingezahlte Kapital kann sich der ESM am Kapitalmarkt günstig refinanzieren. Diese günstigen Konditionen reicht er an seine Kreditnehmer weiter. Die Bedingungen des Darlehens werden in einem Memorandum of Understanding mit dem den Antrag stellenden Staat festgehalten. Beide Programme laufen zunächst für ein Jahr, können aber zwei Mal um jeweils sechs Monate verlängert werden.

Die PCCL richtet sich an Staaten, deren finanzielle Position grundsätzlich gesund („fundamentally sound“) ist. Dies prüft der ESM anhand von sechs Kriterien: der Einhaltung der Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts, der Tragfähigkeit der Staatsverschuldung, der Ergebnisse des Verfahrens bei makroökonomischen Ungleichgewichten, ihrem Trackrecord beim Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten, der Tragfähigkeit ihrer Auslandsverschuldung sowie der Abwesenheit von Problemen im Bankensektor die zu systemischen Risiken für das Bankensystem der Eurozone führen könnten. Wird die Hilfe auf Grundlage der Prüfung dieser Kriterien gewährt, so überwachen Kommission und EZB deren fortwährende Einhaltung während der Programmlaufzeit. Die PCCL kommt allerdings vor allem für Italien nicht infrage. Das lässt sich schon aus dem Länderbericht der EU-Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters 2019 schließen. Darin attestiert die EU-Kommission Italien „excessive macroeconomic imbalances“. Kommt ein Land nicht für eine PCCL infrage, verfügt aber dennoch insgesamt über eine gesunde („sound“) finanzielle Position, bleibt das ECCL, das mit erheblich strengeren Auflagen verbunden ist, um die bisher nicht erfüllten Kriterien zu erreichen. Die Auflagen entsprechen in ihrem Umfang allerdings nicht dem vollen makroökonomischen Anpassungsprogramm, das bei den reaktiven Maßnahmen vorgesehen ist. Im Rahmen der bestehenden Instrumente des ESM ist die ECCL für Italien das richtige Mittel.

Eine Covid Credit Line unter dem ESM

Das Problem der PCCL und der ECCL ist allerdings ihre kurze Laufzeit, weshalb  manche Ökonomen fordern, eine besondere Covid Credit Line (CCL) durch den ESM zu schaffen – mit erheblich längerer Laufzeit und weniger strengen Bedingungen. Wäre auch das vom ESM-Vertrag gedeckt? Gem. Art. 14 Abs. 4 ESM-Vertrag beschließt das ESM-Direktorium Leitlinien zu den Durchführungsmodalitäten der vorsorglichen Finanzhilfen (PCCL und ECCL). Eine solche hat er bereits erlassen. Zur Laufzeit der Hilfen äußert sich der ESM-Vertrag selbst nicht. Diese wurden erst in der Leitlinie festgelegt und könnten damit wohl auch durch eine Änderung derselben modifiziert werden. Jedoch müsste eine entsprechend abgeänderte Leitlinie Möglichkeiten enthalten, die fiskalische Position der Staaten laufend zu überwachen und Bedingungen ex post einzuführen, um die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung zu gewährleisten und die Rückzahlung der Kredite sicherzustellen. Art. 3 ESM-Vertrag fordert nämlich strikte sowie angemessene Auflagen für Hilfen, was Verluste für den ESM und die letztlich hinter ihm stehenden Mitgliedstaaten vermeiden soll. Art. 7 Abs. 2 und 3 der Leitlinie zu vorsorglichen Finanzhilfen sieht schon jetzt die Möglichkeit vor, bestehende Kreditlinien beim Verstoß gegen die festgelegten Bedingungen zu schließen. Der betroffene Staat müsste dann einen Antrag auf den Wechsel in ein mit einem makroökonomischen Anpassungsprogramm verbundenes Hilfsprogramm stellen. Damit könnte der ESM vorsorgliche Finanzhilfen mit einer längeren Laufzeit aufgrund der Änderung der entsprechenden Leitlinie erlassen, sofern die skizzierten Anforderungen (angemessene und strikte Auflagen) beachtet werden. Gem. Art. 19 ESM-Vertrag kann der Gouverneursrat die „Liste der Finanzhilfeinstrumente überprüfen und beschließen, sie zu ändern“. Ob auf dieser Grundlage ein neues Instrument für vorsorgliche Finanzhilfen geschaffen werden könnte, ist fraglich, aber aus juristischer Sicht besteht dafür auch kein Bedarf. Einem entsprechenden Einsatz des ESM müsste jedenfalls wohl auch der Bundestag zustimmen.

Der Weg über den ESM wäre aber schnell umsetzbar und rechtssicher. Ein entscheidender Vorteil in praktischer Hinsicht ist zudem, dass die erprobten Strukturen sowie die Fachkompetenz des ESM genutzt werden könnten.

Einmalige gemeinsame Emission von Corona-Bonds durch die Mitgliedstaaten der Eurozone

Dies fordern insbesondere Politiker aus Italien, Spanien und Frankreich sowie eine Gruppe deutscher Ökonomen.

Die Idee ist wie folgt. Anlässlich der Corona-Krise begeben die Eurozonen-Mitgliedstaaten einmalig eine gemeinsame Anleihe mit einem Gesamtvolumen von 1.000 Milliarden Euro (das entspricht ca. 8% des BIPs der Eurozone) und einer möglichst langfristigen Laufzeit. Aus den Mitteln des dadurch geschaffenen Notfallpools würden Mitgliedstaaten gestützt, die den Zugang zum Kapitalmarkt zu tragbaren Konditionen zu verlieren drohen. Für die Rückzahlung der Anleihe würden alle Eurozonen-Mitgliedstaaten gemeinsam haften, die Höhe der Zins- und Tilgungszahlungen könnte sich dabei am EZB-Kapitalschlüssel orientieren (aktuell beträgt der Anteil Deutschlands 21,4%). Hinter der Emission stehen alle Mitgliedstaaten mit ihrer gemeinsamen finanziellen Kraft. Deshalb müsste die Platzierung der Anleihe zu relativ günstigen Konditionen möglich sein. Sie würden aufgrund ihrer geringen Ausfallwahrscheinlichkeit auch Safe-Assets darstellen, die insbesondere die Banken der schwachen Länder erwerben könnten.

Viele zentrale praktische Fragen sind aber nach wie vor offen. Wie genau sähen die Modalitäten der Ausschüttung aus dem Pool an die einzelnen Staaten aus? Nach welchen Konditionen würde die Rückzahlung ablaufen? Über welches Vehikel würde die Anleihe emittiert werden? Wer würde den Pool verwalten und die Darlehen daraus abwickeln? Könnte dazu der ESM eingesetzt werden? Müsste dazu der ESM-Vertrag geändert werden? Könnten die Kreditinstitute die Anleihen bei der EZB zur Refinanzierung verwenden und dürfte die EZB diese auch im Rahmen ihrer Sekundärmarktkaufprogramme erwerben?

Als historisches Vorbild für die Corona-Bonds wird die europäische Gemeinschaftsanleihe (Verordnung (EWG) Nr. 397/75) genannt, die anlässlich der Ölkrise 1975 auf der Grundlage des Art. 235 EWGV (heute Art. 352 AEUV) begeben wurde. Allerdings existierte damals weder die EWU noch die gemeinsame Währung des Euro oder die Vorschrift des Art. 125 Abs. 1 AEUV, an der sich eine solche Anleihe heute messen lassen müsste.

Heute stellt sich also die Frage, ob ein Corona-Bond mit Art. 125 Abs. 1 AEUV vereinbar wäre und ob das Unionsrecht eine passende Rechtsgrundlage bereithält. Diese Fragen können im Rahmen dieses Beitrags nur angerissen und nicht abschließend beurteilt werden. Im Unterschied zu Eurobonds, deren unionsrechtliche Zulässigkeit wohl überwiegend verneint wird, würden Corona-Bonds jedenfalls nur einmalig und anlassbezogen emittiert werden. Damit würde gerade kein dauerhafter, mit Art. 125 Abs. 1 AEUV unvereinbarer, allgemeiner und gemeinsamer Haftungsautomatismus für die Staatsverschuldung aller Eurozonen-Mitgliedstaaten geschaffen. Ein moral hazard Problem, als Grundproblem aller gemeinsamen Anleihen, läge damit nicht in der gleichen Schärfe vor, es ließe sich aber auch nicht völlig ausschließen. Im Lichte des Pringle-Urteils des EuGH, nach dem Art. 125 Abs. 1 AEUV nicht jede Art finanzieller Unterstützung von vornherein verbietet, wären entsprechende Hilfen nämlich nur dann mit Art. 125 Abs. 1 AEUV vereinbar, wenn sie keinen Anreiz zu unsolider Haushaltsführung böten. Das wiederum hängt davon ab, wie die Bedingungen ausgestaltet sind, unter denen die Hilfen ausgezahlt würden. Gegebenenfalls müssten sie durch sekundärrechtliche Klarstellungen nach Art. 125 Abs. 2 AEUV flankiert werden. Damit erscheint die unionsrechtliche Zulässigkeit von Corona-Bonds zumindest nicht von vornherein als ausgeschlossen. Daneben stellt sich aber auch die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem nationalen Verfassungsrecht, insbesondere im Hinblick auf die nationalen Haushalte. Nicht zuletzt deswegen werfen die Corona-Bonds komplexere Fragen auf, als der Einsatz des ESM. Diese können auch die politischen Entscheidungsträger nur schwer in der gebotenen Kürze der Zeit abschließend und rechtssicher klären.


5 Comments

  1. Aike Würdemann Thu 26 Mar 2020 at 08:57 - Reply

    Lieber Julian,

    vielen Dank für den schönen Beitrag!

    Die Frage, die sich mir noch stellt, ist, ob mit der Nichtberücksichtigung etwaiger Issuer Limits im PEPP (die sich die EZB im PSPP noch selbst auferlegt hatte) ein Rückgriff auf die Kreditlinien des ESM überhaupt noch erforderlich ist. Damit ist grundsätzlich möglich, dass das PEPP andere Hilfsprogramme nicht nur lediglich „flankiert“, sondern dass ein umfassender Ankauf von Anleihen bestimmer Euro-Mitgliedstaaten (z.B. Italien) erfolgt. Letztlich könnte sich damit auch der Ruf nach Corona-Bonds erübrigen. Andererseits erscheint es so, dass ESM-Kreditlinien in einem makroökonomischen „whatever it takes“-Gesamtpakt (von mitgliedstaatlichen und unionalen Maßnahmen) nicht fehlen sollten. Die Kosten der derzeitigen Krise sind bisher nur schwierig abzuschätzen, allerdings scheint das politische Signal essentiell zu sein, dass die Liquiditätsversorgung gesichert ist. Dahingehend könnte auch der gestrige „very timely“ Beitrag von einem „former president of the European Central Bank“ in der ft die Euro-Finanzminister noch einmal zum Nachdenken bringen: “The speed of the deterioration of private balance sheets (…) must be met by equal speed in deploying government balance sheets, mobilising banks and, as Europeans, supporting each other in the pursuit of what is evidently a common cause”.

    Beste Grüße,
    Aike

    • Julian Proebstl Thu 26 Mar 2020 at 10:29 - Reply

      Lieber Aike,

      vielen Dank für deinen Kommentar! Auf den ersten Blick könnte – rechtliche Gesichtspunkte zunächst mal außer Acht gelassen – durch das PEPP wahrscheinlich schon ein ausreichender ökonomischer Effekt auf die Risikoaufschläge der Staatsanleihen der Mitgliedstaaten erzielt werden, sodass diese ihre nationalen Hilfsprogramme weiterhin zu tragbaren Konditionen am Kapitalmarkt refinanzieren könnten. Allerdings halte ich ein gemeinsames Vorgehen der Eurozonen Mitgliedstaaten, entweder über den ESM oder über Corona-Bonds, aus zwei Gesichtspunkten für sinnvoll. Erstens wäre das ein starkes und notwendiges politisches Signal des Zusammenhalts in der Eurozone angesichts dieser präzedenzlosen Herausforderung. Das deutest du ja auch mit deinem Rekurs auf den Draghi Beitrag an. Zweitens wäre ein gemeinsames Vorgehen auch aus demokratietheoretischen Gesichtspunkten sinnvoll. Letztlich müssten ja wahrscheinlich in beiden Varianten die nationalen Parlamente beteiligt werden. Das würden den Hilfsmaßnahmen zu größerer Legitimation und damit hoffentlich auch Akzeptanz in der Bevölkerung verhelfen.

  2. Matthias Goldmann Thu 26 Mar 2020 at 14:33 - Reply

    Vielen Dank für den schönen Beitrag. Ich würde nur ergänzen, dass die Regeln zur WWU, mithin auch Art 125 AEUV, seit Gauweiler unter dem Proviso stehen, dass sie nicht zu einem Auseinanderbrechen der Eurozone führen dürfen. Damit können Maßnahmen wie Covid-Bonds (oder auch Eurobonds), die dieses Ereignis verhindern sollen, gerechtfertigt werden, soweit sie die -derzeit ohnehin ausgesetzten- Stabilitätskriterien nicht gefährden bzw. zur Stabilitätspolitik zurückführen sollen.

  3. Matthias Ruffert Thu 26 Mar 2020 at 17:30 - Reply

    Besonderer Dank für diesen sehr hilfreichen Beitrag!

    Ebenso, wie hier im Verfassungsblog und andernorts große Anstrengungen unternommen werden, Verfassungsmäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit auch in der existenziellen Krise zu wahren, ist dies auch im Finanzverfassungsrecht und im Recht der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion notwendig, damit sich die Folgeprobleme der allseits herbeigesehnten Zeit nach der Pandemie in den Griff bekommen lassen. Manche sehr wirksame Maßnahmen, die im Beitrag kurz angesprochen sind, wie die Aussetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts oder weitreichende Ausnahmen bei der Beihilfenkontrolle, können sich – auf den ersten Blick – auf vorhandene Notstandsklauseln stützen. Das spricht für ihre Rechtmäßigkeit.

    Wenn es dabei bleibt, daß ausgerechnet solche Staaten von der Pandemie am stärksten betroffen sind, bei denen die Bewertung, ob die Staatsverschuldung tragfähig ist, wahrscheinlich zu einem negativen Ergebnis kommt, ist auch der Weg über den ESM freilich rechtlich nicht risikofrei. Eine solche Bewertung schreibt Art. 13 Abs. 1 S. 3 lit. b ESMV ausdrücklich vor. Im Szenario der asymmetrischen Betroffenheit müßte, um die Probleme mittel- und langfristig anzugehen, dann auch Art. 122 Abs. 2 AEUV ins Blickfeld rücken, der finanziellen Beistand für einen Mitgliedstaat ermöglicht, der „aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die ich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen“ ist. Die Pandemie liefert ein bitteres Beispiel dafür, was diese Vorschrift eigentlich meint – manche Heranziehung in den Jahren 2010/11 erscheint auf diesem Hintergrund mehr als fragwürdig. Womöglich ist eine „Covid Credit Line“ mit dem Weg über Art. 122 Abs. 2 AEUV ergebnisäquivalent bis auf den Umstand, daß Mittel aus Nicht-Eurozonen-Staaten im ESM außen vor bleiben. Es geht schlicht darum, denen in der größten Not zu helfen (und nebenbei die Macht fragwürdigen Bilder mit Hilfe von außen einzudämmen).

    Wenn es dabei bleibt. Es gibt noch ein zweites Szenario, gegen das wir uns momentan anstemmen, nämlich jenes, daß alle Mitgliedstaaten ebenso schwer von der Pandemie betroffen werden wie momentan Italien, Spanien und Frankreich. Für die Aktivierung von Solidarität sind wir dann normativ bei den Grundwerten unserer Gesellschaftsordnung angelangt, die dafür hinreichend stark sein mögen. Die faktischen Möglichkeiten zur Solidarität werden sie leider nicht steigern können. Auch die Bonität des ESM ist nicht grenzenlos, wenn sich die solventesten Schuldner in der Krise befinden.

    • Julian Proebstl Fri 27 Mar 2020 at 08:13 - Reply

      Auch Ihnen ganz besonderen Dank für diesen sehr aufschlussreichen Kommentar und die wertvollen Gedanken!

      Wie Sie schon sagen, liegt allen Maßnahmen des ESM zwingend eine Bewertung der Tragfähigkeit der Staatsverschuldung und deren laufende Überwachung während der Programmlaufzeit zugrunde. Dies gilt ausnahmslos – von den mit den strengsten Auflagen bis zu den mit den mildesten Auflagen verbundenen Instrumenten – und damit auch für eine eventuell zu schaffende Covid Credit Line. Damit geht aber auch, zumindest aus der Sicht der Politiker der betroffenen Staaten, immer ein gewisses Stigma einher. Insofern könnten gemeinsame Hilfsmaßnahmen über den Weg des Art. 122 Abs. 2 AEUV deshalb eine gute Alternative darstellen, weil sie eben nicht mit diesem Stigma behaftet wären und speziell auf die außergewöhnlichen Umstände dieser Krise zugeschnitten werden könnten.

      Das gestrige Ratstreffen hat noch zu keinem Ergebnis geführt. Der Rat hat der Eurogruppe jedoch aufgegeben, innerhalb der nächsten zwei Wochen entsprechende Vorschläge zu machen. Es bleibt also in jeder Hinsicht spannend!

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